Paul Brandl, Thomas Prinz: Innovationen bei sozialen Dienstleistungen Band 1
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 18.06.2020

Paul Brandl, Thomas Prinz: Innovationen bei sozialen Dienstleistungen Band 1. Theoretische Ansätze für eine innovative Zukunft. WALHALLA Fachverlag /metropolitan Verlag (Regensburg) 2020. 272 Seiten. ISBN 978-3-8029-5491-7. 24,95 EUR.
Vorstellung der Herausgeber laut Verlagsangabe
Prof. Dr. Thomas Prinz lehrt an der Fachhochschule Linz, Department Gesundheits-, Sozial- und Public Management Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Controlling und Finanzierung sowie Risikomanagement, Performance Measurement und Social Business Planning. Zudem ist Prof. Prinz wissenschaftlicher Leiter des Masterlehrganges Management Sozialer Innovationen in Wien und Leiter des Zertifikatlehrganges NPO-Controlling in Linz.
Prof. Dr. Paul Brandl, Professur für Organisation und Prozessmanagement mit Schwerpunkt Qualitätsmanagement in Alten- und Pflegeheimen an der FH-Oberösterreich – Department Sozial- und Verwaltungsmanagement, Linz, Österreich
Thema
Die beiden Herausgeber beschreiben ihr Vorhaben wie folgt:
„Es ist ein Blick in die Glaskugel, der die Zukunft der Sozialwirtschaft mehr oder minder scharf darzustellen versucht. Wir wollen Führungskräfte, Lehrende und Student/​innen auf die Reise in die nahe Zukunft sozialer Dienstleister mitnehmen und zum Mitmachen sowie zum Übertragen auf ihre eigenen Organisationen animieren. Führungskräfte sehen wir in der Figur des aktiven Werklmanns, der Innovationen anstoßen, fördern und umsetzen soll“ (S. 13).
Inhalt
Theoretische Beiträge rund um die „Soziale Innovation“
Den ersten Beitrag liefert Klaus Schellberg mit dem Titel: „Die Innovationsbedingungen in der Sozialwirtschaft – Warum der Riese so schwer aufwacht“. Er konstatiert eine, angesichts der Wirtschaftsstärke der Sozialwirtschaft auffallende Forschungs- und Innovationslücke, deren Zustandekommen er mit dem System der Entstehungsbedingungen von Sozialleistungen erklärt (z.B. keine Marktdynamik durch Nachfragemonopol). Ein anderer Grund sei die hohe Unsicherheit, ob sich eine Investition lohnt, da sozialwirtschaftliche Leistungen von politischen Entscheidungen abhingen und Innovationsgewinne (z.B. mittels Effizienzsteigerungen) von Sozialleistungsträgern mit niedrigeren Entgelten zunichte gemacht würden. Einerseits fehle in den Entgeltkalkulationen die Position „Forschung und Entwicklung“, andererseits seien die Vorgaben so eng (z.B. Fachkraftquote), dass für technische Innovationen kaum Spielraum bleibe. Als Zukunftsstrategien nennt Schellberg die über eine Abgabe finanzierbare „Screening Stelle“ bei übergeordneten Verbänden, genormte Leistungen und Verfahrensweisen, Digitalisierung, zentraler Aufbau eines Pools von digitalen Experten und Wirkungssteuerung.
Der zweite Artikel ist überschrieben mit dem Titel „Die föderale Schweiz als Labor“ und wurde von Matthias von Bergen verfasst. Der Autor stellt die Frage, ob die extrem föderalistischen Bedingungen in der Schweiz für soziale Innovationen eher förderlich oder hinderlich sind. Er untersucht diese Frage exemplarisch am Feld der „Alterspolitik“. Der Autor beantwortet seine Fragestellung mit einem „Jein“: Zwar seien die kleinräumlichen Strukturen im Hinblick auf die Überschaubarkeit innovationsförderlich (die Zahl der Akteure ist begrenzt, die Komplexität ist beherrschbar), jedoch seien sie gleichzeitig innovationsfeindlich, weil die gefundenen Lösungen sehr spezifisch auf den lokalen Raum angepasst und damit kaum übertragbar wären. Als zentrale Herausforderung werden deshalb die Verbreitungsformen von innovativen Lösungen und „abgestimmte(n) Fördermodelle(n)“ genannt.
Mit „Die Neue Effizienz – ein Paradigmenwechsel im Management sozialer Organisationen“ betitelt Irmtraud Ehrenmüller ihren Beitrag. Sie beschäftigt sich mit drei „Treibern“ (Hauptproblemen) im Pflegebereich: verfügbares Personal – Bedürfnisse der betreuten Personen – Finanzierung. Im Idealfall sind diese drei Treiber im Gleichgewicht. Das von der Autorin diagnostizierte Ungleichgewicht ist nicht überraschend, eher schon ihre Schlussfolgerung, dass „mehr Geld“ keine Lösung sei, sondern „Lösungsansätze auf der Basis radikaler neuer Denkmuster“ (S. 69) nötig wären. Diese Schlussfolgerung bringt die Autorin zu dem, was sie „neue Effizienz“ nennt. Eine Organisation solle „durch Nutzung digitalisierter Systeme auf einen neuen Reifegrad gehoben“ werden, „in dem mit weniger personellem Einsatz das benötigte Ausmaß an Output sichergestellt“ wird (S. 75). Dies bedeutet in der Praxis, dass der „Input-Faktor Mensch“ mit seinem „‘typischen‘ Verschwendungsmuster wie Überlastung, Unausgeglichenheit oder Tätigkeiten ohne Nutzen korrigiert“ (S. 78) werden müsse. Dies geschehe durch „digitale assistive“ Systeme. Die Autorin verweist zur Unterstützung ihrer These auf eine Bachelorarbeit, in der errechnet wurde, dass mit solchen Systemen die Personalentlastung 8 min/Tag und Person betrage, was hochgerechnet auf Österreich zu einer Verringerung des Pflegekräftemangels um 23,4 % führen würde (S. 80).
Paul Brandl schreibt über das Thema „Innovationen bei sozialen Dienstleistern strategisch ausrichten“. In der Analyse gleicht sein Artikel dem vorherigen. Sein Lösungsvorschlag klingt allerdings etwas anders: „Das Wesenselement ‚Vision – Mission – Leitbild‘ im kulturellen Subsystem soll nach unserem Verständnis möglichst alle zukünftigen Anforderungen in Form eines Zukunftsbilds enthalten, das in den nächsten sieben bis zehn Jahren erreicht werden kann (in Anlehnung an dialogbild.de)“ (S. 87). In besonderer Weise geht er auf das Thema „Leitbild“ ein. Seine Grundthese: „Die Neufassung des Leitbilds wäre dann der Ausgangspunkt für ein neues Verständnis der Funktionen/​Rollen. Davon werden auch die neuen Abläufe abgeleitet und gestaltet. Das Thema der ständigen Weiterentwicklung bzw. der kontinuierlichen Verbesserung sowie das konsequente Etablieren von Innovationen sind jedenfalls zentrale Bestandteile des Leitbilds, das von Führungskräften und Mitarbeitern angestrebt werden soll“ (S. 89). Die relevanten Prozesse sind dann am Leitbild auszurichten und auf „innovatives Potenzial“ zu durchforsten. Die nächsten Seiten des Artikels bestehen aus Tabellen mit Spalten zu Prozess-Teilprozess-Potenzial, die stichwortartig ausgeführt werden (Beispiel: Wäscheversorgung – Berufskleidung – RFID-Chips verringern) (S. 93). Anschließend werden fünf „Verschwendungskategorien“ erläutert.
Die Überlegungen zu „Soziale Organisationen auf dem Weg nach New Work“ stammen von Hendrik Epe. Bei „New Work“ geht es darum, die herkömmliche Lohnarbeit durch ein System von Erwerbsarbeit, High-Tech-Self-Providing und „einer Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ (S. 105) zu ersetzen. Auch in diesem Artikel stehen die schon des Öfteren ausgeführten Herausforderungen (demografischer Wandel, Pflegekräftemangel) am Beginn der Überlegungen, auch hier werden fehlende Effizienz, Effektivität und Transparenz (S. 111) beklagt, auch hier wird betont, dass Wirtschaftlichkeit nicht vernachlässigt werden darf. Die gewagte These, Kindestötungen hätten verhindert werden können, wenn Mitarbeiter/​innen der Jugendämter „mehr und angstfrei miteinander gesprochen“ (S. 113) hätten, möchte man hingegen belegt sehen. Der im Artikel vermerkte Literaturverweis (Goldberg 2013) findet sich jedenfalls nicht im Literaturverzeichnis. Als Ausweg wird – mit Verweis auf eine eigene (unveröffentlichte) Master-Thesis – die „New Work Organisation“ empfohlen, der eine höhere Innovationsfähigkeit nachgesagt wird. Wie „New Work“ in Sozialen Organisationen verwirklicht werden soll, wird in mehreren Schritten beschrieben: Die Führungsetage müsse sich im Sinne von „Ganzheitlichkeit, Selbstorganisation und organisationalem Sinn“ aufstellen (S. 115), Organisationen seien aufgefordert, das Alltaggeschäft aufrecht zu erhalten und sich gleichzeitig für „New Work“ zu öffnen: „Menschen in den Organisationen (müssen) ihre Arbeitszeit mit ‚echter‘ Mehrwert generierender Arbeit zubringen und gleichzeitig über den Mehrwert ebenso wie den Zweck der Organisation Bescheid wissen“ (S. 119). Es geht dem Autor um „Selbstorganisation und Agilität“, um „Scrum, Kanban und Design Thinking“ (S. 121, leider fehlt auch hier die angegebene Literatur Michl 2018), wie dies in einem offenbar aus der Software-Entwicklung stammenden „Agilen Manifest“ festgehalten ist. Diese abstrakten Überlegungen werden mit konkreten Beispielen unterlegt: Man solle überlegen, Dienstreiseregelungen zu vereinfachen oder wegzulassen, eine strukturierte Mittagspause einzuführen oder „Unternehmens-Meetups“ zu initiieren (S. 122), ansonsten sei – angesichts der vielen Probleme, die der Autor bei der Umsetzung sieht (z.B. fehlende Netzwerkkompetenz der Träger) – das Ganze als „Prozess“ zu verstehen, der „nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein kann“ (S. 123).
Der Artikel „Soziale Innovation im Gefüge sozialer Versorgung“ wurde von Anne Parpan-Blaser verfasst. Zunächst definiert die Autorin ihr Thema: „Allgemein gilt Innovation […] als Brückenkonzept zwischen Wissenserzeugung und Co-Kreation unter Beteiligung von Wissenschaft und fachlicher bzw. gesellschaftliche Praxis (Franz/​Kaletka 2018). Das heißt, dass anwendungsorientiert verschiedenste Wissensformen zu neuartigen Produkten oder Prozessen kombiniert werden, deren Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von Lernprozessen und neuen Verhaltensweisen begleitet sind“ (S. 136). Parpan-Blaser arbeitet Kriterien heraus, die für die Bewertung von Innovationen entscheidend sind (wie z.B. Vergleich mit bisherigen Angeboten, Passgenauigkeit der Bedarfsdeckung, die Qualität der Angebotserweiterung; S. 148). Sie weist darauf hin, dass nicht nur der umgebende Kontext die Innovationen hervorrufen könne, sondern dass die Innovationen ihrerseits den Kontext zu ändern vermögen und im Bereich der Sozialen Arbeit auch verändern sollten (Stichwort: aktive Einmischung in politische Prozesse). In fünf Thesen lenkt die Autorin den Blick auf die „transformative Wirkung sozialer Innovationen im Kontext sozialer Versorgung“ (S. 151). Dabei tritt sie in gewisser Weise der eingangs zitierter Einschätzung von Schellberg entgegen, der von privaten Wohlfahrtsorganisationen als „schlafenden Riesen“ gesprochen hat. Für Parpan-Blaser sind nichtstaatliche Organisationen innovativ, politisch agil und partizipativ gegenüber Betroffenen. Die Autorin kommt zu einem bemerkenswerten Schluss: „Sozial- und Geisteswissenschaften sollten hinsichtlich sozialer Innovation nicht einseitig unter einer Nutzenperspektive betrachtet oder technikaffinen Disziplinen untergeordnet werden. Denn sie haben neben der innovationsrelevanten Wissensproduktion das Potenzial, Mentalitäten zu ändern, Reflexivität zu fördern und die öffentliche Debatte zu gestalten“ (S. 159).
Mit „Zwischen zwei Welten: Virtual Reality in der Sozialen Arbeit“ überschreibt Michael Garkisch seinen Artikel. Es geht ihm um eine systematische Literaturrecherche zu „Virtual Reality“ (VR), die wie folgt definiert ist: „Mittels eine [sic!] Computers als Endgerät und diversen Sensoren oder Tracker beim Nutzern [sic!] wird eine Echtzeit-Animation ermöglicht (Steuer 1992; Riva 2005). Durch eine Mensch-Computer-Interaktion entsteht so möglichst realitätsnah eine virtuelle Umgebung, in welche der Nutzer sprichwörtlich ‚eintauchen‘ kann.“ (S. 166) Die Ergebnisse der Literaturrecherche werden zu vier Feldern („Beratung und Begleitung“, „Ausbildung und Lernen“, „Profession und Forschung“ sowie „Organisation und Management“) geclustert. Bei der Recherche fand der Autor fast ausschließlich englischsprachige Studien. Für die genannten vier Felder werden im Folgenden sehr kurze Herausforderungen formuliert. Es schließen sich praktische Empfehlungen für den Einsatz von VR in der Sozialen Arbeit an, ebenfalls dargestellt an den vier Feldern.
Projekte und Beispiele im Zuge der Steuerungsprozesse
Der Beitrag „Fusionen von sozialen Organisationen: Herausforderungen, Strategien und Handlungsmöglichkeiten“ stammt von Daniel Iseli. Sein Thema (Organisationszusammenschlüsse) definiert er wie folgt: „Zwei oder mehrere rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Organisationen vereinigen sich zu einer dauerhaften Einheit. In der Wirtschaft hat sich dafür der Fachbegriff ‚Mergers & Akquisition‘ eingebürgert. ‚Merger‘ bedeutet Integration durch Zusammenführung und ‚Akquisition‘ Übernahme der einen Organisation durch die andere“ (S. 186). Zwar ist dieser Beitrag unter der großen Überschrift „Projekte und Beispiele“ eingeordnet, es finden sich aber weder Projekte noch Beispiele, sondern eine theoretische Abhandlung über Phasen und Erfolgsaussichten von Fusionen, analog zu den gängigen Phasen des Projektmanagements.
Der Artikel „Ein Zukunftsbild neu denken, zusammentragen und visuell greifbar machen: Das Sozialkaufhaus“ stammt von Julia Kitzberger und beschreibt den Entwicklungsprozess von der „Ideengenerierung bis zum fertigen Zielbild“. Im Anschluss daran werden detailreich die Angebote des Sozialkaufhauses aufgezählt. Die Autorin charakterisiert ihr Sozialkaufhaus wie folgt: „Die SOZIALquelle wird als sozialökonomischer Betrieb geführt, der Arbeitslosen (Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen, Jugendliche, Wiedereinsteiger, REHA-Geld-Bezieher, Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger/innen, Migrant/​innen, Mindestpensionsbezieher/​innen, Studierenden [sic!] „working poor“ etc.) eine vorübergehende Beschäftigung bietet. Darüber hinaus werden die arbeitssuchenden Personen auf den Arbeitsantritt am ersten Arbeitsmarkt vorbereitet, unterstützt und begleitet. Neben dem Erwerb von Praxiserfahrung können zusätzliche Weiterbildungen, Umschulungen und sonstige Ausbildungen in Kooperation mit unterschiedlichen Systempartnern […] absolviert werden. Die Teilnehmer/​innen werden anhand von personenzentrierten Maßnahmen bei der Arbeitssuche unterstützt. Außerdem werden Praktika und Schnuppertage mit ausgewählten Unternehmen und Betrieben sowohl aus der Privatwirtschaft als auch der Sozialwirtschaft angeboten“ (S. 206).
Michael Vilain und Matthias Heuberger berichten über ihr Projekt „Hausnotruf ade?! Hybride Dienstleistungsmodelle für das Leben im Alter daheim“. Ihr Ausgangspunkt ist das wirtschaftliche Stagnieren von „Ambient-Assisted-Living-Systemen“ (AAL) bei älteren Kunden. Technologiekonzerne waren der Meinung, der „Endkunde“ würde diese Systeme (z.B. die intelligente blutzuckermessende Toilette, S. 216) von selbst nachfragen. Das ist überraschenderweise nicht geschehen. Der Grund für „das zentrale Markthemmnis dieser Technologien“ liege „in unzureichenden Geschäftsmodellen. Dies gilt für das Sozialwesen in besonderer Weise. Die Einführung einer neuen Technologie ist dabei in dem durch relativ starre staatliche Vergütungssysteme geprägten Sozialwesen eben kein linearer Prozess, bei dem die Aufnahme im Markt über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Vielmehr gelangen technologische Neuerungen ohne entsprechende Refinanzierung hier gar nicht erst in den Markt“ (S. 218). Die Lösung für ihr Problem finden die Autoren zum einen in dem schon etablierten Hausnotrufsystem, zum anderen bei den traditionellen Trägern der Wohlfahrtspflege, die „nicht nur Gatekeeper im technologiebasierten Sozial- und Gesundheitsmarkt [sind], sondern auch ein hohes Kundenvertrauen [genießen].“ (ebd.) Im vom BMBF geförderten und mit dieser Prämisse von verschiedenen Instituten und Wohlfahrtsverbänden konzipierten Projekt ENGESTINALA geht es darum, „die mittlerweile mehrere Jahrzehnte alte Hausnotruftechnologie […] durch modernere, multifunktionale Geräte zu ersetzen“ (S. 219). 90 traditionelle Hausnotrufe wurden durch multifunktionale Tablets ersetzt. Die Erfahrungen beschreiben die Autoren wie folgt: „Rasch wurde deutlich, dass im Gegensatz zu dem in der Industrie gebräuchlichen Hybriditätsbegriff, der vor allem die Integration von Dienstleistungen und Industrieprodukten fokussiert (z.B. Vertrieb von Druckern und deren Wartung als Service), anknüpfend an die Besonderheiten des Sozialmarkts und die Komplexität des geplanten Dienstleistungsmodells[,] ein hybrides Geschäftsmodell im Sozialwesen die Arbeit in nichtlinearen Wertschöpfungsstrukturen abbilden musste. Dabei geht es gerade im Fall von Dienstleistungs-Technik-Konstellationen um die Integration von nachhaltigen Leistungs-, Ertrags-, Wachstums- und Kommunikationskonzeptionen durch Konfiguration von Kompetenzen in mehrdimensionalen Netzwerkstrukturen. Der Erfolg in solchen Strukturen hängt vor allem von der Einordnungs- und Koordinationskompetenz der heterogenen Akteure mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen, Kompetenzen und Organisationsformen ab“ (S. 220).
Die „Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Tagesbetreuung von Senior/​innen“ stellt Michaela Kührer vor. Es geht um die „Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Tagesbetreuung von Senior/​innen. Dem Faktor Wirkungen für die Senior/​innen, aber auch für die Angehörigen, Finanziers und weitere Stakeholder, soll dabei eine hohe Priorität eingeräumt werden.“ (S. 235f) Unter Bezugnahme auf Wirkungsstudien stellt die Autorin fest, „dass die Nutzung einer Tagesbetreuungseinrichtung […] positive Effekte bzw. Wirkungen zeigt und diese Einrichtungen dadurch einen wertvollen Beitrag im Rahmen der Versorgung älterer Menschen leisten können“ (S. 238). Interessanterweise fügt die Autorin Ergebnisse explorativer Experten/​-innen-Interviews an. Das Ziel der Erhebung war, „ein ganzheitliches Bild zur aktuellen Situation der Tagesbetreuung und zukünftigen Entwicklungen zu erhalten“ (S. 242).
Abgeschlossen wird das Buch mit dem Beitrag von Paul Brandl und Angelika Krallinger mit dem Titel: „Ein Zukunftsbild wird Wirklichkeit: ‚Multifunktionales Altenheim'“. Trotz guter Auslastung stellt sich ein Altenheim die Frage nach der strategischen Neuausrichtung. Die Autoren schreiben zu den Folgerungen: „[D]ie Geschäftsführung des Trägers zusammen mit der Heimleitung […] startete eine Kooperation mit der FH Oberösterreich, Department Sozial- und Verwaltungsmanagement. In einem der Live-Projekte des Master-Studiengangs Gesundheits-, Sozial- und Public Management an der FH Oberösterreich Campus Linz sollte sich eine sechsköpfige Studentengruppe der strategischen Ausrichtung des Hauses annehmen. Sie hatten dazu ein Semester Zeit. Das Ziel: Die (kostendeckende) Auslastung der Immobilie sichern“ (S. 255). Die Studentengruppe erarbeitete ein sog. „Dialog-Bild“ und 70 Möglichkeiten. Des Weiteren werden drei Schritte dargestellt: – Erster Realisierungsschritt: SGH+ (= „Sozialhilfegesetz plus Personaleinheit“) als Betreuungsangebot für Menschen, „die im Laufe ihres Lebens eine Beeinträchtigung erworben haben, einen zunehmend erhöhten Pflegebedarf aufgrund des fortschreitendes [sic!] Alters aufweisen und in der häuslichen Umgebung nicht ausreichend versorgt werden können“ (S. 260f). – Zweiter Schritt: assistierende Technologien: Hier werden Anforderungen an technische Assistenzsysteme, allerdings keine Lösungen beschrieben. – Dritter Schritt: „Fit für zu Hause“ als ein Angebot für eine kurzfristig verfügbare Betreuung und Versorgung von geriatrischen Personen.
Diskussion
Wer ein Buch mit dem Titel „Innovationen bei Sozialen Dienstleistungen“ zur Hand nimmt, wird in guter wissenschaftlicher Tradition erwarten, dass die beiden Zentralbegriffe „Innovationen“ und „Soziale Dienstleistungen“ behandelt werden.
Der Begriff „Innovationen“ wird in vielen der Artikel im ersten Teil im Sinne von „neuen Produkten“ oder „zusätzlichen Leistungen“ verwendet. Dankenswerterweise weist Parpan-Blaser auf die zentrale Dimension von Innovationen im Sozialbereich hin: Es geht weder primär um technische Erneuerungen als Marktinnovationen zur Ertragssteigerung noch um Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit oder organisationale Verbesserungen (z.B. Dienstreiseregelungen, Meeting-Formen). Vielmehr stehen wegen der besonderen Eigenheit von Organisationen im Dritten Sektor (Stichwort: Sachzieldominanz) die „Passgenauigkeit der Bedarfsdeckung, die Qualität der Angebotserweiterung und der Beitrag zur Versorgung der betroffenen Personen“ (S. 148) im Mittelpunkt des Interesses. Die Tendenz des Buches und fast aller Autoren/​innen geht dahin, „innovative Zukunft“ (so der Untertitel des Buches) als eine technisch-virtuelle zu sehen und sich zu fragen, wie man diese als Königsweg begriffenen Lösungen der Personal- und Finanzierungsprobleme implementieren kann. Interessanterweise zeigt der Artikel von Garkisch, wie weit die deutsche Fachdiskussion hier hinter der internationalen hinterherhinkt. Insofern ist das Buch in dieser Hinsicht als Diskussionsanstoß sicher nötig und in seiner Ausrichtung nicht zu kritisieren.
Der Begriff „Dienstleistungen“ wird in dem vorliegenden Band weder klar definiert noch, insbesondere was das Thema der „personenbezogenen Dienstleistungen“ betrifft, von vielen Artikeln sonderlich reflektiert. Letztere sind in der Fachliteratur wie folgt definiert: „In ihrem ‚Entwurf einer Theorie personenbezogener Dienstleistungen‘ rücken Gross/​Badura (1977) das interaktive und kommunikative Miteinander von Dienstleistungsproduzierenden und Dienstleistungskonsumierenden in den Mittelpunkt. Die Aufmerksamkeit wurde weitgehend auf das Kriterium der Interaktionsintensität bzw. der Koproduktion im Dienstleistungserbringungsprozess gelegt. Während bis dato die Annahme vorherrschte, dass rechtliche und ökonomische Interventionsformen vorherrschend waren, traten nun personenbezogene soziale Dienstleistungen zu den ‚klassischen‘ Interventionsformen Geld und Recht als ein integraler Bestandteil moderner Sozialstaatlichkeit hinzu, mittels deren Steuerungskapazität und -reichweite in die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse dem ‚Problem der Effektivität‘ entgegengewirkt werden sollte“ (Oechler 2018, 264). Wissenschaftlich zu behandeln in Bezug auf „Dienstleistungen“ sind also „klassisch“ betriebswirtschaftliche und technische Themen (Effektivität und Effizienz), aber auch personenbezogene, wie das Miteinander von Dienstleistungsproduzierenden und Dienstleistungskonsumierenden. Wer Innovationen in Bezug auf diese häufig „Koproduktion“ genannte Dimension von Dienstleistungen in dem Buch sucht, wird eher enttäuscht. Es dominieren Themen wie „Neue Effizienz“, „Virtual Reality“, oder „Ambient-Assisted-Living-Systeme“. Das ist, wie gesagt, per se nicht zu kritisieren, aber vielleicht wäre es auch innovativ, über die Auswirkungen dieser neuen Systeme auf die Nutzer/​innen nachzudenken, statt beispielsweise den Fokus allein darauf zu legen, in welcher Organisationsform man Tablets am besten zu alten Menschen bringen kann. Zumindest muss die Frage gestellt werden, ob der Pflegenotstand ein rein mathematisches Problem ist und durch technische Lösungen behoben werden kann bzw. ob Haltungen, die sich in der Verwendung von Begriffen widerspiegeln, wie „Prozessoptimierung“ (wo es um die fachliche Arbeit der Pflegekräfte geht), „Verschwendungsmuster“ (wo es um „Überlastung“ und die daraus folgende „Unausgeglichenheit“ von Pflegekräften geht) oder „Input-Faktor Mensch“ (wo es um menschliche Interaktion mit Hilfebedürftigen geht), nicht eher die Problemlösung verhindern, die sie eigentlich vorschlagen wollen.
Interessant wäre auch, gemäß dem Artikel von Parpan-Blaser (der nebenbei bemerkt für den Rezensenten das „Highlight“ des Buches ist) über Bedingungen nachzudenken oder besser nachzuforschen, wie sich (technische) Innovationen im Sinne des und im Konsens mit dem Klienten nutzen lassen (Stichwort: Partizipation der Betroffenen). Nicht zu vergessen ist die Wirkungsdimension, die dankenswerterweise im Artikel von Kührer angesprochen wird. Vielleicht liegt ja das Markthemmnis der „intelligenten blutzuckermessenden Toilette“ nicht in der Organisationsform der Betreiber, sondern daran, dass der Nutzer und die Nutzerin ihren und seinen Blutzucker lieber von der Pflegekraft messen lassen wollen, die noch ein paar nette Worte mit ihm oder ihr wechselt.
Im Übrigen überzeugen eher die Beispiele aus dem 2. Teil, die zeigen, wie man mit einfachen Mitteln (z.B. studentische Projekte) Innovationen voranbringen kann, als die mit betriebswirtschaftlichem Neusprech herausgeputzten Megaprojekte, die einem am Ende doch vorkommen wie die Neuauflage von „Des Kaisers neue Kleider“.
Aufschlussreich ist der Blick über die nationalen Zäune, der zeigt, wie unterschiedlich die Sozialsysteme selbst in den deutschsprachigen „DACH“-Ländern sind. So kann in einem (schweizer) Artikel mit gutem Recht auf die Innovationsfähigkeit privater Organisationen hingewiesen werden, während man gleichzeitig (deutsche) private Träger als „schlafende Riesen“ bezeichnet. Interessant wäre es in diesem Zusammenhang, die empirische Forschung zum Thema „Innovationsfähigkeit“ von privaten Trägern (vielleicht in Abhängigkeit zu ihren Sozialstaatsmodellen und Organisationsstrukturen) zu kennen, denn viele Annahmen von Autoren in diesem Buch erscheinen doch eher anekdotisch als empirisch. Es ist sicher hilfreich, die Berichte nebeneinander stehen zu haben, doch es wäre auch spannend, wenn die Autoren/​innen aus den DACH-Ländern diesbezüglich ein transnationales Forschungsprojekt generieren würden.
Noch ein Wort zur Lesefreundlichkeit (besonders auch im Hinblick auf die Zielgruppe der Studierenden): Ein Lektorat wäre nicht ganz unnötig gewesen, denn es sind viele Fehler zu finden (Rechtschreib- und Grammatikfehler, fehlende Literaturverweise, kaum leserliche oder nicht erklärte Grafiken).
Schließlich stellen sich dem Rezensenten noch drei drängende Fragen: Welche bahnbrechende Erkenntnis steht hinter „RFID-Chips“? Werden wir zukünftig alle die „Verminderung von Verschwendung“ „Muda“ nennen, das „Streben nach möglichst kontinuierlicher Auslastung“ „Mura“ und das „Vermeiden von Belastungsspitzen“ „Muri“? Und was sind noch mal „Scrum, Kanban und Design Thinking“?
Literatur
Oechler Melanie (2018): Dienstleistungsorientierung, in: Otto/Thiersch/​Treptow/​Ziegler (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (6. Auflage), München, 263–272.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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