Jürgen Seifried, Klaus Beck et al. (Hrsg.): Beruf, Beruflichkeit, Employability
Rezensiert von Prof. Dr. René Börrnert, 27.04.2022

Jürgen Seifried, Klaus Beck, Bernd-Joachim Ertelt, Andreas Frey (Hrsg.): Beruf, Beruflichkeit, Employability.
wbv
(Bielefeld) 2019.
348 Seiten.
ISBN 978-3-7639-5465-0.
Reihe: Wirtschaft - Beruf - Ethik - 35.
Thema
Zentrales Organisationsprinzip und Ausbildungsziel der Berufsbildung ist Beruflichkeit. Employability bezieht sich auf die Arbeitsmarktnähe und eine praktische Einsetzbarkeit von Bildungsabsolventen. Hierbei werden grundlegende qualifikations- und tätigkeitsbezogenen Komponenten thematisiert: Qualifikationen und Kompetenzen, marktbezogene Komponenten und soziale Stabilität. Eine entsprechend ausgerichtet Wirtschafts- bzw. Berufspädagogik untersucht daher, „wie sich die individuelle Kompetenzentwicklung bei gleichzeitiger Wahrung der Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe sowie der Chance, eine Idee der Subjektivität zu entfalten, vereinen lässt mit den gesellschaftlichen Funktionsansprüchen, insbesondere der Versorgung der Beschäftigungssysteme mit adäquat ausgebildeten Individuen“(7).
Autor:innen und Entstehungshintergrund
Prof. Dr. Jürgen Seifried ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Mannheim. Prof. Dr. Klaus Beck ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Prof. Dr. Bernd-Joachim Ertelt ist Professor für Berufs- und Wirtschaftspädagogik und Prof. Dr. Andreas Frey ist Reaktor der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim.
Die Reihe „Wirtschaft – Beruf – Ethik“ (hrsg. von Prof. Dr. Birgit Ziegler und Prof. Dr. Gerhard Minnameier) widmet sich ökonomischen und ethischen Fragen im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Berufs- und Unternehmenskultur. Die vorliegende Publikation stellt Band 35 dieser Reihe dar.
Aufbau und Inhalt
Teil 1 – Wissenschaftsdisziplinäre Perspektiven
Der in der Fachliteratur unterschiedlich gefasste Begriff „Beruflichkeit“ wird von Beck als multidimensionales Konstrukt vorgestellt. Sailmann widmet sich der wechselvollen Geschichte dieses Berufskonstruktes im deutschen Sprachraum. Dabei erläutert er die Funktion, auf der die Idee gründet und verdeutlicht die Potenziale für die heutige digitale Gesellschaft. Vergleiche zwischen beruflichen Bildungswegen in Deutschland und Kanada erbringt Deißinger, wobei es ihm um die angemessene soziale Anerkennung dieser Entwicklung geht. Die Auffassung von Beruf und Employabilty in Polen erörtert Noworol in seinem Beitrag.
Teil 2 – Klassifizierung, Anerkennung und Entwicklung von Kompetenzen
Der Beitrag von Matthes öffnet den Blick auf relevante Ansätze mit einem allgemeinen Beitrag zur Berufsklassifikation, deren Entstehung und Notwendigkeit. Deutscher konkretisiert das mit ihren Überlegungen zu Anspruch und Einsetzbarkeit bzw. Verwertbarkeit von beruflichen Kompetenzen in Bezug auf Ganzheitlichkeit, Vollständigkeit, Berufsspezifik, Situiertheit und Geschäftsprozessorientierung. Auf die moralische Kompetenz geht Minnamaier näher ein und untersucht Sinn und Idealität als Konstituenten von Beruflichkeit. Inwiefern dagegen Zertifikate geeignete Belege sind, um solche informellen und nonformal erworbenen Kompetenzen abzubilden, diskutiert Döring. Schließlich stellt Diekmann in seinem Beitrag die Frage „Hat die EU den Schlüssel für die Beschäftigungspolitik der Zukunft?“ und berichtet aus berufsbildungspolitischen Praxen.
Teil 3 – Betriebliche und organisatorische Perspektiven
Jedrzejczyk zeigt theoretisch auf, welchen Einfluss Demokratisierungen in Unternehmen auf die Konzepte von Beruf und Employabilty haben. Zutavern und Seifried widmen sich auf empirischem Wege „Employer-Branding“ als relevantem strategischen Werkzeug des Personalmanagements zur zielgerichteten Akquise und langfristigen Bindung qualifizierter Mitarbeiter:innen. Alexopoulou und Woywode beleuchten den Beratungskontext atypischer Zielgruppen und fragen konkret, was gute Beratung von Migrant:innen im Kontext eines Starts in die Freiberuflichkeit braucht bzw. ausmacht. Ebenso innovativ ist der Gegenstand von Harteis, Goller und Fischer, die sich den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Bedeutung beruflicher Qualifikation aus betrieblicher Sicht widmen.
Teil 4 – Entwicklungsperspektiven
Maggiori, Urbanaviciute und Masdonati nehmen Auswirkungen der Employability auf die berufliche Funktionsfähigkeit Einzelner sowie berufliche Übergänge in unterschiedlichen Stadien des Erwerbslebens in den Blick. Ziegler diskutiert theoretisch die Frage, inwieweit sich Ansätze von Beruflichkeit bereits im Denken von Kindern und Jugendlichen identifizieren lassen und moniert erheblichen Forschungsbedarf. Ulrich, Frey, Ertelt und Ruppert heben hervor, dass der Einfluss von Eltern auf die Berufswahl größer ist als der von Lehrer:innen, Berufsberatenden und den Angeboten im Internet. Duale Ausbildungssysteme nehmen die Autoren der letzten beiden Beiträge in den Blick, Ertelt und Frey für die Berufsausbildung und Deuer für das Studium.
Diskussion
Der vorliegende Band widmet sich den Grundlagen von Beruf, Beruflichkeit und Employabilty aus berufs- und wirtschaftspädagogischer Sicht. Der Sammelband bietet berufstheoretische und berufsdidaktische Einblicke. Die Autor:innen zeichnen die Entwicklung der Titel-Begriffe historisch nach und zeigen internationale Vergleiche auf. Die Aufsätze ergeben eine umfassende und mehrperspektivische Bestandsaufnahme zum aktuellen Forschungsstand.
Die Erkenntnisse der Aufsätze sind für Diskussionen in aktuellen Themen- und Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit relevant. Diese wird derzeit im Zuge von sozialpolitischen Neustrukturierungen für die arbeitsmarktrechtliche Vermittlungsfähigkeit junger Menschen in den Dienst genommen und kommt in den Verdacht der Sozialdisziplinierung mit der Preisgabe ihrer emanzipatorischen Bestrebungen. Durch den Anspruch, junge Menschen zum Beispiel in Produktionsschulen, berufsfähig zu machen greifen (schulische) Reglementierung, Kontrolle und Überwachung als Maximen, die den klassischen Prinzipien Sozialer Arbeit, wie Freiwilligkeit, entgegenstehen. Sozialpolitik sichert zwar so die ungewisse (Teil-)Finanzierung von Jugendsozialarbeiterstellen (z.B. über den Europäischen Sozialfond in Mecklenburg-Vorpommern). Als Preis kehrt jedoch das überwunden geglaubte Obrigkeits- und Kontrolldenken wieder in die Fürsorge zurück. Denn Soziale stehen in der Pflicht, die Sozialisationsziele Beruflichkeit und Employability aufwendig zu kontrollieren und zu legitimieren. Und sie selbst geraten in den Kontrollzwang der Fördermittel-Verwaltungsinstanzen (z.B. in Form von aufwendigen Dokumentationen ihrer geleisteten Arbeit), denen gegenüber sie sich umfassend und aufwendig rechtfertigen müssen. Das Buch greift diese Thematik zwar nicht auf, aber es finden sich Belege (insbesondere im vierten Teil), dass solcherlei Aufträge an Soziale keinesfalls einfach umzusetzen sind.
Fazit
Der Sammelband ist ein umfassender und guter Einstieg zum Themenfeld Beruflichkeit/​Employabilty. Historische und aktuelle Facetten werden verständlich beleuchtet und diskutiert. Das Buch ist nicht nur Wirtschafts- und Berufspädagog:innen zu empfehlen, sondern auch Fachkräften in der Sozialen Arbeit, insbesondere der Jugendsozialarbeit.
Rezension von
Prof. Dr. René Börrnert
Fachhochschule des Mittelstands (Rostock)
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