Wiebke Frieß, Anna Mucha et al. (Hrsg.): Diversity Management und seine Kontexte
Rezensiert von Prof. Dr. Andrea D. Bührmann, 20.04.2020
Wiebke Frieß, Anna Mucha, Daniela Rastetter (Hrsg.): Diversity Management und seine Kontexte. Celebrate Diversity?! Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2020. 176 Seiten. ISBN 978-3-8474-2214-3. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.
Thema
Im Sammelband steht das Verhältnis zwischen Diversity, Diversity Management und deren Umsetzungen in unterschiedlichen empirisch-praktischen Kontexten im Fokus. Den Ausgangspunkt aller Beiträge bildet dabei die Überlegung, dass die Bedeutungen sowie auch die potentiellen Folgen von Diversity und des Diversity Managements nicht ein für alle Mal festgelegt und somit stillgestellt sind, sondern in verschiedenen (geo-)politischen, gesellschaftlichen wie organisationalen Kontexten erst immer wieder ausgehandelt werden. Festgestellte Bedeutungen bilden demnach die Ausnahme; sie sind jedoch umso umkämpfter. Damit wird ein wichtiger, indes bislang zumindest in der deutschsprachigen Diskussion noch kaum beachteter Aspekt in den kontroversen Debatten über Diversity Management und seine möglichen Folgen diskutiert.
Herausgeberinnen
Daniela Rastetter ist Professorin für Personal und Gender an der Universität Hamburg. Wiebke Frieß und Anna Mucha arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Personal und Gender an der Universität Hamburg.
Entstehungshintergrund
Die Veröffentlichung des Sammelbandes ist vom Hamburger „Zentrum GenderWissen“ und der Forschungsgruppe „Standards guter Arbeit“ gefördert worden.
Aufbau
In der gelungenen deutsch- und englischsprachigen Einleitung wird zunächst der theoretische Ausgangspunkt des Sammelbandes erläutert, nämlich Diversity und Diversity Management als 'leere Signifikanten' zu verstehen.
Im Anschluss folgen insgesamt zehn inhaltliche Beiträge, in denen je unterschiedliche Kontexte thematisiert werden. Drei der Beiträge sind in englischer und sieben in deutscher Sprache verfasst. Zum Schluss werden die Autor*innen des Sammelbandes vorgestellt.
Inhalt
Den gedanklichen Ausgangspunkt der Einleitung bildet ein kursorischer 'Rundgang' durch die unterschiedlichen Bedeutungen von Diversity und Diversity Management in Debatten über Bio-Diversität, politische Meinungsvielfalt, Anti-Diskriminierungsgesetzgebungen sowie verschiedene Narrationen über die Herkunft des Diversity Management und dessen konzeptioneller Umsetzungen. Dass diese unterschiedlichen Bedeutungen in verschiedenen Kontexten auftauchen, wird von den Autorinnen Wiebke Frieß, Anna Mucha und Daniela Rastetter als Hinweis dafür gedeutet, dass es sich beim Diversity Management im Sinne von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe um einen so genannten 'leeren Signifikanten' handelte.
Leere Signifikanten zeichnen sich wiederum dadurch aus, dass sie im Sinne von unbestimmten oder jedenfalls unterbestimmten 'Leerstellen' ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können und dabei die Feststellung einer Bedeutung in einem bestimmten Kontext von dem Ausgang entsprechender Deutungskämpfe abhängt. Ausgehend davon erscheinen Kontexte als ausgesprochen wichtige Faktoren zum Verständnis – auch der Funktionsweisen – von Diversity Management Konzeptionen. Denn Zuschreibungen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten konstituierten sich über Differenzierungspraktiken. In deren Folge tauchten dann entsprechende Signifikationen auf, die freilich wiederum nicht auf Dauer gestellt seien, sondern eben umkämpft. Und genau aus diesem Grunde, so erläutern Frieß/Mucha/​Rastetter (2020, S. 9f) weiter, „ist es wichtig, in Signifikationsprozesse zu intervenieren und das Label Diversity (Management) politisch zu artikulieren, historisch und geo-politisch zu verorten, weiter zu gestalten und im Diskurs zu positionieren – auch wenn der Signifikant immer offen und in Bewegung bleiben wird“.
Die nachfolgenden Beiträge analysieren diese Signifikationsprozesse in unterschiedlichen Kontexten. Sie zielen so darauf, unterschiedliche Zugänge zum (Diversity)Management und aktuelle bzw. mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und fragen insbesondere, ob (Diversity) Management gefeiert oder doch eher soziale Ungleichheiten problematisiert werden sollten.
Helga Eberherr setztsich in ihrem Beitrag aus einer neo-institutionellen Perspektive mit den Wirkungsweisen verschiedener Begründungen für die Einführung und Umsetzung von Diversity Management in For-Profit- und Non-profit-Organisationen auseinander. Dabei knüpft sie an Ergebnisse des Forschungsprojektes „Gender cage…“ an, das nach Re-Konfigurationen von Geschlechterdifferenzierungen in Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt hat. Eberherr plädiert dafür, nicht vorschnell die dichtome Entgegensetzung von Business und Equity Case für die Begründung von (Diversity) Management Konzeptionen zu reproduzieren, sondern sie vielmehr in ihren empirisch-konkreten Verschränkungen zu betrachten. Denn, so konstatiert Eberherr, „Diversity (Management-)Diskurse und soziale Gerechtigkeitsdiskurse lassen sich in diesem Sinne als Kontinuum beschreiben und weniger als Gegensatz“ (S. 34).
Auf die tiefe Verankerung des (Diversity) Management in kolonialen Denkweisen und Praxen macht Eike Marten eindringlich ausgehend zum einen von aktuellen Protesten an der Universität Amsterdam und zum anderen an US-Universitäten in den 1960er und 1970er Jahren aufmerksam. Als empirische Grundlage dient der Diversity Report der University von Amsterdam von 2016. Marten konstatiert, dass die Deutungskämpfe um das (Diversity) Management in einer de-kolonialistischen Perspektive gerade nicht umkämpft, sondern still gestellt erscheinen. Dieser Stillstand tradiere jedoch bestehende Diskriminierungen wie Privilegierungen. Zur Überwindung dieses Stillstandes plädiert Marten für eine kritische Reflexion der Genealogien der Diversity-Diskurse und der damit verbundenen Praxen im Allgemeinen, aber auch für eine De-Kolonialisierung des bestehenden epistemischen Regimes und der damit verknüpften Ausgestaltung der Curricula. So könnten Möglichkeiten für kritische Aushandlungen geschaffen werden, „which leave room for incommensurability and discomfort and are not immediately governed by the task to create a glossy strategy for the university, but which are do not exile themselves into some distant sphere of critical debate that has little effect on how institutional diversity strategies with very material effect are made“ (p. 51).
Mit einer spezifischen Maßnahme zur Herstellung von einem Mehr an Sensibilisierung für Diversität setzen sich Wiebke Frieß und Anna Mucha auseinander. Am Beispiel von Maßnahmen zur „Internationalisation at Home“, wie sie häufig an bundesdeutschen Hochschulen zu finden sind, thematisieren sie aus einer poststrukturalistischen Perspektive, die Rolle der international Studierenden für alle anderen Studierenden. Die empirische Grundlage ihrer Überlegungen bilden die entsprechenden Internetauftritte von 25 deutschen Hochschulen. Dabei können Frieß und Mucha aufzeigen, dass internationale Studierende in einem solchen Setting für die interkulturelle Ausbildung der anderen Studierenden instrumentalisiert werden, sie dienen sozusagen als Lernumgebung. Voraussetzung für eine solche Instrumentalisierung ist freilich ein essentialistischer Diversitäts- und Kulturbegriff. Deshalb plädieren sie für einer intersektionalen wie kontextsensibleren Reflexion auch spezifischer Maßnahmen in (Diversity) Management-Konzeptionen.
Verena Bruchhagen, Sibel Kara und Andreas Merx weiten wiederum den Horizont und betrachten das Diversity Management im Kontext aktueller gesellschaftlicher Dynamiken. In den Blick nehmen sie – inspiriert von kritischen Positionen zum Neoliberalismus wie sie etwa Colin Crouch, Nancy Fraser oder auch Wolfgang Merkel und Oliver Nachtwey formuliert haben – dabei die wachsende soziale Ungleichheit wie auch die zunehmende Zahl der Gegner*innen von Vielfalt auch in der so genannten Mitte der Gesellschaft, die sie als Krise der Demokratie deuten. Mit Blick darauf fordern Bruchhagen, Kara und Merx eine Verknüpfung des Diversity-Ansatzes an demokratische gesellschaftspolitische Zielstellungen und sehen das Diversity Management als mögliche konstruktive Antwort auf postdemokratische Tendenzen. Dabei betrachten sie das Diversity Management als eine Möglichkeit, organisationale, politische und ethische Prozesse produktiv zu verzahnen, die zugleich systematisch still gestellte Bedeutungen und Grenzlinien in Frage stellt. Dazu entwickeln Bruchhagen, Kara und Merx entsprechende Handlungsempfehlungen.
Einen nicht-optionalen Umgang mit Diversität fordern Lena Pescia und Nils Jent. Eine freiwillige und oft nur reaktive Beschäftigung mit dem Diversity Management sollte einer verpflichtenden Vermittlung zumindest von Grundkompetenzen zum Diversity Management in der Aus- und Weiterbildung Platz machen. „Die Bildungslandschaft muss sich dahingehend weiterentwickeln, Diversity interdisziplinär in alle Lehrpläne einzubeziehen. So leistet sie letztlich einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung, hin zu einer Gesellschaft des Miteinanders in all seiner Vielfalt“ (S. 103). Diese Forderung entwickeln Pescia und Jent ausgehend von einer kursorischen Analyse des Verständnisses und des Umgangs mit demographischer Diversität in der Schweiz.
Evelina Sander beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Verbreitung und Ausrichtung des Diversity Managements in Russland. Dabei untersucht sie führende russischsprachige Personalfachzeitschriften sowie ergänzende Datenquellen – wie z.B. Lehrbücher und entsprechende Webressourcen – mit Hilfe einer wissenssoziologischen Diskursanalyse. Sander stellt fest, dass das Diversity Management insbesondere im Human-Ressource-Management noch eine marginale Rolle spielt und vor allem einzelne Diversitätsdimensionen im Fokus stehen. Somit befindet sich das Diversity Management in Russland ihrer Meinung nach bislang höchstens in einer Etablierungsphase und die „identifizierten Spuren weisen Bezüge zu den multinationalen Unternehmen, die in Russland tätig sind, sowie zu den Forschungsarbeiten von internationalen Autor_innenteams“ (S. 116). Deshalb spricht Sander auch von einer „westlichen Richtung der Spuren“ (ebd.; Herv. i.Orign.).
Nicht einzelne Diversitätsdimensionen, sondern deren intersektionale Verschränkung nehmen Erhan Aydin und Emre Vadi Balci in ihrem Beitrag in den Blick. Im Fokus stehen dabei die Dimensionen sexuelle Identität, Religions- sowie Geschlechtszugehörigkeit. Grundlage ihrer Überlegungen sind semi-strukturierte Tiefeninterviews mit drei Männern in der Türkei, die sich selbst als schwul bezeichnen, aber noch kein Coming Out hatten, dem hegemonialen Männlichkeitsbild nicht entsprechen und zugleich angeben, gläubige Muslims zu sein, und in einem kleinen bzw. mittleren Unternehmen arbeiten. In den Interviews wird deutlich, dass alle Interviewpartner sich in einem Dilemma zwischen 'dem rechten' Glauben und ihrer sexuellen Orientierung sehen, am Arbeitsplatz als 'zu' weibliche Männer exkludiert werden und sich deshalb auch isoliert fühlen.
Brigitte Temel und Viktoria Eberhardt beschäftigen sich mit dem kritischen Potenzial von Diversity am Beispiel der Werbe-Kampagne des Kosmetikkonzerns L’Oreal „All worth it“. Ausgehend von Überlegungen der kritischen Theorie zur Kulturindustrie kritisieren sie die 'Verwertungslogik' dieser Kampagne und kommen zu dem Schluss, dass „(g)enau dadurch, dass die berechtigte Kritik an (Körper-)Normen oberflächlich in die Schönheitsindustrie“ transportiert werde, auch „einer tatsächlich gesellschaftskritischen Position eine entscheidende Grundlage entzogen“ werde. Den zentralen Kritikpunkt bildet ein entpolitisiertes Verständnis von Diversity und Diversity Management.
Karin Zimmermann und Anette Dietrich interessieren sich in ihrem Beitrag für die Kontroversen um Diversity in Hochschulen und Wissenschaft. Dabei stützen sie sich wiederum auf die Analyse von fünf Fachgesprächen, in denen bis zu acht Expert*innen ihre Erfahrungen austauschten. Zimmermann und Dietrich verfolgen umkämpfte Signifikationsprozesse im Spannungsfeld zwischen Gleichstellung-, Internationalisierungs- und Exzellenzdiskursen. Ausgehend davon plädieren sie für ein antiessentialistisches, intersektionales und selbstreflexives Verständnis von Diversity, das sich nicht nur für Diskriminierungen, sondern auch Privilegierungen interessiert und sich so in den Kämpfen um die Bedeutung von Diversity klar anti-diskriminatorisch positioniert. Zimmermann und Dietrich warnen – zu Recht – davor, die Güte eines Diversity Managements auf das Durchlaufen der 'richtigen' Prozesse zu reduzieren, statt nicht auch deren Auswirkungen kritisch zu reflektieren.
Den Abschluss des Sammelbandes bildet der Beitrag von Daniela Rastetter. Sie fragt in mikropolitischer Perspektive, ob und wenn wie digitalisiertes Arbeiten Diskriminierungen abbauen und Diversity befördern könnte. Dabei betrachtet sie unterschiedliche personalwirtschaftliche Themenfelder: Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Beschäftigungschancen für bisher diskriminierte Gruppen, neue Formen der digitalen Personalrekrutierung sowie die Chancen der digitalisierten Teamarbeit. Rastetter kommt zu dem Schluss, dass die Digitalisierung für ein Mehr an Chancengleichheit große Chancen bietet. Essenziell sei es jedoch, diese Digitalisierungsprozesse entsprechend in politische und betriebliche Regelungen einzubinden. Und dazu gehört zum einen, „dass sich HR-Verantwortliche und HR-forscher*innen mehr mit den Entscheidungssystemen hinter digitalen Verfahren befassen, um nicht nur zu bloßen Anwender*innen zu werden (…)“. Und zum anderen müssten „die Entwickler*innen von HR-Programmen ihre Arbeitsinhalte transparenter machen“ (S. 169).
Diskussion
In dem Sammelband werden Fragen nach der Bedeutung und den Folgen von Diversity und Diversity Management-Konzepten thematisiert. Gemeinsamer Ausgangspunkt aller Beiträge ist die Überlegung, Diversity wie auch Diversity Management als leere Signifikanten zu verstehen. Deshalb seien unterschiedliche Kontexte, in denen über Diversity diskutiert und ein Diversity Management installiert und umgesetzt werden, von besonderem Interesse. Dabei werden unterschiedliche Kontexte betrachtet, die sich im Hinblick auf die je fokussierten geo-politischen Räume (z.B. Deutschland, Niederlande, Österreich, Russland, Schweiz, Türkei), die untersuchten Organisationstypen (z.B. Hochschulen, Unternehmen) und die gewählten Forschungsebenen (hier reichten die Beiträge von gesamtgesellschaftlichen Betrachtungen bis hin zu Überlegungen auf der Mikro-Ebene) unterscheiden. In dem Sammelband findet sich darüber hinaus eine breite Vielfalt theoretischer Positionen, sie reichen von neo-institutionalistischen Überlegungen bis zu Adaptionen des Kulturindustrietheorems aus der Kritischen Theorie, wie auch von diversen quantitativen wie qualitativen Methoden. Leider wird die Auswahl der Beiträge und auch Reihenfolge nicht näher begründet.
Fazit
Der Sammelband führt das vor, was er in Frage stellt: Er macht nämlich am Beispiel unterschiedlicher geo-politischer, gesellschaftlicher, sozialer und organisationaler Kontexte deutlich, dass Bedeutungen von Diversity und die Einschätzungen der Folgen von Diversity Management kontextabhängig sind. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, Diversity und Diversity Management mit Ernesto Laclau und Chantal Mouffe als 'leeren Signifikanten' zu verstehen. Der Band ist ein wirklich inspirierender Ausgangspunkt für weitere Forschungsanstrengungen zur Erforschung der Verhältnisse zwischen Diversity, Diversity Management und seinen Kontexten. Aus der Perspektive der reflexiven Diversitätsforschung wäre es dabei wichtig, auch die Forschungskontexte und die Kontexte der Forschenden selbst systematisch mit in den Blick zu nehmen.
Rezension von
Prof. Dr. Andrea D. Bührmann
Director of the Goettingen Diversity Research Institute
University of Goettingen
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Zitiervorschlag
Andrea D. Bührmann. Rezension vom 20.04.2020 zu:
Wiebke Frieß, Anna Mucha, Daniela Rastetter (Hrsg.): Diversity Management und seine Kontexte. Celebrate Diversity?! Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2020.
ISBN 978-3-8474-2214-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26523.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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