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Mario Steiner: Von der Chancengleichheit zur Ausgrenzung

Rezensiert von Prof. Dr. René Börrnert, 24.03.2020

Cover Mario Steiner: Von der Chancengleichheit zur Ausgrenzung ISBN 978-3-8309-4055-5

Mario Steiner: Von der Chancengleichheit zur Ausgrenzung. Ein sozialer Fortschritt durch Bildung? Eine theoretische und empirische Aufarbeitung. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2019. 266 Seiten. ISBN 978-3-8309-4055-5. 39,90 EUR.
Reihe: Internationale Hochschulschriften - Band 667.

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Thema

Mario Steiners Forschungsfragen lauten: „In welchem Spannungsverhältnis zueinander stehen Bildungsexpansion und steigende Chancengleichheit einerseits sowie zunehmende Ausgrenzung bildungsarmer Personen und nach wie vor bestehende soziale Unterschiede im Bildungsbereich andererseits? Kann vor diesem Hintergrund in den letzten Jahrzehnten von einem sozialen Fortschritt in, durch sowie in Abhängigkeit von Bildung gesprochen werden oder überwiegt das Gegenteil?“ (S. 21) Steiners Antwort auf diese Fragen bleibt am Ende zwiespältig und offenbart keine reine bildungspolitische Erfolgsgeschichte. Gerade für seinen lokalen Forschungsschwerpunkt Österreich weisen seine Ergebnisse auf hohe soziale Ungleichheiten in diesem Zusammenhang hin. Bildungsexpansion, so ein wesentliches Ergebnis der Studie korreliert nicht zwangsläufig mit sozialem Fortschritt. Der Autor erläutert und diskutiert ausführlich grundlegende ambivalente Themenfelder, Theorien und Konzepte: Bildungsarmut versus Bildungsexpansion, soziale Gleichheit versus Ungleichheit, soziale Anerkennung und Ausgrenzung sowie Facetten sozialen Fortschritts.

Autor

Mario Steiner ist promovierter Soziologe. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit benachteiligten Jugendlichen und Gründen für deren vorzeitige Bildungsabbrüche, Ausgrenzungsrisiken, Integrationschancen sowie allgemein mit Chancenungerechtigkeit. Steiner ist Leiter der Forschungsgruppe „in_Equality and Education“ (equi) am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.

Entstehungshintergrund

Ursache und Wirkung von Bildungsexpansion gehört zu den großen gesellschaftliche Fragen der Gegenwart und Zukunft, die im Fokus des außeruniversitären wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums IHS in Wien stehen, an dem der Autor tätig ist. Das Buch ist die überarbeitete Version seiner Dissertation „Von der Chancengleichheit zur Ausgrenzung: Ein sozialer Fortschritt im Bildungssystem?“ (2017). Steiner will mit seinem theoriepluralistischen Zugang das Gesamtbild in den bildungssoziologischen Blick nehmen und nicht nur partikulär auf einzelne darin enthaltene Dimensionen blicken (51). 

Aufbau und Inhalt

Die Abhandlung setzt sich aus zwei grundlegenden Teilen zusammen, die in insgesamt 16 Kapiteln untergliedert sind. Nach Klärung von Ausgangssituation, Forschungsfragen und Fortschrittsbegriff erörtert Steiner theoretische Fundamente zur sozialen Ungleichheit durch Bildung (konflikttheoretische, modernisierungstheoretische und individuenzentrierte Ansätze), Chancengleichheit (Gerechtigkeitstheorien, Chancengleichheitskonzepte) und Konzepte sozialen Fortschritts sowie Methoden zur Messung desselben (Kap. 3 bis 5).

Aus diesen Bausteinen entwickelt er sein eigenes Konzept sozialen Fortschritts im Zusammenhang mit Bildung (Kap. 6).

Sodann geht es im zweiten Hauptteil darum, das erarbeitete konzeptionell-theoretische Konstrukt empirisch zu analysieren, um die Forschungsfragen zu beantworten. Nach der Beschreibung des methodischen Vorgehens (Kap. 7) werden acht bildungsbezogene Fortschrittsdimensionen herausgearbeitet (Qualifikationsniveau, Bildungsarmut, Equity und Chancengleichheit im Bildungssystem, Unterstützung Benachteiligter, Bildungsorganisation, Anerkennung und Ausgrenzung von (fehlenden) Abschlüssen, gesellschaftliche Beteiligung, Gesundheit und „Well-Being“). Diese Analyse erfolgt anhand von 27 Indikatoren. Das sind z.B. bei der Dimension „Qualifikationsniveau“ u.a. die Indikatoren „Anteil niedrigqualifizierter Personen“ oder „Kompetenzniveau Jugendlicher“ (Kap. 8 bis 15).

Im sechzehnten und letzten Kapitel zieht Steiner anhand seiner Ergebnisse Schlussfolgerungen zum sozialen Fortschritt im Zusammenhang mit Bildung in Bezug auf Österreich und weitere 28 Staaten in Europa.

Steiner vermeidet es, in seinen bildungs- und gesellschaftspolitischen Diskussionen am Ende in den allgemeinen Chorus von Pessimismus einzustimmen. Er wendet sich gegen die Meinung, dass bei allem Fortschritt Ungleichheitsrelationen stabil blieben und, „dass das Bildungssystem und die herrschenden Eliten auf Expansion nur mit einer Verlängerung und Differenzierung von Ausbildungsformen regieren“ (S. 235). Stattdessen betont Steiner positive Auswirkungen eines Mehr an Bildung in Form von gesellschaftlicher Anerkennung, gesellschaftlicher Partizipation (in Form von Wahlbeteiligung) und nicht zuletzt von Gesundheit. Zugleich resümiert er ambivalent, denn „das Problem liegt demnach eher in der Ausgrenzung derer, die über weniger Bildung verfügen und der stark sozial ungleichen Zusammensetzung dieser Gruppe sowie ganz allgemein in den gravierenden gesellschaftlichen Unterschieden in Abhängigkeit vom Bildungsniveau. Daran knüpft sich sodann wieder ein bildungspolitischer Handlungsauftrag nach einer Erneuerung der Bildungsexpansion an, denn in diesem Licht verlieren Begriffe wie ‚Überqualifikation‘ und ‚Bildungsinflation‘ ihre Grundlage“ (S. 236). Insofern ist seine eingangs aufgestellte Hypothese, „dass sozialer Fortschritt mit einem Abbau von sozialen Ungleichheiten einhergeht“ (S. 12) weder belegt noch widerlegt. 

Fazit

Steiners Studie zeigt zwei Facetten: Zum einen erläutert sie thematisch für Studierende einen verständlichen Einstieg in die Themenfelder „Chancengleichheit“ und „Sozialer Fortschritt“ im Kontext von Bildungs(un)gerechtigkeit. Aus diesem Material entwickelt der Autor sein eigenes nachvollziehbares Konzept des sozialen Fortschritts im Zusammenhang mit Bildung. Zum zweiten verdeutlicht der Autor verständlich und anhand zahlreicher Abbildungen auch anschaulich sein methodisches Herangehen und damit, wie eine empirische Dokumentenanalyse und -auswertung aussehen kann. So können Leser*innen auf unterschiedlichen Ebenen in die Lektüre einsteigen und Wissen und Argumente für weitere Überlegungen und Diskussionen finden. Hierauf zielen insbesondere Steiners Ausführungen über „Bildungsarmut“ (Kap. 9) und „Equity und Chancengleichheit“ (Kap. 10), mit denen er selbst die bildungssoziologische Debatte in Österreich anzutreiben versucht (Kap. 12).

Rezension von
Prof. Dr. René Börrnert
Fachhochschule des Mittelstands (Rostock)
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Es gibt 46 Rezensionen von René Börrnert.

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ISSN 2190-9245