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Horst-Peter Wolff, Jutta Wolff: Krankenpflege

Rezensiert von Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann, 02.04.2020

Cover Horst-Peter Wolff, Jutta Wolff: Krankenpflege ISBN 978-3-940529-01-5

Horst-Peter Wolff, Jutta Wolff: Krankenpflege. Einführung in das Studium ihrer Geschichte. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2019. 3. unveränderte Auflage. 328 Seiten. ISBN 978-3-940529-01-5. 29,90 EUR.

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Thema

Die Geschichte beruflicher Pflege ist ein essentielles Thema, denn mit fundierten Kenntnissen der Vergangenheit lassen sich heutige Situationen verstehen, analysieren und ein reflektiertes Berufsverständnis weiterentwickeln.

Autoren

Horst-Peter Wolff und Jutta Wolff sind Pflegefachkräfte und Medizinpädagogen. Bis 2004 unterhielten sie ein privates Forschungsinstitut für Pflegegeschichte in Brandenburg.

Aufbau

Auf 328 Seiten beinhaltet das Buch neun Kapitel:

  • Chronik der deutschsprachigen Geschichte der Pflege
  • Methodik
  • Pflege in der Frühgeschichte und in frühen Hochkulturen
  • Pflege in christlicher und vorchristlicher Antike
  • Pflege im christlichen und islamischen Mittelalter
  • Frühe Neuzeit
  • Krankenpflege im neunzehnten Jahrhundert
  • Krankenpflege im zwanzigsten Jahrhundert
  • Forschungsansätze für die Pflegegeschichte

Zielgruppe sind Studierende der Pflegewissenschaft und alle an Geschichte der Pflege interessierten Personen.

Inhalt

Das Autorenduo erhebt den Anspruch, mit diesem Buch die Lücke zwischen Lehrbüchern und Spezialliteratur zu schließen. Mit einer chronologischen Ordnung wird ein Überblick geschaffen, mit Verweisen und Anmerkungen eine Weiterführung ermöglicht und auf Forschungslücken aufmerksam gemacht.

Die Chronik der deutschsprachigen Geschichte der Pflege ordnet Publikationen der letzten rund 150 Jahre systematisch ein, bewertet die Wissenschaftlichkeit der Quellen und blickt auf die Entwicklungen in BRD und DDR sowie den Einbezug von Pflegehistorie in die akademischen Entwicklungen. Im Abschnitt Methodik legen die Autoren dar, wie sie historische Forschung verstehen und wie Pflegegeschichte vermittelt werden sollte.

Historisch startet die Betrachtung in der Frühgeschichte und in frühen Hochkulturen im Orient und in Asien. Deutungen dieser Zeit verstehen Krankenpflege als essentielle, primäre Fähigkeit der Menschen der Urgesellschaft und eine sich daraus entwickelnde Heilbehandlung: Pflege sei das historisch primäre, Medizin das Sekundäre.

In vorchristlicher und christlicher Antike war das Verständnis der Humoralpathologie und der Säftelehre das vorherrschende Bild. Pflege wird hier verstanden als Beobachtungsgabe, die die Harmonie zwischen den Elementen wiederherstellt und die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt – wenn die Grundpflege durch Familien und Sklaven nicht ausreicht. In den sehr frühen christlichen Gemeinden sorgte der Bischof für die Wahrnehmung karitativer Pflichten und wurde dabei von Diakonen, mehr noch von Diakoninnen unterstützt. Dies ist eine der Wurzeln von Pflege als „vorzugsweise weibliche Tätigkeit“ und christlicher Fürsorge.

Im christlichen und islamischen Mittelalter wurden pflegerische Maßnahmen als unverzichtbarer Teil der Therapeutik berücksichtigt. Das Krankenhauswesen erlebte mit öffentlicher Armen- und Krankenpflege bis zum 15. Jahrhundert eine Blütezeit mit einer in ersten Ansätze beruflichen Pflege.

Im 19. Jahrhundert waren die Militärkrankenpflege und die Reform der Krankenhäuser als Stätten qualifizierter Behandlung prägend. Die Erfindung von Fieberthermometer, Klistierspritzen und Gummikathetern zeigte die Technisierung dieser Zeit. Die Gründung einer Krankenpflegeschule 1800 an der Berliner Charite hatte keinen Erfolg, Magdeburg und Göttingen folgten mit unterschiedlicher Resonanz. Die karitative Krankenpflege der Kirchen fand ihre Formalisierung durch Theodor Fliedner und die im Mutterhausprinzip eingesetzte Schule der Kaiserswerther Diakonie inklusive der Haltung, dass nur Frauen geeignete Pflegerinnen seien. Hier erhielt auch Florence Nightingale in einer Hospitation wesentliche Impulse.

Im 20. Jahrhundert waren es wieder wissenschaftlich-technische Fortschritte, die auf das Gesundheitswesen Einfluss nahmen. Berufliche Pflege war aufgrund der Arbeitsbedingungen unattraktiv und als Durchgangsberuf charakterisiert. Die Notwendigkeit systematischer Pflegeausbildung wurde deutlich und fand aus mehreren Reformvorschlägen ihre Umsetzung 1907 in Preußen als erste staatliche Prüfungsordnung für Krankenpflege. Die Herrschaft der Nationalsozialisten 1933 veränderte die Strukturen des Roten Kreuzes und der Frauenvereine, die für die berufliche Pflege in dieser Zeit prägend waren. Einige einflussreiche Diakonissen waren dem Regime zugewandt, die berufspolitischen Kräfte waren zersplittert. Die zentralistische Umgestaltung des Medizinalwesens brachte u.a. ein Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege vor, regelte Zugangsbedingungen durch den Nachweis arischer Abstammung und verbot pflegerische Organisationen. Die Zahl der NS-Schwestern wuchs und die direkte oder in der Mehrheit mittelbare und verschwiegene Beteiligung von Pflegekräften an NS-Mordaktionen ist belegt.

Nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Terrorregimes wurde die reichsweiten Organisationen der Krankenpflege, bis auf die Schwesternschaften des roten Kreuzes, aufgelöst. In der Reorganisation lebte der Agnes-Karll-Verband und Bund freier Schwestern und weitere Schwesternverbände wieder auf. Das Berufsbild hat bis in die 50er Jahre eine starke religiöse Prägung.

Forschungsansätze sehen Wolff und Wolff unter anderem in der Betrachtung anderer Kulturkreise. Wie hat sich Pflege in China unter Einfluss des Buddhismus und Konfuzioanismus entwickelt? Welche Personen haben die didaktischen Leitlinien der Pflegepädagogik geprägt? Und warum ist die Wärterpflege in der heute als Psychiatrie bezeichneten Fachrichtung weitgehend unbeleuchtet? Hier besteht Forschungsbedarf.

Diskussion

Das Buch geht weit über die üblichen Ausbildungsinhalte von Pflege aus christlicher Nächstenliebe, Pflege als Aufgabe von Frauen, Florence Nightingale und Agnes Karll hinaus. Die Geschichte der Pflege bildet zugleich eine Geschichte der Gesundheitsversorgung im Kontext gesellschaftlich-politischer Veränderungen ab, zeichnet Entwicklungslinien der Krankenhäuser und Armenversorgung anschaulich nach.

Ich fand es erstaunlich, welche Deutungen historischer Befunde in der Frühgeschichte und im Mittelalter sich durchaus mit einem modernen Verständnis von Pflege als Beruf mit hoher Kompetenz und Qualifikation sowie Gesundheitsförderung vereinbaren lassen – und wie sich die christliche Prägung mit hoher Einflussnahme auf das Berufsbild durchsetzen konnte.

Offen bleibt leider, ob und welche Veränderungen für diese dritte Auflage vorgenommen wurden.

Fazit

Spannender historischer Blick auf einen facettenreichen Beruf, bei dem der Blick für die Hintergründe geweitet wird.

Rezension von
Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann
Hochschule Hannover Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales
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Zitiervorschlag
Nina Fleischmann. Rezension vom 02.04.2020 zu: Horst-Peter Wolff, Jutta Wolff: Krankenpflege. Einführung in das Studium ihrer Geschichte. Mabuse-Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2019. 3. unveränderte Auflage. ISBN 978-3-940529-01-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26572.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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