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Klaus Esser, Eckhart Knab: Kunstpädagogik in der Jugendhilfe

Rezensiert von Sabine Brennscheidt, 13.02.2020

Cover Klaus Esser, Eckhart Knab: Kunstpädagogik in der Jugendhilfe ISBN 978-3-7841-3152-8

Klaus Esser, Eckhart Knab: Kunstpädagogik in der Jugendhilfe. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2019. 120 Seiten. ISBN 978-3-7841-3152-8. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

Der erzieherische Wert der Kunstpädagogik für ein ressourcenorientiertes Arbeiten in der Jugend- und Erziehungshilfe wird anhand von wissenschaftlichen Studien, Erfahrungen und Projekten beschrieben und diskutiert. Pädagog/innen, Künstler/innen und auch betroffene Jugendliche geben in diesem mit farbigen Fotographien illustrierten Herausgeberband einen Einblick in ihre pädagogischen Ziele, künstlerischen Intentionen, Herangehensweisen, Impulse, Methoden und in ihre Erfahrungen. Es geht dabei um Resilienzförderung und Persönlichkeitsentwicklung, Traumaverarbeitung und berufliche Integration.

Autoren

Dr. päd. Dipl. Klaus Esser Heilpädagoge, Geschäftsführer der Bethanien Kinderdörfer gGmbH, Vorsitzender des Bundesverbandes der kath. Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe e.V.

PD Dr. Dipl. Psychologe Eckhart Knab, Gründungsdirektor i.R. des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH Mainz, Privatdozent an der humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln.

Entstehungshintergrund

Die aktuelle Bildungspolitik, insbesondere auch das Programm „Kultur macht stark“, ist Anlass für eine Auseinandersetzung mit kunstpädagogischen Angeboten für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche. In diesem Herausgeberband werden insbesondere die künstlerischen Aktivitäten und Erfahrungen von Einrichtungen aus katholischer Trägerschaft zusammengetragen und dargestellt.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in 15 Einzelbeiträge, die keinen direkten Bezug aufeinander nehmen, jedoch die Leser/innen inhaltlich strukturiert und aufeinander aufbauend durch die Thematik führen. Die Autor/innen weisen unterschiedliche Hintergründe auf und stammen aus Wissenschaft, Politik, Verbänden, dem sozialen Unternehmertum und sind als Freischaffende oder Angestellte in der Jugendhilfe tätig.

Ein Editorial der beiden Herausgeber und ein Grußwort von Frau Dr. Claudia Lücking-Michel als Vizepräsidentin des VdKs führen unter Bezugnahme auf die historische Entwicklung und die aktuelle Bildungspolitik in die Thematik dieses Buches ein.

Im ersten Kapitel führt PD Dr. Dipl. Psychologe Eckhart Knab, Herausgeber und Gründungsdirektor i.R. des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH (IKJ) in Mainz, die Leser/innen mit einem geschichtlichen Überblick in die Thematik ein. Er schildert den Paradigmenwechsel von einer problem- zu einer ressourcenorientierten Pädagogik und die Entwicklung bewegungs-, musik- und kunstpädagogischer Förderung eines Klientels, welches als kaum konzentrationsfähig, leicht ablenkbar, von geringer Frustrationstoleranz, leistungsverweigernd und wenig intrinsisch motiviert beschrieben wird. Dem/r Leser/in wird ein Einblick in Inventarisierung, diagnostische Möglichkeiten und aktuelle Forschungsperspektive gegeben.

Prof. Dr. phil. i. R. Karl-Heinz Menzen, Professor für Kunsttherapie und klinische Rehabilitation, geht im zweiten Kapitel auf die geschichtliche Entwicklung von Kunstpädagogik und Kunsttherapie in der stationären Erziehungshilfe ein. Er kommt nach historischer Darstellung aller wesentlichen heilpädagogischen und therapeutischen Zugänge zu der Erkenntnis, dass kunsttherapeutische Begleitung zusätzlich zu pädagogischen Hilfestellungen durch eine Umcodierung defizitären Erlebens über die Bildebene ähnlich wie Traumatherapie wirke. Fehlende oder schlechte Bindungserfahrungen könnten anders erfahren und neuronal-bildhaft umgeschrieben werden.

In einem Interview erklärt der Künstler Horst Wackerbarth dem Direktor des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus in Neuss Hans Scholten sein Verständnis der Jugendhilfe: er sehe die Kinder und Jugendlichen nicht defizitär als Traumatisierte, Zurückgebliebene und von der Gesellschaft Ausgeschlossene, sondern vielmehr als einen menschlichen Gewinn, als in kindlicher Unschuld Lebenserfahrene mit einem sehr authentischen Blick auf ihre Umgebung. Über seine Kunst berichtet Wackerbarth, sie entfalte sich im Alltagsleben der Menschen, sie entstehe und wirke mit der Interaktion auf Augenhöhe.

Herausgeber Dr. päd. Dipl. Heilpädagoge Klaus Esser, Geschäftsführer der Bethanien Kinderdörfer gGmbH, liefert in seinem Beitrag eine wissenschaftliche Begründung für eine resilienzfördernde und ressourcenaufbauende Pädagogik, die kunstpädagogische Konzepte rechtfertigt und empfiehlt.

Zunächst schildert er die Aufgaben und Leistungen der heutigen Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII und beschreibt das Klientel der Kinder- und Jugendhilfe in seinen besonderen Bedarfen. Dann führt er den Leser anhand der Arbeiten von A. Antonovsky, E. Werner, J. Bowlby und M. Ainsworth, C. Rogers und Befragungen ehemaliger Heimkinder zu den Einflussfaktoren, die die stärkste fördernde Wirkung auf die Kinder und Jugendlichen in der stationären Erziehungshilfe haben: es geht um Ressourcenförderung und Partizipation, den Aufbau von Widerstandsfähigkeit, und Kohärenz, mehr Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit und sichere Einbindung, Resilienz u.v.m.

Kunst und Kreativität werden mit Pädagogik und Therapie in Beziehung gesetzt. Dabei wird Kreativität als Problemlösungskompetenz gesehen, die speziell bei Kindern in besonderen Lebenslagen erhebliche Entwicklungschancen ermögliche. Der Autor stellt eine Studie vor, kommt aber auch zu dem Schluss, dass Evaluation und wissenschaftliche Wirkungsstudien im kunstpädagogischen Bereich selten sind und eine resilienzfördernde und nachhaltige Wirkung kunstpädagogischer Aktivitäten weiterer Forschung bedarf.

Joachim Klein, Dipl. Sportwissenschaftler und wissenschaftl. Mitarbeiter am IKJ in Mainz und Herausgeber Eckhart Knab stellen in diesem Kapitel eine Studie des Fördervereins ECU-European-Charity-University e.V. vor, die die Bedeutung und aktuelle Umsetzung von sport- und bewegungspädagogischen, musikpädagogischen und kunstpädagogischen Angeboten in der stationären Jugendhilfe untersucht. Die wichtigsten Ziele beim Einsatz o.g. ressourcenorientierter Angebote in den stationären Einrichtungen seien Förderung von Persönlichkeitsentwicklung und sozialer und emotionaler Entwicklung.

Ein Kunstprojekt unter dem Motto „raus sind wir noch lange nicht“ – Kinder und Jugendliche gestalten Spielekegel – beschreibt Stefan Küpper, Diplom-Pädagoge und Direktor des Zentrums für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Maria im Tann, Aachen. Die farbigen Fotographien der 1,80 m hohen Spielkegel aus verschiedenen Einrichtungen dokumentieren auf eindrucksvolle Weise die Vielfalt und Kreativität der Kinder- und Jugendlichen.

Michael Siebert, freier Mediendienstleister und -pädagoge aus Breisach/Oberrimsingen, versucht in seinem Beitrag eine kritische Annäherung an die Medienpädagogik in der Jugendhilfe. Er beschreibt Generationenunterschiede durch den schnellen Wandel der digitalen Welt und geht auf die damit einhergehenden Entwicklungschancen, Herausforderungen und Gefahren ein.

Sehr eindrucksvoll schildert der Direktor i.R. des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus Neuss, Hans Scholten, die Tradition der Einrichtung, zeitgenössische Kunst in die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu integrieren. Namhafte Künstler, wie Otmar Alt, sind als Paten, Gestalter, Freunde der Einrichtung, als Ideengeber für einzelne Gestaltungselemente und Projekte, als Vorbild in ihrer oftmals alternativen und originellen eigenen Lebensbiographie seit Jahren in der Einrichtung präsent. Man erlebt ein Beispiel künstlerischer Gestaltung, die Geschichte macht, die Bildung und Teilhabe vermittelt und mit den Bewohner/innen lebt.

Dass die Architektur für die stationäre Jugendhilfe auch stets von Bedeutung ist, beschreibt Martin Kramm, Kinderdorfleiter i.R. am Beispiel des Bethanien Kinder- und Jugenddorfes Bergisch Gladbach, sehr anschaulich in seinem mit bunten Fotos der Einrichtung illustriertem Beitrag.

Der Beitrag von Dipl. Sozialarbeiter Friedrich-Wilhelm Schneider beschreibt das Wirken und die Werke namhafter Künstler wie Emil Wachter und Klaus Ringwald für das Kinder- und Jugenddorf Klinge in Seckach und demzufolge auch eine aktive Kunsterziehung in Schule und Dorf.

Udo Gottfried, Künstler und Kunstpädagoge im Jugendhilfezentrum Johannesstift Wiesbaden, berichtet dem Herausgeber PD Dr. Eckhart Knab in einem Interview über die Jugendlichen, seine tägliche Arbeit mit ihnen, seine Erfolge und seine Einbindung in das pädagogische Team. Es entsteht ein sehr lebendiger, zeitnaher Einblick in seine kunstpädagogische Arbeit.

Erfahrungen im Jugendhaus altes Kloster Marienberg beschreibt die Erzieherin Ulla Goretzka in ihrem Beitrag, welcher konkrete künstlerische Projekte wie das Arbeiten mit Ton, Gips, Ytong, Malerei, Wachs, Fotographie, Schrott u.m. vorstellt.

Der Beitrag besteht aus einem Interview des Herausgebers mit der selbstständigen Künstlerin Elisabeth Brunen. Die Künstlerin ist selbst in einem Heim aufgewachsen und war zunächst Hauswirtschafterin. Zur Bildenden Kunst fand sie erst in späteren Lebensjahren. Sie gibt Auskunft über ihr eigenes Kunstverständnis bzw. ihr freies Schaffen mittels Kunstworkshops. Insbesondere erklärt sie, inwiefern Kunst eine Möglichkeit darstellt, eigene Türen zu öffnen und Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten.

Eine Redakteurin, Anne-Kathrin Roschek, stellt in ihrem Beitrag einen Kunstworkshop mit dem Künstler Georg Janthur im Bethanien Kinder- und Jugenddorf Schwalmtal vor. Es werden sowohl die Durchführung und Begleitung eines solchen Projektes erklärt, als auch die Wirkung der künstlerischen Betätigung auf die Jugendlichen mit Handicap beschrieben.

Der Bericht des Herausgebers PD Dr. Eckhart Knab von einem Gespräch mit drei Jugendlichen in einer Kulturwerkstatt des Johannesstiftes Wiesbaden macht u.a. deutlich, wie in einer Kunstwerkstatt auch die berufliche Reife bzw. Schlüsselkompetenzen wie Pünktlichkeit, Durchhaltevermögen, Ausdauer, Motivation und Konzentration erprobt und trainiert werden.

Diskussion

Das Thema dieses Sammelbandes ist einfach: es bewegt sich um die stets aktuelle Fragestellung der bildungspolitischen Relevanz von Kunst und Kultur in der Kinder- und Jugendheimerziehung, insbesondere in Hinblick auf Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe. Kunst und Kreativität werden wie selbstverständlich mit Pädagogik und Therapie in Beziehung gesetzt, aber bedarf es hier nicht näherer Betrachtung bzw. einer wissenschaftlich fundierten Begründung und Erforschung?

Dieses Plädoyer für eine sozialarbeiterische Praxisforschung kann als Grundlage, Sinn und Fazit für diesen Sammelband gesehen werden. Das Buch bietet nicht, wie man aufgrund des Titels zunächst vermuten könnte, eine Anleitung kunstpädagogischer und -therapeutischer Methoden und Ansätze, sondern nähert sich vielmehr der Thematik an, indem Fachkräfte aus Kunst und Pädagogik ihre Arbeiten und Erfahrungen mit moderner Kunst im pädagogisch/therapeutischen Umfeld beschreiben und so eine Wirkung für die Jugendheimerziehung deutlich machen: eine ressourcenaktivierende und resilienzfördernde Wirkung kunstpädagogischer Aktivitäten wird beschrieben; sie impliziert eine eher personenzentrierte Herangehensweise im Sinne C. Rogers mit Focusierung auf Förderung und Nutzung einer intrinsischen Motivation. Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und Verantwortungsnahme für sich selbst werden anvisiert, sodass man nicht mehr von Kindern aus der Heimerziehung in dem Sinne einer Ofperhaltung „wer fragt uns denn schon?“ (Wackerbarth/Scholten, S. 45), sprechen kann. Künstler als Grenzgänger/innen, die in pädagogischen Einrichtungen arbeiten, können von den Jugendlichen als biographisches Vorbild wahrgenommen werden. Kunst bedeutet Bildung und soziale Teilhabe und entfaltet diese Wirkung auch in Einrichtungen der Jugendhilfe. Künstlerisches Arbeiten hilft, emotionales Erleben zu verarbeiten und zu verstehen.

Insofern geben die Beiträge in diesem Sammelband den Leser/innen eine Handlungsorientierung für ihre eigene Praxisgestaltung im pädagogischen Alltag.

Fazit

In 15 Einzelbeiträgen geben Autor/innen unterschiedlicher Professionen einen Einblick in vielfältige Möglichkeiten der Begegnung von Bildender Kunst mit dem (sozial-)pädagogischen Heim- und Erziehungsalltag. Mit anschaulichen Fallbeispielen, lebendigen Interviews und bunten Fotos illustriert, wird die Annäherung an eine Kinder- und Jugendhilfe versucht, die in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst auf ihrer Suche nach ressourcenaktivierenden und resilienzfördernden Konzepten nach neuen Perspektiven und Ideen sucht, um so selbstreflektiv ihren Platz in der Gesellschaft neu zu definieren.

Rezension von
Sabine Brennscheidt
Bildende Künstlerin; Sozialpädagogin B.A.; exam. Gesundheits-und Krankenpflegerin mit amerikan. und deutschem Examen.
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Es gibt 2 Rezensionen von Sabine Brennscheidt.

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Zitiervorschlag
Sabine Brennscheidt. Rezension vom 13.02.2020 zu: Klaus Esser, Eckhart Knab: Kunstpädagogik in der Jugendhilfe. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2019. ISBN 978-3-7841-3152-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26385.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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