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Sebastian Euler, Marc Walter et al.: Mentalisierungsbasierte Psychotherapie

Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 18.01.2021

Cover Sebastian Euler, Marc Walter et al.: Mentalisierungsbasierte Psychotherapie ISBN 978-3-17-038695-2

Sebastian Euler, Marc Walter, Harald Freyberger, Nina Heinrichs, Rita Rosner et al.: Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT). Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2020. 2., aktualisierte Auflage. 184 Seiten. ISBN 978-3-17-038695-2. 29,00 EUR.
Reihe: Psychotherapie kompakt.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Autoren

Dr.med. S. Euler ist Ärztlicher Leiter der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie am Universitätsspital Zürich, verfügt über umfangreiche Erfahrungen als Supervisor und ist Dozent für MBT. Prof. Dr. med. M. Walter ist als Chefarzt und stv. Direktor der Erwachsenenpsychiatrie an der UPK Basel tätig und publizierte über Persönlichkeitsstörungen, sowie Psychotherapie.

Entstehungshintergrund

Innerhalb der Buchreihe „Psychotherapie kompakt“ publizieren Euler und Walter in komprimierter Form zur Mentalisierungsbasierte Therapie.

Aufbau und Inhalt

Das Buch startet mit Hinweisen zu den Urheberrechten.

In ihrem Geleitwort zur Reihe thematisieren Freiberger/​Rosner/​Seidler/​Stieglitz und Strauß das Anliegen der Buchreihe „Psychotherapie Kompakt“, eine praxisorientierte, wissenschaftlich basierte Information, diverser Psychotherapieverfahren.

Bateman begründet in seinem Geleitwort das wachsende Interesse an der MBT. „Mentalisieren als Prozess höherer Ordnung“ wird näher erläutert und aufgezeigt, wie die Dimensionen des Mentalisierens, je nach Kontext, unterschiedlich stark zur Anwendung kommen. Und obwohl MBT ein gut etabliertes Verfahren ist, unterliegt diese weiterhin Veränderungen.

Euler/​Walter würdigen in ihrem Dank die Helfer und fachlichen Berater bei der Entstehung dieses Fachbuches.

Zunächst betrachten die Autoren den Ursprung und Entwicklung des Verfahrens. Die Entwicklung des Konzeptes des Mentalisierens wird im Kontext der Kognitionswissenschaften, Psychoanalyse sowie der Entwicklungspsychologie dargestellt. Daran anknüpfend begründen die Autoren das Grundverständnis des Mentalisierens und stellen kurz die MBT, sowie deren Wirksamkeit, bezogen auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung vor.

Mentalisieren gilt als Brückenkonzept. So existiert quasi die Verwandtschaft mit anderen Verfahren. Die bestehende enge Verbindung zur psychodynamischen Psychotherapie wird insbesondere durch die nicht-wissende Grundhaltung sowie der offenen, affektfokussierten Fragetechnik des MBT ergänzt. Der schulenübergreifende Charakter der MBT zeigt sich ebenfalls in den Gemeinsamkeiten mit den psychoanalytisch modifizierten, sowie evidenzbasierten Behandlungsverfahren. Hervorgehoben werden der prozedurale interpersonale Focus der MBT und der Stellenwert der Gruppentherapie als Abbild der gruppal strukturierten sozialen Realität als Unterscheidungsmerkmal.

Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen des Verfahrens (MBT) beziehen sich auf Elemente der Kognitionspsychologie, der Psychoanalyse, der Entwicklungspsychologie, der Affektforschung sowie der Neurobiologie. Neben Aspekten der Bindungstheorie liefern Erkenntnisse zur Entwicklung des Selbst Anknüpfungspunkte für die MBT. Die Verfasser arbeiten die problematische Entwicklung vom biopsychosozialen Mentalisierungsversagen im unsicheren Bindungskontext über Schwierigkeiten bei der Selbstregulation bis hin zum Auftreten prä- oder nonmentalistischer Modi auf. Die prämentalistischen Modi, modifiziert durch Euler/​Schultz-Venrath (2014), werden erläutert und durch entwicklungspsychologische Beispiele veranschaulicht. Gemeinsamkeiten mit weiteren psychologischen Konstrukten, wie der „mindfulness“, „affect consciousness“ sowie „psychological mindedness“ unterstreichen ebenfalls das „Brückenkonzept“ des Mentalisierens. Ein weiterer Baustein zur Entwicklung der MBT ist das Wissen um die vier polaren Dimensionen der menschlichen Fähigkeit zu mentalisieren. Anhand der Erläuterung der Dimensionen und einiger Beispiele wird vorstellbar, inwieweit bereits leichte diospositionale und/oder situative Faktoren die Balance der Pole nachhaltig beeinflussen und mit der Beeinträchtigung der Fähigkeit zum Mentalisieren einhergehen können. Das Wissen um das epistemische Vertrauen wird genutzt, um ein entsprechendes Beziehungsangebot in der therapeutischen Beziehung zu gestalten, das sich im Rahmen eines dreistufigen Kommunikationsystems (Fonagy et al., 2015) entwickelt. 

Die Kernelemente der Diagnostik umfassen die Klinische Diagnostik, sowie die operationalisierte Untersuchung des Mentalisierens. Aus klinischer Sicht orientieren sich Euler/​Walter an den Merkmalen gelingenden Mentalisierens. Ein weiterer Schwerpunkt bildet das Erkennen, der prä- oder nonmentalistischer Modi. Beispiele veranschaulichen diese klinischen Phänomene und die jeweiligen „Merkkästen“ geben Hinweise für die PsychotherapeutInnen. Die operationalisierte Untersuchung des Mentalisierens erfolgt über die Erfassung der reflexiven Funktion des Mentalisierens. Es erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den vorhanden Instrumenten, dem RFS und RFQ. Weitere Untersuchungsinstrumente werden in einer Übersicht benannt. 

Als zentrales und bedeutendstes Kernelement der Therapie wird die therapeutische Grundhaltung benannt. Die kollaborative und insbesondere die nicht-wissende Haltung werden detailliert, begleitet von Hinweisen für Therapeuten, vorgestellt. Der dynamisch hierarchisierte Ablauf therapeutischer Sitzungen wird schematisch dargestellt. Dieser Prozess wird nachvollziehbar beschrieben, sowie mit Beispielen ergänzt. Besonders aussagekräftig sind die aufgeführten Beispielsätze zur Selbstoffenbarung. Auch mit dem Verweis auf das „Prinzip Colombo“ wird auf eine der kreativen Fragetechniken aufmerksam gemacht. Zu den weiteren spezifischen Techniken gehören das empathische Validieren und die Klarifikation, der Perspektivenwechsel, das Innehalten und das Zurückgehen, die Affeklaboration, sowie der -Fokus und das Mentalisieren der Beziehung selbst. Die Evaluation der MBT kann sowohl operationalisiert, als auch weniger strukturiert erfolgen. Die entsprechenden Instrumente werden kurz eingeführt.

Die theoretischen Ausführungen werden durch ein Klinisches Fallbeispiel intensiv erlebbar. Nach der Patientinvorstellung stellen die Autoren den Therapieverlauf vor. Das ausführliche Therapiematerial füllt die zuvor benannten Kernelemente mit Leben und zeigt die intensive Zugewandtheit zur Patientin, sowie die ganze Kraft des MBT.

Wie auch im Fallbeispiel gezeigt, liegen die Hauptanwendungsgebiete des MBT bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen und insbesondere in der psychotherapeutischen Arbeit mit Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Krankheitsspezifischen Phänomenen wie der Selbstschädigung, Suiziddalität und mitunter auch der Konflikteskalation kann, dank therapeutischer Mentalisierung, zielführend begegnet werden. Und obwohl die Autoren das mentalisierungsbasierte psychotherapeutische Arbeiten mit Menschen mit Essstörungen und Depressionen und weiteren Stöungsbildern detailliert erläutern, fällt besonders die MBT im Bereich der antisozialen und auch narzisstischen Persönlichkeitsstörung ins Auge. Der Bezug zu den prämentalistischen Modi, bei diesem Störungsbild (modifiziert durch Bateman/​Fonagy, 2016) und das Benennen von Aspekten der beeinträchtigten Fähigkeit zum Mentalisieren, erklärt nicht nur das Störungsbild besser, sondern fordert eben auch eine spezifische Intervention, auf die Euler/​Walter in den Eckpunkten eingehen.

Bezogen auf die Settings wird wiederum die Dynamik und das Potenzial der MBT deutlich. Standardmäßig findet MBT, in der intensiv ambulanten Behandlung, inzwischen auch im institutionellen Rahmen Anwendung. Insbesondere die ambulante Psychotherapie folgt einer klaren Struktur, die wiederum erläutert wird. Die Verfasser weisen ebenfalls die wirkungsvolle Anwendung der MBT von störungsspezifischen Gruppenformaten nach, würdigen vertiefend die Weiterentwicklung der MBT für die stationäre und teilstationäre Behandlung, vor allem für Menschen mit potenzierten Schwierigkeiten, wie das Auftreten von komorbiden Störungen etc.

Als der vermutlich wichtigste Wirkfaktor der Psychotherapie gilt Die therapeutische Beziehung. In der MBT wird die therapeutische Begegnung als Ko-Konstruktion der Realität (S. 157) verstanden. Es werden weitere Aspekte der therapeutischen Beziehung thematisiert und verbunden mit Beispielen für eine kollaborative Haltung und epistemisches Vertrauen im Erstgespräch.

Dank einer regen internationalen Forschungstätigkeit kann die Wissenschaftliche Evidenz belegt werden. Die Ergebnisse der vier bedeutendsten Studien belegen die Wirksamkeit der MBT und werden durch die Information über weitere (laufende) Studien ergänzt.

Die Institutionelle Verankerung und Informationen zu Aus-, Fort- und Weiterbildung steht abschließend im Focus der Betrachtungen und pusht dadurch indirekt die Weiterverbreitung der MBT.

Das Buch endet mit der Literatur sowie dem Sachwortverzeichnis.

Diskussion

Sebastian Euler und Marc Walter illustrieren mit diesem Buch hochkonzentriert die ganze Bandbreite der Mentalisierungsbasierten Therapie. Als Brückenkonzept betten die Autoren die MBT in angrenzende Verfahren und zeigen gleichzeitig den eigenen Entwicklungsstrang der MBT. Die Verwendung von Fußnoten, die (Klinischen) Beispiele und vor allem die „Merke“-Hinweise erhöhen das Verständnis für die MBT und machen dieses Verfahren quasi praktisch erfahrbar. Die ausführlichen Darstellungen einzelner Aspekte der MBT erleichtern den LeserInnen den Übergang von der Theorie zu den Klinischen Beispielen. Die Autoren nutzen ihre Erfahrungen um einen anwendungsbereiten Einblick in die MBT anzubieten. Für Praktikerinnen eine Fundgrube an theoriebasierten Hinweisen zum Ablauf der MBT, deren Anwendungsgebiete und auch „Stolperfallen“ für die PsychotherapeutInnen. Beim Lesen entsteht mitunter der Eindruck, dass MBT sehr wirkungsvoll ist für bestimmte Patientengruppen, sinnlogisch und so gesehen auch „simpel“ ist. Das ist vermutlich auch ein „Geheimnis des Erfolgs“: in der Tiefe und Schwere des therapeutischen Miteinanders eine gewisse Leichtigkeit und Klarheit einfließen zu lassen.

Fazit

LeserInnen finden in diesem Buch einen kompakten Überblick über die (wissenschaftliche) Entwicklungen und -anwendungsmöglichkeiten der Mentalisierungsbasierten Therapie. Dank des Einblicks in die Praxis und die vielen Hinweise auf diverse Mentalisierungstechniken ist dieses Fachbuch ein Fundus für alle PraktikerInnen und „der Stein des Anstosses“ um sich in diesem Therapieverfahren weiter zu bilden. Ein absolut empfehlenswertes Fachbuch!

Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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Es gibt 82 Rezensionen von Barbara Wedler.

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ISSN 2190-9245