Steffi Thon: Königsdisziplin Spielen
Rezensiert von Ulrike Ziemer, 28.05.2020

Steffi Thon: Königsdisziplin Spielen.
AV1 Pädagogik-Filme
(Kaufungen) 2019.
DVD; 64 Minuten.
HerausgeberIn
Regie führte Steffi Thon und Erika Gerwig. Die Kamera übernahmen Steffi Thon, Lena Mosebach, Sven Veidt. Den Schnitt verantwortet Steffi Thon.
Aufbau und Inhalt
Die DVD hat eine Spielzeit von 64 Minuten und ist in 16 Kapitel eingeteilt. Die Experten Margit Franz, Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Giesela Six-Hinkel, Heike Baum, Prof. Dr. Katharina Gerarts und Prof. Dr. Gerald Hüther erläutern die Videoaufnahmen und liefern Fachwissen zum Thema Spiel. „Spiel ist die Königsdisziplin des Lernens!“. Die einzelnen Abschnitte zeigen passend zur Thematik Filmaufnahmen und geben Informationen zu den zu beobachtenden Situationen, die nachfolgend in ihren zentralen Aussagen exemplarisch dargestellt werden.
Weshalb spielen Kinder
Tiere und Menschen spielen und entwickeln sich durch das Spiel. Kinder sind voller Tatendrang und eignen sich die Welt durch Ausprobieren und Wiederholen an. Das kindliche Spiel ist freiwillig aber nicht zweckfrei. Beim Spielen sind Körper, Geist und Seele beteiligt.
Entwicklung der Spielkompetenz
Spiel und Spielkompetenz entwickeln sich. Es geht darum die Welt ganzheitlich mit allen Sinnen zu begreifen. Hierbei gilt der Grundsatz vom „Greifen zum Begreifen“. Spielen ist mit der Bewegung vernetzt.
Einfluss des Spiels auf die körperliche, seelische und soziale Entwicklung
Spielräume stellen einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Motorik her. Es geht stets auch um soziale Vorgänge. Kinder erleben sich durch ihr Tun als selbstwirksam. Durch Erfahrungen und Ermutigungen lernen Kinder, durch das Spiel mit Herausforderungen und Frustrationen umzugehen.
Spielen und Lernen
Spielen wird häufig nicht als Möglichkeit zum Lernen gesehen. Tatsache ist jedoch, dass nicht die Weitergabe von Wissen durch Erwachsene das Lernen fördert, sondern die Eigenaktivität der Kinder der Motor für die Weiterentwicklung ist. Spielen ist intrinsisch motiviert und Kinder verhalten sich nach einem eigenen Lehrplan. Beim Spielen bewegen sich Kinder in der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotski) und suchen nach Handlungsspielräumen in denen sie Fortschritte machen können.
Funktionsspiel
Beim Funktionsspiel werden von den Kindern Wirkungsweisen untersucht. Das Ziel ist es, herauszufinden, wie sie als Person funktionieren und wie die Welt beschaffen ist. Die Reihenfolge geht vom Ich zum Du zum Wir. Kinder führen elementare Spielhandlungen durch wie „aus-an“, „auf- zu“ oder aus- und einräumen. Diese Handlungsschemata (Piaget) basieren auf Handlungsabfolgen. Die Erfahrung, dass ich selbst etwas bewirken kann, hilft dabei ein gutes, starkes Selbstkonzept zu entwickeln. Das Funktionsspiel wird auch sensomotorisches Übungsspiel genannt, da das Kind mit all seinen Sinnen aktiv ist.
Konstruktionsspiel
Nach dem Funktionsspiel entwickelt sich das Konstruktionsspiel. Dieses findet in zwei Regionen statt. Im Bereich des Bauens und Konstruierens und im Bereich des bildnerischen Gestaltens. Ab ca. 1,5 Jahren beginnen Kinder hier räumliche und statische Erfahrungen zu sammeln. Stark beteiligt sind die sozialen Erfahrungen, da Kinder oft im Miteinander konstruieren und dabei unterschiedliche Ideen aushandeln. In dieser Spielphase benötigen Kinder ausreichend Material in gleicher Art, damit Bauwerke auch stehen bleiben können.
Symbol- und Rollenspiel
Die Begriffe Symbolspiel und Rollenspiel werden oft synonym verwendet. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich voneinander. Von Symbolspiel spricht man, wenn Kinder in Krippenalter beginnen, Handlungen von Personen nachzuahmen und dabei Gegenstände umfunktionieren. So ahmen die Kinder ihre Eltern nach, indem sie zum Beispiel mit einem Baustein telefonieren. Dies ist eine kognitive Leistung, da einem Gegenstand ein Symbolwert zugesprochen wird. Das Rollenspiel hingegen ist ein Kooperationsspiel. Kinder nehmen selbst eine Rolle ein und spielen mit anderen zusammen. Es wird auf der Metaebene eine Art Drehbuch besprochen und festgelegt wer welche Rolle einnimmt. Das Rollenspiel hat eine hohe psychohygienische Funktion, die es ermöglicht probehalber Situationen auszuprobieren. Kinder benötigen für dieses Spiel Zeit und Raum.
Regelspiel
Zu den Regelspielen gehören viele Bewegungsspiele wie zum Beispiel Verstecken, Fangen und Gesellschafts- und Tischspiele. Gespielt wird anhand bestimmter Regeln. Gewinnen und verlieren erfordern von Kindern eine emotionale Stabilität und die Fähigkeit mit Frustrationen umgehen zu können. Auf diesem Weg benötigen Kinder Übung und Begleitung.
Spielverhalten von Jungen und Mädchen
Jungen und Mädchen beginnen anfänglich ähnlich zu spielen. Im Verlauf bevorzugen Jungs eher Konstruktionsspiele und Mädchen beginnen Situationen zu beleben.
Einfluss der Rollenvorbilder
Es ist wichtig, dass Kinder verschiedene Rollen kennen lernen und Möglichkeiten erhalten sich auszuprobieren und mit dem jeweiligen anderen Geschlechtermodell auseinanderzusetzen. Eltern und Pädagogen sollten ihre eigene Haltung reflektieren und auch mal nicht alltägliche, rollenkonforme Dinge tun.
Einfluss der Spielzeugindustrie
Neutrale Spielzeuge und Materialien sind zu bevorzugen. Gleichzeitig gilt es aber auch auf Kinderwünsche einzugehen.
Spiel in der Kinderpsychotherapie
Hans Zulliger hat gesagt, dass Spiel die Sprache des Kindes ist. Spiel ist auch das zentrale Medium in der Kinderpsychotherapie. Beim Spielen offenbart das Kind seine innerseelischen Zustände. Damit ein solches Spiel sich entwickeln kann, sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich, wie ein besonders geschützter Raum mit vielen unterschiedlichen Spielangeboten und ein Therapeut, der begleitet und Rückmeldungen gibt.
Bedingungen für gute Spielprozesse: Der Raum
Kinder benötigen zum Spielen Räume, draußen und drinnen. Wichtig ist es, dass diese Räume auf die Bedürfnisse der Kinder angepasst sind und viel Gestaltungsspielraum bieten. Hierbei ist es wichtig, Räume anzupassen und Materialien je nach Entwicklungsstand der Kinder auszutauschen.
Bedingungen für gute Spielprozesse: Die Zeit
Spielzeit sollte ausreichend zu Verfügung stehen. Diese Zeit darf nicht ständig unterbrochen werden. Tagesstrukturen müssen reflektiert und so strukturiert werden, dass Kinder ungestörte Spielzeit haben.
Spiel als Kinderrecht
Kinder haben weltweit ein Recht auf Freiräume für Spiel, Freizeit und Erholung. Dies ist in der UN Kinderrechtskonvention so festgehalten.
Hirnforscher Gerald Hüther über die Bedeutung des Spielens
Menschen kommen mit einem großen Potenzial zur Welt. Im Gehirn gibt es mehr Vernetzungen, als benötigt werden. Entscheidend ist, dass Kinder viele Möglichkeiten gebrauchen. Freiräume in denen Kinder spielen können sind der Schlüssel zum vielfältigen ausprobieren. Kinder benötigen hierzu keine vorgefertigten Programme, sondern anregende Räume, möglichst in der Natur, um ihr Potenzial durch Entdecken und Gestalten zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Diskussion
Die DVD zeigt in 64 Minuten verschiedene Spielsituationen, die von unterschiedlichen Experten erläutert werden. Die Aufnahmen zeigen Kinder beim Spielen und bieten effektive Beobachtungsmöglichkeiten. Es ist so möglich kindliches Verhalten intensiv zu beobachten und sich Situationen immer wieder anzusehen. Die Hintergrundinformationen helfen bei der Interpretation der jeweiligen Sequenz. Grundsätzlich wird viel Wissenswertes über das Spiel und die Spielentwicklung mitgeteilt und Theorien werden bildhaft dargestellt. Die DVD ist eine Ergänzung der Theorie und ideal geeignet, um gezieltes Beobachten zu üben und kindliches Verhalten zu „lesen“. Die DVD ersetzt nicht das Studium der Spieltheorien und des Spielverhaltens. Dieses sehr komplexe Thema kann in diesem Rahmen nur vertieft werden. Die DVD eignet sich zu Lehrzwecken und für die Elternarbeit. Eltern und Pädagogen zu zeigen wie Kinder spielen und welche Bedingungen sie benötigen, ist eindringlicher wie reine Theorie. Die Filmaufnahmen zeigen beispielhafte Spielsituationen und laden dazu ein, vergleichbare Situation im konkreten pädagogischen Umfeld zu beobachten. Die anonymen Bilder haben gegenüber einrichtungsinternen Aufnahmen klare Vorteile. Es gibt keine Ablenkung durch bestimmte Zuschreibungen und der Datenschutz ist gesichert. Spielen ist so entscheidend für die kindliche Entwicklung und wird so oft missverstanden, dass es hilfreich ist, diese DVD zu nutzen, um den Stellenwert des Spiels zu verdeutlichen. Die Fachleute vermitteln anschauliches Wissen. Durch die gewählten Kapitel ist es leicht möglich, sich einzelne Themenbereiche gezielt anzusehen. Die Einteilung ist gut gelungen und bietet einen roten Faden über die wesentlichen Entwicklungsphasen. Leider fehlt ein Booklet mit erweiterten schriftlichen Informationen. Inhaltlich bietet die DVD hilfreiche Informationen für Elternabende und Fortbildungen. Pädagogen haben teilweise Schwierigkeiten den Wert des Spielens für das Lernen zu verdeutlichen. Strukturierte Angebote und Lernprogramme werden von Institutionen und Eltern eingefordert. Ein Beitrag der darauf intensiv eingeht würde die DVD ergänzen. Es wird darauf eingegangen, dass Lernen durch Spielen stattfindet und dass die Kinder dazu Freiräume, die besonders gestaltet sind, benötigen. Wie wichtig die intensive Beobachtung und Begleitung der Kinder hierbei ist, wird besonders im Abschnitt „Spiel in der Kinderpsychotherapie“ deutlich. Freies und ungezwungenes Spielen kann immer dann stattfinden, wenn Kinder entsprechend begleitet werden und das Umfeld entsprechend vorbereitet ist. Es wird auf Geschlechterunterschiede und Kinderrechte eingegangen. Der Einblick in die Kinderpsychotherapie baut Hemmungen ab und zeigt, wie hilfreich sie wirken kann. Prof. Dr. Gerald Hüther erläutert die Chance der Potenzialentfaltung durch das Spiel und verknüpft damit die vorherigen Informationen. Die DVD bietet ein empfehlenswertes und hilfreiches Lehrprogramm zum Thema „Königsdisziplin Spielen“.
Fazit
Lernen geschieht im Spiel und durch das Spiel. Hierbei durchlaufen Kinder verschieden Spielphasen, angepasst an ihre Entwicklung. In allen Phasen benötigen sie entsprechende Freiräume zum Spielen. Auf der DVD „Königsdisziplin Spielen“ werden Kinder in Video – Sequenzen beim Spielen gezeigt. Spielerisch erproben und erkunden die Kinder frei und ungezwungen die Welt. So geschieht wirksames Lernen. Experten erklären die Verhaltensweisen und die wissenschaftlichen Hintergründe. Ein Lehrfilm für die Aus- und Fortbildung von Pädagogen, Psychologen und für die Elternarbeit.
Rezension von
Ulrike Ziemer
Dipl. Heilpädagogin (FH)
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