Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus?

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 25.10.2005

Cover Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus? ISBN 978-3-406-52212-3

Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus? Verlag C.H. Beck (München) 2004. 272 Seiten. ISBN 978-3-406-52212-3. 19,90 EUR. CH: 34,90 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Gefährlich ist das alltägliche Vorurteil

Von der Schwierigkeit, nicht rassistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch... zu sein, darüber haben schon viele Autorinnen und Autoren, wie z. B. Annita Kalpaka und Nora Räthzel (1992), geschrieben. Auch über die Ursachen, Gründe und Auswirkungen von Rassismus, gibt es viele kluge Abhandlungen, wie z. B. die von Karin Priester: "Rassismus - Eine Sozialgeschichte" (2003) (vgl. dazu die Rezension).

Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Wolfgang Benz, ist jemand, der sich mit sein en zahlreichen Forschungen und Veröffentlichungen über die Geschichte der Judenfeindlichkeit, der Judenverfolgungen, des Holocaust und der deutsch-jüdischen Beziehungen kompetent zu Wort meldet. Mit dem umfangreichen Forschungsprojekt "Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager", das er, zusammen mit der Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel und zahlreichen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von 2005 bis 2008 durchführt, bringt er zudem zur bisherigen Wahrnehmung und Dokumentation des nationalsozialistischen Vernichtungsterrors ein wichtiges Element in die gesellschaftliche Erinnerungsarbeit ein. Dazu liegen bisher die umfangreichen Bände 1 - "Die Organisation des Terrors" - und 2 - "Der Ort des Terrors" - 2005, C. H. Beck Verlag, vor.

Inhalt

Mit dem Buch "Was ist Antisemitismus?" will der Autor nicht "judenfeindliche Aggression und Propaganda mit dem Ziel, Abscheu, Schuld und Betroffenheit zu erzeugen", darstellen. Vielmehr unternimmt er den Versuch "das alltägliche Vorurteil der Mehrheit gegen die Minderheit zu betrachten, um seine Ursachen und Wirkungen zu erkennen". Mit seiner Arbeit will er nicht anklagen oder verurteilen; vielmehr geht es ihm darum, dass "das Phänomen Judenfeindlichkeit ... in seiner Dimension und Verbreitung weder dramatisiert noch schöngeredet oder bagatellisiert" wird. Es geht ihm also um Aufklärung und um Reflexion über ein schwieriges Thema. Er beginnt mit dem Problem, das er als "Feindschaft gegen Juden" benennt. Dabei geht er nicht in die Jahrhunderte lange Geschichte der Judenverfolgungen zurück, wie dies bei ähnlichen Arbeiten sonst erfolgt, sondern mitten hinein in unsere gesellschaftliche (deutsche) Diskussion. An zahlreichen Beispielen von antisemitischen Äußerungen von Politikern und anderen öffentlichen Personen deckt er spontane, vermeintlich "harmlose" und "nicht-so-gemeinte" Aussagen über die Juden als Antisemitismus auf. Die Möllemanns, Hohmanns, Walsers, u. a. drückten ja nichts anderes aus als die Stereotypen, die sich in der "Mitte der Gesellschaft" befänden. Einen Schlüssel zum Verständnis böte die Erkenntnis, dass die Ursache des Vorbehaltes in der Mehrheitsgesellschaft liege, nicht im Verhalten oder in den Eigenschaften der Minderheit. "Antisemitismus ist kein aus dem gesellschaftlichen Kontext zu isolierendes Vorurteil gegen eine bestimmte Minderheit, Antisemitismus ist vielmehr der Prototyp des sozialen und politischen Ressentiments und darum auch ein Indikator für den Zustand der Gesellschaft".

Indem er zahlreiche Zuschriften von Menschen aus allen Schichten der deutschen Gesellschaft an den Zentralrat der Juden auswertet, meist im Zusammenhang mit den Auftritten von jüdischer Prominenz oder von antisemitischen Aktivitäten, fragt er nach den Motiven der Briefschreiber. Dabei kommt er zu einer Reihe von Gründen, die eine Analyse des "schwierigen Verhältnisses" ermöglichen: Gekränkter Nationalstolz, Sozialneid, uneingestandene Schuldgefühle, allgemeiner Unmut über gesellschaftliche Verhältnisse, Überfremdungsangst, Retourkutschen... Die Darstellung und vorsichtige Bewertung der Aussagen könnten dazu dienen, etwa in öffentlichen Diskussionen und in der schulischen Bildung die Hintergründe von Stereotypenbildung und von vermeintlich "eindeutigen" Antworten aufzudecken. Nicht unbedeutend für den gesellschaftlichen Diskurs ist es, nach den religiösen Ressentiments im Verhältnis von Juden und Christen zu fragen; wie auch nach den Vorurteilen, wie sie sich im alltäglichen Umgang und in der Alltagssprache ergeben. Natürlich gehört die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Nationalismus zu den notwendigen Imponderabilien im Kampf gegen Antisemitismus in unserer Gesellschaft; genau so wie das Nachdenken über das "zähe Leben eines Konstrukts", das sich "jüdische Weltverschwörung" nennt und in den Köpfen herum geistert. Die Umfragewerte, die nach den Einstellungen der Deutschen zu den Juden fragen, sind alarmierend, erfordern aber gleichzeitig eine differenzierte Betrachtung. Der Autor gibt dafür einige Anhaltspunkte und Anregungen. Schließlich richtet Wolfgang Benz den Blick auch über den bundesdeutschen Gartenzaun, zu Tendenzen von Judenfeindlichkeit in Europa. Auch hier, bei allen besorgniserregenden Trends wird deutlich und als europäische Aufgabe formuliert: Jüngere Menschen sind weniger anfällig für Antisemitismus und Bildung immunisiere dagegen.

Fazit

Wie bei rassistischen, ethnozentristischen und Höherwertigkeitsvorstellungen auch - die Auseinandersetzung mit Antisemitismus erfordert ein intellektuelles und emotionales Engagement und ein Bewusstsein für das, was im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, vom 7. März 1966 zum Ausdruck kommt, dass "jede Lehre von einer auf Rassenunterschiede gegründeten Überlegenheit wissenschaftlich falsch, moralisch verwerflich sowie sozial ungerecht und gefährlich ist", und dass Antisemitismus geeignet ist, den Frieden und die Sicherheit unter den Völkern, wie auch das harmonische Zusammenleben der Menschen innerhalb eines Staates zu stören. Des Autors Fazit: "Judenfeindlichkeit ist zuerst und vor allem anderen ein Symptom für Probleme in der Mehrheitsgesellschaft". Wenn also der Finger auf den Anderen zeigt, weil er einen anderen Glauben hat, eine andere Herkunft, eine andere Kultur, weisen die drei Finger auf sich selbst zurück. Dann ist der Perspektivenwechsel angesagt!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
Mailformular

Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245