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Matthias Scharer, Michaela Scharer: Ruth C. Cohn - eine Therapeutin gegen totalitäres Denken

Rezensiert von Gesa Bertels, 31.03.2020

Cover Matthias Scharer, Michaela Scharer: Ruth C. Cohn - eine Therapeutin gegen totalitäres Denken ISBN 978-3-8436-1176-3

Matthias Scharer, Michaela Scharer: Ruth C. Cohn - eine Therapeutin gegen totalitäres Denken. Patmos Verlag (Ostfildern) 2020. 160 Seiten. ISBN 978-3-8436-1176-3. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR.

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Thema

Vor dem Hintergrund ihres eigenen Schicksals als deutsch-jüdische Migrantin, die in der Zeit des Nationalsozialismus über die Schweiz in die USA floh, entwickelte die Therapeutin Ruth C. Cohn ihren Ansatz der Themenzentrierten Interaktion. Dieses Konzept zur Arbeit mit Gruppen ist von einem humanistischen Fundament getragen. „Ich möchte Menschen, die all dieses Leid nicht wollen, ermutigen, nicht zu resignieren und sich ohnmächtig zu fühlen, sondern ihre Vorstellungskräfte und Handlungsvermögen einzusetzen, um sich solidarisch zu erklären und zu verhalten, solange wir selbst noch autonome Kräfte in uns spüren. – Das ist das Eigentliche, was ich mit TZI möchte“, so Cohn (in: Gelebte Geschichte der Psychotherapie). Das Denken und Handeln von Ruth C. Cohn, die eine der wichtigsten Vertreterinnen der Humanistischen Psychologie ist, erhält für den Autor Matthias Scharer vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen neue Aktualität. In seinem Buch stellt er ihr Leben und Wirken unter dieser Perspektive dar und greift dabei auch auf bisher unveröffentlichtes Material zurück.

Autoren

Matthias Scharer ist emeritierter Professor für Katechetik/​Religionspädagogik an der Universität Innsbruck. Zudem ist er langjähriger Gruppenleiter, Supervisor und als Lehrbeauftragter des Ruth-Cohn-Institute for TCI-international Experte für Themenzentrierte Interaktion. Nach eigener Aussage liebt er es, mit möglichst „bunten“ Gruppen von Menschen zu arbeiten (vgl. https://www.matthiasscharer.com/schwerpunkte/). Inhaltliche Schwerpunkte seiner Arbeit sind neben der Themenzentrierten Interaktion und damit verbundenen Fragen der Gruppenleitung und Erwachsenenbildung u.a. Kommunikative Theologie, Interreligiöse Kommunikation und Katechetik/​Religionspädagogik und -didaktik. Maßgeblichen Anteil an dieser Publikation hat auch seine Ehefrau, Michaela Scharer. Sie war im Personal- und Buchhaltungswesen sowie als Lebens- und Sozialberaterin tätig.

Entstehungshintergrund

Seit 2016 ist das Ehepaar Scharer gemeinsam immer wieder in mehrtägigen und -wöchigen Phasen damit beschäftigt, den Nachlass von Ruth C. Cohn an der Humboldt- Universität zu Berlin zu registrieren und für zukünftige Forschung zugänglich zu machen. Dokumente aus diesem Fundus, Texte und Bilder, wurden teils für dieses Buch genutzt. Annähernd zeitgleich mit diesem Buch entstand zudem eine weitere Veröffentlichung von Scharer, in der er die politische Dimension der TZI angesichts aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen beleuchtet (hier Link einfügen auf die Rezension zu Scharer: Vielheit couragiert leben).

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in insgesamt sechs größere Abschnitte gegliedert. Im ersten Kapitel „Resonanzen – eine Hinführung“ stimmt der Autor seine Leserschaft auf den Inhalt ein und nimmt den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Rahmen in den Blick. Der Person Ruth Cohn nähert er sich dann insbesondere aus drei Perspektiven. Er eröffnet jeweils „Gesprächsräume“ mit ihr als Migrantin, als Gesellschaftstherapeutin und als Poetin (viele ihrer Gedichte sind in diesem Buch zu finden). Dabei geht er chronologisch vor: Von ihrer Kindheit und Jugend in Berlin über die Flucht in die Schweiz und die spätere Migration in die USA sowie die Rückkehr aus dem amerikanischen Exil nach Europa in der zweiten Lebenshälfte. Ein letztes Kapitel, „Vermächtnis“ überschrieben, nimmt insbesondere Cohns Vision eines „guten Lebens, das sich nicht individualistisch erfüllt, sondern das nur verbunden mit allen und allem (…) gelebt werden kann“ (S. 134 f.) in den Blick.

Der Schwerpunkt von Scharers Darstellung liegt auf dem gesellschaftspolitischen Anspruch. Er kritisiert, dass die politische Dimension der TZI mitunter wenig sichtbar ist (S. 14) und setzt hier einen deutlichen Kontrapunkt. Seine Darstellung des Lebens und Wirkens von Ruth C. Cohn wird durchgehend begleitet von der Frage, was sie couragiert handeln ließ und welche Erfahrungen in ihrem Leben dazu beitrugen, dass sie zu einer „Therapeutin gegen totalitäres Denken“ wurde, wie es im Titel formuliert ist.

Aufgrund vieler interessanter Querverbindungen empfiehlt es sich, beide Bücher von Scharer gemeinsam oder im engem zeitlichen Abstand zu lesen. In dem hier vorliegenden wird insbesondere aus Cohns Biographie heraus, aber auch unter Rückgriff auf soziologische und philosophische Ansätze wie z.B. die Soziologie der „flüchtigen Moderne“ von Zygmunt Bauman oder die Resonanztheorie von Hartmut Rosa begründet, warum Cohn zeitlebens die „Courage zu kleinen Schritten für die Menschlichkeit“ (S. 25) ein Herzensanliegen war.

Diskussion

Dieses familiäre Gemeinschaftswerk (neben der Mitarbeit seiner Frau konnte Scharer auch Bilder seines Schwiegersohns José Gamboa einbinden, die extra für diese Veröffentlichung angefertigt wurden) versteht sich ausdrücklich nicht als Biographie (s. S. 9), womit gemeint ist, dass es keinen Anspruch auf biographische Vollständigkeit mit sich bringt. Es liest sich in weiten Teilen allerdings schon so und ist somit eine gute Ergänzung zu den autobiographischen Ausführungen von Cohn selbst in dem TZI-Standardwerk „Die Gelebte Geschichte der Psychotherapie“. Die Zielgruppe dieser Publikation sind Leserinnen und Leser, denen Ruth Cohn und die TZI bislang kaum bekannt sind (S. 15). Sie ist aber, u.a. durch den Einbezug von Fotos und Dokumenten aus dem derzeit noch nicht öffentlich zugänglichen Ruth Cohn-Archiv auch für diejenigen interessant, die sich schon länger mit der TZI beschäftigen. Mit diesen neuen Quellen geht der Autor respektvoll um; vieles wird erwähnt, manches wird bewusst nicht wiedergegeben. Das Inhaltsverzeichnis ist sehr detailliert, teilweise verbergen sich hinter den Überschriften jedoch nur recht kurze Abschnitte.

Fazit

In der ersten Generation der TZI-Praktizierenden und -Lehrenden kannten viele Ruth Cohn noch persönlich. Für TZI-Interessierte der heutigen Zeit ist dieses Buch ein kleiner Schatz, um der Person Ruth Cohn, ihrer Lebensgeschichte und dem gesellschaftspolitischen Anspruch, den sie mit der Themenzentrierten Interaktion verbunden hat, näher zu kommen.

Rezension von
Gesa Bertels
Soziologin (M.A.) und Diplom-Sozialpädagogin (FH), wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), München
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Es gibt 19 Rezensionen von Gesa Bertels.

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Zitiervorschlag
Gesa Bertels. Rezension vom 31.03.2020 zu: Matthias Scharer, Michaela Scharer: Ruth C. Cohn - eine Therapeutin gegen totalitäres Denken. Patmos Verlag (Ostfildern) 2020. ISBN 978-3-8436-1176-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26704.php, Datum des Zugriffs 05.11.2024.


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