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Sandra Wesenberg: Tiere in der sozialen Arbeit

Rezensiert von apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting, 24.07.2020

Cover Sandra Wesenberg: Tiere in der sozialen Arbeit ISBN 978-3-17-031715-4

Sandra Wesenberg: Tiere in der sozialen Arbeit. Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2020. 208 Seiten. ISBN 978-3-17-031715-4. 29,00 EUR.
Reihe: Grundwissen soziale Arbeit - Band 34.

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Thema

Das Zusammensein mit Tieren und die Arbeit mit ihnen ist wirksam. Das gilt in erster Linie für Katzen, Hunde und Pferde, inkludiert aber ebenso die breite Palette an „Vieh, Vögeln und Fischen“, um einen berühmten Titel von Konrad Lorenz zu zitieren. In der Sozialen Arbeit umfassen tiergestützte Interventionen sowohl therapeutische als auch pädagogische Aktivitäten. In vielen Studien konnte die positive Wirkung des systematischen Einsatzes von Tieren belegt werden, in erster Linie im Rahmen von Kyno- und/oder Hippotherapie. Hunde, Pferde, andere Vierbeiner, aber auch Fische, Vögel und Kriechtiere mindern im Idealfall vielerlei Krankheitssymptome, sie motivieren, sie fordern heraus und fördern Kontakte und Kommunikation. Gerade Hunde gelten als „Eisbrecher“, wovon als Erstes die berühmte, immer wieder erzählte Geschichte von Boris Levinson und seinem Hund Jingels Zeugnis ablegt. Tiere können jedoch nicht nur den Status von Ko-Pädagogen oder Ko-Therapeuten besitzen, sondern die Arbeit mit ihnen könnte sich dem Ideal eines reziproken Trans-Spezies-Lernens annähern.

Obwohl die Forschung zu den Wirkmechanismen tiergestützter Aktivitäten inzwischen weit fortgeschritten ist, bleibt das theoretische Wissen begrenzt. Im Abseits jeder Idealisierung trägt Sandra Wesenberg in der vorliegenden Publikation die wichtigsten Ergebnisse aus Theorie und Praxis tiergestützter sozialpädagogischer Interventionen zusammen und unternimmt damit eine Gesamtschau zum Thema Tiere in der Sozialen Arbeit.

Autorin

Sandra Wesenberg „hat Erziehungswissenschaften, Studienrichtung Sozialpädagogik/​Soziale Arbeit (Diplom; TU Dresden) sowie Therapeutisch orientierte Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Master, HAW Mittweida) studiert und war von 2008 bis 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Wohlfahrtswissenschaften der Fakultät Erziehungswissenschaften der TU Dresden beschäftigt (Promotion 2014).

Seit 2017 ist sie als Gastprofessorin für Klinische Psychologie mit den Schwerpunkten Beratung und Therapie an der Alice Salomon Hochschule Berlin tätig. Zudem befindet sie sich in der Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin am Sächsischen Institut für methodenübergreifende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (SIMKI e.V.).

Ihre Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre sind Klinische Sozialarbeit, psychosoziale Diagnostik und Intervention in Kindheit und Jugend sowie Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen.“ (https://zks-verlag.de/verlag/​autorinnen-und-autoren/​wesenberg-sandra/, 24.06.2020)

Entstehungshintergrund

„Tiere in der Sozialen Arbeit“ bildet Band 34 der von Rudolf Bieker herausgegebenen Reihe „Grundwissen Soziale Arbeit“. Anliegen dieser Reihe ist es, in konzentrierter Form Basiswissen, das auch im Selbststudium erarbeitet werden kann, zur Verfügung zu stellen. Die ausgewählten Inhalte seien in besonderer Weise „lernzielorientiert“, die Stoffmenge sei überschaubar und werde anschaulich präsentiert, Theorie und Praxis seien angemessen verknüpft und die Sprache sei verständlich (vgl. Rudolf Bieker, „Vorwort zur Reihe“, S. 5).

Aufbau und Inhalt

Die Publikation gliedert sich in sechs Kapitel, auf die ein Literatur- sowie ein Abkürzungsverzeichnis und ein Register folgen. Zu Beginn jedes Kapitels befindet sich ein grau unterlegtes Feld, das die wesentlichen Informationen kondensiert („Was Sie in diesem Kapitel lernen können“), am Ende stehen Literaturempfehlungen. Im Verlauf der Kapitel sind bedeutende Zitate und/oder Hypothesen vom restlichen Text grafisch abgesetzt.

An den Anfang ihrer Ausführungen stellt Sandra Wesenberg einen Überblick über Mensch-Tier-Interaktionen in der Sozialen Arbeit. Sie fragt nach der Begründung der möglichen Ausweitung des sozialpädagogischen Handlungsbereiches auf Tiere. Seit Anfang der 1970er Jahre sei die Forschung zu Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen in hohem Maße interdisziplinär. Die deutschsprachige Literaturlage zum Thema sei insgesamt dürftig, außerdem sei eine Konzentration auf tiergestützte Interventionen zu beobachten. Der Anthropozentrismus der Sozialen Arbeit werde zunehmend kritisiert, viele AutorInnen argumentierten dahingehend, dass mit den Paradigmen und Gegenstandsbereichen Sozialer Arbeit auch die Verantwortung für Tiere einhergehen müsse. Wesenberg listet das „Person-in-Environment-Konzept“, die „systemische Perspektive“ und das „Paradigma sozialer Gerechtigkeit“ als Handlungsparadigmen, die eine Perspektiverweiterung erlauben. Unter anderem könne man das „One-Health-Konzept“ als interdisziplinären Ansatz, der für Soziale Arbeit herangezogen werden könne, aufführen. In Zukunft sei es unabdingbar, Theorien wie diese hinsichtlich ihres möglichen analytischen Nutzens für Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen zu überprüfen und anzuwenden. Das erste Kapitel schließt mit der Vorstellung der bis dato umfassendsten Studie zur „Berücksichtigung von Mensch-Tier-Beziehungen und Verbreitung tiergestützter Interventionen in der Sozialen Arbeit“, den Untersuchungen, die Christina Risley-Curtiss 2010 in den USA durchführte.

Kapitel 2 fokussiert die folgenden Thesen und Theorien zum Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Wirkungen:

  • Die „Biophilie-Hypothese“ (2.1) basiert auf der Annahme, dass der Mensch eine genetisch bedingte „Affinität zu Leben und lebensähnlichen Prozessen“ (S. 21) habe. Sandra Wesenberg erläutert die neun Perspektiven der Biophilie nach Stephen Kellert: „utilitaristisch, naturalistisch, ökologisch-wissenschaftlich, ästhetisch, symbolisch, humanistisch, moralistisch, dominierend und negativistisch“ (S. 22).
  • Das „Konzept der ‚Du-Evidenz‘“ (2.2), das Theodor Geiger in den 1920er Jahren entwickelte, impliziert die Kompetenz des Menschen, einzelne Tiere als „Du“ zu erkennen und diese als Individuen zu definieren.
  • „Bindungstheoretische Überlegungen“ (2.3) lassen sich auch auf die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren ausweiten. Forschungen zur Bedeutung der Bindungstheorie für die Erklärung der positiven Auswirkungen der Mensch-Tier-Beziehungen nimmt im deutschsprachigen Raum eine ForscherInnengruppe um Andrea Beetz vor.
  • „Kommunikationstheoretische Annäherungen“ (2.4) bewegen sich auf dem weiten Feld der analogen Kommunikation, denn die Mensch-Tier-Interaktion verläuft im Wesentlichen über das Codieren und Decodieren von nonverbalen Signalen. Verbale Kommunikation mit Tieren ist unzulänglich.
  • „Soziale Unterstützung“ (2.5) zielt auf die salutogenetische Wirkung sozialer Beziehungen, die auch mit der Hilfe von Tieren erreicht werden kann und meistens mit Alltagsinteraktionen verquickt ist.

Aus der Erläuterung dieser Theorien und Konzepte zieht Wesenberg das Fazit, dass der noch unbefriedigende Stand der Theoriebildung schon allein deshalb nicht erstaune, weil „Beziehungen zwischen Menschen und Tieren […] ähnlich multiplex und facettenreich wie zwischenmenschliche Verhältnisse“ (S. 33) seien.

Im nächsten Kapitel (3: Bio-psycho-soziale Wirkungen von Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen) widmet sich die Autorin zunächst dem aktuellen Forschungsstand zu den Wirkungen professionell motivierter Mensch-Tier-Interaktionen. Wenn sie danach die physiologischen (3.2), psychologischen (3.3) und sozialen (3.4) Wirkungen der Mensch-Tier-Beziehung betrachtet, referiert sie jeweils einen „Studienklassiker“, aus dem sich die entsprechenden positiven Effekte ableiten lassen. So geht etwa aus dem „Studienklassiker 3: Interaktions- und kommunikationsfördernde Wirkung von Hunden (Messent 1982/83)“ (S. 51 ff.) hervor, dass Hunde zu „sozialen Katalysatoren“ (S. 55) avancieren, dass sie Empathie fördern und positive soziale Attribution vermitteln können. In vielen Einrichtungen verbessere bereits die bloße Präsenz von Tieren die Interaktionsqualität, sie habe einen „normalizing effect“ (S. 56).

Nicht zu vernachlässigen sei jedoch die Kritik am „Pet Effect“ (3.5), denn die bio-psycho-sozialen Wirkungen von Tieren seien nicht durchweg positiv. So betone der amerikanische Psychologe Hal Herzog, der den „Pet Effect“ eher als Hypothese denn als Faktum ansehe, die Bedeutung einer extensiven und intensiven Erforschung der Wirkung von Tieren auf Menschen. Zur Darstellung der „Wirkungen tiergestützter Interventionen“ (3.6) zieht Wesenberg eine Reihe von Reviews und Meta-Analysen heran. Die Variationsbreite der Wirkungen sei beträchtlich. Hinzu komme, dass die Forschung zu tiergestützter Therapie bei Menschen mit psychischen Erkrankungen sich meistens auf den Einbezug von Hunden und Pferden sowie auf bestimmte Störungen konzentriere.

Für die „Zukunft der Forschung zu Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen“ (3.7) sei festzuhalten, dass in der Vergangenheit die „Tier-Seite“ oft in den Diskussionen zu kurz gekommen sei. Eine Reihe weiterer offener Fragen (S. 68) bestehe, beispielsweise nach dem spezifischen Setting, in dem die Ziele der Intervention am besten erreicht werden können, nach den Effekten auf die Tiere oder nach den Risiken und Nebenwirkungen. Wirkpotenziale sollten weiter untersucht und Interdisziplinarität unbedingt beibehalten werden, doch ForscherInnen sollten sich auch der Grenzen ihrer Bemühungen bewusst sein. Wesenberg zitiert Aubrey Fine und Alan Beck: „We need to appreciate that there are elements of life that can never be fully explained but only witnessed“ (S. 69).

Problematische Mensch-Tier-Interaktionen stehen in Kapitel 4 im Mittelpunkt, das mit einem Exkurs zum Tierschutzgesetz, vor allem § 2 (TierhalterInnen verpflichten sich zu artgerechter Haltung und Versorgung ihrer Tiere) einsetzt. Bei den meisten Fällen von „Animal Hoarding“ (4.2), im ICD-10 als unspezifische Zwangsstörung eingeordnet (vgl. S. 75), sei ein extremer Hang zur Anthropomorphisierung zu beobachten und aufgrund der ungewöhnlich hohen Anzahl an Tieren seien selbst die grundlegendsten Standards der Versorgung nicht mehr zu befolgen. Differenzieren könne man zwischen vier Typen, „overwhelmed caregiver“, „rescuer hoarder“, „breeder hoarder“ und „exploiter hoarder“ (S. 76 f.).

Nach den Ausführungen zu „Animal Hoarding“ geht Wesenberg über zu „Tiermisshandlung“ (4.3), wobei sie sich auf den Aspekt der privaten Gewalt gegenüber Tieren beschränkt. Während man „Tiermisshandlung in Kindheit und Jugend“ oft „als Ausdruck von Forschungsdrang oder Machterprobung“ einstufen und dieser „in den meisten Fällen leicht durch pädagogische Interventionen“ (S. 80) begegnen könne, existiere aber auch bereits im frühen Alter „Tiermisshandlung als psychische Auffälligkeit“, oft getriggert von eigener Gewalterfahrung. Obwohl es naheliege, Tiermisshandlungen in Kindheit und Jugend als Risikofaktor für spätere Kriminalität und Gewalt gegen Menschen zu deuten, müsse man sich vor allzu raschen Annahmen einer Kausalität hüten.

„Zoophilie“ (4.4), nächster Punkt in den „problematischen Mensch-Tier-Interaktionen“, sei – so wie Animal Hoarding und Tiermisshandlung – nicht eindeutig in der Fachliteratur bestimmt. Im ICD-10 sei sie als psychische Störung gelistet und laut Tierschutzgesetz verboten. „Die verbreitete Vorstellung, dass sexuelle Kontakte zu Tieren vor allem von kognitiv beeinträchtigten jungen Männern in ländlichen Regionen gesucht werden“ (S. 86), treffe indessen nicht zu.

„Der Verlust von Heimtieren“ (4.5), letztes Thema des Kapitels, müsse von den HalterInnen würdevoll verarbeitet werden dürfen. Oftmals seien die Reaktionen des Umfelds belastend.

Alle „problematischen Mensch-Tier-Interaktionen“ haben insofern Relevanz für die Soziale Arbeit, als SozialarbeiterInnen in ihrem Berufsalltag mit allen Facetten dieser Interaktionen in Berührung kommen können. Die Frage sei nicht, ob darauf reagiert werden müsse, sondern wie.

In Kapitel 5 erläutert Sandra Wesenberg Tiergestützte Interventionen. Es fehle zwar immer noch an einheitlichen Definitionen (5.1 Definition), aber seit dem Jahre 2018 könne man sich nach den Empfehlungen des „White Paper“ der IAHAIO (International Association of Human-Animal Interaction Organizations) richten, in dem zwischen tiergestützter Therapie, tiergestützter Pädagogik, tiergestützten Aktivitäten und tiergestütztem Coaching unterschieden werde. Durchführende tiergestützter Interventionen (5.2) seien sehr oft auch SozialarbeiterInnen. Hohe Anforderungen müsse man vor allem an die Fort- und Weiterbildungen stellen. Da diese oft nicht ausreichend seien, müssten sie durch kontinuierliche Inter- oder Supervisionen ergänzt werden. Des Weiteren benötige tiergestützte Arbeit eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz, zudem finanzielle Unterstützung und eine Würdigung durch die Einrichtung, in der die Tiere eingesetzt werden. Oft dulde man die tiergestützte Arbeit nur. Wesenberg lässt weit verbreitete „Vorbehalte gegenüber tiergestützten Interventionen“ (5.3) Revue passieren, bevor sie auf „rechtliche Rahmenbedingungen“ (5.4) und danach die „Perspektive des Tieres in tiergestützten Interventionen“ (5.5) eingeht. Im Zentrum steht hier das Konzept der „Five Freedoms“ des „Farm Animal Welfare Council“ aus dem Jahre 2009. Bei den Tieren müsse körperliches und psychisch-affektives Wohlbefinden vorhanden sowie naturgemäßes Verhalten möglich sein. Es sei jedoch schwierig, „Tierwohl zu erfassen oder messbar zu machen“ (S. 116). Die „Gewährleistung von Tierwohl und Tierschutz in tiergeschützten Interventionen“ (5.6) beinhalte nicht nur eine besondere Verantwortung im Allgemeinen, sondern bedeute auch, dass klare Tierwohl- bzw. Tierschutz-Kriterien eingehalten werden müssen. Wesenberg listet unter anderem die Tierwohl-/​Tierschutz-Kriterien der IAHAIO und die Empfehlungen der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT), bevor sie das Kapitel mit einem Überblick über „zentrale Akteure und Organisationen der Definition, Ausbildung, Qualitätssicherung und Erforschung tiergestützter Interventionen“ (5.7) beschließt.

Im letzten Kapitel (6: Tiergestützte Interventionen in verschiedenen Praxisfeldern) geht es zunächst um „frühkindliche Betreuung und Bildung in Kindertageseinrichtungen“ (6.1). Der Rahmenplan der Länder für Kindertagesstätten expliziere den Naturbezug als Grundsatz der Bildungsarbeit. Dabei werde der Kontakt zu Tieren, der beispielsweise auf zertifizierten „Begegnungshöfen“ hergestellt werden könne, erwähnt. Auch die Haltung von Tieren in der Kindertageseinrichtung könne in Betracht gezogen werden. Neben der artgerechten Tierhaltung seien dabei die „Bedarfe und Anforderungen der pädagogischen Arbeit“ genau zu beachten. Tiergestützte Pädagogik in der Schule (6.2) beziehe sich bei weitem nicht nur auf die tägliche Unterrichtspräsenz von Schulhunden, sondern ebenso auf die Haltung von Kleintieren und Interventionen mit ihnen. Darüber hinaus könne in der Schule spezifisches Wissen zum Umgang mit Tieren vermittelt werden oder Tiere, insbesondere Hunde, könnten beim Training sozialer Kompetenzen, bei der Leseförderung oder bei der Schulsozialarbeit im Allgemeinen, eine tragende Rolle spielen. Im Praxisfeld der offenen Kinder- und Jugendarbeit (6.3) sei tiergestützte Arbeit oft nicht als geplante Intervention mit festgesetzten Zielen für die KlientInnen organisiert, sondern beruhe auf pädagogischen Konzepten, die intensive und verantwortungsbewusste Kontakte zu Natur und Tieren anvisierten, häufig auf Kinder- und Jugendbauernhöfen. In der stationären Kinder- und Jugendhilfe (6.4) sei es mitunter wahrscheinlicher, dass die jungen KlientInnen, oft mit Traumatisierungshintergrund, eine sichere Bindung zu einem Tier als zu einem Menschen aufbauten. Tiere seien gerade in diesem therapeutischen Milieu, das auf Bindungs- und Beziehungsorientierung fuße, nicht selten soziale Katalysatoren, denn sie förderten eine entspannte Interaktionsatmosphäre. Im Kontext der Resozialisierung von straffälligen Personen (6.5) zählt Wesenberg verschiedene Formen der Interaktion mit Tieren auf, die vom „Kontakt zu natürlichen Wildtieren auf dem Gelände“ (S. 152) der Justizvollzugsanstalt bis hin zu „zielgerichteten Interaktionen mit ‚internen‘ (Therapiebegleit-)Tieren (z.B. Haltung von Kaninchen in der Anstalt und expliziter Einbezug in die Soziale Arbeit) oder mit ‚externen‘ (Therapiebegleit-) Tieren (z.B. professionelle tiergestützte Intervention mit Hunden“ (S. 152) reichen. Bei der Vielzahl an belegten positiven Wirkungen von Mensch-Tier-Interaktionen im Zuge der Resozialisierung werde die Frage nach möglichen negativen Auswirkungen oft vergessen. Für Straffällige, die an Programmen partizipierten, in die man die Ausbildung von Assistenzhunden einbinde und die einige Monate lang mit „ihrem“ Hund zusammenlebten, sei das Ende der Beziehung zwar abzusehen, aber besonders schmerzhaft. Obgleich stationäre Altenhilfe und Demenzbetreuung (6.6) keine originären Felder Sozialer Arbeit seien, bestehe die Notwendigkeit, dass Soziale Arbeit in Zukunft auch diese Praxisfelder umfasse. Interaktionen mit Tieren in Seniorenheimen seien gerade bei demenziellen Erkrankungen und dem damit einhergehenden herausfordernden Verhalten sehr wertvoll und die bio-psycho-sozialen Effekte tiergestützter Interventionen auch hier belegt. Wesenberg stellt die Arbeit von Daan Vermeulen vor, der im geriatrischen und pädagogischen Bereich mit Minischweinen arbeitet. Auch im Rahmen der „Palliative Care“ (6.7) sei tiergestützte Arbeit essenziell. In vielen Palliativstationen und in 90 Prozent der Hospize waren 2016 Tiere zugelassen. Meistens werde mit Hunden gearbeitet, doch auch pferdegestützte Palliativbegleitung sei möglich.

Wesenberg beschließt den Reigen der Praxisfelder mit dem „Einbezug der Heimtiere von Klient_innen in die Soziale Arbeit“ (S. 169). Zu berücksichtigen seien als erste Gruppe „von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen und ihre Heimtiere“. Aufgrund ihrer Tiere stießen Menschen ohne Wohnsitz auf noch stärkere Ablehnung als ohnehin schon. „Menschen mit Beeinträchtigungen und Assistenzhunde“ formieren hier die zweite Gruppe. Die sozialen Wirkungen von Begleithunden seien nicht zu unterschätzen. Allerdings sei der Einsatz von Assistenzhunden bei Epilepsie problematisch. „Menschen im höchsten Lebensalter und ihre Heimtiere“, letzte Gruppe, seien ambivalent zu betrachten: Einerseits dienten Tiere dem aktiven Altern, doch die Beziehung zu ihnen werde problematisch, wenn sie nicht mehr vollumfänglich versorgt werden könnten.

Diskussion

Im Gegensatz zu den meisten anderen Publikationen zu tiergestützter Pädagogik und/oder tiergestützter Therapie kommt die theoretische Fundierung des Einsatzes von Tieren in der Sozialen Arbeit hier nicht zu kurz, sondern wird vielmehr auf intensive Weise dargeboten.

Was zu Beginn etwas in der Luft hängt, ist die – sehr gewöhnungsbedürftige – Unterscheidung zwischen Haus- und Heimtieren. Dass Wesenberg danach bei dem Begriff „Heimtier“ bleibt, ist schon allein deshalb leicht prekär, weil in diesem Begriff doch die Bedeutung von „Heim“ im Sinne von Institution bzw. Einrichtung mitschwingt. Vielleicht könnte man schlichtweg bei dem Begriff „Tier“ bleiben, denn im Kontext der Sozialen Arbeit dürften keine Wildtiere gemeint sein und falls doch, würde dies sowieso eigens betont werden. Eine andere Option, der sich Wesenberg zum Glück oft bedient, ist die konkrete Benennung der Tierart.

Sollten die „Thesen und Theorien zur Mensch-Tier-Beziehung“ für einige LeserInnen Neuland sein, so erhalten sie im 2. Kapitel einen sehr guten Überblick zur Theoriebildung, der gleichzeitig die Neugier auf ein Mehr davon weckt. Dasselbe gilt für Kapitel 3, in dem die Autorin Forschungen zu den bio-psycho-sozialen Wirkungen der Mensch-Tier-Beziehungen adäquat und nachvollziehbar präsentiert. Erfreulich ist, dass sie dabei detailliert einige „Studienklassiker“ einbezieht. Eventuell nur pocht Wesenberg ein bisschen zu nachdrücklich auf die „empirische Fundierung“, wohlwissend und darauf immer wieder zurückkommend, dass die Arbeit mit Tieren besonders viele Unwägbarkeiten und empirisch nur bedingt fassbare Komponenten enthält. Zugute zu halten ist der Autorin, dass sie mit der Kritik am sogenannten „Pet Effect“ nicht hinter dem Berg hält. Glücklicherweise ist dies ein kleiner Wermutstropfen in den vielen positiven Effekten tiergestützter Arbeit.

Zeigt sich schon in den ersten drei Kapiteln, dass tiergestützte Interventionen nur ein Teilbereich des Vorkommens von Tieren in der Sozialen Arbeit sind, so manifestiert sich dies mit voller Stärke in Kapitel 4, wenn sich Wesenberg „problematischen Mensch-Tier-Interaktionen“ zuwendet und damit sehr überzeugend vor Augen führt, dass jede/r SozialarbeiterIn damit rechnen muss, mit Mensch-Tier-Interaktionen konfrontiert zu werden, wenn nicht mit Animal Hoarding, Tierquälerei und noch weniger Zoophilie, dann doch sicherlich einmal mit dem Verlust eines Tieres. Gerade SozialarbeiterInnen, die nicht selbst mit Tieren arbeiten und unter Umständen gar nicht tier-affin sind, sollten darauf vorbereitet sein. Aus dem Kapitel erhellt, dass Fachkräfte mit all ihrer Empathie in der Lage sein müssen, das zu mentalisieren, was in einem Menschen vorgeht, der ein geliebtes Tier verloren hat.

Während die ersten drei Kapitel zuvörderst Theorie liefern und Kapitel 4 Transitionscharakter besitzt, führen die Kapitel fünf und sechs mitten hinein in die eigentliche Arbeit mit Tieren in sozialpädagogischen Kontexten. In Kapitel fünf steckt Wesenberg die notwendigen Rahmenbedingungen ab und erläutert Maßnahmen des Qualitätsmanagements. Bei der Vorstellung der Organisationen, die pädagogische und therapeutische Fachkräfte für den verantwortungsvollen und tierethisch akzeptablen Einsatz von Tieren ausbilden und vorbereiten, geht Wesenberg sehr differenziert und exhaustiv vor. So wie die Autorin kann man nicht genug betonen, damit es auch dem/der Letzten klar wird, dass der Schutz der Tiere das Sine qua non für ihren pädagogischen und/oder therapeutischen Einsatz ist.

Im letzten Kapitel, wenn sich alles um tiergestützte Interventionen in der Praxis dreht, blüht nicht nur der Inhalt, sondern auch der Text selbst auf. Besonders positiv hervorzuheben ist unter anderem das „Modell der Wirkung tiergestützter Arbeit in Schulen“ (S. 140), das sich mit zielgruppenspezifischen Änderungen auch auf Kindertagesstätten, offene Kinder- und Jugendarbeit sowie stationäre Kinder- und Jugendhilfe übertragen ließe. Wesenberg vollführt hier im Übrigen das Spagat, das jeweilige Praxisfeld in aller gebotenen Kürze anzusprechen und sich dann auf ihr eigentliches Themengebiet zu konzentrieren. Dankenswerterweise bleibt auch hier immer das Tierwohl die wesentliche Komponente der Darstellung und erneut spart die Autorin mögliche negative Effekte tiergestützter Interventionen nicht aus. Lobenswert ist zusätzlich, dass auch Praxisfelder am Rande der grundständigen Sozialen Arbeit vorkommen, so etwa Aktionen mit Menschen mit demenziellen Erkrankungen (ein Highlight bietet der Abschnitt „Mit Schwein ins Heim“, S. 163 f.) und in der „Palliative Care“. Überall fällt auf, dass tiergestützte Interventionen nicht immer durchgeplant sein müssen, sondern dass häufig schon die bloße Anwesenheit von Tieren eine rundum förderliche Atmosphäre erzeugt. Die Arbeit mit den bereits vorhandenen Tieren der KlientInnen ist besonders geeignet, dies zu illustrieren.

Alles in allem liefert Sandra Wesenberg eine hervorragende und solide Totale auf ein schier unendliches Themengebiet. Nur ein Nachwort fehlt und manchmal wirkt die beeindruckende Vielfalt ein bisschen wie eine Fleißarbeit, in der kein Aspekt ausgespart werden darf. Diese Extension korrespondiert selbstredend mit der Intention der Reihe und dem Erfüllen dieses hohen Maßstabs ist rundum Hochachtung zu zollen. Über den Nachteil, der sich aus der Breite ergibt, lässt sich zwar hinwegsehen, und dennoch: an manchen Stellen hätte man sich etwas mehr Tiefe gewünscht, vielleicht auch mehr Visionen oder weitere Berichte aus der Praxis.

Fazit

Sandra Wesenberg ist es gelungen, ein interdisziplinäres, sehr breit gefächertes und multiperspektivisches Themengebiet so zu konzentrieren, dass daraus eine erstklassige Wissensbasis resultiert. Ihre Publikation stellt, dem Desiderat der Reihe „Grundwissen Soziale Arbeit“ entsprechend, ein Füllhorn an Grundwissen zur Verfügung, auf das Studierende und Durchführende der Sozialen Arbeit immer wieder rekurrieren und es sowohl als Ausgangslage für eigene Forschungen als auch Leitfaden für die Praxis heranziehen können.

Rezension von
apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting
Literaturwissenschaftlerin (Venia legendi für Romanische Literaturwissenschaft, Französisch und Italienisch) sowie Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik.
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Es gibt 41 Rezensionen von Anne Amend-Söchting.

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Zitiervorschlag
Anne Amend-Söchting. Rezension vom 24.07.2020 zu: Sandra Wesenberg: Tiere in der sozialen Arbeit. Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2020. ISBN 978-3-17-031715-4. Reihe: Grundwissen soziale Arbeit - Band 34. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26613.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.


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