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Hilke Elsen: Gender - Sprache - Stereotype

Rezensiert von Prof. Dr. Gudrun Ehlert, 22.04.2021

Cover Hilke Elsen: Gender - Sprache - Stereotype ISBN 978-3-8252-5302-8

Hilke Elsen: Gender - Sprache - Stereotype. Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht. UTB (Stuttgart) 2020. 250 Seiten. ISBN 978-3-8252-5302-8. D: 23,99 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 32,00 sFr.

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Thema

Der Einfluss von Sprache auf das Denken und Handeln, auf die Wahrnehmung von Geschlecht und die Konstruktion von Geschlechterdifferenz steht im Zentrum des Lehrbuchs. Die Autorin möchte für die Bedeutung und Wirkung von Stereotypen sowie einen geschlechterreflexiven Umgang mit Sprache sensibilisieren, um Kindern und Jugendlichen einen chancengerechten Schulalltag zu ermöglichen und Diskriminierung zu begegnen.

Autorin

Prof. Dr. Hilke Elsen ist Professorin für germanistische Linguistik an der LMU München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Sprachvarietäten, Neologismen/​Lexikologie, Wortbildung sowie Genderlinguistik.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation enthält 14 Kapitel mit zahlreichen Unterpunkten. Alle Kapitel beinhalten Hervorhebungen zentraler Begriffe und Aussagen, jeweils eine Zusammenfassung, Hinweise auf wichtige Literatur sowie unter der Überschrift „Forschungsaufgaben“ Anregungen und Themenvorschläge für weitere Untersuchungen.

In der Einleitung bündelt die Autorin Fakten zur rechtlichen Gleichstellung von Frau und Mann, zum Gender Pay Gap und sie fasst die zentralen Begriffe und Leitgedanken des Lehrbuchs einführend zusammen. Im zweiten Kapitel beschreibt Hilke Elsen die geschichtliche Entwicklung der Genderlinguistik und die Debatten um die feministische Sprachkritik der 1980er Jahre in Westdeutschland, angestoßen durch Veröffentlichungen von Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch. Unter der Überschrift „Theorien“ werden im dritten Kapitel, feministisch-linguistische und geschlechtertheoretische Ansätze vorgestellt. Das folgende Kapitel beginnt mit sprachwissenschaftlichen Grundlagen zum Zusammenhang von „Sprache und Denken“. Vorgestellt wird die „Sapir-Whorf-Hypothese“ nach der der Einfluss der Sprache auf das Denken im Sinne eines sprachlichen Relativismus als zentral gilt. Dabei wird davon ausgegangen, dass „neue Sprachen, neue Strukturen, Wörter und Konzepte die bereits vorhandenen relativieren und erweitern“ (Elsen 2020, S. 64). Daran anschließend skizziert die Autorin anhand zahlreicher Beispiele die Macht sprachlich, also mit Hilfe von Stereotypen und bewusst eingesetzten grammatikalischen und lexikalischen Strategien, zu manipulieren. Sprache hat einen Einfluss auf das Denken und damit auch auf sprachliche Diskriminierungen. Gleichzeitig kann eine Veränderung der Sprache aber auch zu einer veränderten Wahrnehmung führen, das heißt über den Sprachgebrauch kann die Wahrnehmung beeinflusst werden. Im Zentrum des fünften Kapitels „Gender und Sprachsystem“ steht die Auseinandersetzung mit dem generischen Maskulinum, einer maskulinen Form, die in der gegenwärtigen deutschen Sprache als neutrale Endung für beide bzw. alle Geschlechter verwendet werden kann.

Hilke Elsen weist nach, dass noch in der Zeit der Renaissance und des Barock für Frauen und Männer unterschiedliche sprachliche Formen gebraucht wurden. Erst mit der Aufklärung werden weibliche Endungen zugunsten des neutralen Gebrauchs männlicher Endungen aufgegeben. Im Deutschen werden Substantive in drei Genus-Gruppen unterteilt: Maskulinum, Femininum und Neutrum (der, die das). Dabei wird Genus als rein grammatikalische Kategorie aufgefasst, die nichts mit Sexus, dem „natürlichen Geschlecht“ (S. 74) zu tun hat. Es gibt aber Wortschatzbereiche für die das nicht zutrifft: die Frau, die Tante, die Cousine, der Vater, der Onkel. Hier stimmen Genus und Sexus überein. Darüber hinaus gibt es Wörter bei denen Genus und Sexus im Widerspruch zu einander stehen: das Mädchen, das Weib. Und es gibt Nomen, die über Konversion gebildet werden, bei denen es auch im Deutschen zwei Genusbezeichnungen gibt: die Tote, der Tote, – die Angestellte, der Angestellte. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Genus bei all diesen Beispielen als Hinweis auf Sexus interpretiert, was Hilke Elsen an verschiedenen Beispielen und Untersuchungsergebnissen zeigt und in einer Zusammenfassung bündelt: „Das generische Maskulinum fasst Frauen unter Männer zusammen. Es ist nicht geschlechtsneutral, denn es macht Frauen sprachlich und kognitiv unsichtbar“ (S. 76). Alternative Formulierungen einer geschlechtergerechten Sprache werden ebenso vorgestellt wie eine Auseinandersetzung mit den Strategien des Widerstands und der Herabwürdigung von Forderungen durch sprachliche Änderungen Diskriminierungen entgegen zu wirken.

Die Bedeutung von Stereotypen für das Denken, Erleben und Handeln sowie die Tradierung von Stereotypen über Sprache werden im siebten Kapitel erklärt. Auch den Ansatz der Stereotypbedrohung (stereotype threat), nach dem sich Stereotype auf die Selbstwahrnehmung und Leistung auswirken, stellt die Autorin mit Beispielen aus den entsprechenden Studien dar und sie fragt, wie sich Stereotypen abbauen lassen. Im achten Kapitel „Neurobiologie“ fasst Hilke Elsen u.a. Untersuchungen zum hormonellen Einfluss auf die Hirnentwicklung von Frauen und Männern sowie evolutionäre Begründungen für Geschlechterunterschiede zusammen. Hier fehlen Beispiele kritischer Gegenpositionen, so die Autorin. In der Darstellung der Linguistischen Gesprächsforschung steht die interaktive Konstruktion von Geschlecht im Zentrum. Die Bedeutung von Sprache und der Rolle der Erwachsenen für die Entwicklung der Geschlechtsidentität wird im zehnten Kapitel „Genderentwicklung“ beschrieben. Der Einfluss von Medien (Werbung, Fernsehen, Zeitung), Schulbüchern und des Schulunterrichts auf die Reproduktion von (Geschlechter)Stereotypen wird anhand anschaulicher Beispiele und Studien erläutert. Im abschließenden Kapitel werden praktische Vorschläge für den Unterricht vorgestellt.

Diskussion

Die polemischen Debatten über und aggressiven Reaktionen auf die feministische Sprachkritik und die Genderlinguistik in den 1980er Jahren, die Hilke Elsen zusammenfasst, muten sehr aktuell an. Das Beharren auf der Trennung von Genus und Sexus ist damals wie heute Thema, wo darüber hinaus über das Gendersternchen, den Unterstrich und das Binnen-I gestritten wird. Die Veröffentlichung liefert eine Fülle von unterstützenden Argumentationen für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen. Auf der Grundlage von Untersuchungen arbeitet sie heraus: Sprachliche Veränderungen wir neutrale Formulierungen würden kaum Veränderungen in der Wahrnehmung hervorrufen, nämlich weiterhin männliche Assoziationen. Alternative Sprachformen würden die Textaufnahme nicht erschweren.

Fazit

Die Veröffentlichung leistet einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Auseinandersetzung um geschlechtergerechte Sprache. Durch die Aufbereitung von Studien, der Bündelung von Ergebnissen und Erklärungen, durch die zahlreichen Hinweise und Anregungen bietet das Lehrbuch für die Arbeit in Kindertagesstätten und Schulen, für die Fort- und Weiterbildung sowie die Hochschullehre eine sehr gute Arbeitsgrundlage.

Rezension von
Prof. Dr. Gudrun Ehlert
Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Mittweida
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Es gibt 30 Rezensionen von Gudrun Ehlert.


Zitiervorschlag
Gudrun Ehlert. Rezension vom 22.04.2021 zu: Hilke Elsen: Gender - Sprache - Stereotype. Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht. UTB (Stuttgart) 2020. ISBN 978-3-8252-5302-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26845.php, Datum des Zugriffs 01.04.2023.


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