Dennis Nano: Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule im Krankenhaus
Rezensiert von Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch, 22.05.2020

Dennis Nano: Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule im Krankenhaus. Eine Aufgabe des Pflegemanagements.
Mabuse-Verlag GmbH
(Frankfurt am Main) 2020.
168 Seiten.
ISBN 978-3-86321-451-7.
D: 26,95 EUR,
A: 27,80 EUR,
CH: 34,70 sFr.
Reihe: Mabuse-Verlag Wissenschaft - 116.
Thema
Im vorliegenden Buch geht es um die Verantwortung des Pflegemanagements gegenüber homosexuellen Mitarbeitenden und Patient_innen, die vor Benachteiligungen und Diskriminierungen aufgrund ihrer sexuellen Identität geschützt werden müssen. Die Arbeit will aufklären, sensibilisieren und Wege aufzeigen, wie Vielfalt gelebt werden kann und welche Instrumente dem Management hierfür zur Verfügung stehen. Der im Titel des Buches verwendete Begriff „Kultursensibilität“ beinhaltet gemäß der vom Autor zitierten Arbeitskreis Charta für eine kultursensible Altenpflege (Kuratorium Deutsche Altershilfe 2002, S. 19) die „Suche nach einer Verständnis- und Begegnungsmöglichkeit“, die „Aufmerksamkeit für die kulturellen Prägungen und Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen und für die Folgen des Pflegehandelns. Sie ist in einer besonderen Weise biographie- und subjektorientiert“. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich dessen bewusst zu sein, dass „es sich bei der Pflege von homosexuellen Menschen nicht um eine andere Art zu pflegen handelt“ (S. 118/119), sondern darum, auch in der Pflege ihre spezifischen Lebenssituation zu berücksichtigen.
Autor
Dennis Nano, geb. 1980, ist Gesundheits- und Krankenpfleger und studierte Pflegemanagement. Er arbeitet seit 1996 in unterschiedlichen Fachbereichen und in leitenden Positionen im Krankenhauswesen. Er lebt in Köln.
Entstehungshintergrund
Bei der Pflege von Lesben und Schwulen besteht aktuell ein großer Aufklärungs- und Handlungsbedarf. Das Wissensmanko bezieht sich sowohl auf die Patient_innen als auch auf die Pflegenden. Aus diesem Grund war es dringend notwendig, die bestehende Literatur aus dem Pflegebereich aufzuarbeiten und daraus Schlüsse für das Pflegemanagement zu ziehen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst außer einem Geleitwort von Prof. Dr. phil. Guido Heuel, einem Literaturverzeichnis, einem Tabellenverzeichnis, einem Abkürzungsverzeichnis und den Abbildungen 8 Kapitel, in denen sich der Autor mit der Frage auseinandersetzt, wie eine kultursensible Pflege von Lesben und Schwulen im Krankenhaus garantiert werden kann.
In der „Einleitung“ (Kapitel 1) legt der Autor dar, dass das Thema der gleichgeschlechtlichen Orientierung von Patient_innen wie Pflegenden im Krankenhaus hohe Relevanz besitzt und bei dem Bemühen, die Betreffenden vor Diskriminierungen und Benachteiligungen zu schützen, dem Pflegemanagement eine große Bedeutung zukommt. Sich berufend auf die Präambel des Ethikkodex des International Council of Nurses (2012), in der explizit auch die sexuelle Orientierung genannt wird, ergibt sich für den Autor die Notwendigkeit, über die Geschichte und die Sozialisation von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen zu informieren, um daraus Strategien für einen respektvollen Umgang mit ihnen abzuleiten.
Kapitel 2 mit drei umfangreichen Unterkapiteln ist dem Thema der „Verfolgung von Homosexualität“ gewidmet. Da der Autor davon ausgeht, dass zum Verständnis der heutigen Situation die Kenntnis der historischen Entwicklung notwendig ist, umfasst dieses Kapitel fast ein Drittel seines Buches. In verschiedenen Unterkapiteln wird die Homosexualitätsfeindlichkeit von der Zeit des frühen Christentums über das Mittelalter bis in die Gegenwart dargestellt. Prägend für die negative Haltung gegenüber der Homosexualität war die Verabschiedung des Paragraphen 175 im Jahr 1871 (die Abschaffung erfolgte erst 1994 im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands) und vor allem die Machtergreifung der Nazis. Auch nach dem 2. Weltkrieg fand homosexuelles Leben größtenteils im Verborgenen statt. Die negative Haltung gegenüber homosexuellem Leben wurde – und wird – nicht zuletzt auch durch die Sicht der christlichen Kirchen auf die Sexualmoral geprägt. Eine gesellschaftliche Öffnung erfolgte erst langsam im Zusammenhang mit der Auflehnung der LGBT-Community 1969 in New York (CSD) und diversen Emanzipationsbewegungen und queeren Vereinen und Gruppen. Dies fand seinen Ausdruck nicht zuletzt in der Möglichkeit, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, in der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und zuletzt in der gesetzlichen Neuerung, gleichgeschlechtliche Ehen einzugehen und damit auch das Adoptionsrecht zu öffnen. Über diese für Deutschland und bedingt auch für andere europäische Länder geltenden Verbesserungen der Lebensrealität homosexueller Menschen darf indes nicht hinwegtäuschen, dass die Rechtslage in Europa und weltweit sehr unterschiedlich ist.
Den „Stand heute – Zahlen, Daten, Fakten“ stellt der Autor in Kapitel 3 dar. Wie bekannt, ist es nicht möglich, verlässliche Zahlen über die Anzahl von Menschen mit einer gleichgeschlechtlichen Orientierung zu eruieren. Der Autor zitiert aus einigen von ihm verwendeten Quellen für Deutschland einen LGB-Anteil zwischen 1 % und 7.4 %, wobei selbst 7.4 % eindeutig eine Unterschätzung sein dürfte. Informativ ist die Gegenüberstellung der bestehenden Antidiskriminierungsgesetze und -stellen auf der einen Seite und der Realität mit Diskriminierungen und ihren Folgen für homosexuelle Menschen, Homophobie sowie Hasskriminalität und Gewalt auf der anderen Seite. Den Abschluss dieses Kapitels bildet ein Überblick über die Rechtslage in Europa und weltweit. Aus diesen Befunden zieht der Autor Schlüsse für die weitere Behandlung seines Thema (z.B. die Verantwortung der Arbeitgebenden, Diskriminierungen zu verhindern; die Tatsache, dass das Nichtberücksichtigen der Lebensform von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen im Gesundheitswesen am häufigsten zu Diskriminierungen führt; die Notwendigkeit der Aufklärung, Sensibilisierung und Vermittlung von Wissen im Gesundheitsbereich über Formen der sexuellen Vielfalt).
Das „Methodische Vorgehen“ schildert der Autor in Kapitel 4. Er hat sich für eine Literaturarbeit entschieden, weil er darin die beste Gewähr sieht, der Gefahr einer Auswahlverzerrung (welche Institutionen einbezogen werden) und einer Antwortverzerrung, insbesondere in Gestalt sozial erwünschter Antworten, zu begegnen. Neben der Analyse pflegerischer Standardwerke betrifft die verwendete Literatur auch Informationen aus dem facebook und aus Internetpräsenzen verschiedener LGBT-Stiftungen und Vereinigungen.
Das Kernstück des vorliegenden Buches bildet das Kapitel 5 „Pflege von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen“. In einem ersten Schritt hat der Autor verschiedene Auflagen einiger Standardwerke der Alten- und Pflegeliteratur aus verschiedenen Verlagen im Hinblick auf kultursensible Pflege verglichen. Er kommt zum Resultat, dass das Thema Homosexualität insgesamt wenig behandelt wird, in den Standardwerken der Altenpflegeausbildung aber breiter abgebildet ist als in den Krankenpflegewerken. In zwei Unterkapiteln setzt Dennis Nano sich mit der wegweisenden Interview-Studie von Heiko Gerlach und Markus Schupp (2017) auseinander, in der es um die „Theorie der Anerkennung von Homosexualitäten in der Altenpflege“ geht, sowie mit der Studie von Stummer (2015) über „Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule“ in der Altenpflege. Ausgehend von Stummers Arbeit definiert der Autor zehn Anregungen für die kultursensible Pflege für Lesben und Schwule, wie „(An-)Erkennen der Relevanz“, „Wahrnehmen der Verantwortung“, „Versteckt und doch präsent“, „Umgang mit Vulnerabilität“, „Arbeiten mit Biografien“ etc. (S. 110). In weiteren Unterkapiteln werden das Fachforum „Regenbogenkompetenz in Pflege und Alter“ und das Konzept der „Vielfalt im Gesundheitswesen – Diversity Management“ vorgestellt. Dabei zeigt der Autor auf, dass es bereits etliche Möglichkeiten für einen sichtbaren „integrativen Ansatz mit Blick auf die Lebenswelten von Lesben und Schwulen gibt, der nicht zu einer Separierung dieser Menschen führt“ (S. 118). Dies sind insbesondere die „Charta der Vielfalt“, das „Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt“ und das niederländische Zertifizierungsprogramm „Regelbogenschlüssel“. In Bezug auf die Berücksichtigung sexueller Vielfalt kommt dem Pflegemanagement eine besondere Bedeutung zu, da das Management nicht nur den Mitarbeitenden und Auszubildenden gegenüber, sondern auch den Patient_innen gegenüber Verpflichtungen eingeht. In diesem Zusammenhang beschreibt der Autor aus vier verschiedenen Positionen heraus wichtige Forderungen und Themen: Aus Sicht von Ausbildung und Wissenschaft, aus Sicht der Mitarbeitenden, aus Sicht der Patient_innen und Angehörigen sowie aus Sicht des Managements und der Trägerschaft.
Den „Ergebnissen der Forschungsfragen“ ist Kapitel 6 gewidmet. Es betrifft die folgenden Themen: die Wissenslücken, die bei Pflegenden zum Thema Homosexualität bestehen; die Erfahrungen von Pflegenden wie Patient_innen mit diskriminierendem Verhalten ihnen gegenüber; die Management-Instrumente, die eine Anerkennung von Vielfalt öffentlich machen und die das Verhalten von Mitarbeitenden nachhaltig prägen können; die Bedeutung und die Verantwortung des Pflegemanagements bei der Schaffung und der Verbesserung einer „Regenbogenkompetenz“. Aus seiner Literaturrecherche zieht der Autor die folgenden Schlüsse: das Thema der kultursensiblen Pflege von Lesben und Schwulen wird in der Ausbildung und im Wissenschaftsbereich nicht ausreichend behandelt; die sexuelle Orientierung wird am Arbeitsplatz häufig verschwiegen und kann, wenn sie öffentlich gemacht wird, zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen führen, obwohl gerade gemischte Arbeitsteams mit Perspektivenvielfalt eine bessere Pflegequalität aufweisen; die Kenntnis von erlebter Geschichte homosexueller Menschen und von der Lebenswelt von Patient_innen und Angehörigen aus aktueller Zeit können die Pflegesituation i. S. einer subjektbezogenen Pflege positiv beeinflussen; die Basis für Handlungen, die ein Management oder eine Trägerschaft beeinflussen, liegen in Form vorhandener Gesetze, die Diskriminierungen vorbeugen und Menschen schützen sollen, vor, wobei eine Diversity-Strategie positiven Einfluss auf Zusammenarbeit, Kosten, Personalmarketing und Marketing ausübt.
In Kapitel 7 vermittelt der Autor in Form einer „Zusammenfassung“ einen Überblick über seine Arbeit und deren wichtigsten Resultate.
Im „Ausblick“ in Kapitel 8 weist der Autor noch einmal auf das Ziel seiner Arbeit hin, nämlich einen sichtbaren, nachhaltigen Beitrag zum Thema der kultursensiblen Pflege von Lesben und Schwulen zu leisten, zum Nachdenken anzuregen, Wirkung bei Arbeitgebenden zu entfalten, um Management-Strategien zu hinterfragen oder neu zu überdenken, und schließlich auch einen Beitrag „Gegen das Vergessen“ zu leisten. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang noch einmal den Handlungsbedarf beim Thema der kultursensiblen Pflege von Lesben und Schwulen.
Diskussion
Der Autor legt mit diesem Buch eine für die Pflegewissenschaft wichtige Studie vor. Das Hauptresultat, dass das Thema der kultursensiblen Pflege von Lesben und Schwulen in der Fachliteratur eindeutig untervertreten ist, fordert dazu heraus, diesem Forschungsbereich größere Beachtung zu schenken. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Anzahl der LGBTIQ*-Pflegebedürftigen keineswegs gering ist. Trotz dieser negativen Bilanz ist es hilfreich und zukunftsweisend, dass der Autor auf etliche bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen und Instrumente hinweist, die dem Schutz von homosexuellen Mitarbeitenden und Patient_innen dienen. Diese müssen allerdings genutzt werden, was offensichtlich nicht in ausreichendem Masse getan wird. Insofern weist das vorliegende Buch nachdrücklich auf Handlungsbedarf hin. Zugleich zeigt der Autor auch Wege auf, wie das Ziel einer wertschätzenden, die individuelle Biografie der homosexuellen Patient_innen berücksichtigenden Pflege zu erreichen ist.
Ein paar kritische Anmerkungen:Abgesehen von einer kurzen Bemerkung (S. 88) ist auf das wichtige Thema divergierender kultureller und religiöser Normen im Hinblick auf Homosexualität nicht eingegangen worden. Dies wäre bei einer Neuauflage des Werkes unbedingt zu empfehlen. Der vor allem im Kapitel 3.3.3 verwendete Begriff „Homophobie“ sollte durch den heute üblichen – und treffenderen – Begriff „Homonegativität“ ersetzt werden; schade, dass der Verlag kein Stichwortregister angelegt hat, das den Leser_innen die Suche nach bestimmten Themen wesentlich erleichtert hätte.
Fazit
Ein sehr lesenswertes, fachlich fundiertes Buch, das vielfältige Anregungen für die Pflege und die Forschung in diesem Bereich vermittelt.
Rezension von
Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch
Dipl.-Psych., Psychoanalytiker (DPG, DGPT). Ehem. Leitender Psychologe Psychiatrische Universitätspoliklinik Basel. In privater psychotherapeutischer Praxis.
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