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Margret Dörr, Werner Thole (Hrsg.): Das Pädagogische in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 26.06.2020

Cover Margret Dörr, Werner Thole (Hrsg.): Das Pädagogische in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit ISBN 978-3-8340-1996-7

Margret Dörr, Werner Thole (Hrsg.): Das Pädagogische in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2020. 162 Seiten. ISBN 978-3-8340-1996-7. 18,00 EUR.
Reihe: Grundlagen der sozialen Arbeit - Band 43.

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Thema

Die Herausgeber sammeln Beiträge, die sich mit Fragestellungen befassen, warum sich eine wissenschaftliche wie auch handlungspraktische Soziale Arbeit nur mit Bezug auf erziehungswissenschaftliches Wissen bearbeiten lassen und warum sie ohne pädagogische Konzepte und ohne erziehungswissenschaftliche theoretische Kontextualisierung nur um den Verlust ihrer bildsamen und damit aufklärerischen Intentionen gedacht werden kann.

Autor

Margret Dörr ist Professorin für 'Theorien Sozialer Arbeit und Gesundheitsförderung' am Fachbereich Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften der Katholischen Hochschule Mainz.

Sie studierte Sozialarbeit und Sozialpädagogik an der FHS Niederrhein-Mönchengladbach und Soziologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen u.a. in der Klinischen Sozialarbeit, Psychoanalytischen Sozialpädagogik und in der Psychopathologie.

Werner Thole ist als Professor für 'Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung' am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel tätig.

Er studierte zunächst Sozialpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf, danach Deutsch, Geschichte für das Lehramt und Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung an der Universität Essen, sowie Erziehungswissenschaft an der Universität Dortmund; 1992 folgte die Habilitation an der Bergischen Universität Wuppertal

Entstehungshintergrund

Den beiden Herausgebern ist die Erkenntnis, dass es für den deutschsprachigen Diskurs keine umfängliche Theorie der Sozialen Arbeit (- eine vermeintliche Erkenntnis, die die durchaus in dieser Hinsicht bahnbrechenden Arbeiten des Würzburger Theologen und Sozialpädagogen Ernst Engelke zu ignorieren scheint!?) Anlass, sich Gedanken über „das wissenschaftliche Profil der Sozialen Arbeit abgekoppelt von pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Theorien und Fragestellungen“ zu machen und dieses zu begründen und zu konzipieren“ (S. 1).

Und so soll der vorliegende Band Antworten und Beiträge publizieren, „die die sozialpädagogische Kontur Sozialer Arbeit herausstellen, also beschreiben, diskutieren oder begründen, dass Soziale Arbeit ohne pädagogische Konzepte und vielleicht sogar ohne erziehungswissenschaftliche theoretische Kontextualisierung nur um den Verlust ihrer bildsamen und damit aufklärerischen Intentionen gedacht werden kann“ (S. 2).

Aufbau

Der als Nummer 43 in der Reihe 'Grundlagen der Sozialen Arbeit' erschienene Band weist zwei Hauptkapitel auf, die von einer Einleitung der beiden Herausgeber eröffnet und mit Erläuterungen zu den Autoren und den Herausgebern abgeschlossen werden.

Während sich die Einleitung der beiden Herausgeber mit dem 'Pädagogischen in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit' beschäftigt, setzen sich die beiden Hauptteile einerseits mit den 'Historischen Perspektiven' (gestaltet durch fünf Beiträge) und andrerseits mit 'Theoretischen Positionen und Konzepten' (mittels sieben Fachbeiträgen) auseinander. Hierbei schlüsseln sich die Kapitel in jeweils vier bzw. sieben Fachbeiträge von Vertretern aus der Praxis, den Fachverbänden, der sozialpolitisch interessierten Öffentlichkeit und der Wissenschaft auf.

Inhalte

Manfred Kappeler – befasste sich als ehemaliger Hochschullehrer für 'Sozialpädagogik' an der TU Berlin insbesondere mit der Geschichte und Theorie der Sozialen Arbeit – eröffnet das Kapitel „Historische Perspektiven“ mit seinem Beitrag zur 'Wurzel der Sozialpädagogik' anhand der Jugendfürsorge und Fürsorgeerziehung in der Weimarer Republik; dabei wendet er sich insbesondere dagegen, dass die gängigen Intentionen der sozialpädagogischen Theorien und Praxis per se „bildsam“ und „aufklärerisch“ seien und stellt dies für den Zeitraum zwischen 1880 und 1970 als eine Idealisierung hin. Es folgen konkrete historisch dokumentierte Ausführungen über die Zusammenhänge der Bereiche 'Jugendfürsorge' und 'Jugendpflege', da sich damit die Entwicklung des Sozialpädagogischen nachvollziehen ließe. Kappeler spannt beispielhaft einen Bogen von der im staatlichen Auftrag organisierten 'Jugendfürsorge' für „verwahrloste“ (S. 12) Kinder/​Jugendliche, über die 'pädagogische Bewegung' der 1920er Jahre und der NS-Zeit, die 'Jugendarbeit' der FDJ, bis hin zu den Auswirkungen in die 1970er Jahre, mit all ihren jeweiligen Verstrickungen in Herrschaftsinteressen.

Richard Münchmeier - emerit. Professor für „Sozialpädagogik“ an der FU Berlin – analysiert in seinem Beitrag zu den Widersprüchen der Pädagogisierung Sozialer Arbeit die konstitutive Bedeutung von Pädagogisierungsprozessen als Grundproblem (vgl. S. 25) für gegenwärtige Widersprüche. Dabei sucht er zum einen die historische Klärung der Bestrebungen, Fürsorge als eigenständiges Arbeitsfeld zu etablieren und zum anderen Lösungswege im Bezug auf die Ursachen sozialer Probleme zu finden. Er beschreibt die „einschränkenden Wirkungen der Pädagogisierung auf die Entwicklung von Theorie- und Handlungswissen Sozialer Arbeit“ und spricht von ihrer „strukturellen Erfolglosigkeit“ (S. 29).

Er meint damit, dass Soziale Arbeit nur in Teilbereichen mittels ihrer Interventionsstrategien Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme organisieren und auf einen unzulänglichen Status quo der gesellschaftlichen Verhältnisse aufmerksam machen und lediglich den Druck auf gesellschaftliche Reformen erhöhen könne.

Der Autor plädiert somit für eine Flankierung der Sozialen Arbeit durch eine soziale Reformpolitik, die die gegenwärtige Politik des aktivierenden Sozialstaats als wenig hilfreich ansieht, ist sie doch auf eine „Politik der Lebensführung“ (S. 34) abzielend, welche die (bestehenden) Verhältnisse außen lasse und stattdesssen Einfluss nehme auf Verhaltensweisen, Einstellungen und Mentalitäten „mit dem Ziel, sie an die herrschenden Verhältnisse anzupassen, Korrekturen vorzunehmen und den Charakter von Sozialdisziplinierung anzunehmen“.

Während Lothar Böhnisch – Hochschullehrer für „Sozialpädagogik“ an der FU Bozen – in Anlehnung an und Auseinandersetzung mit Klaus Mollenhauer Soziale Arbeit als ein mit der industriellen Gesellschaft notwendig verbundenes System neuer Maßnahmen gesellschaftlicher Integration, das seine innere Einheit durch die pädagogische Sinngebung erfährt, beschreibt, entwickelt C. Wolfgang Müller – Hochschullehrer für „Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik“ an der Pädagogischen Hochschule Berlin und an der TU Berlin – in seinem Beitrag eine erweiterte Idee von Erziehungswissenschaft und versucht Antwort auf die Frage, „was denn das 'Pädagogische' in Theorien und Praktiken Sozialer Arbeit sei“ (S. 47) zu geben. Er plädiert für eine (erweiterte) Erziehungswissenschaft als Orientierung für Handlungsmethoden, weil er Soziale Arbeit in der historischen Form der Hilfe zur Selbsthilfe als eine erziehungswissenschaftlich relevante Tätigkeit versteht, somit eine (traditionelle) Trennung in Didaktik und Methodik für überholt und die zeitgenössische Erweiterung der Erziehungswissenschaft in 'Lehren' und 'Lernen' für begrüßenswert hält (vgl. S. 54).

Das nachfolgende Kapitel befasst sich u.a. mit: „Theoretische Positionen und Konzepte“. Hier finden sich Beiträge zum Verhältnis Erziehung und Bildung (Michael Winkler), mit Fragen danach, wie sozialpädagogisches Denken in dem Komplex der Sozialen Arbeit einsetzt, sich artikuliert und formt (Reinhard Hörster), aber auch zum Zusammenspiel von 'Vertrauen und Verantwortung' (Micha Brumlik). Weitere Beiträge plädieren für die Rücknahme des 'Arbeits'-Begriff s in der Sozialen Arbeit zugunsten der 'Bildung' in der Sozialpädagogik (Helmut Richter), oder aber mit der Bedeutung der Digitalisierung für das Mensch-Technik-Verhältnis und dem sich damit verändernden Zeitgestaltungsverhältnis (Maria-Eleonora Karsten).

In besonderer Weise sollen noch die beiden Beiträge von Wilma Aden-Grossmann - bis 2001 Hochschullehrerin für „Sozialpädagogik“ an der Universität Kiel - und Hans Thiersch – bis 2002 Hochschullehrer für „Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik“ an der Universität Tübingen – Erwähnung finden. Erstere widmet sich der Bedeutung der Pädagogik für die Soziale Arbeit am Beispiel der Entwicklung der Schulsozialarbeit, während sich Letzterer in einem Gespräch mit den beiden Herausgebern zum Pädagogischen der Sozialen Arbeit äußert.

Aden-Grossmann gibt – ausgehend von den bildungsreformerischen Anstrengungen in den 1960er Jahren (Stichwort Georg Picht) – einen historischen Überblick über die Entwicklung der Schulsozialarbeit ab den 1975er Jahren zunächst an den Gesamtschulen in Deutschland. Dabei war das Ziel, sozio-ökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche an Schulen unter Verwendung sozialpädagogischer Methoden zu unterstützen und zu fördern. Die Autorin verweist darauf, dass hierfür „eine selbstständige sozialpädagogische Einrichtung am Ort Schule, in der Fachkräfte der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik beschäftigt sind“ geschaffen wurde. Aufgrund unzureichender Finanzmittel stagnierte zunächst die Entwicklung, bis sich die Lage durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (im Rahmen des Einigungsverfahrens der beiden deutschen Staaten am 03. Oktober 1990 in Kraft getreten) in den 1990er Jahren allmählich verbessert – jedoch in den nachfolgenden Jahren aufgrund von Stellenstreichungen nicht weiter ausgebaut werden konnte.

Aden-Grossmann erläutert im weiteren Verlauf ihrer Darlegung die besondere Bedeutung der Schulsozialarbeit für die „Vermittlung sozialer Kompetenzen einschließlich Teamfähigkeit und der Fähigkeit der Konfliktbearbeitung“ (S. 139)., für die ihrer Ansicht nach die LehrerInnen nicht genügend ausgebildet seien. Sie zählt dies, wie auch weitere Faktoren zu den wichtigsten Zielen eines schulsozialarbeiterischen Handelns, ehe sie Problemstellungen unter Angabe von statistischen Werten erläutert: so zum Beispiel die schulische Benachteiligung von Kindern in familiären Risikolagen, oder aber die ethnische und kulturelle Vielfalt an Schulen. Die Autorin schließt ihren Beitrag mit einer Darlegung sozialpädagogischer Methoden einerseits und den Entwicklungsmöglichkeiten aufgrund vorhandener Potenziale andrerseits ab.

Das den Band abschließende Gespräch der Herausgeber mit Hans Thiersch, dem Schöpfer des Konzepts von einer 'lebensweltorientierten Sozialen Arbeit' – welche die individuellen alltäglichen sozialen Probleme betreffender Menschen in den Fokus einer theoretisch begründeten Sozialen Arbeit rückt – dreht sich um die Frage nach dem Pädagogischen der Sozialen Arbeit. Thiersch weist insbesondere darauf hin, dass es für sein Verständnis der Sozialen Arbeit als Pädagogik darum gehe, dass die alltäglichen Bewältigungsaufgaben auch jener Lernvorgänge gesehen und ernst genommen werden, die nicht in Schule oder Ausbildungsgängen curricular institutionalisiert sind. Er deklariert dies als spezifische Domäne der Sozialen Arbeit (vgl. S. 149). I

Im weiteren Verlauf des Gesprächs wendet er sich gegen den Gebrauch des Begriffs 'Erziehung', hält ihn für belastet und begründet dies; favorisiert im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Pädagogik und Sozialer Arbeit den 'Bildungs'-Begriff, da es hierbei nicht um materielle Hilfen und Unterstützungen gehe, sondern weil Bildung im allgemeinen Sinne für ihn „eine weitgefasste Antwort auch auf Armut, Not und Verzweiflung“ (S. 151) sei. Thiersch kommt abschließend zu der Erkenntnis, dass wir heute in einer Gesellschaft leben, „in der die Bewältigungsprobleme des Alltags zunehmend die Individuen überfordern und dass viele Menschen eine Hilfe im Alltag brauchen“ (S. 159). Es handelt sich somit um ein engagiertes Plädoyer für die große Bedeutung der pädagogischen Aufgabe der Sozialen Arbeit.

Diskussion mit begründeter Bewertung

Bei dem vorliegenden Band der beiden Herausgeber handelt es sich um einen der vielen Versuche, der Sozialen Arbeit in ihrer theoretischen Untermauerung und praktischen Umsetzung die ihr seitens ihrer Protagonisten geforderten Bedeutung zukommen zu lassen. Im Gegensatz zu manch anderer Publikation zur Theorie Sozialer Arbeit sind die Beiträge des vorliegenden Werkes eben nicht gekennzeichnet von dem Bemühen, ein möglicherweise latent vorhandenes, mangelndes Selbstbewusstsein hinsichtlich der Frage nach einer Verwissenschaftlichung Sozialer Arbeit, durch eine Überkompensation ausgleichen zu wollen.

Es lässt sich gegenteilig feststellen, dass alle Beiträge dadurch, dass sie das Pädagogische der Sozialen Arbeit in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, eine Versachlichung durch Herausstellen der Kernkompetenzen und der eigentlichen Zielsetzungen und Aufgaben Sozialer Arbeit erzielen. Sie zeugen alle von einer Bodenständigkeit, die geeignet erscheinen, der Sozialen Arbeit ihre grundlegende und gesellschaftlich uneingeschränkt bedeutsame Gewichtung zukommen zu lassen.

Fazit

Es handelt sich bei der Beitragskomposition von Dörr/Thole um eine hochinteressante Schrift, die von einem gewissen Enthusiasmus für die Vermittlung der Bedeutung des Pädagogischen in der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zeugt. Somit ist das Werk m.E. nicht zu Unrecht in die Reihe der 'Grundlagen der Sozialen Arbeit' aufgenommen worden.

Es darf als unverzichtbar für den Katalog wichtiger und grundlegender Abhandlungen zu Theorie und Praxis Sozialer Arbeit für alle jene gelten, die sich sowohl studienhalber, wie auch berufsbedingt mit der Thematik zu beschäftigen bzw. auseinanderzusetzen haben.

Darüber hinaus hat es seine Bedeutung und wird auf vielfältiges Interesse stoßen, für all jene, die sich mit den Gravamina einer gesellschaftspolitischen Entwicklung zu Zeiten u.a. von sozialen Disparitäten, Migrations- und Globalisierungsauswirkungen beschäftigen.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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ISSN 2190-9245