Joachim Rock, Joß Steinke: Die Zukunft des Sozialen - in Europa?
Rezensiert von Dr. phil. Andreas Meusch, 24.02.2020

Joachim Rock, Joß Steinke: Die Zukunft des Sozialen - in Europa? Soziale Dienste und die europäische Herausforderung. edition sigma im Nomos-Verlag (Baden-Baden) 2019. 117 Seiten. ISBN 978-3-8329-5689-9. 19,00 EUR. CH: 34,50 sFr.
Thema
Das vorliegende Buch widmet sich den Auswirkungen des Europarechts auf Soziale Dienste.
Herausgeber
Dr. Joachim Rock ist Abteilungsleiter Arbeit, Soziales und Europa im Paritätischen Gesamtverband e.V.. Dr. Joß Steinke arbeitet als Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).
Die sieben Autoren sind Experten der Rechts- sowie der Politikwissenschaft und Praktiker aus Organisationen der Sozialen Dienste.
Entstehungshintergrund
Grundlage des Bandes ist eine wissenschaftliche Tagung, die vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Europarechts auf die Sozialpolitik der EU-Mitgliedsstaaten stattfand. Unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der Sozialwirtschaft sehen die Herausgeber insbesondere beim Wettbewerbs- und Vergaberecht sowie durch die Charta der Grundrechte.
Aufbau
Der Band besteht aus dem Vorwort und sechs Beiträgen, die jeweils ein ausführliches Literaturverzeichnis haben.
Inhalt
Die Lage in der Europäischen Union (EU) wird im „Vorwort“ als kritisch beschrieben: Europa stehe „in der Krise nackt da“, neue Antworten „vielleicht auch neue Visionen“ (S. 6) seien nötig.
Kathleen Wabrowitz und Joß Steinke vom DRK warnen in ihrem Beitrag „Soziales Europa: Weiter statt zurück“ vor einer Rückkehr zum Nationalstaat und plädieren für die Weiterentwicklung der europäischen Sozialpolitik, den Ausbau der EU und Abbau ihres Demokratiedefizits.
„Mind the gab: für ein Europa der Solidarität und Subsidiarität“ ist der Beitrag von Joachim Rock überschrieben, in dem er für einklagbare soziale Rechte und Mindeststandards auf EU-Ebene wirbt (S. 43). Ziel sind ein „Richtungswechsel hin zu mehr Solidarität in Europa“ und „eine Vertiefung der Zusammenarbeit der Regionen“ (S. 7).
Ausgangspunkt der Analyse „ Ausbruch aus dem Krisenzyklus? Konfliktlinien und Bedingungen für ein Soziales Europa“ von Dr. Björn Hacker, Professor für Wirtschaftspolitik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, ist die Feststellung des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi: „Das Europäische Sozialmodell ist Vergangenheit“ (S. 47). Auch Hacker sieht dieses Modell in Gefahr, eben durch die Austeritätspolitik der EZB. Stattdessen plädiert er dafür, dass „nur mit Blick auf die Nachfrage… die Krise der Eurozone überwunden werden“ kann (S. 59) und verweist auf die Kosten der Austeritätspolitik in Form von Jugendarbeitslosigkeit und Armut. Eine europäische Arbeitslosenversicherung und „ein verbindliches Scoreboard sozialer Indikatoren“ sind für ihn Schritte „für die Schaffung eines Europäischen Sozialmodells“ (S. 62).
Der Kassler Professor für Sozial-und Gesundheitsrecht, Dr. Felix Welti, beschäftigt sich mit dem „Einfluss des Europäischen Wettbewerbsrechts auf die Organisation des deutschen Gesundheitswesens“. Er zeigt, „in welchem Ausmaß Europäische Kommission und Europäischer Gerichtshof über das Europäische Wettbewerbsrecht eine Europäisierung dieses Politikfeldes vorangetrieben haben“ (S. 8).
Dr. Bernd Schulte war Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht und überschreibt seinen Beitrag „Die Stellung der Wohlfahrtsverbände in Europa: Chancen und Risiken sozialer Dienstleistungserbringung“. Er ist gegen eine Ökonomisierung der sozialen Infrastruktur und setzt sich kritisch mit den Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels auseinander.
Im letzten Beitrag fragt der Bremer Professor für Politikwissenschaft, Dr. Frank Nullmeier, „Agieren oder reagieren? Strategische Optionen der Wohlfahrtsverbände im europäischen Einigungsprozess“. Ihm geht es um strategische Optionen für Organisationen der Sozialwirtschaft in einer EU, die nach seiner Überzeugung dem Binnenmarkt Vorrang vor dem Sozialen einräumt. Geschlossenheit nach innen und aktive politische Interessenvertretung nach außen ist der Rat, den er den Wohlfahrtsverbänden abschließend mit auf den Weg gibt.
Diskussion
Beim Lesen des Buches spürt man förmlich den „Druck und die Verantwortung, das Soziale unter dem Druck schrumpfender Finanzierungsspielräume und im Gegenwind eines harten Wettbewerbs mit gewinnorientierten Anbietern zu bewahren“ wie die Herausgeber im Vorwort schreiben (S. 8). Eine aktive Europäische Sozialpolitik und ein Ende der Austeritätspolitik sind die normativen Grundpfeiler der Autoren. Die Homogenität in den Auffassungen ist so groß, dass nicht einmal Fragen nach den realen Kosten oder wer sie tragen soll. eine Rolle spielen. Es stellt auch niemand die Frage, ob es die Akzeptanz Europas in Deutschland erhöht, wenn bestimmte Sozialleistungen nach europäischen Gesichtspunkten verteilt werden. Das Buch leistet mit seiner pointierten Positionierung aber einen wichtigen Beitrag zu der zweifellos notwendigen Debatte um das Soziale Europa.
Fazit
Der Sammelband blickt aus der Perspektive der Freien Wohlfahrtspflege auf Europa und plädiert für die Aufgabe der Austeritätspolitik und der nationalen Souveränität, um Europa zu beleben und mehr Gerechtigkeit zu erreichen.
Rezension von
Dr. phil. Andreas Meusch
Lehrbeauftragter an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenshaften (HAW), Hamburg,
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