Alexander Bogner, Beate Littig et al.: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim König, 04.07.2006
Alexander Bogner, Beate Littig, Wolfgang Menz: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2005. 2. Auflage. 278 Seiten. ISBN 978-3-531-14447-4. 24,90 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-531-16259-1 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Hintergrund und Funktion des Buches
Dass dieses Buch nach seinem Erscheinen im Jahr 2002 nun bereits 2005 zum zweitenmal aufgelegt wird, zeigt eines: ExpertInneninterviews sind im Rahmen des empirischen Methodeninventars zu einem wichtigen Befragungs- und Forschungsinstrument geworden. Vor allem die Praxisforschung zeigt zunehmendes Interesse, aber auch Evaluation von Programmen, Projekten und Maßnahmen profitiert immer wieder enorm vom systematisch erhobenen Wissen und Bewerten derjenigen, die - jeweils bezogen auf ganz unterschiedliche Forschungsgegenstände - als ExpertInnen bezeichnet werden können. Trotzdem ist - und deshalb erscheint dieses Buch so wichtig - nach wie vor ein deutliches Defizit im Hinblick auf die methodische Reflexion dieses Instruments zu erkennen. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache sind auch Vorbehalte immer wieder geäußert worden: Von zu wenig theoretisch-methodologischer Fundierung und einer noch immer unklaren begrifflichen Eingrenzung dessen, was denn alles als Experteninterview zu bezeichnen wäre, ist da immer wieder die Rede. Und genau hier schließt dieses Buch, obwohl es sich ja um ein Herausgeberwerk und nicht um ein Lehrbuch im klassischen Sinne handelt, eine wichtige Lücke:
- Es liefert - durchaus auch immer wieder kritisch diskutierend - solche methodologischen und begrifflichen Grundlagen.
- Es stellt Wissen über den Einsatz und die Eigenart der verschiedenen Erhebungsmethoden bereit.
- Es bietet Informationen über viele Anwendungsfelder, in denen ExpertInneninterviews sinnvoll und Gewinn bringend verwendbar sind.
Daher kann dieses Buch nicht nur den Forscherinnen und Forschern wichtige Dienste leisten und neue Erkenntnisse bieten, sondern auch in der empirischen Grundausbildung und in Projekten mit Studierenden an den Hochschulen gut eingesetzt werden.
Inhaltliche Einblicke in das Buch
Der Dreigliederung in seiner Funktion entspricht folgerichtig auch der Aufbau des Buches:
Im ersten Teil stehen theoretisch und konzeptionell orientierte Beiträge im Vordergrund, die danach fragen,
- welches die entscheidenden Kriterien zur Bestimmung von Experteninterviews sind,
- wie diese deshalb sinnvoller Weise von den anderen Interviewformen, vor allem aus dem Bereich der qualitativen Sozialforschung abzugrenzen sind,
- welche Arten von Wissen und Kenntnissen dabei erhoben werden können und
- welche Konsequenzen diese Überlegungen für die Entwicklung der Erhebungsstrategie, des Forschungsdesigns im jeweiligen Fall und für die Auswertung der Daten im Anschluss haben.
Vor allem der Beitrag von Michael Meuser & Ulrike Nagel, der bereits 1991 erstmals erschienen ist, liefert dazu wichtige Anhaltspunkte (und kann in dem Zusammenhang ja schon als Klassiker bezeichnet werden). Aber auch die Überlegungen von Alexander Bogner & Wolfgang Menz (Erkenntnisinteresse, Wissensformen und Interaktion), von Karsten Kassner & Petra Wassermann (Problematik der methodischen Fundierung von ExpertInneninterviews) und von Michaela Pfadenhauer (ExpertInneninterview - ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe?) tragen zur Klärung wichtiger grundsätzlicher Fragen und damit wesentliche Aspekte zur Gesamtsicht bei.
Im zweiten Teil stehen diejenigen Beiträge im Vordergrund, die differenziertes und eher spezielles Methodenwissen vermitteln. Hier geht es vor allem um die Fragen,
- welche Erhebungsmöglichkeiten im Rahmen von ExpertInneninterviews denkbar sind, jedoch über die klassischen qualitativen Interviews hinausgehen,
- worin die Besonderheiten der Kommunikationsstruktur bei Expertenbefragungen liegen,
- welche personalen Faktoren und Zuschreibungen deshalb in der Interaktion wirksam werden und daher beachtet werden müssen und
- wie diese im Interesse optimaler Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Befragungsergebnisse fruchtbar gemacht werden können.
Den inhaltlichen und praktischen Hintergrund der einzelnen Beiträge bilden dazu Projekte aus den Bereichen der Technologiefolgenforschung (Georg Eichholzner), der Umweltforschung (Alexander Bogner & Margit Leuthold), der politikwissenschaftlichen Biotechnologieforschung (Gabriele Abels & Maria Behrens) und der Genderforschung (Beate Littig).
Im dritten Teil sind schließlich diejenigen Beiträge versammelt, die Anwendungsfragen zum Gegenstand haben. Für die Bereiche der Industriesoziologie (Rainer Trinczek), der Organisationsforschung (Manfred Lueger & Ulrike Froschauer), der Arbeitsmarktforschung (Andrea Leitner & Angela Wroblewski) und der Sozialberichterstattung (Michael Meuser & Ulrike Nagel) werden vor allem Überlegungen angestellt, die danach fragen,
- welche besonderen methodologischen Konsequenzen sich aus den je spezifischen Settings und Bedingungen der Forschungsfelder ergeben und
- was dies für die jeweilige Strategie der Gesprächsführung im Hinblick auf die Gewinnung zuverlässiger und verwertbarer Informationen im Einzelnen bedeutet.
Fazit
Prädikat sehr empfehlenswert! Obwohl es sich bei diesem Buch um ein Herausgeberwerk handelt, gelingt es den Verantwortlichen gut, das Gesamtanliegen deutlich zu machen und auch die einzelnen Beiträge sinnvoll und in allen Teilen nachvollziehbar aufeinander zu beziehen. Vor allem der ausführliche Einleitungsartikel spielt dabei eine zentrale Rolle. Auch die Ausgewogenheit überzeugt: Sowohl für die grundsätzlich Interessierten wird etwas geboten, als auch für diejenigen, die sich mit Detailfragen im Hinblick auf den Einsatz von ExpertInneninterviews beschäftigen. Vor allem für seinen Einsatz im Bereich der Hochschullehre zeichnet dieses Buch außerdem aus, dass es eine bunte und breite Palette unterschiedlicher Anwendungsbereiche und AutorInnen ganz verschiedener Herkunft ansprechend präsentiert. Bleibt nur eines zu wünschen übrig, nämlich dass es auch bald ein "richtiges" Lehrbuch für diesen Bereich der empirischen Methoden geben wird.
Rezension von
Prof. Dr. Joachim König
Evangelische Hochschule Nürnberg
Allgemeine Pädagogik & Empirische Sozialforschung
Leiter des Instituts für Praxisforschung und Evaluation
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Es gibt 26 Rezensionen von Joachim König.
Zitiervorschlag
Joachim König. Rezension vom 04.07.2006 zu:
Alexander Bogner, Beate Littig, Wolfgang Menz: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2005. 2. Auflage.
ISBN 978-3-531-14447-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2632.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.
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