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Stefan Kunz (Hrsg.): [...] Vom Wandel der sozialen Sicherungssysteme

Rezensiert von Prof. Dr. Susanne Gerull, 17.05.2005

Stefan Kunz (Hrsg.): Ohne Moos nix los!? Vom Wandel der sozialen Sicherungssysteme. Verlag Soziale Hilfe (Bielefeld) 2004. 60 Seiten. ISBN 978-3-923074-83-9. 7,00 EUR.
Materialien zur Wohnungslosenhilfe ; H. 55.

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Thema

In Deutschland findet aktuell der seit Bismarck größte Umbau des Sozialstaats statt. Neben dem grundsätzlichen Verständnis der meisten Fachleute für die Notwendigkeit von Veränderungen werden die Reformen auf breiter Ebene kritisiert bis hin zu ihrer völligen Ablehnung. Der vorliegende Materialienband ist die Verschriftlichung von Vorträgen auf der Herbstarbeitstagung 2003 des Zentralverbandes Sozialer Heim- und Werkstätten e. V. (ZHW) und befasst sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Wandel der Sozialen Sicherungssysteme.

Aufbau und Inhalt

  • Dr. Kirsten Witte beschäftigt sich mit der Situation der Sozialen Sicherungssysteme in Deutschland und die (von 2003 aus gesehen) erwarteten Entwicklungen. Sie setzt sich in ihrem Beitrag dafür ein, dass der Staat nur dort tätig werden sollte, "wo Eigenverantwortung und Caritas versagen". Konkrete Vorschläge für den Umbau der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung münden in dem Vorschlag der Schaffung eines Niedriglohnsektors sowie der Angleichung der Arbeitslosenunterstützung auf das Niveau der Sozialhilfe.
  • Waltraud Peter beschreibt unter der Überschrift "Arbeit schaffen - Armut verhindern" das veränderte Verständnis von Sozialpolitik, die den von Armut Betroffenen heutzutage statt einer "Exklusion ohne Gegenleistung" eine "Inklusion durch Gegenleistung" anbiete. Mit Hinweis auf die Erfolge des "make work pay"-Modells der US-amerikanischen Sozialreformen in den 90er Jahren argumentiert auch sie für die Absenkung der finanziellen Unterstützung bei Erwerbslosigkeit und fordert die Aufstockung niedriger Verdienste im Rahmen des Steuersystems.
  • Arnd Schwendy stellt in seinem Beitrag acht Thesen zum zukünftigen Umgang von Leistungsträgern und Leistungserbringern unter der Voraussetzung "knapper Kassen" auf. U. a. vermutet er, dass der "aktivierende Druck" noch mehr Menschen als bereits zuvor ausgrenzen wird und die knappen Kassen den Trend zur "Verbetriebswirtschaftlichung" der Sozialen Arbeit vorantreiben werden. Er setzt sich für Leistungsvereinbarungen und Hilfepläne ein, die er als "bestes Mittel zur Überwindung der Kommunikationsprobleme zwischen der Welt der Administration und der sozialen Dienstleister" ansieht.
  • Andreas Lob-Hüdepohl zeigt die ethischen Grundlagen Sozialer Arbeit auf. Er geht davon aus, dass sich mit dem Wandel der Sicherungssysteme auch die Soziale Arbeit verändern wird und erläutert deren ethischen Prinzipien Autonomie, Gerechtigkeit, Solidarität und - neuerdings - Nachhaltigkeit. Dabei steht für ihn die Durchsetzung des Rechts jedes Einzelnen auf ein menschenwürdiges Leben im Vordergrund, was durch eine rein ökonomische Fürsorge und deaktivierende Sozialhilfe gefährdet sei. Er spricht sich daher für Verantwortung statt Fürsorge, Achtsamkeit statt Mitleid und gegen Normalisierungsbestrebungen im Sinne einer Korrektur der Hilfesuchenden zur "Sollensnorm" aus.
  • Friedrich Maus setzt sich abschließend mit den zukünftigen Anforderungen an eine professionelle Sozialarbeit auseinander. Auch er geht davon aus, dass der Umbau der Sicherungssysteme mit einem neuen Verständnis von Leistungsanbietern und Klientel einhergehen wird. Dabei müsse Sozialarbeit zukünftig zwangsläufig im Sinne einer "marktfähigen Dienstleistung" agieren und würde im schlimmsten Falle wieder auf Formen der längst überwunden geglaubten Fürsorge reduziert werden. Er plädiert daher für die Professionalisierung Sozialer Arbeit, eine eigenständige Entwicklung von Qualitätsstandards und die Erarbeitung einer Sozialarbeitstheorie, die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession definiert.

Einschätzung und Fazit

Der Materialienband wendet sich wie schon die durch ihn dokumentierte Tagung vor allem an professionelle AkteurInnen der Sozialen Arbeit. In den gut lesbaren Beiträgen positionieren sich die AutorInnen eindeutig, aber nicht einheitlich. So führt der in allen Artikeln geforderte Anspruch an die Hilfesuchenden, mehr Eigenverantwortung für ihr Leben zu übernehmen, zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen der AutorInnen. Je nach eigener Haltung können die Beiträge dabei durchaus zum Widerspruch herausfordern.

Da die Tagung bereits im Herbst 2003 stattfand, mutet Einiges auf dem Hintergrund unseres jetzigen Kenntnisstandes etwas anachronistisch an, auch fehlt der Zusammenstellung teilweise der rote Faden. Nichtsdestotrotz liefert die Materialiensammlung eine Fülle von Ideen und Anregungen für die fachliche Diskussion. Vor allem die Beiträge über die veränderten Rahmenbedingungen und damit Anforderungen an eine professionelle Soziale Arbeit sollten zur Pflichtlektüre für angehende und bereits tätige SozialarbeiterInnen werden.

Rezension von
Prof. Dr. Susanne Gerull
Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit mit den Schwerpunkten Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und niedrigschwellige Sozialarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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Es gibt 11 Rezensionen von Susanne Gerull.

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Zitiervorschlag
Susanne Gerull. Rezension vom 17.05.2005 zu: Stefan Kunz (Hrsg.): Ohne Moos nix los!? Vom Wandel der sozialen Sicherungssysteme. Verlag Soziale Hilfe (Bielefeld) 2004. ISBN 978-3-923074-83-9. Materialien zur Wohnungslosenhilfe ; H. 55. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2681.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.


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