Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Annegret Reutter, Klaus Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.): Schulsozialarbeit - Bilanz und Perspektiven

Rezensiert von Oliver Schleck, 29.04.2020

Cover Annegret Reutter, Klaus Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.): Schulsozialarbeit - Bilanz und Perspektiven ISBN 978-3-932650-93-2

Annegret Reutter, Klaus Fröhlich-Gildhoff (Hrsg.): Schulsozialarbeit - Bilanz und Perspektiven. Tagungsband. FEL Verlag Forschung Entwicklung Lehre (Freiburg) 2019. 102 Seiten. ISBN 978-3-932650-93-2. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Entstehungshintergrund und Thema

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um die Tagungsdokumentation zur gleichnamigen Fachtagung, welche am 20.09.2018 an der Evangelischen Hochschule Freiburg stattgefunden hat. Organisiert wurde diese vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg in Kooperation mit der Stadt Freiburg. Trotz der bundesweit erheblichen Ausweitung von Schulsozialarbeit bemängeln die OrganisatorInnen der Tagung die fehlende Einheitlichkeit von „Arbeitsweisen, Arbeitsstrukturen, Rahmenbedingungen und Finanzierungsweisen“ (S. 5), sowie das Fehlen an Forschungsergebnissen, um das Handlungsfeld in seiner Tiefe und Breite empirisch nachvollziehen zu können. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Tagung das Ziel verfolgt, eine punktuelle Bilanzierung des Feldes zu erarbeiten, um weitergehende Reflexionen in Forschung und Praxis anzuregen.

HerausgeberInnen

Annegret Reutter, Soziale Arbeit M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Kinder- und Jugendforschung Freiburg

Klaus Fröhlich-Gildhoff, Prof. Dr., ist hauptamtlicher Dozent für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der EH Freiburg; Approbation als Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut; Co-Leiter des Zentrum für Kinder- und Jugendforschung Freiburg

Aufbau und Inhalt

Der Tagungsband wird durch ein bündiges Vorwort der HerausgeberInnen eingeleitet und entfaltet sich im Anschluss über acht ungefähr gleich lange Artikel.

Der erste Artikel von Karsten Speck und Thomas Olk, welcher den Titel „Wie wirkt Schulsozialarbeit? Ein Überblick über die Wirkungs- und Nutzerforschung“ trägt, ist die Zweitveröffentlichung eines im Jahr 2014 erschienenen Beitrags in der Zeitschrift Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit. Diverse Befunde aus der Wirkungs- und Nutzerforschung zur Schulsozialarbeit werden zusammengefasst, wobei zwischen adressatenbezogenen (SchülerInnen, Eltern, Lehrkräfte) und institutionenbezogenen (Schule, Jugendhilfe) Wirkungen unterschieden wird. Darauf aufbauend werden Wirkungszusammenhänge vorgestellt, die in diversen Forschungsprojekten herausgearbeitet worden sind. Eine zentrale Erkenntnis, so die Autoren, ist die, dass in Diskussionen um Wirkungen von Schulsozialarbeit nicht nur den Rahmenbedingen hohe Bedeutung beigemessen werden sollte, sondern dass gesondert und explizit auch konzeptionelle Ausrichtungen sowie die Qualität von Kooperationsbeziehungen in den Blick zu nehmen sind. Schließlich gehen Speck und Olk auf Grenzen von Schulsozialarbeit hinsichtlich Nutzung und Wirkung ein. Offen scheint, den Autoren zufolge, nicht mehr, „ob Schulsozialarbeit tatsächlich Wirkungen erbringt, sondern vielmehr, welche Ziele bzw. Wirkungserwartungen mit der Schulsozialarbeit verknüpft werden sollten“ (S. 13).

Im Beitrag „Schulsozialarbeit als Teil der Jugendhilfe: Das Freiburger Beispiel“ zeichnet Gudrun Kreft die knapp 20-jährige Entwicklung von Schulsozialarbeit in Freiburg nach. Dabei wirft sie Fragen auf (Wofür ist Schulsozialarbeit zuständig? In wessen Auftrag handelt Schulsozialarbeit?) und thematisiert problematische Aspekte (unzureichende rechtliche Grundlagen, uneinheitliche Definitionen usw.), welche nicht nur spezifisch die Stadt Freiburg betreffen, sondern für das Handlungsfeld im Allgemeinen relevant sind. Es wird argumentiert, dass Schulsozialarbeit nicht – wie anfangs üblich – nur auf der Grundlage von § 13 SGB VIII (Jugendsozialarbeit) agieren kann, da dessen „Zielgruppendefinition […] zu eng für alle Altersstufen und Schultypen“ (S. 21) sei. Eine „differenzierte Schulsozialarbeit“ (S. 23) gründet sich demnach auf § 1 SGB VIII in Verbindung mit § 11 SGB VIII (Jugendarbeit) sowie § 13 und hält prinzipiell ein Angebot für alle Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Schulen bereit, wie es in Freiburg seit 2018 der Fall ist.

„Qualitätsstandards der Schulsozialarbeit der Stadt Freiburg“ lautet der Titel des Beitrags von Christoph Lang, in dem er inhaltliche Aspekte, wie das Grundverständnis und eben Qualitätsstandards von Schulsozialarbeit in der Stadt Freiburg vorstellt und diskutiert. Diese seien, so betont er, als „verbindliche Handlungsgrundlage“ (S. 28) von allen beteiligten AkteurInnen anzuerkennen. Mit Bezug auf die von Gudrun Kreft dargelegten Entwicklungen – und hier insbesondere die der rechtlichen Grundlagen – sowie neuer Querschnittsthemen wie Partizipation und Inklusion, verweist der Autor jedoch darauf, dass die Standards weiterentwickelt werden müssen. Zusätzlich werden in dem Artikel organisationale und strukturale Aspekte der Schulsozialarbeit in Freiburg skizziert.

In einem weiteren Artikel, welcher sich spezifisch mit der Schulsozialarbeit in Freiburg auseinandersetzt, legen Annegret Reutter und Klaus Fröhlich-Gildhoff eine „Evaluation der Freiburger Schulsozialarbeit“ vor. Neben der Darstellung des dem Evaluationsbericht zugrunde gelegten Erkenntnisinteresses und der daraus abgeleiteten Fragestellungen wird das empirische Vorgehen dargelegt sowie zentrale Ergebnisse diskutiert. Die Befunde weisen zum einen darauf hin, dass die Schulsozialarbeit in Freiburg insgesamt von allen Befragten äußerst positiv wahrgenommen wird und dass Qualitätsvorgaben in der Praxis weitestgehend umgesetzt werden, weshalb die Autoren zu dem Schluss kommen, dass „das Freiburger Konzept zur Schulsozialarbeit als richtungsweisend anzusehen“ (S. 55) sei. Zum anderen lässt sich ableiten, dass passgenaue schulspezifische Angebote einer Bedarfserhebung bedürfen, an der alle beteiligten AkteurInnen einbezogen werden sollten und dass die daraus resultierenden Angebote im Idealfall gemeinsam realisiert und deren Umsetzung reflektiert werden.

In dem Beitrag „Schulsozialarbeit in Sachsen – Entwicklungsstand und Perspektiven im März 2019“ wagt Wolfgang Müller einen prognostischen Blick. Zunächst werden die Entwicklungen der im Jahr 2002 gegründeten Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit Sachsen, in der knapp 60 % aller in Sachsen tätigen Schulsozialarbeitenden vertreten sind, dargestellt. Das Landesprogramm ab 2017, in dessen Folge es in Sachsen zu einem erheblichen Ausbau der Angebote an Schulsozialarbeit gab und – nach Berechnungen des Autors – weiterhin geben wird, beleuchtet und diskutiert er kritisch. Die vom Autor vorgenommene Prognose mündet in der spannenden Frage, wie das Handlungsfeld in Sachsen trotz dieser (im Grundsatz) positiven Berechnung noch in der Lage sein kann, ein hochwertiges sozialpädagogisches Angebot bereitzustellen.

Erich Hollenstein legt in dem folgenden Artikel den Fokus auf die Darstellung und Diskussion von „Schulsozialarbeit in der Sekundarstufe I“ und arbeitet deren Besonderheiten heraus. Bei seinen Erörterungen nimmt er immer wieder Bezug auf die Konzeption der Schulsozialarbeit in Freiburg. Nachholbedarf erkennt er dort bei den Qualitätsstandards, welchen er zum einen bei der Thematik Inklusion und zum anderen in der Schaffung non-formaler Bildungsangebote verortet. Im Vergleich zur Primarstufe attestiert der Autor der Sekundarstufe I eine „Lernstoffzentrierung“ (S. 73), welche zu einer erhöhten sozialpädagogischen Unterstützung führt. Neben dieser schulbezogenen Argumentation bezieht Hollenstein sozialisationsbezogene Überlegungen (Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, erhöhte Zuwendung zur Peergroup etc.) in seine Argumentation ein, um die sozialpädagogischen Herausforderungen der Schulsozialarbeit in der Sekundarstufe I aufzuzeigen.

Der Beitrag „Zur ‚Trägerdebatte‘ in der Schulsozialarbeit: Was zeichnet die Anbindung an die Kinder- und Jugendhilfe aus?“ von Julia Schad-Heim kreist um die kontrovers diskutierte Frage, welche Trägerschaft (Zuständigkeit auf Seiten der Kinder- und Jugendhilfe oder auf Seiten der Schule) für die Schulsozialarbeit als Handlungsfeld und für die Schulsozialarbeitenden als agierende Fachkräfte am geeignetsten erscheint. Die klare Positionierung, dass die Zuständigkeit bei der Kinder- und Jugendhilfe verortet werden muss, zieht sich durch den gesamten Beitrag, wobei sich die Autorin vor allem auf die Argumente eines Positionspapiers katholischer Träger aus dem Jahr 2015 stützt.

Der letzte Beitrag stammt von Mirjana Zipperle und Michaela Wurzel und trägt den Titel „‚… über den Tellerrand schauen …‘ Sozialraumorientierung in der Schulsozialarbeit“. Die Autorinnen stellen die Ausgangsüberlegungen sowie ausgewählte Ergebnisse des Forschungsprojekts „Schulsozialarbeit in Baden-Württemberg – sozialraumorientierte Konzepte und ihre Wirkung“ vor und legen den Fokus auf Fragen der fachlichen Ausrichtung von Schulsozialarbeit. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass Sozialraumorientierung eine fachliche Hintergrundfolie bildet, „durch welche die Handlungsspielräume der Fachkräfte in allen Kernleistungsbereichen erweitert und das Potenzial von Schulsozialarbeit erheblich erhöht wird“ (S. 95). Eine reflexiv-sozialräumliche Haltung als Bezugspunkt der Schulsozialarbeit „eröffnet […] einen Weitblick auf den außerschulischen Raum“ sowie „eine notwendige fachliche Ergänzung der innerschulischen Fokussierung“ (S. 97) und ermöglicht folglich den Blick ‚über den Tellerrand‘.

Diskussion

Der vorliegende Titel führt sehr unterschiedliche Beiträge und Zugänge zum Themenkomplex Schulsozialarbeit zusammen, diverse Diskurslinien rund um das Handlungsfeld werden beleuchtet und reflektiert. Die Beiträge vereint die Idee, dass Schulsozialarbeit eine Scharnierfunktion zukommt, welche zwischen Schule, Lebenswelten und außerschulischen (Bildungs-) orten vermittelnd tätig wird. In vielen Artikeln wird argumentativ fundiert vorgetragen, dass das Handlungsfeld eindeutig ein sozialpädagogisches Angebot darstellt und als solches in Trägerschaft der Kinder- und Jugendhilfe umgesetzt werden sollte. Die Beiträge, die spezifisch auf die Schulsozialarbeit in Freiburg eingehen, können ein nachvollziehbares Bild der dortigen Handlungsgrundlagen, Organisation und Strukturen zeichnen, wobei stets versucht wird, diese auch in einen bundesweiten Kontext einzuordnen. Positiv ist ebenfalls der in einigen Beiträgen vorgenommene Rückbezug auf die Diskussionen im Rahmen des Fachtages. Es wird deutlich, dass viele Facetten des Gegenstandsbereichs Schulsozialarbeit fortlaufend reflexiv betrachtet und erörtert werden müssen. Der Titel „Schulsozialarbeit. Bilanz und Perspektiven“ ist aufgrund der zahlreichen eher standortbezogenen Darstellungen und Überlegungen jedoch etwas irreführend.

Fazit

Die in diesem Tagungsband versammelten Beiträge, die zum Teil explizit aufeinander Bezug nehmen, bieten überblicksartige Darstellungen und Diskussionen vieler wichtiger Facetten des Handlungsfeldes Schulsozialarbeit und eröffnen dadurch gleichwohl neue Perspektiven. Auch wenn einige Ausführungen (hier vor allem die Beiträge von Gudrun Kreft und Christoph Lang) literaturbasiert stärker untermauert hätten werden können, sind die Beiträge in ihrer Gesamtheit argumentativ stringent und lesenswert. Sie sind zum Teil praxisanregend, zum Teil eignen sie sich hervorragend zu anschließenden theoretischen oder empirischen Auseinandersetzungen, da sie sich entweder Ausgangsüberlegungen zu bestimmten Aspekten theoretisch annähern (u.a. der Beitrag von Erich Hollenstein) oder Forschungsbefunde systematisch zusammenfassen und Desiderata benennen (u.a. der Artikel von Karsten Speck und Thomas Olk). Alles in allem wird demnach das Ziel der HerausgeberInnen, „dass die Beiträge sowohl Praxis als Forschung in diesem Feld weiter inspirieren und neue Anregungen geben können“ (S. 5) erreicht.

Rezension von
Oliver Schleck
wissenschaftl. Mitarbeiter am Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit (ISEP) an der TU Dortmund
Mailformular

Es gibt 2 Rezensionen von Oliver Schleck.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245