Herbert Renz-Polster: Erziehung prägt Gesinnung
Rezensiert von Prof. Dr. Raika Lätzer, 14.04.2020

Herbert Renz-Polster: Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte - und wie wir ihn aufhalten können. Kösel-Verlag (München) 2019. 313 Seiten. ISBN 978-3-466-31116-3. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,90 sFr.
Thema
Herbert Renz-Polster stellt in seinem Buch „Erziehung prägt Gesinnung“ die These auf, dass die sich weltweit verstärkenden rechtsradikalen Strömungen auf die jeweilige Erziehung zurückzuführen sei. Ein kaltes, autoritäres und emotionsfeindliches Umfeld lasse aus Kindern Erwachsene werden, die ebenfalls kalt, autoritär und emotionsfeindlich auftreten und darüber hinaus autoritären Führungspersönlichkeiten nahezu uneingeschränkt Glauben schenken.
Autor
Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor zahlreicher wichtiger Publikationen: Mehrere Bücher zum Umgang mit Kindern hat er bereits erfolgreich veröffentlicht. Im Fokus seiner Untersuchungen stehen Überlegungen zu einem „artgerechten“ Umgang mit den „Menschenkindern“. Besondere Bedeutung misst er einem gewaltfreien, bindungs- und bedürfnisorientierten Umgang mit Kindern zu.
Entstehungshintergrund
„Erziehung prägt Gesinnung“ beginnt mit einem Überblick über die global erstarkenden rechtspopulistischen Strömungen (S. 9). Und diese Strömungen nehmen laut Herbert Renz-Polster dort ihren Ursprung, „wo wir Menschen klein und abhängig sind: in der Kindheit“ (S. 10). Herbert Renz-Polster verweist auf die Ereignisse in der Geschichte der BRD: Die Geschehnisse während der NS-Diktatur sollten ihm zufolge eigentlich dazu geführt haben, autoritären Führungspersönlichkeiten nicht anzuerkennen. Da in der aktuellen Politik eine gegenteilige Entwicklung mit deutlicher Tendenz zu fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Auffassungen zu erkennen ist, will Herbert Renz-Polster die Zusammenhänge zwischen Kindheit und autoritärem Verhalten aufzeigen. Er plädiert dafür, den weltweiten Rechtsruck aufzuhalten und zeigt auf, wie Eltern und andere Erziehungspersonen hierauf Einfluss nehmen können.
Aufbau und Inhalt
Das Buch beinhaltet insgesamt 15 Kapitel, sowie ein Geleitwort und einen Schlussgedanken des Autors. In den 15 Kapiteln erläutert Herbert Renz-Polster ausführlich seine These vom Zusammenhang zwischen Kindheit und rechtspopulistischer Gesinnung. Er zeigt auf, dass die politische Haltung von Menschen an der Antwort auf die Frage erkannt werden kann, ob ein weinendes Baby nachts aufgenommen werden solle – oder eben nicht (S. 101). Ein traditionell-autoritäres Verständnis von Erziehung führe zu traditionell-autoritär denkenden Kindern und Erwachsenen, die in der Führung von autoritären – in der Regel männlichen - Politikern Sicherheit statt Einengung erkennen. Kinder, deren Bedürfnisse nach Nähe und Fürsorge erkannt und gestillt werden, entwickeln sich in eine andere Richtung: Sie lernen, eigenverantwortlich zu handeln, sich gegenüber anderen Menschen zu öffnen und selbst verantwortliche Entscheidungen zu fällen. Nicht zuletzt werden sie ihren eigenen Kindern ebenfalls bedürfnisorientiert und fürsorglich begegnen und die seitens der Kinder erwünschten Nähe freudig erwidern.
Es wird eine Vielzahl von Beispielen angeführt, die die Zusammenhänge zwischen Kindheit und rechtspopulistischer Gesinnung stützen. Immer wieder weist der Autor auch auf die Kindheit von Donald Trump hin, der sowohl eine autoritäre Gesinnung und als auch eine autoritäre Kindheit hat(te).
Das Buch macht deutlich, dass Bildung rechtspopulistischer Gesinnung nicht entgegenwirkt: Menschen aller gesellschaftlichen Schichten hängen dem autoritären Gedankengut an. Bildung braucht laut Herbert Renz-Polster immer zuerst Beziehung als Grundlage, da Kinder nur vor dem Hintergrund einer stabilen tragfähigen Bindung lernen könnten (S. 237). Neben der elterlichen Erziehung müssten Bildungsinstitutionen auf die Umsetzung ihrer Bildungsaufträge untersucht werden (S. 241).
Diskussion
Herbert Renz-Polster nennt in seinem Buch richtige und gewichtige Thesen zur Entstehung von Autoritarismus und Rechtspopulismus. Seine Thesen belegt er mit zahlreichen Quellen. Er schreibt mit viel Überzeugung und Engagement und es wird deutlich, dass er seine Thesen mit Leidenschaft vertritt und einen (dringend notwendigen) veränderten Umgang mit Kindern anstrebt. Die Kindheitsforscherin Alice Miller etwa oder der Pädagoge Jesper Juul vertreten ähnliche Positionen. Es ist allen Kindern zu wünschen, dass noch mehr Eltern diese Form von Erziehung verinnerlichen und umsetzen.
Trotz der Quellenangaben und Fußnoten handelt es sich bei „Erziehung prägt Gesinnung“ um kein wissenschaftliches Buch im engeren Sinn: Es fehlt eine Betrachtung und Kontextualisierung der Quellen – vielfach werden Internet- oder Zeitungsartikel zitiert, in denen in der Regel keine gesicherten Zitate oder wissenschaftlichen Ergebnisse wiedergegeben werden. An manchen Stellen reiht der Autor außerdem Informationen zu den Kindheiten in unterschiedlichen Ländern etwas unstrukturiert aneinander (S. 203 ff). Darüber hinaus kommt das Buch etwas langatmig daher: Die Hauptthese wird häufig wiederholt und entstehen einige Redundanzen.
Fazit
Ohne Frage: Ein sehr lesenswertes Buch mit wichtigen und richtigen Thesen. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es sowohl von Eltern als auch von Nicht-Eltern gelesen – und beachtet – wird.
Rezension von
Prof. Dr. Raika Lätzer
Professorin für Musikpädagogik in der Sozialen Arbeit, Katholische Stiftungshochschule München
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