Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Andrea Kobialka, Juana Leis (Hrsg.): Unternehmens- und Führungskultur

Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Hoburg, 14.09.2020

Cover Andrea Kobialka, Juana Leis (Hrsg.): Unternehmens- und Führungskultur ISBN 978-3-7841-3172-6

Andrea Kobialka, Juana Leis (Hrsg.): Unternehmens- und Führungskultur! Entwickeln. Stärken. Erleben. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2019. 108 Seiten. ISBN 978-3-7841-3172-6. D: 21,00 EUR, A: 21,60 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Entstehungshintergrund und Thema

In ähnlicher Weise wie Unternehmen der Privatwirtschaft unterliegen auch Unternehmen der Sozialwirtschaft nicht erst seit gestern, sondern seit den 90er Jahren einem Strukturwandel, der sowohl die Organisation an sich als auch Leitungs- und Führungsstrukturen innerhalb der Organisation betrifft.

Der Hintergrund der vorliegenden Publikation, in der zum Thema „Kulturwandel“ diverse Beiträge und Praxisreflexionen zusammengeführt werden, ist ein Projekt der Erzdiösese Freiburg, das von 2016 bis 2019 unter dem Projektlabel „rückenwind+“ durchgeführt und wissenschaftlich reflektiert wurde. Letztendlich stellt das Buch in gewisser Form eine Projektdokumentation vor, wobei auch wiederum klassische Elemente einer Projektdokumentation wie etwa ein Projektexposé oder eine detaillierte Beschreibung des Projektes bzw. auch Evaluationsergebnisse fehlen.

Insofern bietet der Band im ersten Kapitel neben zehn durchaus kürzeren Beiträgen zur grundsätzlichen Relevanz von Unternehmens- und Führungskultur im Wandel (S. 19–82) dann im zweiten Kapitel vier Praxisberichte aus der Wirtschaft (S. 83–101) und im dritten Kapitel werden dann Praxisreflexionen sowie kurze Projektberichte aus dem Projekt „rückenwind“ ergänzt (S. 102–181). Der Sammelband stellt als solcher keine strenge wissenschaftliche Abhandlung zum Feld der Organisationsentwicklung bzw. Organisationskultur dar, sondern vermittelt leicht verständlich an der Grenze zwischen Theorie und Praxis neuere Überlegungen zur Bedeutung von Organisationskultur. Dabei spielt der Wandel der Arbeitswelt ebenso eine Rolle wie die Veränderung im Verständnis von Führungskultur und Leadership.

Herausgeberinnen

Joana Leis ist Referentin für Personalpolitik und Mitarbeiterin im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg und Projektleitung des Projektes „rückenwind+“; Andrea Kobielka ist ebenfalls Referentin für Personalpolitik und Mitarbeiterin im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg und Projektleitung des Projektes „rückenwind+“; Michaela Keller ist Projektassistentin des Projektes „Unternehmens- und Fürhrungskultur“ beim Caritasverband der Erzdiözese Freiburg.

Aufbau und Inhalt

Der thematische rote Faden und damit zugleich der Ausgangspunkt, den Klaus Doppler in seinem Beitrag benennt und der sich dann durch den Band als gewisser Cantus Firmus hindurch zieht, ist ein soziologischer, nämlich die Beschreibung der modernen Arbeitswelt als „‘Vuca‘ Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität (Mehrdeutigkeit)“ (S. 19). In diesem Rahmen – so die Analyse des Buches an verschiedenen Stellen – bewegen sich Organisationen und Menschen. Von diesem Rahmen ausgehend gilt es für Organisationen, Erfolgsfaktoren für den eigenen Gestaltwandel – d.h. die Organisationskultur – wie auch Führungsgrundsätze zu entwickeln. Diesem Gedanken ordnen sich die unterschiedlichen Beiträge unter.

In Kapitel 1 („Unternehmens- und Führungskultur im Wandel“) entwickeln die Autorinnen und Autoren das Bild einer sich verändernden Arbeits- und Mitarbeiterkultur. (vor allem Doppler, S. 19–26; Kaiser, S. 75–82) Jeder Beitrag enthält am Ende eine Kurzliste weiterführender Literatur. Das kommt dem Lesenden zu Gute, da die Beiträge selbst auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichten. Das Thema wird ganz von der Perspektive der sich verändernden Anforderungen an die Mitarbeiterschaft her reflektiert. Drei Stichworte sind es, von denen die Diskussion innerhalb des Kapitels ausgeht:

  1. Ambiguität bzw. Ambiguitätstoleranz der Mitarbeitenden,
  2. Agilität und
  3. Kommunikation.

Hinter diesen Begriffen verbirgt sich nach Auffassung der Autorinnen und Autoren die aufgrund äußerer Veränderungen notwendige Fähigkeit der Mitarbeitenden Flexibilisierung zu bewerkstelligen. Sinnstiftung (Reinhard, S. 37) durch Arbeit und Organisation und die Berücksichtigung von Grundbedürfnissen (Doppler, S. 24) müssen in Organisationen zusammenkommen. Bindeglieder hierfür können Kommunikation und Führungskultur darstellen. Nach Strauch (S. 60–65) ist das Schlüsselwort hierfür „Positive Leadership“, deren inhaltliche Konkretion dann von Röckelein als „innere Haltung“ beschrieben wird (S. 70–74). Das Einnehmen von Führungsrollen bildet danach ein entscheidendes Bindeglied zwischen dem Menschen und der Organisation, um auf die Anforderungen von Transformation zu reagieren. Der Ansatz der „transformationalen Führung“ (Röckelein, S. 72) entspricht dem Modell eines demokratischen Unternehmens (Werther, S. 48). Die konzentrische Mitte, die Transformation und Leadership zusammenführt, ist die „Agilität“. Sie wird von den Außenfaktoren wie Digitalisierung, demographischer Wandel und Veränderung der Arbeitswelt in das Unternehmen hineingetragen und gestaltet Organisationen nach Werther (S. 45) offener, flexibler und mit netzwerkartigen Strukturen. „Agilität“ ist die Antwort auf den grundsätzlichen Kulturwandel in Organisationen. Diese „Agilität“ wird dann von Schmitz (S. 52–59) mit Kriterien für das Handeln von Mitarbeitenden versehen.

Im wesentlich kürzeren Kapitel 2 gewähren Praxisberichte aus der Wirtschaft Einblicke in die gelebte Unternehmenskultur. Der Beitrag von Yvonne Heizmann (S. 83–87) stellt den baulichen Umbau von Arbeitsplätzen unter dem Stichwort von „Work Wellness“ im Unternehmen als Zusammenspiel von Kultur – Organisation – Gesundheit – Raum dar. Björn Appelmann und Jennifer Siegmund stellen das „agile“ Arbeiten in der Stadtverwaltung dar (S. 92–96) und Jan-Christian Jessen beschreibt in seinem Beitrag, dass Arbeiten mit einer bewusst reduzierten Kultur von Meetings besser klappen kann.

Praxiserfahrungen aus dem Projekt „rückenwind+“ im Kapitel 3 runden dann den Sammelband ab. Eingeführt wird dieser Teil mit der Benennung der Verbindung zu einem Wissenschaftsprojekt der Universität Freiburg unter dem Stichwort „Führung in wertebasierten Organisationen“ (S. 102) Auch in Kapitel 3 wird das Thema der Personalführung aufgenommen. Das Stichwort der Kommission „Mitarbeit in der Caritas“ lautet hierzu: „Personalführung wandelt sich hin zu einem sinnstiftenden Führungsstil“ (S. 114) Methoden der Mitarbeiterbefragung, der Zukunftswerkstatt und der curriculare Ansatz für ein „Führungskräfteentwicklungsprogramm“ (S. 120) werden vorgestellt.

Insgesamt entwickelt das Kapitel 3 das Bild einer lebendigen und vielfältigen Projektszenerie, die von der offenbar zentralen Projektplattform „rückenwind+“ ausgeht. Das Stichwort dieses Kapitels ist dem Sinn nach „Aufbruch“, was durchaus dem Untertitel des Buches entspricht: „Entwickeln – Stärken – Erleben“.

Diskussion

Der vorgelegte Band zum Titel: „Unternehmens- und Führungskultur!“ enthält neben wenigen Grundsatzbeiträgen in Kapitel 1 sehr verschiedenartige reflektierende und praxisorientierte Beiträge mit zum Ende hin praktischen Bezügen zum Projekt „rückenwind+“. Die Zuordnung der einzelnen Beiträge in Kapitel 1 und Kapitel 3 wird nicht ganz klar. Hier wäre es gut gewesen, wenn sich die Praxisreflexionen grundsätzlich auf die Grundsatzbeiträge bezogen hätten, sodass ein klarerer Theorie-Praxis-Diskurs erkennbar geworden wäre. Die neue Perspektive auf die Veränderungen von Organisations- und Führungskultur wäre damit geschärft worden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist aus der Sicht des Lesenden eine unklar bleibende Einordnung des Sammelbandes. Dies beginnt bereits bei der in Form eines Interviews gehaltenen Einleitung, in der das Projekt „rückenwind+“ benannt wird. Der Lesende erwartet nun eine konkrete Projektvorstellung, was „rückenwind+“ konkret ist und – scheinbar ist oder war es das auch – als Caritas übergreifende „Dachkampagne“ angelegt ist. So muss ich als Rezensent erst das Internet bemühen, um herauszufinden, dass es sich hier um ein ESF-Programm handelt, das 2015 als „Förderprogramm zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in sozialen Berufsfeldern“ gestartet wurde. (www.bagfw-esf.de/ueber-rueckenwind) und bei dem bis 2020 insgesamt 53,5 Millionen Euro zur Erprobung innovativer Ideen und Konzepte zur Verfügung standen.

Für die Verwendung des Buches etwa in Unternehmenskontexten oder im Rahmen von Hochschulseminaren wäre die Information des Backgrounds wichtig gewesen. Aus meiner Sicht hätte der Band als Erfahrungs- Projektdokumentation eines so gewichtigen ESF-Projektes deutlich mehr wissenschaftlich profiliert sein können. Das würde die Weiterverwendung des Bandes erheblich steigern.

Fazit

Der vorliegende Band stellt einen Beitrag zum Sozialmanagement dar, der die Praxis einer sich verändernden Organisationskultur in einer Momentaufnahme und aus der Perspektive des konfessionellen Wohlfahrtsverbandes der Caritas auf regionaler Ebene reflektiert. Er liefert primär Praxiswissen und stellt dieses in einen theoretischen Rahmen. Für mich regt der Sammelband vor allem zur theoretischen Erörterung einiger Stichwörter an. So erinnert mich die Reflexion über Agilität an die Diskussion flexibler Arbeitsplatzgestaltung und die Einführung sog. Großraumbüros vor gut 30 Jahren als hochgelobtem neuen Arbeitsstil. Nicht alles, was „hip“ ist, muss auch nachhaltig und für die Mitarbeitenden gut sein. Wie die ganz aktuelle Diskussion um „Home-Office“ zeigt, hat jede Veränderung der Arbeitsform zwei Seiten. Bleibt am Ende die Frage: Was machen die Unternehmen, wenn die Mitarbeitenden diese Agilität nicht leisten, die gefördert ist? Und auch die Unternehmen selbst bei der Agilität hinterherhinken? Vielleicht ließe sich an diesen Punkten kritisch weiterdenken?

Rezension von
Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover, Lehrgebiet Sozialwirtschaft und Theorie des Sozialstaats
Website
Mailformular

Es gibt 14 Rezensionen von Ralf Hoburg.

Zitiervorschlag anzeigen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245