Karlheinz Thimm: Methoden der Sozialen Arbeit lehren und lernen
Rezensiert von Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt, 02.09.2021

Karlheinz Thimm: Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule lehren und lernen. Beraten und Hilfe gestalten. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020. 290 Seiten. ISBN 978-3-7799-6244-1. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 33,75 sFr.
Thematischer Rahmen
Die Vermittlung von Wissen und Können, methodisch-abgestützt (also: teilhabefördernd, subjektzentriert, fallangemessen, geplant, reflexiv) zu handeln, wird als ein Kernelement der Lehre zur Sozialen Arbeit zu betrachten sein. Entsprechend bedeutungsvoll ist es, im Rahmen des Studiums der Sozialen Arbeit niveauvoll zu den Methoden zu lehren. Dabei sind die (vielfältigen) Herausforderungen (um nicht zu sagen: Schwierigkeiten), Methoden zu lehren (und zu lernen), den für die Vermittlung der methodischen Konzepte verantwortlich Lehrenden an Hochschulen angewandter Wissenschaft alltäglich (und vertraut): wie vermittle ich z.B. Community Organizing so, dass aus dem scheinbar abstrakten, theoretischen Konzept eine Erlebenssituation wird, die die Student*innen als realistisch und übertragbar auf eine künftige und noch unerlebte Praxis wahrnehmen (können)?
Die Frage, wie das gelingend geschehen kann, steht im Fokus des vorliegenden Buches, ist doch die Einschätzung des Verfassers sicher zutreffend: „Gelingende Lehre ist dozentenseitig ein Ensemble von passenden Arrangements (Setting), didaktischer Aufbereitung der Sache und Beziehungsgestaltung“ (S. 13).
Verfasser
Dr. phil. Karlheinz Thimm war bis Ende 2018 an der Evangelischen Hochschule Berlin Professor für Soziale Arbeit; seine Arbeitsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendhilfe (Hilfen zur Erziehung und Sozialarbeit an Schule) und Methoden in der Sozialen Arbeit.
Aufbau und Inhalt des Bandes
Thimm nennt drei Motive zu diesem Buch: „Erstens möchte ich Lust auf eine erfahrungsnahe Didaktik mit Übungselementen machen – gerade weil ich mich immer wieder erschrocken habe, wie wenig gelehrtes Wissen behalten und zu ‚lebendigem Besitz‘ wurde; zweitens liegt mir an einer Festigung und Stärkung des Stellenwerts von Methoden in der Sozialen Arbeit und im Studium; drittens sind die folgenden Gedanken Schlusspunkt meiner Hochschullehrerzeit und damit eine Art Bilanz“ (S. 9). Die klare Gliederung des Bandes in vier Teile folgt diesem Anspruch:
- Sozialpädagogische Kommunikation lehren und lernen, was am Beispiel des Rollenspiels diskutiert wird (S. 21 – 65).
- Soziale Arbeit mit Gruppen Lehren und Lernen (S. 67 – 83), wozu z.B. das Planspiel und aktivierende Lehr-Lern-Methodenlern-Methoden herangezogen werden (S. 76 ff.).
- Systemische (Familien-) Beratung in der sozialen Arbeit lehren und lernen (S. 85 - 185), wozu Thimm den „Fall Roland“ heranzieht an diesem Beispiel Beratungskonzepte und Grundlagen der Familien und Paarberatung und illustriert.
- Abschließend (S. 187 – 295) geht es darum, wie Unterstützungsprozesse in der Sozialen Arbeit gelehrt und gelernt werden (können); am Beispiel des „Falles Merhold“ werden u.a. Hilfeplanung, Hilferealisierung und Hilfeevaluation thematisiert.
Alle Lerneinheiten werden durch sog. „Wissensbausteine“ ergänzt. Es seien die Rückmeldungen von Student*innen gewesen, „die zur Aufnahme dieser Zusammenfassungen von Kernwissen in das Buch geführt haben“, wobei Thimm Vorhaltungen, komplexe Sachverhalte zu simplifizieren, billigend in Kauf nimmt: „Ich habe mich entschieden, den schlagwortartigen 'Spiegelstrichcharakter' beizubehalten – wohlwissend, dass dies nicht allen gefällt. Zwar kommt so kein Wohlgefühl durch Lesefluss auf, aber es entsteht ein dichter, geordneter, auf Wesentliches beschränkter Überblick über den Gegenstand und damit Gebrauchswert“ (S. 9).
Die Darlegung wird im Anhang zum Teil durch weitere Materialien zu den beiden Beispielfällen vervollständigt, wobei der Verfasser im Verhältnis zum Umfang des Bandes (359 Seiten) ein überraschend überschaubares Literaturverzeichnis auf dreieinhalb Seiten vorlegt, das 79 Titel ganz überwiegend seit dem Jahr 2000 präsentiert, was durchaus kein Makel des vorliegenden Bandes ist.
Zielgruppen
Der Band richtet sich faktisch zunächst an alle, die Methoden der Sozialen Arbeit lehren, implizit aber eben auch an jene, die sie lernen: sei es zur Erweiterung des bereits Gelernten, sei es zur Anregung, im Sinne studentischer Mitarbeit Lehre anzuregen!
Diskussion
An Hochschulen für angewandte Wissenschaft wird, da können die Einschätzungen von Thimm herangezogen werden, „vielerorts und in vielen Fächern abwechslungsreicher und kreativer als noch vor 30 Jahren gelehrt und gelernt“ (S. 12). Darin ist ein Fortschritt erkennbar. Zugleich sind aber doch auch immer wieder (und nach meiner Wahrnehmung zunehmende und lautere) Stimmen der Praxis vernehmbar, dem methodischen Handeln in der Sozialen Arbeit komme im Studium eine zu geringe Bedeutung zu, was sich in der Wahrnehmung der Praxis zunehmenden Fällen weitgehender methodischer Ungebildetheit der Absolvent*innen zeigt. Oft, so auch Thimm, werde eine z.T. „eklatante Differenz zwischen der didaktischen Theorie (den Begründungen, Zielen, Forderungen etc.) und der alltäglichen Umsetzung beklagt“; alltagsnahe Veröffentlichungen zu didaktischen Themen aus der Lehre und für die Lehre seien „immer noch dünn gesät“ (S. 13).
Unter den an den Hochschulen angewandter Wissenschaft im Bereich der Methoden Lehrenden werden solche Einschätzungen, nach meiner Wahrnehmung, eher mit Überraschung quittiert. Ob es zutreffend ist, dass „man“ (wer immer das sein mag) „sich auf normativer Ebene sehr weitgehend einig (ist), was gute Hochschullehre ausmacht“, das steht meines Erachtens doch in Rede, ebenso die von Thimm herangezogenen „Merkmale“ dieser Einigkeit, die da unter anderem seien: „Instruktionsqualität, inhaltliche Relevanz der Stoffe, Beachtung von Autonomie- und Aktivitätsbedürfnissen der Lernenden, Zielorientierung, an Vorwissen anknüpfende Stoff- und Aufgabenauswahl, Praxistransfer bzw. Anwendungsbezüge“ (S. 12).
Mir scheint, dass hier vieles eher unklar bleibt – und in Anbetracht der akademischen Herkunft der Lehrenden (meist eben kein*e Sozialarbeiter*innen), ihrer persönlichen berufspraktischen Erfahrungen im methodischen Handeln und ihrer aktuellen Anbindung an das Praxissystem auch bleiben muss. An anderer Stelle schreibt er: „Im engen und weiten Methodenverständnis ist man sich einig, dass Methoden durch Verfahrensweisen gekennzeichnet sind“ (S. 17). Dies ist die eine Seite.
Es gibt auch die andere Seite: Das m.E. eben nicht gegebene gemeinsame Grundverständnis der Lehrenden, was gute Lehre im Feld der Methoden Sozialer Arbeit bedeuten kann (soll, muss) auf der einen und vielfältige, durchaus selbstbewusst entwickelte (als vorgängiges „Wissen“ formulierte) Erwartungen der Student*innen (an das Studium allgemein und damit an die Vermittlung von Methodenkenntnissen als Schlüsselkompetenzen im Besonderen) auf der anderen Seite kommen hier zusammen. Thimm verweist darauf, dass die Student*innen der Sozialen Arbeit vielfältige biografische Erfahrungen („als Teil einer Herkunftsfamilie, als Kind mit einem spezifischen Lebensverlauf, eine individuelle Lerngeschichte als Schüler_in und als Mitglied einer Peergroup“) in das Studium mitbringen und durch lebensweltliche Kontexte geprägt sind („als Frau, als Mann; als jemand, die/der Verantwortung trägt, Geld verdient, Alltag bewältigt, mit Zugehörigkeiten und mit Identitätsentwürfen experimentiert“). Erfahrungen und Kompetenzen werden (z.B. im Jugendzentrum, im Jugendverband, in der Schüler*innen-Vertretung, als „Krankenpflegerin, Migrantin, Kellner, Taxifahrerin, Mutter“, in der Kirche) vor dem Studium gesammelt und prägen z.B. das Hilfeverständnis, die Einstellungen zur Beratung, zur Arbeit mit Gruppen, kurzum: „jenen Stoff also, der in den Methodenveranstaltungen aufgenommen, reflektiert, mit professionellen Wissensbeständen angereichert, auf stimmige Verwendung in beruflichen Schlüsselsituationen geprüft wird“ (S. 14).
Thimm versteht das Studium der Sozialen Arbeit „als Angebot zum Erwerb von berufsspezifischen akademischen Wissensbeständen, allgemeinen Schlüsselqualifikationen und feldnahen handlungsbezogenen Fähigkeiten“ und formuliert die Hoffnung, dass „(g)ut verinnerlichte Methoden“ sich in ein „intuitiv-spontane(m) Handeln“ niederschlagen werden (S. 13). In den Methodenseminaren werde Soziale Arbeit deshalb „als Beruf gelehrt. Das bringt es mit sich, dass handwerkliche Substanz grundgelegt wird“; es gehe „schlicht um das Angebot unverzichtbarer Wissensbestände mit rezeptivem Einschlag“ (S. 17). Deshalb zitiert Karlheinz Thimm meines Erachtens Michael Galuske (2005) auch zu Recht, dass die „Reduktion beruflicher Kompetenz auf technisches Können … primär einer vermeintlichen Handlungssicherheit der HelferInnen“ dient, weniger ihren Zielgruppen (S. 18).
Dieser Hinweis muss gegeben werden, denn der vorliegende Band könnte leicht als Brevier zu einem rein technischen Handeln missverstanden werden, das für eine Gruppe von Fällen die jeweils gleiche Schublade im großen Werkzeugkasten des methodischen Handelns öffnet. Gut vermitteltes methodisches Handeln, das das Unikat des Falles betont, die Notwendigkeit intuitiven Handelns sieht und Methodenanwendung als koproduktiven Akt begreift, ist das genaue Gegenteil, und für dieses Gegenteil steht dieses Buch.
Fazit
Karlheinz Thimm selbst schreibt über sein Buch: er verstehe es „deutlich mehr als Arbeits-, weniger als Lese-Buch“ (S. 9). Geht es erstens um dieses technische Können und geht es zweitens um Einzelfallarbeit (und Beratung), dann gelingt Thimm die Darstellung überzeugend. Gegenstand des Bandes ist das Lehren und Lernen zur Fallarbeit, die in erster Linie durch Beratung und Hilfeanbahnung, -planung und -realisierung gekennzeichnet wird. Aber wo ist die Gemeinwesenarbeit und die soziale Gruppenarbeit? Sie fehlen. Ich habe daher Sorge, dass der in diesem Sinne durchaus zurecht begrenzte und beschränkende Untertitel („Beraten und Hilfe gestalten“) übersehen werden könnte. Unbeschadet dieser faktischen Engführung ist der vorliegende Band allen zu empfehlen, die im Studium der Sozialen Arbeit Methoden und methodisches Handeln lehren, sei es, um sich für die eigene Lehre anregen zu lassen, sei es, die eigene Lehre kritisch zu reflektieren.
Rezension von
Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt
Professur für Grundlagen und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Magdeburg
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Zitiervorschlag
Peter-Ulrich Wendt. Rezension vom 02.09.2021 zu:
Karlheinz Thimm: Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule lehren und lernen. Beraten und Hilfe gestalten. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2020.
ISBN 978-3-7799-6244-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26603.php, Datum des Zugriffs 20.03.2023.
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