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Anke Elisabeth Ballmann: Seelenprügel

Rezensiert von Prof. Dr. Raika Lätzer, 22.01.2020

Cover Anke Elisabeth Ballmann: Seelenprügel ISBN 978-3-466-31129-3

Anke Elisabeth Ballmann: Seelenprügel. Was Kindern in Kitas wirklich passiert, und was wir dagegen tun können. Kösel-Verlag (München) 2019. 288 Seiten. ISBN 978-3-466-31129-3. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,90 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Thema

Anke Elisabeth Ballmann beschäftigt sich in ihrem Buch „Seelenprügel“ ausführlich mit den Umgangsweisen mit Kindern in deutschen Kitas. Das Buch zeigt auf, welche Behandlung Kinder in Kitas erfahren und welche Umgangsweisen an Kitas geduldet werden.

Autorin

Anke Elisabeth Ballmann hat Pädagogik, Psychologie und Soziologie studiert und ist seit mehreren Jahrzehnten in der Weiterbildung von Erzieher*innen tätig. 2007 gründete sie das Weiterbildungszentrum „Lernmeer“. Durch ihre Tätigkeit hat sie eine Vielzahl an Kitas in Deutschland kennengelernt und einen Einblick in den pädagogischen Alltag erhalten. Die Autorin hat im Fach Pädagogik promoviert und einen universitären Lehrauftrag inne.

Entstehungshintergrund

Anke Elisabeth Ballmann gibt an, selbst ein seelisch misshandeltes Kind gewesen zu sein. Sie weiß deswegen, wie es sich anfühlt, „gedemütigt und niedergemacht zu werden, ohne Grund, einfach, weil man ist, wie man ist“ (S. 10). Die Autorin gibt an, als Folge dessen ihr ganzes Leben unter Selbstzweifeln und Versagensängsten gelitten zu haben.

Anke Elisabeth Ballmann hat über diese eigenen Erfahrungen hinaus ähnliche Umgangsweisen im Rahmen ihrer Weiterbildungstätigkeit an Kitas beobachtet: Sie hat festgestellt, dass manche Erzieher*innen einfühlsam und zugewandt mit den ihnen anvertrauten Kindern umgehen. Andere Erzieher*innen aber wenden fragwürdige pädagogische Methoden an, demütigen die Kinder, werten sie ab oder beschimpfen und beschämen sie.

Anke Elisabeth Ballmann stellt dar, dass diese Umgangsweisen den Kindern irreversibel schaden. Sie will mit ihrem Buch auf diese Umgangsweisen an Kitas hinweisen und die Eltern für fragwürdige pädagogische Prozesse sensibilisieren.

Aufbau

„Seelenprügel“ beinhaltet drei Großkapitel:

  1. „Seelenprügel – weil es immer schon so war“,
  2. „Neue Haltung, neues Handeln – weil es einen anderen Weg gibt“ sowie
  3. „Seelenheil gewaltfreie Erziehung als Realität“.

Jedes Großkapitel besteht aus verschiedenen Unterkapiteln.

Das erste Kapitel zeigt die Realität an deutschen Kitas auf und weist auf die teilweise herrschenden Missstände hin. Das zweite Kapitel will für veränderte pädagogische Herangehensweisen begeistern während das dritte Kapitel eine gewaltfreie Idealwelt skizziert, welche die Autorin sich für Kinder wünscht

Inhalt

„Bei viel zu vielen Eltern und in viel zu vielen pädagogischen Einrichtungen ist der aktuelle Erziehungsstil darauf angelegt, Kinder einem künstlich erschaffenen, oft willkürlichen Regelsystem auszusetzen und sie dafür zu bestrafen, wenn sie die Regeln der Erwachsenen brechen“ (S. 17). Diese einleitende Beobachtung führt Anke Elisabeth Ballmann in ihrem Buch ausführlich aus. Mit vielen nachvollziehbaren Beispielen zeigt sie auf, was sie unter „Seelenprügel“ in Kitas versteht: Erzieher*innen verhalten sich gegenüber den Kindern auf verbaler Ebene gewalttätig und brutal. Isolationen, Demütigungen, Beleidigungen („Miststück“ oder „Nervensäge“) und Abwertungen („Bist Du so dumm, oder tust Du nur so?“) sind an der Tagesordnung und verursachen massive seelische Schäden bei den Kindern. In manchen Kitas weiten sich die Misshandlungen auch auf die körperliche Ebene aus (S. 70 ff). Die Autorin macht allerdings auch deutlich, dass nicht alle Erzieher*innen sich auf diese Weise verhalten. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die „Misshandlungen [.] eindeutig stets von ‚Einzeltäterinnen‘ begangen“ wurden (S. 8). Es handle sich somit nie um ein ganzes Team, sondern immer nur um Einzelpersonen.

Im Anschluss an diese Bestandsaufnahme geht „Seelenprügel“ einen Schritt weiter: Anke Elisabeth Ballmann zeigt mögliche Ursachen für die seelische Gewalt seitens mancher Erzieher*innen auf („Gewalt als Fundament von Gewalt“, S. 130 oder „Erziehung und Bildung im Laufe der Jahrhunderte“, S. 134). Hierbei geht sie sensibel vor und sieht von Schuldzuweisungen explizit ab („Von Generation zu Generation – bitte keine Schuldzuweisung“ S. 151 ff). Anke Elisabeth Ballmann führt dann Möglichkeiten auf die „Seelenprügel“ zu stoppen: Sie plädiert für intensive Selbstreflexion seitens der Erzieher*innen (S. 167 ff). Im Rahmen dessen können Erzieher*innen lernen, eigene pädagogische Erfahrungen aufzuarbeiten, mögliche Traumatisierungen zu erkennen und Familiengeheimnisse aufzudecken. Als Folge dessen können sie sich einen zugewandten, freundlichen Umgang mit Kindern finden und veränderte pädagogische Herangehensweisen erarbeiten

Zuletzt zeigt Anke Elisabeth Ballmann alternative Kitas auf und skizziert das „Einhornparadies Kitiera“ (S. 209). Was angesichts der Realität in deutschen Kitas als nahezu absurde Utopie erscheint, malt sie in leuchtenden Farben aus und macht deutlich, dass eine solche Kita unter spezifischen veränderten gesellschaftlichen Umständen durchaus Realität sein könnte. Auf diese Weise können seelische Verletzungen bei Kindern vermieden werden und Kinder können selbstbewusst, gestärkt, zuversichtlich und glücklich aufwachsen und ihre individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen frei entwickeln.

Diskussion

„Seelenprügel“ ist ohne Zweifel ein wichtiges Buch, das die bestehenden Missstände nachvollziehbar aufzeigt. Erfreulicherweise verharrt das Buch nicht in der Beschreibung der negativen pädagogischen Umgangsweisen in Kitas, sondern zeigt Möglichkeiten auf, diese Umgangsweisen umzuwandeln und kinderfreundliche pädagogische Wege zu beschreiten. „Seelenprügel“ fordert zum genauen Hinsehen auf, zur Reflexion und zum intensiven Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Kindern.

„Seelenprügel“ ist außerdem trotz des wissenschaftlichen Hintergrunds der Autorin kein wissenschaftliches Buch im engeren Sinn: Anke Elisabeth Ballmann bewertet und beobachtet vieles aus vor dem persönlichen Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen, sieht von komplizierten Formulierungen und vielen Fußnoten ab und formuliert leicht lesbar und gut nachvollziehbar. „Seelenprügel“ beschreibt somit für alle Eltern gut zugänglich die fragwürdigen pädagogischen Umgangsweisen mancher Erzieher*innen.

Sicherlich wird „Seelenprügel“ allerdings nicht bei allen Eltern auf Zustimmung stoßen: Manche Eltern werden verleugnen oder verdrängen, dass an den Kitas diese Umgangsweisen existieren und manche Eltern werden sich selbst wieder erkennen, da sie auch selbst ähnliche pädagogische Umgangsweisen mit ihren Kindern anwenden.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Realität in Kitas und Familien muten die Beschreibungen des „Einhornparadies Kitiera“ etwas überzogen an, in der aktuellen gesellschaftlichen Situation ist eine solche Kita sicher nicht denkbar. Trotzdem aber handelt es sich um ein interessantes gedankliches Projekt, von dem niemand weiß, ob es nicht doch irgendwann Realität werden könnte.

Fazit

Die Auseinandersetzung mit gewaltvollen pädagogischen Methoden an sich ist nicht neu; Autorinnen wie Alice Miller, Katharina Rutschky oder Jesper Juul haben die sogenannte „Schwarze Pädagogik“ und ihre verheerenden Folgen bereits ausführlich aufgearbeitet. Wie Anke Elisabeth Ballmann deutlich aufzeigt, wird „Schwarze Pädagogik“ allerdings nach wie vor praktiziert. Es ist zu hoffen, dass „Seelenprügel“ weitere mediale Aufmerksamkeit erhält und auf diese Weise die geschilderten pädagogischen Umgangsweisen endlich zum Ende kommen. Hierfür braucht es die Achtsamkeit und Aufmerksamkeit aller Menschen, denn: „Wir müssen endlich ALLE genauer hinsehen!“ (S. 13)

Rezension von
Prof. Dr. Raika Lätzer
Professorin für Musikpädagogik in der Sozialen Arbeit, Katholische Stiftungshochschule München
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Es gibt 17 Rezensionen von Raika Lätzer.

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ISSN 2190-9245