Manfred Liebel: Kindheit und Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt, 25.03.2020

Manfred Liebel: Kindheit und Arbeit. Wege zum besseren Verständnis arbeitender Kinder. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2020. 384 Seiten. ISBN 978-3-8474-2377-5. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Manfred Liebel möchte in seiner Monographie „eingeschliffene Reflexe und Urteile über die Arbeit von Kindern und vermeintliche Gewissheiten“ (S. 17) hinterfragen und dabei “den Blick schärfen für die Vielfalt der Formen und Bedeutungen, die Arbeit auch für Kinder hat und haben kann“ (S. 17). Wichtig ist dem Autor dabei herauszuarbeiten, dass die Kinder mit ihrer Arbeit für ihre Familien und für die Gesellschaft wichtige Beiträge erbringen, „deren Anerkennung bis heute weitgehend aussteht“ (S. 17).
Autor
Manfred Liebel ist bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Soziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Technischen Universität Berlin gewesen. Gegenwärtig ist er Schirmherr des Masterstudienganges „Childhood Studies and Children`s Rights“ an der Fachhochschule Potsdam.
Zusammen mit Hellmut Lessing verfasste Liebel neben vielen weiteren Arbeiten das viel beachtete Buch „Jugend in der Klassengesellschaft“ (1986). Seit mehr als 30 Jahren setzt sich der Autor mit der Arbeit von Kindern in Ländern des globalen Südens auseinander, indem er ihre Arbeit als Teil eines Weges zur Selbstbestimmung versteht. Globaler Süden und globaler Norden versteht Liebel in erster Linie geopolitisch als Spaltung und Ungleichheit zwischen verschiedenen Weltregionen.
Entstehungshintergrund
Dem vorliegenden Band liegt ein vor 20 Jahren im IKO-Verlag erschienenes Buch, das seit Langem vergriffen ist, mit gleichem Haupttitel zugrunde. In der Neuerscheinung informiert Liebel darüber, welcher Erkenntnisgewinn in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten theoretisch und praktisch, wissenschaftlich und politisch hinzugekommen ist. Primärer Hintergrund zur Auseinandersetzung mit dem Thema Kindheit und Arbeit sind einschneidende Erlebnisse mit Kindern in Managua (Nicaragua) während des Bürgerkrieges gewesen. Hier lernte der Autor Kinder kennen, die auf Märkten und auf Straßen für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu sorgen hatten. Manfred Liebel stellte sich die Frage, woher die Kinder die Kraft nahmen, mit den Lebensbedingungen zurechtzukommen und für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Auf diesem Wege entstand das Interesse, sich intensiver mit den Tätigkeiten der Kinder und deren Hintergründe zu befassen.
Aufbau
Der Band besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil mit dem Titel „Annäherungen“ entwickelt Liebel seine Sicht von arbeitenden Kindern als Subjekte, die Sicht der Sozialforschung von arbeitenden Kindern als Subjekte und die wirtschaftliche Ausbeutung von Kindern.
Im zweiten und dritten Teil geht es um arbeitende Kinder des globalen Südens und des globalen Nordens. Im Zentrum des zweiten Teils stehen Forschungen zur Arbeit der Kinder in Lateinamerika und im letzten Abschnitt dieses Teils die kritische Auseinandersetzung mit der internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Im dritten Teil stehen arbeitende Kinder in Europa im Zentrum der Erörterung und im Besonderen empirische sowie theoretische Befunde zu arbeitenden Kindern in Deutschland.
Der vierte Teil behandelt Wege zu selbstbestimmter und kooperativer Arbeit von Kindern. Nochmals geht es in kritischer Auseinandersetzung um die ILO. Der Abschnitt erhält den Teiltitel „Ein Lehrstück über erzwungenes Schweigen“. Nachfolgend nimmt der Autor in den Blick, wie sich arbeitende Kinder gegen ihre Ausbeutung wehren und ihre Arbeit selbst bestimmen wollen. Dazu wird eine Vielzahl von Beispielen herangezogen. In einem weiteren Abschnitt wird beispielbezogen allgemein die Bedeutung und werden Probleme pädagogisch konzipierter Arbeitsprojekte thematisiert. Der abschließende Abschnitt liefert Ausblicke auf eine subjektorientierte Theorie des arbeitenden Kindes und knüpft so an den ersten Teil zu arbeitenden Kindern als Subjekte an.
Inhalt
Stimmen arbeitender Kinder stehen am Beginn des ersten Teils. Sie sind gewissermaßen Programm einer im Blick des Autors würdevollen Arbeit. So heißt es: „Wir wollen arbeiten, aber wir wollen menschenwürdige, respektierte Arbeit“ (S. 17). Liebel hebt hervor (S. 20), dass die Arbeit von Kindern in Deutschland und anderen europäischen Ländern oder in Nordamerika große Unterschiede aufweist im Vergleich zur Arbeit von Kindern aus Ländern des globalen Südens. Diese Gegenüberstellung wird in den nachfolgenden Teilen, insbesondere auch an Beispielen, immer wieder herausgearbeitet. In Bezug auf Arbeit von Kindern in Ländern des globalen Nordens wird „die Arbeit von Kindern als ein Phänomen aus einer fernen Vergangenheit oder fernen Welten verstanden“ (S. 21), die überdies verknüpft ist mit einer moralischen Tonlage. Dabei gerate aus dem Blick, so der Autor, dass Formen von Arbeit, die die Würde der Kinder am meisten verletze, und oft ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzten, von der kapitalistischen Globalisierung hervorgebracht worden seien. Vor allem könnten die Vorstellungen zur Kinderarbeit des globalen Nordens nicht auf andere Gesellschaften und Kulturen übertragen werden (S. 22).
Manfred Liebel geht in seinen Überlegungen zu arbeitenden Kindern im sozialen wie auch ökonomischen Sinn von einem subjektorientierten Ansatz aus. Kinder als Subjekte zu begreifen heißt, ihre spezifischen Interessen und Bedürfnisse so zu unterstützen, dass sie über ihre Angelegenheiten selber entscheiden können. Gemeint ist ferner mit einem subjektorientierten Zugang, die Arbeit der Kinder aus ihrer Perspektive zu begreifen. Dies kann bedeuten, dass Kinder ihre Arbeit ganz anders deuten als Erwachsene. Zu sensibilisieren seien allerdings Kinder in Bezug auf „subtile Mechanismen der Instrumentalisierung“ (S. 29).
In den nachfolgenden beiden Kapiteln des ersten Teils erörtert der Autor theoretische und konzeptionelle Fragen zur Forschung über arbeitende Kinder: im zweiten Kapitel vorzugsweise grundlegende internationale Bestandsaufnahmen einbeziehende Überlegungen (u.a. von ILO und NGOs). Dabei werden Überlegungen zu einer unabhängigen Forschung zur Arbeit von Kindern angestellt. Sie reichen bis zu Auseinandersetzungen mit Grundbegriffen (S. 42 f.). Im dritten Kapitel werden Erklärungsansätze zur wirtschaftlichen Ausbeutung von Kindern vorgestellt. Es werden Fragen formuliert wie: Worin besteht die wirtschaftliche Ausbeutung von Kindern? Welche Auswirkungen hat sie auf die Kinder? Und wie ist ihr am besten zu begegnen? Eingangs werden die wichtigsten typologischen Ansätze zur wirtschaftlichen Ausbeutung von Kindern kritisch diskutiert. Es folgen Erklärungsansätze zur wirtschaftlichen Ausbeutung und zu ihrer Bedeutung für die Kinder. Dabei geht es wieder um die ILO-Systematik (S. 53 f.) und ihre Differenzbestimmung von labour und work. In weiteren Unterabschnitten folgen Reflexionen zur Moralisierung des Ausbeutungsdiskurses (Stichwort „unternehmerisches Selbst“ entwickeln), zur Ausbeutung jenseits der Arbeitssphäre (Stichwort „Ökonomisierung des Denkens“) und schließlich zur Ausbeutung von Kindern als Strukturphänomen kapitalistischer Gesellschaften. Am Ende des Teils 1 erfolgen Einschätzungen zu den beiden Fragen, was es für Kinder bedeutet, zum Objekt gesellschaftlicher Strukturen und des Handelns Erwachsener zu werden und wie einem solchen Vorgang der Ausbeutung begegnet werden kann. Die Überlegungen Liebels laufen in Bezug auf die Kinder des globalen Südens darauf hinaus, sie durch dialogische Beziehungen zu stärken und darin zu unterstützen, sich in eigenen Organisationen zusammenzuschließen (S. 76 f.).
Teil 2 des Buches setzt sich mit dem Thema der arbeitenden Kinder des globalen Südens auseinander. In seinen Analysen stützt sich Manfred Liebel auf ethnologische und anthropologische Studien. Ausgangspunkt der Überlegungen ist wiederum die konträre Position westlicher Muster, getragen z.B. von Organisationen wie ILO und UNICEF, die auf eine weltweite Eliminierung der Arbeit von Kindern abzielt. In diesen Organisationen werden die westlichen Gesellschaften als Maßstab genommen, ohne hinlänglich zu prüfen, ob dieser in Bezug auf Regionen des globalen Südens passend ist. Der Autor stellt heraus, dass die Arbeit von Kindern hier mit sozialer Anerkennung, mit Eigenständigkeit, Partizipation und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder verbunden sein kann (S. 82).
Der zweite Teil des Buches konzentriert sich auf Zusammenhänge von Altersordnungen und wirtschaftlichen Verantwortungen, Arbeitsaufgaben und Anerkennung der Arbeit von Kindern, das Lernen bei der Arbeit, ihre Widersprüche zu schulischem Lernen, das Verhältnis von Arbeit und Spiel (S. 83) sowie die Eigentumsübertragung und die Rechte der Kinder. Die verschiedenen thematischen Facetten werden an einer Vielzahl von Beispielen sichtbar gemacht. Liebel hebt hervor, dass auch in nicht-westlichen Gesellschaften das Verhältnis von Arbeit und Kindheit widersprüchlich sein kann. Zwar würde die Übernahme von Arbeitsaufgaben für die Kinder oftmals Anerkennung und mehr Rechte bringen, aber nicht selten seien Kinder von Arbeit so in Anspruch genommen, dass sie kaum Zeit für sich und spielerische Aktivitäten fänden (S. 114). Am Ende des ersten Abschnittes des zweiten Teils werden des Weiteren methodologische und theoretische Fragen ethnologischer und anthropologischer Forschung zu Kindern angesprochen.
Die einzelnen Abschnitte werden von einer Vielzahl konkreter Beispiele begleitet (etwa zu arbeitenden Kindern in Montevideo und La Paz sowie El Alto). Dies trifft auch auf den zweiten Abschnitt des zweiten Teils zu, in dem es um den Eigensinn arbeitender Kinder geht. Eingewoben sind jeweils theoretische Reflexionen, hier subjektorientierte und partizipative Forschungen zur Arbeit der Kinder in Lateinamerika. Spannend ist vor allem die Frage der Einbeziehung von Kindern in Forschungen und die mit ihr dabei auftretenden ethischen Herausforderungen. Was wird in Studien dabei unter „Kinder als Subjekte“ (S. 143) verstanden? Partizipation der Kinder wird oftmals aus der Perspektive der Erwachsenen gesehen. Dem stehen Studien gegenüber, die verschiedene Aspekte arbeitender Kinder aus ihrer eigenen Sicht erkunden, welche Bedeutung die Arbeit im Leben der Kinder hat und wie die Kinder ihre Arbeit beurteilen. Liebel stellt resümierend fest, dass Kinder „über ausgeprägte Fähigkeiten verfügen, mit ihrer Situation reflektierend und handelnd umzugehen“ (S. 152) und dass die arbeitenden Kinder in Lateinamerika „seit Jahrzehnten alles andere als eine passive Verfügungsmasse von Politiken und Aktionsprogrammen „gegen die Kinderarbeit“ darstellen“ (S. 157). Eine große Unbekannte seien jedoch weiterhin arbeitende Kinder in ländlichen Regionen. Ebenso sollte dem Verhältnis von Arbeit und Bildung im Leben der Kinder mehr Aufmerksamkeit zukommen.
Der dritte Abschnitt des zweiten Teils setzt sich wiederholt mit dem Verständnis der ILO von indigener Kinderarbeit auseinander. Kritisch hebt Liebel hervor, dass bei aller Reflexion über die ökonomisch-politischen Ursachen des Leidens der Kinder die ILO nicht nach Lösungen zur strukturellen Verbesserung der Lebenslage arbeitender Kinder sucht.
Der dritte Teil thematisiert „Arbeitende Kinder in Europa – Verlust oder neue Perspektiven der Kindheit?“, und zwar eingangs das Ausmaß und die Bereiche der Kinderarbeit. Zumeist beziehen sich diese auf Erwerbsarbeit. Ferner gibt es Gründe und Motive, Vor- und Nachteile sowie Formen und Bedingungen der Arbeit der Kinder. Zumeist handelt es sich, bezogen auf Letzteres, um Teilzeitarbeit (S. 175). Insgesamt variieren jedoch Formen und Bedingungen nach den jeweiligen Regionen. Nicht selten geht es bei der Arbeit darum, sich die erstrebenswerten Statussymbole zu verschaffen. Auch in diesem dritten Teil zieht der Autor vielfältige Studien aus unterschiedlichen Ländern Europas vor allem heran, um z.B. Arbeitsmotive zu erforschen. Einen breiteren Raum nimmt die Frage von Kinderarbeit mit Blick auf Perspektiven von Kindheit ein (S. 190–194). Dabei reflektiert Manfred Liebel das Verbot von Kinderarbeit im Lichte des „Sozialstatus Kind“. In einer sich verstärkenden Ausbreitung der Arbeit von Kindern entdeckt der Autor, „dass die in den kapitalistischen Industriegesellschaften nach und nach erfolgte Trennung von Arbeit und Schule, Lernen und Arbeiten, Kindsein und Erwachsenensein wieder in Frage steht“ (S. 191). Ein gesonderter Abschnitt widmet sich auf der Grundlage empirischer Befunde und theoretischer Konzepte dem Thema der arbeitenden Kinder in Deutschland. Dabei ist u.a. zwischen Kinderarbeit als einer der Lebenserhaltung dienenden Erwerbsarbeit, als Schularbeit und auch als Mixtur von sozialen und kulturellen Tätigkeiten zu unterscheiden. Ein gesondertes Kapitel nehmen „verborgene Aspekte der Arbeit von Kindern in wohlhabenden Gesellschaften“ ein (S. 224–241). Dazu sind zu rechnen Kinder in den Medien als elitäre Form von Kinderarbeit, aber auch Schule, Hausarbeit und Ehrenamtlichkeit als Felder von Kinderarbeit. Resümierend heißt es im letzten Abschnitt des dritten Teils, während im deutschsprachigen Raum die kritische Analyse des ideologischen Umgangs mit den neuen ökonomischen Rollen der Kinder noch kaum begonnen habe, gebe es in den US-amerikanischen Diskussionen weiterführende Beiträge (S. 246), dass nämlich der erwachsenenzentrierte Blick auf Arbeit der Kinder zu einer verzerrten Wahrnehmung und Unterschätzung der Vielfalt der Arbeitstätigkeiten von Kindern geführt hat.
Der vierte Teil, der Wege zu selbstbestimmter und kooperativer Arbeit von Kindern erörtert, wendet sich erneut der ILO mit ihrem Blick auf die Bewegungen arbeitender Kinder zu. Dabei werden verschiedene Konferenzen analysiert und betont, dass Kinder und Jugendliche nicht selbst zu Wort kommen bzw. wenn sich Kinder an Diskussionen beteiligen, würde der Sprechrahmen vorgegeben. Liebel gelangt zu dem Ergebnis (S. 266), dass die ILO jegliche Legitimation verloren habe, im besten Interesse der Kinder zu handeln. Vielmehr stelle sich sogar die Frage, ob die ILO als UN-Organisation ihre Pflicht verletze, die Menschenrechte von Kindern in einem umfassenden Sinn zum Maßstab ihres Handelns zu machen.
Im zweiten Abschnitt des vierten Teils wird das Handeln arbeitender Kinder rekonstruiert, indem sich der Beitrag zuerst auf die Aktionsgeschichte arbeitender Kinder in den kapitalistischen Industriestaaten des Nordens bezieht. In einem zweiten Schritt wird ein Eindruck davon vermittelt, „wie sich arbeitende Kinder in den heutigen Gesellschaften des globalen Südens mit ihrer Arbeits- und Lebenssituation auseinander setzen“ (S. 267). Danach wird gefragt, ob und wie arbeitende Kinder des Nordens und Südens selbstbestimmte Interessen und Vorstellungen von Arbeitsformen entwickeln. Auch in diesen Kapiteln schaffen vielfältige Beispiele konkrete Anschaulichkeit. Wie bereits mehrfach herausgestellt, entstehen Eigeninitiativen für selbstbestimmte Arbeitsformen zumeist aus armutsbedingten Notwendigkeiten. Nicht selten sind sie getragen durch die Idee solidarischer Ökonomie. Hingegen entstehen Arbeitsformen bei Kindern des globalen Nordens oftmals aus dem Wunsch, dem ihnen zugedachten Kindheitsghetto zu entgehen. Bei allem Engagement sind Projekte arbeitender Kinder nicht widerspruchsfrei, da sie insbesondere im globalen Süden in der Gefahr stehen, als billige Lösungen instrumentalisiert zu werden. Solidarökonomische Initiativen von Kindern müssen deshalb auf die Infrastrukturen von NGOs, schulischen und außerschulischen Kontexten (insbesondere im Hinblick auf Bildung) sowie von kirchlichen Organisationen zurückgreifen.
Im dritten Abschnitt des vierten Teils werden Arbeitsinitiativen des globalen Nordens wie Südens in Bezug auf ihr Entstehen diskutiert und wie die Arbeitsbedingungen für Kinder verbessert werden können. Dabei werden ausführlich Projekte des Nordens wie Südens im Rahmen pädagogischer Initiativen thematisiert. Auch hier werden Fallstricke selbstbestimmter Arbeit von Kindern erörtert.
In einem Fazit liefert Manfried Liebel Ausblicke auf eine subjektorientierte Theorie des arbeitenden Kindes und knüpft dabei an Ausführungen des ersten Teils an und fasst gleichzeitig die wichtigsten Überlegungen des Bandes zusammen. Der Autor geht auf aktuelle Diskussionen zu Subjektivität und Subjektivierung ein, führt anschließend aus, in welcher Weise Kinder im Süden wie auch Norden auf einen Objektstatus reduziert werden und fragt abschließend, wie arbeitende Kinder einen neuen Subjektstatus mit Hilfe eigener Rechte erlangen können. Eingedenk eines grundlegenden Wandels von Kindheit ist davon auszugehen, dass Kinder im globalen Norden die Rolle des Erziehungsobjekts und der Versorgungsempfänger hinter sich gelassen haben und sich als eigenständige Personen bemerkbar machen. Der Band schließt mit der Feststellung, Kinder müssten die Möglichkeit finden, in die „Welt der Erwachsenen“ einzugreifen und es müsse erreicht werden, dass ihr Tätigkeitssein als gesellschaftlich relevante Arbeit Anerkennung findet (S. 350).
Diskussion
„Wege zum besseren Verständnis arbeitender Kinder“ lautet der Untertitel der Monographie von Manfred Liebel. Liefert sie, was sie verspricht? Der Band ist übersichtlich in vier Teile aufgebaut. Im ersten Teil wird pointiert in das Thema theoriebezogen und gegenständlich eingestimmt: in Gestalt eines theoretischen Versuchs für eine subjektorientierte Praxis mit Blick auf wirtschaftliche Ausbeutung von Kindern. Im Zentrum stehen die Teile zwei und drei: arbeitende Kinder des globalen Südens und arbeitende Kinder des globalen Nordens. Anhand vielfältiger Projekte und Beispiele wird überzeugend herausgearbeitet, was subjektorientierte Arbeit von Kindern bedeutet und wie Organisationen wie ILO und UNICEF einem solchen Ansatz im Wege stehen. Es wird ferner überzeugend sichtbar gemacht, von welchen Hintergründen Kindheit und Arbeit des globalen Südens und Nordens jeweils getragen sind. Sehr deutlich positioniert der Autor seine Sicht zu selbstbestimmter und kooperativer Arbeit von Kindern. Er fügt seine Überlegungen in die vorherrschenden Theoriediskurse zur Kindheit im deutschsprachigen Raum ein und kann zeigen, dass Arbeit und Kindheit hier nur am Rande angesprochen wird. Folgerichtig schließt der Band deshalb mit einem Ausblick auf eine subjektorientierte Theorie des arbeitenden Kindes.
Fazit
Das Titelbild liefert eine vortreffliche Zusammenfassung des Anliegens des Bandes: Ein möglicherweise sieben bis achtjähriges Mädchen verkauft an einem Stand Melonen. Es schaut freundlich lächelnd und scheint von seiner Aufgabe erfüllt zu sein. Das Mädchen verkörpert den Eindruck erlebter Anerkennung, Mut und Selbstbestimmung. Es hat das Lachen offenbar nicht verlernt. So zeigt das Bild Manches von dem, was Manfred Liebel auf S. 1 seines Vorworts zum Ausdruck bringt: „Ich begann zu begreifen, dass die Kinder ihre Kraft vielfach aus dem Umstand schöpften, für sich und andere zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen und – was ich für entscheidend halte – dafür in ihrem Umfeld auch Anerkennung fanden“.
Die aktualisierte Version des 2001 erschienenen Bandes „Kindheit und Arbeit“ (Rezension https://www.socialnet.de/rezensionen/192.php) gibt viele Impulse zur Debatte um das Thema arbeitende Kinder und ermöglicht kritische Auseinandersetzungen zu vorherrschenden Theorieentwürfen zur Kindheit.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt
Prof. em. an der Universität Trier, Fach Sozialpädagogik/ Sozialarbeit
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