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Peter Röhrig, Martina Scheinecker (Hrsg.): Lösungsfokussiertes Konflikt-Management in Organisationen

Rezensiert von Prof. Dr. Lilo Schmitz, 17.06.2020

Cover Peter Röhrig, Martina Scheinecker (Hrsg.): Lösungsfokussiertes Konflikt-Management in Organisationen ISBN 978-3-95891-067-6

Peter Röhrig, Martina Scheinecker (Hrsg.): Lösungsfokussiertes Konflikt-Management in Organisationen. Methoden und Praxisbeispiele für Konfliktlösung zwischen Einzelnen, in Teams und Organisationseinheiten. managerSeminare Verlags GmbH (Bonn) 2019. 350 Seiten. ISBN 978-3-95891-067-6. 49,90 EUR.
Reihe: Edition Training aktuell. Praxishandbuch Beratung.

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Thema

Lösungsfokussierte Methoden und Grundhaltungen können aus Sicht und Erfahrung der HerausgeberInnen entscheidend dazu beitragen, dass Konflikte in Organisationen unaufgeregt in nützliche Entwicklungen überführt werden. Welches Spektrum an Methoden, Traditionen und praxistheoretischen Verzahnungen hier möglich ist, soll dieser Praxisband verdeutlichen, für den die HerausgeberInnen erfahrene PraktikerInnen aus Coaching, Mediation und Organisationsentwicklung gewonnen haben.

Bedingung für die MitautorInnenschaft war, dass die AutorInnen fundierte Erfahrung in der Beratung zu Konflikten im Organisationskontext haben, mit einer klaren lösungsfokussierten Haltung arbeiten und lösungsfokussierte und/oder damit kompatible Methoden einsetzen.

In Konzeption und Aufbau knüpft der Band an den von Peter Röhrig herausgegebenen Bestseller „Solution-Tools“ an, der lösungsfokussierte praxiserprobte Methoden der Beratung in Organisationen vereint.

Herausgeberin und Herausgeber

Peter Röhrig und Martina Scheinecker sind beide erfahrene OrganisationsberaterInnen und bekannte AutorInnen zum Lösungsfokus in Organisationen.

Peter Röhrig, selbstständiger Trainer und Berater, Gesellschafter von ConsultContor, ist ausgewiesen durch seine wirtschaftswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Doppelqualifikation, die er in seine Lehr- und Trainingstätigkeit sowie in seine Beratungstätigkeit in Personal- und Organisationsentwicklung einfließen lässt. Im deutschsprachigen und internationalen Bereich hat vor allem Peter Röhrig den Transfer der lösungsfokussierten Philosophie und Praxis in den Alltag der Organisationsentwicklung bewirkt.

Martina Scheinecker ist ebenfalls als Organisationsberaterin aktiv, wobei ihr Schwerpunkt in Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung deutlich auf Umgang mit Konflikten und Mediation liegt. Neben dem lösungsfokussierten Paradigma bringt sie die Konflikt- und Unternehmens-Sicht von Friedrich Glasl ein – sie ist Gesellschafterin der Trigon-Entwicklungsberatung in Wien, die Glasls Ansätze in der Organisationsberatung umsetzt.

Inhalt

Im Grundlagenaufsatz „Zum guten Beginn“ führen Peter Röhrig und Martina Scheinecker zunächst in Konzeption und Ziele ihres Sammelbandes ein. Im Buch sollen vor allem praxisrelevante und praxiserprobte methodische Ansätze zu Wort kommen, die von der LeserIn in ihr eigenes Praxisfeld übertragen werden können und die tägliche Arbeit in Beratung, Mediation, Organisations- und Personalentwicklung erleichtern können.

Wenngleich es ganz unterschiedliche Definitionen von „Konflikt“ und „Organisation“ gibt, ebenso wie ganz unterschiedliche Konzeptionen hilfreicher Interventionen bei Konflikten, haben Peter Röhrig und Martina Scheinecker für ihren Band bewusst praxiserfahrene AutorInnen eingeladen, die im weiteren Sinne lösungsfokussierte Grundsätze in Geist und/oder Praxis ihrer Beratungen anwenden.

Diese Grundsätze legen Herausgeber und Herausgeberin in ihrem Grundsatzartikel dar. Ausführlich werden hier die Grundlagen klassischer lösungsfokussierter Arbeit nach de Shazer/Berg, deren Weiterentwicklung sowie die Grundzüge einer Anwendung im Bereich von Konflikten beschrieben.

Ergänzt wird der lösungsfokussierte Beratungsansatz von Röhrig und Scheinecker durch Glasls Ansatz zu Organisation, Konflikt und Mediation. Hier folgen die beiden HerausgeberInnen Glasls Konflikt-Definitionen und agieren im Rahmen von Glasls Stufenmodell von Konflikten.

Konflikte sind aus Sicht der HerausgeberInnen keine lästigen Störfaktoren, die eliminiert werden müssen, sondern „(…) ein Phänomen, das unvermeidlich mit der Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen und mit der Entwicklung von Organisationen verbunden ist.“ (33) Fatal ist allein eine Eskalation, die nur destruktiv wirkt. Widersprüche und Konflikte sind unvermeidbar – deshalb ist die Kompetenz gefragt, diese in „konstruktive Spannungen“ zu verwandeln und nach „Win-win-Lösungen“ zu suchen.

Die beiden HerausgeberInnen skizzieren nun beispielhaft, wie sie dies entlang von Glasls. Hauptphasen des Konfliktmanagement-Prozesses (Orientierungsphase, Phase spezieller Konfliktbehandlungsstrategien, Konsolidierungsphase) tun. Dabei folgen sie keiner festgelegten Reihenfolge, sondern begleiten ihre KlientInnen – Einzelne wie Organisationen – je nach den Erfordernissen des Einzelfalls durch „vier Räume des Konfliktmanagements“:

  • „Ressourcen und Beziehung stärken“
  •  „Zukunftsbilder gestalten und Lösungen finden“
  • „Lösungsfokussiert an Konfliktthemen arbeiten“ (dieser Raum wird nur geöffnet, wenn die Beteiligten eine Konfliktlösung nicht ohne Bearbeitung von Konfliktthemen vorstellen können)
  • „Vereinbarungen und Beobachtungsaufgaben“

Die Anzahl der Sitzungen ist flexibel und von einer einmaligen Beratung bis zu langen Prozessen ist für Röhrig/Scheinecker alles denkbar. Längere Phasen der Praxiserprobung, Follow-Up-Beratungen und -Workshops bieten die Chance, Vereinbarungen zu prüfen und von Entwicklungen und Veränderungen zwischen den Sitzungen zu profitieren.

Das Modell ihrer Arbeit übertragen Peter Röhrig und Martina Scheinecker auf die Komposition ihres Sammelbandes. Große Kapitel sollen die oben genannten Räume methodisch und theoretisch erhellen und illustrieren. In einer Übersichtsmatrix werden die einzelnen Beiträge genannt, den Räumen (s.o.) zugeordnet und es wird kenntlich gemacht, für welche Konfliktsituation die Beiträge Handlungsoptionen anbieten:

  • Konfliktmanagement zwischen Einzelnen
  • Konfliktmanagement zwischen Teams/in Teams
  • Konfliktmanagement bei Mobbing
  • Konfliktmanagement durch Führungskräfte

Wie schon bei „Solution-Tools“ haben auch hier die Herausgeber und Herausgeberin renommierte und durch ihre eigenen Veröffentlichungen ausgewiesene MitautorInnen für ihren Band gewinnen können. Für eine Rezensentin ist es stets eine herausfordernde Aufgabe, einen Sammelband mit fast 30 elaborierten Aufsätzen zu besprechen. Deshalb kann ich die oft hochkarätigen Beiträge leider im Rahmen dieser Rezension nur kurz beleuchten und auf die Gesamtkomposition eingehen. Herausgeber und Herausgeberin haben dahin gewirkt, dass ihre AutorInnen einer sehr klaren Struktur der einzelnen Beiträge folgen: Eine Kurzbeschreibung steht voran, danach erläutern die AutorInnen den Rahmen, geben technische Hinweise und nennen mögliche Anlässe, Zielsetzung und Nutzen ihrer Methoden. Nach der grundlegenden Schilderung folgt ein anschauliches Praxisbeispiel. Anschließend werden die theoretischen Grundlagen und Quellen genannt – am Ende stehen die Literaturquellen. Diese klare Orientierung hilft der Leserin, schnell Hilfestellungen für anstehende Konflikte und Beratungsaufträge zu finden.

Im ersten Großkapitel „Orientierung verschaffen, Ressourcen und Beziehung stärken stellt Martina Scheinecker zunächst ihr phasenorientiertes und fallorientiertes Vorgehen vor, um dann detailliert auf Lösungsfokussierte Konfliktbeschreibung einzugehen – auf den ersten Blick ein Widerspruch zu klassischen lösungsfokussierten Prinzipien. Ihre 7 Dimensionen lösungsfokussierter Konfliktbeschreibung sind inspiriert von Glasls 5 Dimensionen der Konfliktdiagnose. Hier zeigt Martina Scheinecker, wie sie die klassische Konfliktdiagnose durch lösungsfokussierte Elemente bereichert und wiederum lösungsfokussierte Organisationsberatung durch Konfliktbeschreibungen aus der klassischen Konfliktdiagnose erweitert.

Anders sind die Anregungen von Felix Hirschburger („Wertschätzender Einstieg in die Lösung eines Teamkonflikts“) und Ljubjana Wüstehube („Blumenstraß“), die in ihren Beiträgen zeigen, wie ein überraschender rein lösungsfokussierter Einstieg in eine Konfliktberatung gleich zu Beginn die Stimmung in einem Konflikt verändern kann.

Mit bewegten lösungsfokussierten Methoden lockern Anita Reinbacher („Ressourcenvolles Speed-Dating“) und Bärbel Hess („Frühjahrsputz und Hausrundgang“) die Beratungs-Anfangsphase in Organisationen auf.

In ihren beiden Beiträgen schildert Kirsten Dierolf („Re-Authoring“ und „Waschanleitung für Feedback“), wie es gelingen kann, mit Techniken des wertschätzenden Zuhörens und der Selbstoffenbarung konstruktive Stimmung für eine Konfliktlösung herzustellen.

Marco Ronzani zeigt mit der Methode „Fortschritts-Tratsch“, wie klassisches zirkuläres Fragen (Mailänder Modell) mit einem Lösungsfokus verbunden werden kann.

Mit ihrem kleinen szenischen Verfahren „Schritt für Schritt in Richtung BESSER“ stellen Iris Hunziker und Insa Sparrer eine Methode der kognitiven und emotionalen Perspektivenerweiterung vor, die beispielsweise eine Führungskraft auf ein ressourcenorientiertes Konfliktgespräch vorbereiten kann.

Im Großkapitel 2 „Zukunftsbilder gestalten und Lösungen finden“ schildern Annie Bordeleau, Maren Telsemeyer und Ania Smolka („Eins nach dem Anderen“) sehr anschaulich, wie sie in verschiedenen Schritten mit einem konfliktbeladenen Team arbeiten. Charakteristisch ist auch für sie ein lösungs- und ressourcenfokussierter Einstieg über zunächst unproblematische Situationen, ehe der Konflikt selbst vor allem in Bildern erwünschter Zukunft und einer Priorisierung von Zielen ins Blickfeld kommt. Bei der Erarbeitung von Lösungen überlassen sie dem Team und den einzelnen Mitgliedern viel Raum für Aktivität und kreative Lösungen. Theoretisch gespeist wird ihre Überzeugung aus dem Rahmen des Cynefin Ansatzes von David Snowden.

Elfie Czerny und Dominik Godat beschreiben in ihrem Aufsatz „Eine listige Sache“ ein verblüffendes Instrument: die am Konflikt Beteiligten erstellen – angewiesen meist durch eine Führungskraft – gemeinsam eine Liste mit 50 Veränderungen, Details, die konkret und im Präsens beschreiben, was sich in Zukunft ändern soll. Das Listenschreiben selbst wird häufig als mühsam beschrieben. Wichtig sind laut Czerny und Godat, klare Deadlines und klare Anweisungen für die Listen zu geben, die, einmal ausgefüllt, enorme positive und friedenstiftende Veränderungen bei ehemals verstrittenen Parteien bewirken können.

Ursula Dehler stellt eine Methode vor, wie mit szenischen Elementen (in ihrem Fall Playmobil-Figuren und neutrale Figuren-Kegel) Ist-Zustände und Visionen einer erwünschten Zukunft von oben gebaut, betrachtet, analysiert und als Bild im Raum kognitiv und emotional wahrgenommen werden. Mit ihrem Ansatz „Lösungsbild bauen aus der Vogelperspektive“ nutzt sie so Figurenaufstellungen zur Konfliktlösung.

Auch Franziska Kunz arbeitet mit Teams gestaltend. In ihrem Beitrag „Magische Bilder und Metaphern“ schildert sie, wie das gemeinsame Schaffen eines größeren künstlerischen Bildes das Team in seiner Kooperationsfähigkeit und Konfliktlösefähigkeit stärkt.

Szenisch arbeitet auch Brigitta Hager, die in ihrem Ansatz „Das Wundernetzwerk“ das lösungsgeometrische Interview nach Insa Sparrer für die Anliegen von Einzelnen und Teams einsetzt. In einer Mischung aus Interview und Aufstellung erleben die jeweilige AuftraggeberIn und die RepräsentantInnen neue kognitive und emotionale Perspektiven auf das Anliegen.

Ljubljana Wüstehube schlägt in ihrem Beitrag „Lösungen würfeln“ eine Intervention vor, wie sie in ähnlicher Form bereits in strategischen Interventionen der Palo Alto-Schule eingesetzt wurde und sich ebenfalls in klassischen lösungsorientierten Techniken findet. Ausgangspunkt ihrer Interventionist die Beschreibung kleiner Verhaltenselemente, die bei einer erwünschten Zukunft von den jeweiligen Konfliktparteien gezeigt werden. In einem heimlichen Prozess würfeln die Konfliktparteien nun für sich Tage aus, an denen sie eine der erwünschten Verhaltensweisen zeigen, während die andere Konfliktpartei versucht die Tage zu erraten. Sind die Beteiligten neugierig, spielerisch und diszipliniert, wird dieser Ansatz sicher Gewinn bringen.

Peter Röhrig, einer der beiden HerausgeberInnen des Bandes, schickt seine Konfliktparteien in Paaren auf einen Spaziergang, in dem „Konstruktives Schimpfen“ stattfindet. Jeder Partner darf 5 Minuten lang in einem Monolog über all das schimpfen, was zurzeit nicht gefällt, während der andere Partner nur zuhört. Danach formulieren die Personen jeweils Wünsche und schildern, was sie vorrangig erreichen wollen. Diese Wünsche werden in der ganzen Gruppe verlesen. Diese Intervention bildet die Basis für weitere Anschlussübungen, in denen gemeinsam Wege zu Verbesserungen gesucht werden können.

Im dritten großen Kapitel des Buches „Mit Lösungsfokus an Konfliktthemen arbeiten“ stehen weniger die Ressourcen und Ziele, sondern die konkreten Konflikte im Mittelpunkt der Methoden. Hier sind sicher schwerpunktmäßig Erfahrungen und Methoden aus der Mediation gefragt.

So trägt passend der einleitende Beitrag von Martina Scheinecker den Titel „Der Lösungsdialog – Ein Mediationsgespräch lösungsfokussiert führen. In diesem Beitrag beschreibt die Herausgeberin, wie sie mit zwei Personen in einer Serie von mehreren etwa dreistündigen Sitzungen arbeitet und die Veränderungen nutzt, die sich in den 2-4-wöchigen Pausen zwischen den Sitzungen ergeben. Bei Konflikten zwischen mehreren Personen nutzt sie ganztägige oder mehrtägige Konflikt-workshops. Martina Scheineckers klares Modell besteht für beide Konfliktformate aus sieben Schritten der Gesprächsführung:

  1. Gibt es erste positive Veränderungen vor der Beratung, die die Selbstheilungskräfte der Beteiligten deutlich machen können?
  2. Kommunikation der individuellen erwünschten Zukunft
  3. Wo gibt es noch Verbindendes und Gemeinsames zwischen den Parteien?
  4. Welche Probleme sollen bearbeitet werden und welche können zurzeit ruhen?
  5. Problemlöse-Gespräch zu ersten Problembereichen und Vereinbarungen dazu
  6. Evaluation – Wie weit wurde das workshop-Ziel erreicht?
  7. Aufgaben zur Fortschrittsbeobachtung.

Die Beobachtungen aus den Aufgaben zu 7 bilden den Start für die zweite Sitzung/den zweiten Seminartag.

In ihrem zweiten Beitrag zu diesem Großkapitel beschreibt Martina Scheinecker mögliche „Auswege aus behindernden Mustern“, die Konflikte immer wieder schüren und hervorbringen. Dieses kleinere Format ist nützlich, wenn es Gegensätze und Unvereinbarkeiten in Wahrnehmungen, Deutungen und Gefühlen sowie unerfüllte Bedürfnisse gibt, die Konflikte aufrechterhalten und immer neu hervorbringen. Methodisch kombiniert Scheinecker in diesem kleinen Format Elemente der Lösungsfokussierung mit Elementen der Mediation nach Glasl und Ansätzen der gewaltfreien Kommunikation. Wie im vorherigen Beitrag schlägt Scheinecker ein orientierendes Schritte-Modell vor:

1. Sind beide Parteien bereit am Konflikt zu arbeiten, klären sie im ersten Schritt ihre besten Hoffnungen und Ziele, die vorhandenen gemeinsamen Ressourcen. 2. Mithilfe des aus den 70er Jahren stammenden Modells des Bewusstseinsrads wird 3. ein beispielhafter Konflikt aus verschiedenen Perspektiven betrachtet: Was habe ich wahrgenommen? Wie habe ich dies gedeutet? Was habe ich dabei gefühlt? Was war mein Wollen, waren meine Wünsche in dieser Situation? Die Bedürfnisse (hier folgt Scheinecker Marshall Rosenberg) drücken meist universelle menschliche Bedürfnisse wie die nach Akzeptanz, Wertschätzung. Respekt und Sicherheit aus. Im vierten Schritt werden Ideen für eine bessere Zukunft entwickelt, die in einem 5. Schritt in der Praxis erprobt werden und 6. in einem Folgemeeting evaluiert werden.

Julia Andersch und Oliver Martin beschreiben in ihrem Beitrag „Probleme dekonstruieren und Lösungen entdecken“, wie sie sechs Perspektiven eines Aufstellungsmodells von Varga von Kibed/​Sparrer in der Mediation nutzen und damit Perspektivwechsel initiieren, die festgefahrene Konflikte verflüssigen. In einem Interview werden folgende Perspektiven erhoben und auf einer Flipchart visualisiert:

  1. Konfliktpersonen/​Problemträger
  2. Positiv formuliertes Ziel der Konfliktlösung
  3. Hindernisse
  4. Ressourcen
  5. Beschreibung der Situation nach Erreichung des Ziels
  6. (versteckter) Gewinn der heutigen Konflikt-Situation.

Oliver Martin beschreibt in seinem Beitrag „Die Rührei-Methode“, wie unerwünschte Gesprächsdynamiken und Muster unter Nutzung hypnosystemischer Grundlagen und Ansätze utilisiert werden können. Ausgehend von automatisiert ablaufenden destruktiven Ritualen werden diese Rituale in ihrer Abfolge geschildert, auf Kärtchen festgehalten und dann als Leitfaden für eine genau umgekehrte oder zumindest durcheinander gewirbelte Handlungsfolge genutzt. Das Modell – so Martin – ist für die Arbeit mit Einzelnen wie mit zwei Personen geeignet.

  • In Schritt 1 werden die bisherigen Abläufe in so weit gewürdigt, als sie bestimmte Ziele und Fähigkeiten der Beteiligten ausdrücken.
  • In einem 2. Schritt wird die gewünschte Entwicklungsrichtung, das gewünschte Ergebnis formuliert und
  • in Schritt 3 das bisherige unerwünschte Muster in seinem Ablauf beschrieben.
  • In Schritt 4 wird in verschiedenen Varianten durchgespielt, wie dieser Ablauf durcheinander zu bringen ist. Verschiedene Modelle mit geänderten Reihenfolgen werden durchgespielt, um eine möglichst wirkungsvolle Musterunterbrechung zu erzielen.
  • In einem 5. Schritt wird dann ein neuer Ablauf festgelegt und verschiedene Hilfen und Unterstützungen etabliert, die sicherstellen sollen, dass der neue Ablauf auch zu leisten ist.

Heike Blum und Detlef Beck greifen ein unbeliebtes Konfliktthema mit ihren bewährten frischen Methoden auf: „Mobbing-Konflikte gut lösen – den Arbeitsfrieden wiederherstellen. Der Shared Responsibility Approach bezieht in 3 Schritten Konfliktbeteiligte und Nicht-Beteiligte in Lösungen eines Konflikts mit ein. Ihre Methode ist effektiv, wenn die Beteiligten an einem Mobbing-Prozess sich auf einer Hierarchie-Ebene befinden, also weniger geeignet für Konflikte zwischen verschiedenen Hierarchie-Ebenen. Der Shared-Responsibility-Approach verzichtet auf Schuldzuweisungen und die Aufarbeitung vergangener Konflikte, sondern fokussiert ganz auf erwünschte Entwicklungen. Idealerweise arbeitet der Ansatz mit einer Führungskraft, die den Prozess steuert und begleitet. Nach einem Eingangsgespräch mit der Person, die unter der Situation leidet und sie als Mobbing empfindet, wird eine Unterstützungsgruppe zusammengestellt, deren Aufgabe darin besteht, Ideen zu entwickeln, wie sich ihr Kollege/ihre Kollegin wieder wohl fühlen kann in der Arbeitsumgebung. Die Gruppe (bestehend aus gegnerischen, befreundeten und unbeteiligten KollegInnen) entwickelt verschiedene Vorschläge und Ansätze und probiert diese in den folgenden Tagen und Wochen aus. Nachgespräche mit dem/der Betroffenen und Monitoring der Unterstützungsgruppe erkunden die Fortschritte.

In ihrem Beitrag „In Konfliktsituationen kreative Lösungsschritte erkunden“ schildern Iris Hunziger und Matthias Varga von Kibed, wie mit Hilfe der bekannten Tetralemma-Aufstellung und -reflexion Entscheidungsprozesse in Konfliktsituationen kreativ aus festgefahrenen Polaritäten herausgeholt werden können.

Polaritäten bilden auch das Thema in Trude Kalchers Beitrag: „Probleme sind lösbar, Polaritäten nicht!“ In vielen Konflikten stehen sich scheinbar unvereinbare Polaritäten gegenüber. Beispiele wären: Kontrolle versus Vertrauen, langsam und genau versus schnell und oberflächlich, extrovertiert versus introvertiert, geizig versus verschwenderisch. Der scheinbaren Unvereinbarkeit dieser Pole gegenüber steht eine systemische Sicht auf den gegenseitigen Nutzen und die Funktion der Pole für ein gelingendes Ganzes. Ausgehend von Modellen wie dem Entwicklungsquadrat von Schulz von Thun wird in einem Workshop herausgearbeitet, welche Ziele existieren und wie die jeweiligen Pole zur Zielerreichung beitragen können.

Ursula Dehler schildert in ihrem Modell „Schatten der Vergangenheit verabschieden“ eindrucksvoll, wie mit Hilfe einer Time-Line alte Verletzungen und alter Groll zurückgelassen werden können und wie damit der Weg frei wird zu neuen hilfreichen Entwicklungen.

Bei Konflikten innerhalb von Teams arbeitet Bärbel Hess mit ihrer Methode „am Küchentisch“. Im Beitrag „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ schildert sie, wie Teams in relativ kurzen Sitzungen „am Küchentisch“, geleitet von den 3 W’s der gewaltfreien Kommunikation (Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch) angeleitet werden können, kleinere und größere Konflikte anzusprechen und dadurch zu verändern.

Einer speziellen Kränkung aus dem Arbeitsleben wenden sich Chris Aertsen und Anton Stellamans zu: Unter dem Titel „Vom Feedback zum Feedforward“ untersuchen sie: „Wie lässt sich verlorenes Vertrauen nach einem misslungenen Feedback wiederherstellen?“. Mit Hilfe lösungsfokussierter Interventionen im Team und in Einzelgesprächen demonstrieren sie, wie hier Vertrauen wieder gewonnen werden kann.

Mit einem beeindruckenden Beispiel aus der handwerklich-industriellen Arbeitswelt zeigt der Herausgeber Peter Röhrig in einem eigenen Beitrag „Fortschritts-Vorschläge“, wie Konflikte zwischen zwei verstrittenen Personen in eine förderliche Vereinbarung überführt werden können, die die Vorstellungen beider Seiten berücksichtigt und mit einbezieht. Es freut mich als Rezensentin besonders, dass Peter Röhrig hier ein von mir in den 90er Jahren entwickeltes Modell als Grundlage benutzt.

Christa Kolodej stellt in ihrem Beitrag „Wenn Schweres leicht wird“ eine szenische Aufstellungsmethode vor, die es Opfern von Mobbing erleichtert, auch nach Ausscheiden aus der bedrückenden oder eskalierten Arbeitssituation belastende Erinnerungen zu verarbeiten, zu verabschieden und den Aufbruch zu neuen und förderlicheren Lebenssituationen zu schaffen. Dies ist besonders hilfreich, weil z.B. nach einem Arbeitsplatzverlust die belastende Situation nicht mehr am Ort ihres Entstehens verändert werden kann.

Am Ende des großen Sammelbandes werden die einzelnen AutorInnen, die Geleitwortschreiber und Herausgeber und Herausgeberin vorgestellt. Ein Stichwortverzeichnis ermöglicht die rasche Orientierung im Sammelband.

Fazit

Wie schon bei „Solution-Tools“ haben auch hier der Herausgeber und Herausgeberin renommierte und durch ihre eigenen Veröffentlichungen ausgewiesene MitautorInnen für ihren Band gewinnen können. Durch klare Vorgaben und eine sorgfältige redaktionelle Bearbeitung ist es ihnen gelungen, die durchaus eigenständigen und eigenwilligen methodischen Ansätze des Bandes in eine für die Leserin als Ausbilderin wie als Trainerin anwendungsfreundliche und klare Form zu bringen.

Bei der Vielzahl der vorgestellten Methoden wird jede LeserIn profitieren, indem sie individuell für ihren Stil und passend zu ihrer Praxis und Klientel wertvolle Anregungen für anstehende Konflikte und Beratungen dazu findet. Die Leserin fühlt sich eingeladen, viel von dem Gelesenen in ihrem eigenen Arbeitsalltag auszuprobieren. Bei einigen Beiträgen vermute ich als erfahrene Trainerin, dass die Methoden zur Wirksamkeit eine große Grundbereitschaft der TeilnehmerInnen und/oder charismatische und ausstrahlungsreiche TeamerInnen voraussetzen. Andere Modelle sind eher zurückhaltend und leicht anzuwenden. So kann in diesem Sammelband jede LeserIn die passenden Instrumente finden, die ihren Arbeitsalltag bereichern.

Praxisbezogen und in klarer Sprache und Struktur verfasst, können von diesem Buch alle profitieren, die beraten, beraterisch ausbilden oder ausgebildet werden sowie Fach- und Führungskräfte, die sich mit Konflikten konfrontiert sehen und nach Methoden und/oder ExpertInnen suchen. Empfehlenswert ist das Buch auch für alle Bibliotheken an Instituten und Hochschulen mit Studienschwerpunkten Organisationsentwicklung, Human Resources und Beratung.

Rezension von
Prof. Dr. Lilo Schmitz
Hochschule Düsseldorf (Ruhestand) und ILBB - Institut für Beratung Brühl
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Es gibt 131 Rezensionen von Lilo Schmitz.

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ISSN 2190-9245