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Frank Matakas: Psychodynamik der Schizophrenie

Rezensiert von Prof. Dr. Annemarie Jost, 18.02.2020

Cover Frank Matakas: Psychodynamik der Schizophrenie ISBN 978-3-17-036616-9

Frank Matakas: Psychodynamik der Schizophrenie. Symptomatik, Entwicklung, Therapie, Bedeutung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2020. 158 Seiten. ISBN 978-3-17-036616-9. 36,00 EUR.

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Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Thema

Frank Matakas beschäftigt sich in diesem Buch mit den Fragen,

  • wie Wahn und Halluzinationen subjektiv von Patient*innen erlebt werden,
  • welche kommunikative Bedeutung in schizophrenen Symptomen zum Ausdruck gebracht wird,
  • was für das Entstehen dieser Symptome (aus tiefenpsychologischer/​analytischer Sicht) verantwortlich ist und
  • welche gesellschaftliche Dimension diese Erkrankung haben könnte.

So geht es weniger um biologische Ursachenmodelle, obwohl ein organischer Faktor nicht negiert wird, sondern eher um den Sinn psychotischer Äußerungen und um eine selbstreflexive, analytische therapeutische Haltung In der Kommunikation.

Zielgruppe

Das Buch richtet sich in erster Linie an psychiatrische und therapeutische Fachkräfte, kann aber auch von gebildeten Laien rezipiert werden. Es ist nicht in erster Linie für Patient*innen und insbesondere nicht für Angehörige geschrieben.

Autor

Frank Matakas ist Psychiater und Psychotherapeut und war langjähriger Chefarzt der psychiatrischen Klinik Alteburger Straße in Köln, einer Klinik, die in allen therapeutischen Bereichen nach psychodynamischen Grundsätzen organisiert ist. Seine publikatorische Tätigkeit konzentriert sich insbesondere auf die Psychodynamik schizophrener und depressiver Störungen, tagesklinische Behandlungsansätze und Suizidprävention.

Aufbau 

Das Buch enthält neben Einleitung, Literatur-und Stichwortverzeichnis drei große Abschnitte:

  1. Symptome und Erscheinungsweisen
  2. Entstehung und Struktur der schizophrenen Psychose und
  3. Therapie

Inhalt

Frank Matakas betont, dass man die Schizophrenie nicht als einen Prozess ansehen sollte, der sich autonom in einem einzelnen Menschen entwickelt, sondern auch kommunikative und Interaktionelle Bedeutungen in den Blick nehmen sollte. Hierbei hat er einen psychodynamischen Zugang, der auch unbewusste Anteile der Kommunikation und gesellschaftlicher Prozesse reflektiert.

Schizophrene Symptome werden zum einen als verzerrte Beschreibungen einer kindlichen Erfahrung gedeutet und zum anderen in ihrer aktuellen interaktiven Bedeutung gesehen. Für die psychotischen Menschen selbst sei die Botschaft im Symptom nicht bewusst erkennbar und auch nicht ohne weiteres übersetzbar. Im therapeutischen Prozess sei es wichtig, in einer ruhigen hilfreichen Umgebung, eventuell ergänzt durch Behandlung mit Neuroleptika, vorsichtig und unter Wahrung von Grenzen eine therapeutische Beziehung entstehen zu lassen, in der der Kampf um Identität anerkannt wird, Hoffnung entsteht und der Patient bessere Zugänge zu sich selbst und anderen entwickeln kann. Das tagesklinische Setting hält der Autor hierbei für besonders geeignet, da es Gruppenprozesse ermögliche, die eine abgegrenzte Identität fördern, ohne aus der Beziehung zu fallen. Im Fokus der dargestellten Therapie stehen

  • Stärkung der Ichgrenzen
  • Klarere Trennung von Selbst- und Objektrepräsentanzen
  • Integration psychischer Prozesse
  • Verständnis für Andere mit ihren eigenen Vorstellungen und Interessen
  • Erkennen des Unterschiedes zwischen Wirklichkeit und Gedanken

Hierbei sollte man sich jedoch zunächst mit dem konkreten Inhalt der Symptomatik beschäftigen, denn man könne einem Psychotiker nicht sagen, er lebe in einer falschen Welt. „Die Welt, in der man lebt, ist nie die falsche.“

Die Fähigkeit zur Mentalisierung sei bei Menschen mit einer schizophrenen Psychose oft sehr unvollkommen, was der Autor insbesondere auf eine Kommunikationsstörung mit den relevanten Erwachsenen in der Kindheit zurückführt. Die Menschen mit Schizophrenie hätten elterliche Reaktionen und Gefühle so verinnerlicht, als ob es ihre eigenen wären. Ausgeprägte projektive Identifizierungen verhinderten die eigenständige Integration psychischer Prozesse und die autonome Bedürfnisregulation im Zuge der psychischen Reifung. Mütter und Väter schizophrener Menschen identifizierten sich vielfach mit den Affekten des Kindes, auch nachdem es herangewachsen sei, und sie nähmen zugleich eigene Gefühle nicht bei sich selber sondern am Kind wahr.

Kurz angeschnitten wird dabei, dass man Eltern nicht die Verantwortung für die Entwicklung der Kinder aufbürden kann, denn die Dynamik ist ja von den Eltern nicht kontrollierbar. Man dürfe den Respekt gegenüber der Familie nicht verlieren. Eine ausführliche Reflexion der Angehörigenarbeit findet im vorliegenden Buch nicht statt. Frank Matakas stellt jedoch Überlegungen an, dass sich die Familie innerhalb der Gesellschaft in einer ähnlichen Situation wie der Kranke innerhalb der Familie befindet: „Unvermeidbare strukturelle Schwächen oder Widersprüche in der Kultur werden auf bestimmte Familien projiziert bzw. von diesen introjiziert, sodass … eine psychotische Situation entsteht.“

In seinen Ausführungen knüpft der Autor neben psychoanalytischen Theoretikern auch an Goffman, Foucault und Dörner an.

Die theoretischen Ausführungen sind immer wieder mit Fallbeispielen untersetzt. Hierbei reflektiert der Autor auch problematische Verläufe und zeigt die Grenzen psychotherapeutischer Interventionsmöglichkeiten auf. Am Ende finden sich noch einige Ausführungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu (kognitiv) verhaltenstherapeutischen und psychoedukativen Ansätzen.

Diskussion

In den letzten 30 Jahren wurde die psychiatrische Forschung sehr stark von biologischen Ansätzen geprägt. Es ist ein Verdienst von Frank Matakas mit seinem Buch wieder an soziologische Analysen und psychotherapeutische Zugangswege anzuknüpfen, die den Diskurs seit dem Ende des 2. Weltkriegs bis zu den 1980er Jahren prägten. Zudem schöpft er aus der langjährigen klinischen Erfahrung als psychiatrischer Chefarzt und kann daher seine Überlegungen sehr praxisnah darstellen. Allerdings bleiben manche aktuelle sozialpsychiatrische Diskurse außen vor: So geht er nicht auf das Recovery-Thema ein, beschäftigt sich nicht mit der empirischen Säuglings- und Kindheitsforschung und thematisiert auch nicht, dass es sich bei der Schizophrenie möglicherweise nicht um ein einheitliches Störungsbild handelt. Die Überlegungen zur Angehörigenarbeit hätten vertieft werden können, wenn man erneut familiäre Ursachen bei der Entstehung der Schizophrenie in den Fokus rückt und nicht in überwundene Schuldzuschreibungen an eine „schizophrenogene Mutter“ zurückfallen will. Die sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Überlegungen, die zur Untermauerung psychoanalytischer Theorien herangezogen werden, bleiben eher oberflächlich.

Dennoch handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch, das insbesondere wichtige Anregungen liefert, mit welcher Haltung man Menschen mit Schizophrenie begegnen kann und welche institutionellen Rahmenbedingungen für die Therapie hilfreich sind. Zudem wird die Bedeutung eines verstehenden psychotherapeutischen Zugangs im Gegensatz zu der manchmal vorherrschenden objektivierenden biologisch geprägten Zugangsweise hervorgehoben.

Fazit

Frank Matakas schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung in leitender Position in einer Klinik, die in allen therapeutischen Bereichen nach psychodynamischen Grundsätzen organisiert ist. Er betont die Bedeutung eines verstehenden und die Beziehung reflektierenden Zugangs zu Menschen mit Schizophrenie und knüpft an psychoanalytische und soziologische Diskurse an, die bis in die 1980er Jahre die sozialpsychiatrische Diskussion stark geprägt haben, aber in den letzten 30 Jahren häufig von biologischen Sichtweisen in den Hintergrund gedrängt wurden. Das Buch enthält zahlreiche Fallvignetten.

Rezension von
Prof. Dr. Annemarie Jost
Professorin für Sozialpsychiatrie an der Fakultät 4 der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
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Es gibt 144 Rezensionen von Annemarie Jost.


Zitiervorschlag
Annemarie Jost. Rezension vom 18.02.2020 zu: Frank Matakas: Psychodynamik der Schizophrenie. Symptomatik, Entwicklung, Therapie, Bedeutung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2020. ISBN 978-3-17-036616-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26387.php, Datum des Zugriffs 08.12.2024.


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