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Sabine Achour, Siegfried Frech et al. (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 09.01.2020

Cover Sabine Achour, Siegfried Frech et al. (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht ISBN 978-3-7344-0721-5

Sabine Achour, Siegfried Frech, Peter Massing, Veit Straßner (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. 335 Seiten. ISBN 978-3-7344-0721-5. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Didaktische Reihe. Politik unterrichten.

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Methodenkompetenz – der halbe Weg zur Bildung

Im historischen und aktuellen didaktischen Diskurs über die Frage, wie es gelingen kann, ein Bewusstsein bei den Menschen zu erzeugen, dass sie gebildet und aufgeklärt sein wollen (vgl. dazu z.B.: Jos Schnurer, Die Menschen motivieren, dass sie aufgeklärt und gebildet sein wollen, in: Pädagogische Rundschau, 3/2018, S. 363ff), hat die Frage, wie Informationen vermittelt werden können, eine große Bedeutung. In der Methodologie, der Lehre von der Vermittlung und dem Erwerb von Erkenntnissen und Wissen, wird ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, wie objektive, wissenschaftliche Informationen in Theorie und Praxis weitergegeben werden können. Es zeigt sich, dass im fachbezogenen und fächerübergreifenden Kontext bestimmte Methoden bestimmend sind, um wahrhaftig und wirklich Wissen vermitteln zu können. Im wissenschaftstheoretischen Diskurs werden deshalb Methoden sowohl den Fragestellungen und Annahmen (Thesis/Antithesis), als auch den Verfahrensweisen zugeordnet.

Entstehungshintergrund

In den Zeiten von Fake News, von Ego-, Ethnozentrismus und Momentanismus sind in besonderer Weise Methodenkenntnisse gefordert. In den Sozialwissenschaften sind es nicht selten die Vielfalt und die Kombination von Methoden, die neue Wege des Wissens, des Bewusstseins und der Erkenntnis aufzeigen. Es ist die Vision, dass es (irgendeinmal) gelingen möge, die Menschheit davon zu überzeugen, dass es die Menschenwürde ist, die ein gutes, gelingendes, humanes Dasein schafft. Das ist politische Bildung, die „alle Formen absichtsvoller pädagogischer Einwirkung auf Prozesse der politischen Sozialisation umfasst“ (Wolfgang Sander, Hrsg., Handbuch politische Bildung, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/16344.php), und die im didaktischen, curricularen Diskurs zahlreiche praktische Handreichungen hervorbringt (Wulf Schmidt-Wulffen, Die besten Lehrmethoden im sozialwissenschaftlichen Unterricht. Schüler aktivieren – Lernen individualisieren, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/15356.php).

Das Buch „Methodentraining für den Politikunterricht“ stützt sich auf die Bände „Methodentraining (…) I, Mikromethoden – Makromethoden“ und „(…) II, Arbeitstechniken- Sozialformen – Unterrichtsphasen“ (2013). Die drei didaktisch und curricular bestimmenden Formen der schulischen und außerschulischen Politischen Bildung – Polity (Form), Policy (Inhalt), Politics (Prozess) – erfordern neue, praktische Zugangsweisen und Vermittlungs- und Innovationskompetenzen, die sich als theoretische Einführungs- und praktische Ausführungsphasen darstellen: „Die Phasenfolge des Unterrichts und der gestufte Aufbau des Lernprozesses erleichtern Schüler*innen das Lernen, da der Unterrichtsprozess so einsichtiger und nachvollziehbarer wird“.

Herausgeberteam

Die Berliner Politikdidaktikerin Sabine Achour, der Tübinger Erwachsenenbildner Siegfried Frech, der Berliner Politikwissenschaftler Peter Massing und der Bad Kreuznacher Fachseminarleiter Veit Strassner geben die Handreichungen heraus.

Aufbau und Inhalt

Der großformatige Band wird neben der Einleitung, in der das Herausgeberteam über „Methoden und politische Mündigkeit“ reflektiert, in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es mit der Frage: „Was ist ‚guter‘ Unterricht?“ um politikdidaktische Hinweise, und im zweiten Teil werden „Methoden für den Politikunterricht“ vorgestellt und diskutiert. Eher selbstverständlich und dennoch notwendig ist die Anmerkung, „dass dieses Methodenbuch für die Praxis des Politikunterrichts nur dann eine Hilfe bedeutet, wenn Lehrkräfte die Vorschläge nicht als Rezepte missverstehen“. Dieser Hinweis ist nicht nur einfach so hingesagt; vielmehr verweist er darauf, dass in der schulischen Praxis der Politikunterricht nicht selten „fachfremd“ unterrichtet wird und Unterrichtsbeispiele in den pädagogischen Fachzeitschriften viel zu oft und zu unbedacht als To-Do- und Mach-Anweisungen angeboten werden. So aber kann Bildung nicht gelingen. Fach- und Methodenkompetenz ist gefordert.

Siegfried Frech und Peter Massing setzen sich mit den Begriffsbildungen im Politikunterricht auseinander und zeigen auf, wie die Dimensionen der Politik auf den zôon politikon (Aristoteles) wirken und sich als Kontrakt und Konflikt darstellen. Peter Massing bringt den Kompetenzbegriff als pädagogisch-didaktisches und basiskonzeptionelles Grundlagenkonzept ein, wie es von der „Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung“ (GPJE) entwickelt wurde. Das Kompetenzmodell verortet Deutungswissen im Dreischritt von politischer Urteils-, Handlungs- und Methodenfähigkeit. Sabine Achour, Peter Massing und Veit Strassner thematisieren die „Rolle politikdidaktischer Prinzipien“, indem sie für die Gestaltung eines guten Politikunterrichts wichtigen Kriterien, Annahmen und Voraussetzungen diskutieren: Exemplarisches Lernen, problem-, konfliktorientierte und kontroverse Fragestellungen, Auseinandersetzungen mit Aktualitäten und Wirklichkeiten, Wissenschafts- und Handlungsorientierung, kommunikative Aspekte. „Heterogenität und individuelle Förderung“, als gesellschaftliche Herausforderungen, darauf geht erneut Peter Massing ein. Ein kompetenter, didaktisch und methodisch geplanter Politikunterricht gliedert sich in Unterrichtsphasen mit je eigenen, passenden methodischen Sequenzen: Einstiegs-, Informations-, Analyse-, Sicherungs-, Anwendungs-, Urteils- und Metakommunikationsphase.

Im zweiten, praxisorientierten Teil werden, geordnet nach den genannten Unterrichtsphasen, Methoden und Sozialformen aufgewiesen, die den Unterrichtsverlauf und die -planung positiv beeinflussen können, wie z.B. für die Einstiegsphase der Einsatz von Karikaturen. Didaktisch und methodisch bedeutsam sind dabei Fragen wie: Auswahl, Präsentation und Reaktion. Ebenso sind Bildanalysen geeignet für Einstiegsmotive; auch Comics und Cartoons, Songs und Melodien, Alltagsgegenstände und Kuriositäten, Witze und Provokationen, Spiele und Statements, Zitate und Gedichte… Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und einfallsreich. Eine didaktische und Sachanalyse darüber, welche Aufmerksamkeit, Motivation und Interesse geweckt und wie Zusammenhänge hergestellt werden können, ist für einen guten Unterricht unverzichtbar. Es werden Checklisten, Schlüssel- und Fragenkataloge angeboten, die bei der Unterrichtsvorbereitung, der Informations- und Materialbeschaffung behilflich sein können. Die zahlreichen, methodischen und kommunikativen Möglichkeiten werden von den Herausgebern und weiteren Expertinnen und Experten vorgestellt: Vom Politikwissenschaftler und Politischen Bildner Jonas Seekatz mit seinem Beitrag „Kreative Methoden der Textarbeit“; vom Erwachsenenbildner Christoph Gnau zur „Visualisierung von Texten in Struktogrammen“; von der Fachseminarleiterin Katharina Röll-Berge zu Fragen der „Internetrecherche“ und zur Benutzung von Lehrbüchern und Erstellung von Arbeitsblättern; vom Fachleiter für Sozialkunde, Torsten Schreier, zum „Karteneinsatz im Politikunterricht“.

Methodeneinsatz, individuelle-, team- und gruppenbezogene Lern- und Arbeitsformen erfordern bei den Unterrichtsphasen unterschiedliche Organisationsstrukturen. Bei der Anwendungsphase kommt es beim politischen Lernen vor allem darauf an, Informationen, Aha-Erlebnisse und logische Schlüsse als Transferleistungen anzulegen. Sabine Achour, Peter Massing und Siegfried Frech weisen darauf hin, dass sich dies z.B. in einem Lernprodukt darstellen kann, wie etwa einer Wandzeitung, einer Collage, einem Plakat, einer Video- und Mediasequenz, einem Referat, einer Pro- und Contra-Diskussion. Der Sozialwissenschaftler und Informatiker Benedikt Roth setzt sich auseinander mit „Arbeiten mit digitalen Medien“. Die Tübinger Historikerin und Romanistin Christina Brüning stellt weitere Methoden vor, wie: Arbeitsbögen, Handouts, Standbilder, Placemats, Puzzle, Quizspiele. Zum kommunikativen und simulativen politischen Handeln bieten sich Lern- und Arbeitsformen und -mittel an, die sich für politische Bildung in besonderer Weise eignen, wie etwa die „Zukunftswerkstatt“ (Siegfried Frech), „Szenariotechnik“ (Katharina Röll-Berge), „Expertenbefragung“ (Veit Strassner), „Umfrage“ (Peter Massing). „Pro-Contra-Debatte“ (Veit Strassner), „Talkshow“ (Peter Massing), „Plan- und Entscheidungsspiele“ und „Exkursionen“ (Katharina Studtmann), „Projektmethode“ (Siegfried Frech), „Tribunal“ (Christina Brüning), „Dilemma-Methode“ (Veit Strassner), „Fishbowl-Diskussion“ (Veit Strassner), „Gesprächsmühle“ (Katharina Röll-Berge), „Think-Pair-Share“ (Peter Massing), „Denkhüte“ (Katharina Röll-Berge), „Rollenspiel“ (Christina Brüning), „Partnerinterview“ (Veit Strassner), „Bienenkorb“ (Katharina Studtmann).

Das Ziel eines jeden politischen Unterrichts ist es, eine eigenständige, objektive politische Urteilsbildung zu erreichen: „Politische Urteilsfähigkeit ist die Voraussetzung für politische Partizipation“ (Sabine Achour). Es sind Erkenntnisse, die sich auf die Sache und das Thema des Unterrichts beziehen (Sachurteil), die humane, anthropologische und ethische Bedeutung im Blick haben (Werturteil) und das individuelle und gesellschaftliche Denken und Handeln bestimmen (Entscheidungsurteil). Als Lernmotivation kommt den kritischen, emanzipatorischen Auseinandersetzungen über Curricula, Unterrichtsthemen und -formen eine große Bedeutung zu. Es sind die Metakommunikation und das Feedback, die als Instrumente eines gelingenden Unterrichts unverzichtbar sind.

Schulische, verpflichtende und institutionalisierte Bildung organisiert sich in unterschiedlichen Sozialformen. Sie sind historisch entstanden, und sie verändern sich ständig. Es sind strukturelle und prozessuale Formen, die sich individuell und kollektiv als frontal, interaktiv oder kooperativ darstellen: „Zwischen Sozialformen und sozialen Lernprozessen besteht ein direkter Zusammenhang“ (Siegfried Frech). Es ist weiterhin die uralte, bisher ungelöste Frage danach, was staatlich, gesellschaftlich und curricular verordneter Unterricht leisten soll und mit welchen Instrumenten und Methoden die Ergebnisse gemessen und beurteilt werden können. Der Bad Kreuznacher Studienseminarleiter Torsten Schreier und Veit Strassner setzen sich mit „Methoden zur Leistungsmessung und -beurteilung“ auseinander. Tests in verschiedenen Formen, Klausuren, Facharbeiten, Protokolle, Portfolios, mündliche Prüfungen.

Fazit

Die Auseinandersetzungen und Zusammenstellungen über den Einsatz von verschiedenen, differenzierten Methoden für den Politikunterricht ergeben ein Nachschlagewerk, das Studierenden und Lehrenden eine praktische Handreichung bietet. Den Kakophonien, wie sie sich lokal und global als Infragestellung des Demokratie-, Objektivitäts- und Freiheitsverständnisses darstellen, muss Widerstand und Aufklärung geleistet werden. Der politische, kritische, emanzipatorische und ethisch gebildete Mensch ist gefordert. In der Lehreraus- und -fortbildung ist das Methodentraining ein guter Anlass dazu. Als ein positives, gelungenes Beispiel kann der Rezensent auf das Lehrprojekt des Instituts für Sozialwissenschaften – Abt. Politikwissenschaft – der Universität Hildesheim im Wintersemester 2018/19 und im Sommersemester 2019 aufmerksam machen: „70 Jahre Grundgesetz“. Lehrende und Studierende haben ausgewählte Aspekte des Grundgesetzes in verschiedenen Formaten (Vorlesungen, Übungen, Projekten, Unterrichtsbeispielen) bearbeitet und über die Wirkmächtigkeit einer Verfassung für individuelles und kollektives Dasein der Menschen nachgedacht und die Ergebnisse in einer Schrift aufgewiesen (https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-sozialwissenschaften/aktuelles/einzelansicht/artikel/70-jahre-gru/).

Die als Handbuch erarbeitete Publikation ist eine ausgezeichnete Fundsache, die Bedeutung des Methodenlernens (nicht nur) im Politikunterricht bewusst zu machen. Weil die Handreichung möglichst in den Uni-Bibliotheken und Lehrerbüchereien zur Verfügung stehen und auf den Schreibtischen von PolitiklehrerInnen griffbereit liegen sollte, ist zu empfehlen, in einer Neuauflage das Buch „Methodentraining für den Politikunterricht“ mit einem Festeinband zu versehen.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 09.01.2020 zu: Sabine Achour, Siegfried Frech, Peter Massing, Veit Straßner (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. ISBN 978-3-7344-0721-5. Didaktische Reihe. Politik unterrichten. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26484.php, Datum des Zugriffs 11.12.2024.


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