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Timo Büchner: Der Begriff "Heimat" in rechter Musik

Rezensiert von Ronny Noak, 28.01.2020

Cover Timo Büchner: Der Begriff "Heimat" in rechter Musik ISBN 978-3-7344-0899-1

Timo Büchner: Der Begriff "Heimat" in rechter Musik. Analysen - Hintergründe - Zusammenhänge. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2019. 176 Seiten. ISBN 978-3-7344-0899-1. D: 12,90 EUR, A: 13,30 EUR.
Reihe: Politisches Fachbuch.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Thema

Seit der Verleihung des Musikpreises Echo im Jahr 2013 ist die Diskussion darum, welche Rolle rechte Musik für das politische Klima in der Bundesrepublik spielt, in vollem Gange. Auslöser war die Nominierung der Südtiroler Musiker von Frei.Wild in der Kategorie „Rock/Alternative National“. Erst ein Protest der weiteren Nominierten (u.a. Kraftklub und Mia) führte zu einer Ausladung von Frei.Wild. Bereits 2003 war mit „Südtirol“ ein Lied der Band erschienen, das mit den Zeilen begann: „Ja unser Heimatland, es ist so wunderschön.“ Spätestens damit war die Auseinandersetzung um den Begriff der „Heimat“ als Chiffre der rechten Musikszene auch in der Populärkultur und Gesellschaft angekommen. Timo Büchner hat nun einen Band vorgelegt, der sich dem Thema Heimat in der rechten Musikszene auf einer längeren Zeitachse widmet und diesen in einen umfassenden Kontext einbindet.

Autor

Timo Büchner studierte Politische Wissenschaft und Jüdische Studien in Heidelberg, volontierte anschließend an der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und am Hong Kong Holocaust & Tolerance Center in China und befasst sich seit mehreren Jahren mit der extremen Rechten. Bereits 2018 erschien sein Buch zum Thema Antisemitismus im Rechtsrock.

Aufbau und Inhalt

Beginnend mit einer persönlichen Anekdote des Autors aus der baden-württembergischen Provinz (die stellvertretend für viele Orte in Deutschland stehen könnte) führt dieser in die Thematik ein. Anschließend überführt er die Frage nach der Funktion und Bedeutung von Heimat in einen größeren theoretischen Kontext – und beschreibt ihre Bedeutung für die rechte Szene. Innovativ ist dabei sein Ansatz, sich der Thematik zunächst nicht unter Betrachtung der „Täter“ – also der Musikproduzierenden und ihrer Konsumenten – zu widmen, sondern die konkreten gesellschaftlichen Auswirkungen rechter Musik anhand der Geschichte des Pakistanis Zia Z. darzustellen. Dieser war im Herbst 2016 durch Rechtsradikale brutal zusammengeschlagen worden. Ihnen diente offenbar ein äußerst exklusiver Heimatbegriff als Begründung für ihren tätlichen Angriff.

In der Folge untersucht Büchner anhand der drei/vier wohl bekanntesten Protagonisten aus dem rechten Musikmilieu, inwiefern in ihren Texten und Auftritten Bezug auf den Begriff der Heimat genommen wird und wie diese definiert wird. Dabei analysiert er die Rapper Komplott und Chris Ares, den „Liedermacher“ Frank Rennicke und die Südtiroler Rockband Frei.Wild.

Allen drei Gruppierungen gemein ist dabei, dass sie in ihren Liedern immer wieder eine Freund-Feind-Ideologie verwenden, die sich aus der geographischen Zugehörigkeit speist. „Wir von hier“ gegen die „Anderen“. Damit ist auch das grundlegende Schema der Verwendung des Heimatbegriffs dargelegt. Heimat wird exklusiv definiert, um sich von Anderen abzugrenzen. Darüber hinausgehend unterscheiden sich die Musiker allerdings durchaus, was Büchner minutiös darlegen kann.

Chris Ares und Komplott stehen ideologisch auf der Seite der Ethnozentristen. Ihre Texte sind geprägt von offenem Antisemitismus, Antiislamismus und Antiamerikanismus. Beide beziehen sich in ihren Texten implizit auf ihre ideologischen Wortgeber Björn Höcke und Götz Kubitschek und stehen so im Mittelpunkt der „Neuen Rechten“. Was sie vorrangig von anderen Akteuren der radikalen rechten Szene (wie Frank Rennicke) unterscheidet, ist die ausbleibende Positionierung zum „Dritten Reich“ und zur Shoah. Dieser Teil der deutschen Geschichte wird thematisch nicht behandelt. Eine Strategie, die in der „Neuen Rechten“ weitgehend Anwendung findet.

Im Gegensatz dazu positioniert sich der „patriotische Liedermacher“ Frank Rennicke, den Büchner in der Folge betrachtet, wesentlich deutlicher. Bundesweite Bekanntschaft erhielt Rennicke durch seine Nominierung als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl 2009 und 2010 durch die NPD und DVU. Rennicke stellt sich dabei selbst in die Tradition des Nationalsozialismus und verherrlicht ihre Führer in den Texten – wenn auch teilweise verdeckt, um einer Indizierung zu entgehen – immer wieder. Daneben zeigt sich aber als überraschende Erkenntnis, dass Rennicke auch Sympathien für das Liedgut der DDR empfindet, solange es seiner Vorstellung von Patriotismus, Nationalismus, Heimat und Volk entspricht. Erklären lässt sich dies wohl vor allem dadurch, dass „Rennicke das alltägliche Leben in der DDR nicht aus eigener Erfahrung“ (106) kannte. Zudem durchziehen Antiparlamentarismus und Führerkult Rennickes Texte. Dies scheint beim selbsternannten „nationalen Barden“ und „nationalen Freiheitskämpfer“ aber nahezu folgerichtig.

Vielschichtig diskutiert Büchner im dritten Teil die Band „Frei.Wild“. Im Gegensatz zu Chris Ares oder Frank Rennicke positionierte sich die Band lange Zeit als unpolitisch. Wie Büchner zeigen kann, ist dieser Anspruch aber nicht zu halten. Frei.Wilds Bezug auf Südtirol, die Duldung offen erkennbarer rechtsradikaler Konzertbesucher und der angekündigte Auftritt der Band bei der „Freiheitlichen Rocknacht“ 2008 hatten gezeigt, dass die Band und allen voran Frontmann Philipp Burger nicht nur politisch positioniert, sondern auch politisch aktiv waren. Nicht unerwähnt lässt Büchner aber auch den Wandel der Band, die in den letzten Jahren auch durch ihre vermehrte Positionierung gegen Extremismus Teile der eigenen Fanszene, die dem radikalen rechten Milieu entstammten, ausschloss. Dennoch bleiben die Musiker ihrem Markenkern, der Heimatbelobigung, treu. So seien Frei.Wild zwar keine Rechts-Rock Band, blieben aber anschlussfähig für rechtes Gedankengut und wirken weiterhin als Toröffner indem „ihre völkisch-nationalistischen Zeilen zügig zur Normalität erklärt werden.“ (143) Ein treffliches Resümee des Autors.

Diskussion

Timo Büchners Analyse geht weit über den im Titel vermittelten Anspruch hinaus. Der Autor vermittelt – jeweils beginnend mit der Analyse der Songtexte – ein umfassendes Bild des Heimatbegriffs bei verschiedenen Musikern. Darüber hinaus gelingt es ihm zudem, diese jeweils in einen größeren Kontext einzubinden. Sei es, wie bei Chris Ares und Komplott in die Neue Rechte, oder wie bei Frank Rennicke in die Bedeutung seiner Wohnung als Treffpunkt der radikalen Rechte der Grenzregion Bayern/Thüringen. So zeigt sich, dass Rennicke längst nicht mehr nur ein „Liedermacher“ sondern ein „vernetzter, in der Szene geschätzter NPD-Kader“ (93) ist. Damit kann Büchner stichhaltig belegen, dass Rechtsrock (im weitesten Sinne des Genres) nicht mehr nur als „Einstiegsdroge“ dient, sondern längst Wesenskern, Geschäftsmodell und Verbreitungsinstrument rechter Einstellungen geworden ist. Dabei gelingt es durch (teilweise scheinbar unpolitische) Musik, immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen und somit weite Teile der Bevölkerung mit dem Begriff der Heimat anzusprechen. Wenn diesem „Identitätsangebot“ (134), das im Kern stets einen ethnisch homogenen Volksbegriff inkludiert, keine Alternativen entgegensetzt werden, scheint der Erfolg nur eine Frage der Zeit zu sein.

Folgerichtig ist nur, dass Büchner – so wie er mit dem Schicksal des Pakistani Zia Z. begann – mit einer Gegenperspektive endet. Final zeigt er ein Alternative, die einen inklusiven Heimatbegriff verwendet. Zu diesem Zweck zitiert er die Texte der Band Feine Sahne Fischfilet, die ein vielfältiges, wandelbares und heterogenes Bild von Heimat aufzeigen.

Es sei abschließend noch darauf verwiesen, dass bereits 1996 die Band Tocotronic einen Musikpreis in der Kategorie „jung, deutsch, und auf dem Weg nach oben“ mit der Begründung ablehnte: „Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein. Und wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein.“ Die Frage nach der Verantwortung und Signalwirkung von Musik ist daher nicht neu. Gerade wenn es darum geht, dass Musik doch unpolitisch und neutral sei – was selten der Fall ist. So akut wie im Moment, war die Frage aber wohl selten. Büchners Band ist ein geeigneter Wegweiser, um sich über die Bedeutung und Folgen der unwidersprochenen Verbreitung rechter Musik bewusst zu werden.

Fazit

Heimat ist der Schlüsselbegriff in der Musik der rechten Szene. Er ist der Minimalkonsens unter dem sich – bei allen stilistischen Unterschieden – sowohl Rapper wie Chris Ares, „Liedermacher“ wie Frank Rennicke oder Rockbands wie Frei.Wild sammeln können. Wo sich Differenzen in der Frage nach dem Bezug auf den Nationalsozialismus, Verbreitung antisemitischer Ressentiments oder konkrete Bezüge zu politischen Aktivisten zeigen, können diese durch den gemeinsamen Bezug auf die ethnografische oder kulturelle Abstammung überdeckt werden. So schaffen sich die Musiker zum einen ein breites Publikum und wirken zum zweiten als verbindende Elemente in der Szene. Ziel ist es dabei, sich von den Anderen (Demokraten, Linke, freie Presse, …) ab- und diese vor allem auszugrenzen. Somit tragen die genannten Akteure ihren Teil zum „Rechtsruck (…) auf den Straßen und Parlamenten“ (142.) bei. Timo Büchners Analyse zeigt anschaulich und umfassend, wie diese Strategien erdacht und erprobt werden, aber auch, wie ihnen begegnet werden sollte: Durch Erwiderung und dem Aufzeigen von Alternativen.

Rezension von
Ronny Noak
Doktorand am Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Es gibt 17 Rezensionen von Ronny Noak.

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ISSN 2190-9245