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Sylvia Beck, Christian Reutlinger: Die Wiederkehr der Wohnungsfrage

Rezensiert von DSA MMag. Dr. Prof (FH) Christian Stark, 26.02.2020

Cover Sylvia Beck, Christian Reutlinger: Die Wiederkehr der Wohnungsfrage ISBN 978-3-03777-207-2

Sylvia Beck, Christian Reutlinger: Die Wiederkehr der Wohnungsfrage. Historische Bezüge und aktuelle Herausforderungen für die Soziale Arbeit. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen (Zürich) 2019. 167 Seiten. ISBN 978-3-03777-207-2. D: 34,00 EUR, A: 34,00 EUR, CH: 38,00 sFr.

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Autoren

Die Autor/innen sind Erziehungswissenschaftler/innen und lehren und forschen an der FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Das Buch ist das Ergebnis eines mehrjährigen gemeinsamen Arbeitsprozesses der Autor/innen im Rahmen einer Projektarbeit am Institut für Soziale Arbeit und Räume der FHS St. Gallen, Es besteht aus 6 Beiträgen der beiden Autor/innen und einem Gastbeitrag von Christina Vellacott, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FHS St. Gallen.

Aufbau

Einleitend beschreiben die Autor/innen Wohnen als individuelle und soziale Konstruktion. Sie versuchen zu sensibilisieren für die vielfältigen Konstrukte in diesem Zusammenhang und betrachten die Relevanz des Themas für die Soziale Arbeit. Es folgen historische und etymologische Ausführungen. Es werden Wohnveränderungen und damit verbundene Herausforderungen beleuchtet verbunden mit einem Plädoyer für eine sozialräumliche und subjektorientierte Perspektive auf Wohnen. Das folgende Kapitel schildert vier

Praxiserkundungen in Form von Fachgesprächen mit Expert/innen der Wohn-Hilfe und beschreiben aktuelle Probleme mit unterschiedlichen Zielgruppen und entsprechende Hilfeleistungen und Herausforderungen. Auf die Praxiseinblicke folgen im nächsten Kapitel historische Textausschnitte des sogenannten sozialpolitischen Vorkämpfers Paul Pflüger, die beschreiben, wie Wohnen sich zwischen 1899 und 1909 problematisierte.

Es folgt der Hauptteil mit einer ausführlichen historischen Analyse der Mechanismen und Lösungswege der sogenannten Wohnungsfrage am Übergang vom 19. ins 20.Jahrhundert als Hintergrund für die darauffolgenden Ausführungen über die Wiederkehr der Wohnungsfrage im 20. Jahrhundert und die damit verbundene Rolle der Sozialen Arbeit.

Das Buch mündet im Schlusskapitel in einen Ausblick mit entsprechenden Forderungen.

Am Ende eines jeden Kapitels führen die Autor/innen weiterführende teilweise kommentierte Literatur an.

Inhalt

Das zentrale Thema des Bandes sind die Zusammenhänge von Wohnpraktiken mit gesellschaftlichen Leitbildern und organisatorischen Strukturen und die damit verbundene Relevanz der Wohnungsfrage für die Soziale Arbeit. Die Autor/Innen versuchen Wohnen in seiner Komplexität und Herstellungspraxis zu verdeutlichen und beschreiben es als Geflecht von individuellen Praktiken, Strukturen und Räumen.

Die zentrale Fragestellung lautet: Wie setzt sich Soziale Arbeit als sogenannte Einbindungshelferin zum Wohnen in Bezug. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Fragestellung bietet die historische Wohnungsfrage, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildete. Diese frühen historischen Wurzeln wirken für die Autor/Innen bezüglich aktueller Wohnordnungen und entsprechende Hilfeleistungen bis heute weiter.

Die Autor/innen diskutieren die Verhältnisbestimmungen zwischen Sozialer Arbeit und Wohnen seit dem Zweiten Weltkrieg und versuchen Gründe zu ermitteln, weshalb die Soziale Arbeit bis heute mit wenigen eigenen Ansätzen auf das Kernthema Wohnen reagiert.

Die historischen Wohnordnungen ließen wenig individuellen Gestaltungsspielraum und dienten der Erziehung zum bürgerliche Wohnen. Wohnordnungen bildeten sich dabei in Anlehnung an Gesellschaftsordnungen. Die Wohnungsfrage wird als Teil und Abbild der Soziale Frage betrachtet Die historische Analyse zeigt auf, wie Soziale Arbeit Soziale sich parallel zur Wohnungs- und Sozialpolitik etablierte.

Das Verhältnis Wohnen und Soziale Arbeit konstituierte sich über die Weisen Eingliederung und Unterbringung. Soziale Arbeit trug und trägt so zur Stabilität und Kontrolle von Normalitätsmustern bei. In ihrem doppelten Mandat von Hilfe und Kontrolle sicherte sie die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und konzentrierte sich auf Randbereiche im Rahmen der Wohnungslosenhilfe.

Das Thema Wohnen ist von Seiten der Sozialen Arbeit nicht präsent und kaum theoretisch aufgearbeitet. De Autor/innen konstatieren eine hohe Diskrepanz zwischen der aktuellen gesellschaftlichen Relevanz des Themas und einer erst aktuell langsam beginnenden diesbezüglichen Neupositionierung der Soziale Arbeit.

Die Autor/Innen beschreiben Soziale Arbeit in diesem Zusammenhang als Einbindungshelferin in bestehende Wohnverhältnisse und entsprechende Hilfeleistungen. Als solche verdeckt sie strukturelle Ursachen und ist gefangen in einer funktional-industriekapitalistischen Raumordnung. Die Autor/innen bemängeln, dass sich Soziale Arbeit als normalisierende Instanz und Einbindungshelferin historisch betrachtet bis heute nur selten in sozialpolitische Auseinandersetzungen einmischte.

Die neue Wohnungsfrage wird zu wenig diskutiert. Die Autor/innen konstatieren ein ungelöstes Wohnproblem, das von der Sozialen Arbeit mitreguliert wird. Für die Soziale Arbeit ergibt sich daraus die Implikation einer doppelten Handlungslogik: die Wohnungsfrage individuell und strukturell zu lösen, sie als Teil der Sozialen Frage zu thematisieren und nicht unkritisch als Einbindungshelferin weiterzumachen. Die Soziale Arbeit muss sich politisch einmischen und die Randständigkeit des Themas Wohnen überwinden

In diesem Sinn wäre es Aufgabe der Sozialen Arbeit, die pädagogische und die politische Perspektive auf Wohnen zu verbinden und die bestehenden Verhältnisse kritisch zu beleuchten.

Die Autor/innen fordern auch auf theoretische Perspektiven auf Wohnen und empirischen Untersuchungen weiterzuentwickeln.

Diskussion

Die Bedeutung der vorliegenden Publikation liegt in der Ausarbeitung der Relevanz der Wohnungsfrage für die Soziale Arbeit. Die Beschreibung der Wohnungsfrage als Abbild und Teil der Sozialen Frage bringt neue Perspektiven in die Thematik. Die Forderung an die Soziale Arbeit ihre Aufmerksamkeit vermehrt dem Thema Wohnen zu widmen bietet wichtige Impulse für eine Disziplin, die sich vorwiegend der Randständigkeit des Themas widmet im Rahmen der Hilfeleistungen für wohnungslose Menschen. Der etymologische und historische Blick auf das Thema Wohnen ergibt für Expert/innen keine neuen Erkenntnisse, geben aber dem mit der Thematik weniger vertrauten Leser/innen durchaus interessante Aspekte.

Die Forderung an die Soziale Arbeit nach einem kritischen Blick auf strukturelle Verhältnisse und damit verbundene politisches Einmischung kann nur unterstrichen werden, ist aber als solche nicht originell. Die Beschreibung der Sozialen Arbeit als Einbindungshelferin und die damit verbundene Kritik wiederholt längst konstatierte Forderungen aus den 68ern als Soziale Arbeit als Krankenschwester des Kapitalismus beschrieben wurde.

Der Forderung nach politischer Einmischung wurde angesichts der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit vielerorts thematisiert. Statt der bloßen Forderung nach Einmischung wäre eine konkrete Beschreibung von Beispielen, wie diese politische Einmischung geschehen könnte wünschenswert. Hier hätte man durchaus auf mehr Beispiele aus der Geschichte bzw. auch auf aktuelle Formen verweisen können.

Teilweise wiederholen sich die Autor/innen und es sind einige Redundanzen festzustellen, die die Lektüre etwas langatmig gestalten.

Fazit

Beck und Reutlinger bieten eine anspruchsvolle Lektüre und gewähren einen fundierten Einblick an der Schnittstelle Wohnen und Soziale Arbeit. Das Buch bietet anregende Denkanstöße gegen den Mainstream neoliberaler Ökonomisierungs- und Kommodifizierungsprozesse und ermuntern nicht nur das Wohnen an den Rändern der Gesellschaft, sondern Wohnungspolitik allgemein und auch das eigene Wohnen zu befragen.

Rezension von
DSA MMag. Dr. Prof (FH) Christian Stark
Fachhochschulprofessor, Dekan der Fakultät für Medizintechnik und Angewandte Sozialwissenschaften, Leitung Department Soziale Arbeit;
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Es gibt 19 Rezensionen von Christian Stark.

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Zitiervorschlag
Christian Stark. Rezension vom 26.02.2020 zu: Sylvia Beck, Christian Reutlinger: Die Wiederkehr der Wohnungsfrage. Historische Bezüge und aktuelle Herausforderungen für die Soziale Arbeit. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen (Zürich) 2019. ISBN 978-3-03777-207-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26409.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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