Jutta Bläsius: Montessori entdecken!
Rezensiert von Ingeborg Müller-Hohagen, 02.09.2020

Jutta Bläsius: Montessori entdecken! 150 Ideen und Impulse aus der Montessori-Pädagogik.
Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2020.
112 Seiten.
ISBN 978-3-451-38588-9.
D: 15,00 EUR,
A: 15,50 EUR,
CH: 21,90 sFr.
Illustrator: Frank Wowra.
Thema
Das Buch bietet Grundgedanken der Montessori-Pädagogik an sowie Ideen und Anregungen, wie man Montessori-Material selbst herstellen kann.
Autorin
Jutta Bläsius ist Erzieherin mit Montessori-Diplom. Sie arbeitet an einer Montessori-Einrichtung in Luxemburg. Sie ist zudem ausgebildete Entspannungspädagogin, hat eine Zusatzqualifikation für Psychomotorik und ist Imperial Feng Shui Beraterin.
Frank Wowra hat die Illustrationen zu dem Buch gestaltet.
Entstehungshintergrund
Jutta Bläsius möchte Eltern, Großeltern und pädagogische Fachkräfte mit diesem Buch auf die Montessori-Pädagogik neugierig machen, auf den „neuen Blick“ auf das Kind und die Montessori-Materialien.
Aufbau
Das Buch ist wie folgt aufgebaut:
Einleitung
- Die äußere und innere Ordnung
- Selbstständigkeit und Individualität
- Sinnvoll und wahrnehmbar
- Bewegung und Stille
- Ich und die anderen
- Natur und Umwelt
- Erzählen, schreiben und lesen
- Mengen, Formen und Zahlen
Alle Angebote im Überblick
Literatur
Inhalte
1. Die äußere und innere Ordnung
Jutta Bläsius beschreibt, dass Maria Montessori das Bedürfnis nach Ordnung bei Kindern für sehr stark einschätzt. In einer Montessori-Einrichtung ist jeder Raum nach den unterschiedlichen Lernbereichen gegliedert (Sinnesmaterial, Übungen des täglichen Lebens, Sprache, Mathematik etc.). Jedes Kind findet so alles, was es benötigt, und stellt die Materialien wieder an ihren Platz. Diese äußere Ordnung hilft dem Kind, Sicherheit, Orientierung, Verlässlichkeit und Selbstständigkeit zu gewinnen und zu seiner inneren Ordnung zu finden.
Es folgen Beispiele von Tätigkeiten, die dem Kind helfen, diesem Ordnungsbedürfnis nachzugehen, und die auch zu Hause ausgeübt werden können, z.B. Stifte sortieren, Bücher einräumen, Besteck sortieren, Socken paaren, Knopfreihen legen etc.
In grünen Feldern sind die dazu passenden Montessori-Prinzipien genannt:
- „Die sensiblen Phasen“, in denen das Kind verstärkt und nachhaltig Inhalte im Lernprozess verfolgt und verarbeitet
- „Die Polarisation der Aufmerksamkeit“, heute in der Psychologie nach Mihály Csíkszentmihályi „Flow“ genannt
- „Die Analyse der Bewegungen“ als Voraussetzung dafür, komplexe Handlungen nahezu ökonomisch auszuführen, in sinnvoller Reihenfolge
2. Selbstständigkeit und Individualität
Im farbigen Kasten beschreibt Jutta Bläsius den Montessori-Begriff „Absorbierender Geist“. Vor allem in den ersten Lebensjahren absorbiert das Kind Details aus seiner Umgebung – und das unbewusst, mühelos, schnell, ganzheitlich.
Maria Montessori unterstützt den frühen Drang der Kinder, selbstständig und unabhängig von den Erwachsenen zu werden, mit den „Übungen des täglichen Lebens“. Diese sollten zu Hause und im Kinderhaus/​Kindergarten und der Schule den Kindern angeboten werden. Solche Übungen sind:
- Hände waschen
- Gesicht eincremen
- Den Boden fegen
- Reis schütten
- Wasser in verschiedene Behälter gießen
- Eine Kerze anzünden etc.
3. Sinnvoll und wahrnehmbar
Maria Montessori eröffnet dem Kind mit dem sogenannten „Sinnesmaterial“ die Möglichkeit, durch die Sinne Erfahrungen und neue Erkenntnisse und Fähigkeiten zu gewinnen.
Jutta Bläsius stellt im farbigen Kasten Kriterien für Montessori-Materialien dar, z.B.:
- „Sie sind in ihrer Größe, Form und Handlichkeit auf die Kinder abgestimmt.“
- „Die Materialien haben einen hohen Aufforderungscharakter, denn sie sind ästhetisch schön in den Farben.“
- Das besondere Merkmal des Materials ist die Isolierung der Sinne (z.B. Gesichtssinn) und die Isolierung der Eigenschaften der Ding (z.B. Größe, Dicke).
- Ein wichtiges Merkmal ist die Selbstkontrolle des Materials. Dies ermöglicht es dem Kind, Fehler selbst zu finden.
Jutta Bläsius erwähnt Montessori-Sinnesmaterialien wie z.B. den Rosa Turm, beschreibt aber vor allem, wie man sich Sinnesmaterialien selbst herstellen kann. Beispiele sind:
- Geräuschdosen
- Tastbrettchen
- Stoff-Kästchen
- Gerüche paaren
- Dreieck, Viereck, Kreis
4. Bewegung und Stille
Die Autorin zitiert Maria Montessori, die in ihrem Buch „Die Entdeckung des Kindes“ das Grundbedürfnis des Kindes nach Stille beschreibt und erklärt, welch große Bedeutung hilfreiche Angebote dazu für die kindliche Entwicklung haben.
„Das Gehen auf der Linie“ hat Maria Montessori beschrieben, die weiteren Übungen sind von Jutta Bläsius überlegt:
- Einen Stuhl tragen
- Eine Tür leise öffnen und schließen
- Eine Wasserschale tragen
- Die Stille-Ecke
- Namen flüstern
5. Ich und die anderen
Nach Maria Montessori benötigen Kinder eine altersgemischte Gruppe, in der sie viele unterschiedliche soziale Erfahrungen machen können. Das beschreibt die Autorin. Sie meint damit, „Empathie, Vertrauen, Fairness, Toleranz, Kooperation.“ (S. 60)
Im farbigen Kasten schreibt Jutta Bläsius über „Grenzenlose Freiheit?“ (S. 67) Freiheit benötigt das Kind für die Entscheidung, wann, wo, wie lange, mit wem und was es erlernen möchte. Diese Freiheit hat nach Maria Montessori deutliche Grenzen, wenn sie die Interessen eines anderen beschneidet oder wenn das Material unsachgemäß behandelt wird.
Folgende Übungen werden im Buch als Anregung für soziales Verhalten angeboten, z.B.:
- Die Montessori-Geburtstagsfeier nach einem Ritual
- Das Geburtstags-Mandala
- Der Redestein für die Einhaltung von Gesprächsregeln im Kreis
- Das Gruppenalbum
- Den Tisch decken
- Jemanden begrüßen
- Der Friedenstisch für die Klärung von Konflikten
6. Natur und Umwelt
Für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren hat Maria Montessori die sogenannte „Kosmische Erziehung“ entwickelt. Sie möchte auch schon Kinder anregen, Verantwortung für den Kosmos, die Natur, die Umwelt zu übernehmen.
Jutta Bläsius nennt Angebote, die Kindern den Weg dazu zeigen, auch wenn hierzu keine speziellen Montessori-Materialien zur Verfügung stehen:
- Der Jahreszeitenkreis mit vier Segmenten für die vier Jahreszeiten
- Die Jahreskette mit 365 Holzperlen mit speziellen Farben für jede Jahreszeit
- Schnecken beobachten in einem Terrarium
- Steine untersuchen
- Topfpflanzen pflegen
- Schnittblumenpflege
- Herbstblätter sortieren
- Der „Dreck-weg-Spaziergang“ mit Müllbeutel und Zangen zum Umweltschutz
Im farbigen Kasten beschreibt die Autorin das Montessori-Prinzip „Die Vorbereitete Umgebung“. Dies ist die wichtige Aufgabe für Pädagoginnen und Pädagogen in Kita und Schule, ein Materialangebot zu machen, das immer wieder kritisch überprüft und verändert werden muss gemäß den Bedürfnissen der jeweiligen Entwicklungsstufe.
7. Erzählen, schreiben und lesen
Maria Montessori beschreibt den Erwerb der Sprache als komplexen Vorgang, in dessen erster Phase (0 bis ca. 2,5 Jahre) das Kind die Sprache wie ein Schwamm aufsaugt. Dies gilt für die Muttersprache, aber auch für Fremdsprachen.
In der zweiten Phase (2,5 bis ca. 6 Jahre) baut das Kind seinen Wortschatz auf, vervollständigt den Satzbau und verfeinert insgesamt seine Sprache.
Im farbigen Kasten beschreibt Jutta Bläsius die Rolle der Erwachsenen in der Montessori-Pädagogik. Sie sind Beobachter, Ratgeber und Helfer, die eigene Impulse zurückhalten und Kinder aktiv werden lassen.
Material für diesen Prozess gibt es in Montessori-Einrichtungen. Sie können auch selbst hergestellt werden.
- Der Bauernhof (mit Gebäuden, Tieren und Menschen)
- Gegenstände und Bilder zuordnen
- Einsatzfiguren (verschiedene Flächen zum Vorbereiten auf das Schreiben)
- Sandpapierbuchstaben zum Erfühlen der Buchstaben
- Das Sandtablett zum Malen und Schreiben
- Buchstabenpuzzles (für Konsonanten rotes Tonpapier, für Vokale blaues)
8. Mengen, Formen und Zahlen
Im farbigen Kasten beschreibt die Autorin, dass Maria Montessori den menschlichen Geist als „mathematischen Geist“ bezeichnet hat. Ein Mensch hat von Geburt an mit Mathematik zu tun, „denn immer dann, wenn er ordnet, Serien bildet, Rhythmen erzeugt oder vergleicht, kommt der mathematische Geist zum Einsatz.“ (S. 96)
Maria Montessori hat wertvolles Material entwickelt (Sinnesmaterial und Mathematik-Material), das den Kindern hilft, mathematische Strukturen kennenzulernen und vom konkreten zum abstrakten Denken zu gelangen.
Auch in diesem mathematisch-geometrischen Bereich hat die Autorin Übungen beschrieben, die im Alltag genutzt werden können, um die Entwicklung des mathematischen Geistes zu unterstützen:
- Wasser schütten (1 l Wasser auf 4 Gläser mit 250 ml verteilen)
- Ein Formen-Heftchen gestalten (geometrische Figuren wie Quadrat, Kreis etc. ausschneiden und aufkleben)
- Münzen sortieren
- Die Messlatte (um die Größe der Kinder zu markieren)
- Perlen auffädeln (Anzahl der Perlen und die Namenskarten der Ziffern zuordnen)
- Farbige Perlenstäbchen (Nachbauen des Montessori-Materials mit den gleichen Farben der Perlen)
Fazit
Jutta Bläsius hat ihr Buch „Montessori entdecken“ genannt mit „150 Ideen und Impulsen aus der Montessori-Pädagogik“. Das ist ihr gelungen. In den farbigen Kästen der jeweiligen Kapitel beschreibt sie Montessori-Prinzipien. Besonders zu beachten ist die Rolle der Erwachsenen bei Maria Montessori, nämlich Beobachter, Ratgeber, Helfer zu sein, aber nur, wenn das Kind dies wünscht. Die Autorin gibt Pädagogen und Pädagoginnen und Eltern, die nicht über das Montessori-Material verfügen, wertvolle Ideen und Hinweise, wie sie sich selbst ähnliches Material herstellen können.
Dieses Buch ist geeignet für die Arbeit mit Kindern bis zu sechs Jahren, vereinzelt vielleicht auch für Kinder in der Grundschule. Diese Einschränkung hätte ich gern auf der Titelseite oder in der Einleitung gelesen.
Die Illustrationen von Frank Wowra geben dem Buch einen fröhlichen Charakter, sie sind einfallsreich und witzig.
Rezension von
Ingeborg Müller-Hohagen
Ehemalige Rektorin der Montessori-Schule Wertingen, ehemaliges Vorstandsmitglied des Montessori Landesverbands Bayern, Lehrbeauftragte für Montessori-Pädagogik an den Universitäten Augsburg und Passau, Dozentin der Montessori Bildungsakademie München
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