Michael Behr, Dorothea Hüsson et al.: Gespräche hilfreich führen
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen, 04.05.2020

Michael Behr, Dorothea Hüsson, Hans-Jürgen Luderer, Susanne Vahrenkamp: Gespräche hilfreich führen. Band 2: Psychosoziale Problemlagen und psychische Störungen in personzentrierter Beratung und Gesprächspsychotherapie.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2020.
489 Seiten.
ISBN 978-3-7799-3166-9.
D: 24,95 EUR,
A: 25,60 EUR,
CH: 34,60 sFr.
Edition sozial.
Thema
Das Buch stellt die praktische Anwendung einer personzentrierten Beratung und Psychotherapie für viele psychosoziale Arbeitsfelder vor. Einführend wird ein kurzer Überblick über diese Verfahren gegeben. Für beraterische Herausforderungen und für die Psychotherapie wird anwendungsbezogen praktisches Wissen mit Beratungsbeispielen und Hintergrundinformationen vorgestellt. Theoretischer Hintergrund ist der personzentrierte Ansatz von Carl Rogers und seine Weiterentwicklungen.
Vorgestellt werden ein allgemeines und das personzentrierte Vorgehen für die wichtigsten psychischen Störungen, psychosozialen Problemlagen und für verschiedene Settings. Ergänzt wird das Buch mit Anmerkungen über z.B. Erstellen von Diagnosen und der Wirksamkeit von Beratung und Therapie.
Autorinnen und Autoren
Prof. Dr. Michael Behr ist Psychologe und Professor für Pädagogische Psychologie und Beratung an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd und wissenschaftlicher Leiter des 1995 gegründeten Instituts für Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung (IGB) Stuttgart. Er publiziert und forscht zur Psychotherapie und Beratung und zu psychosozialen Themen in Erziehung und Schule; weitere Arbeitsschwerpunkte sind Spieltherapie, Gesprächspsychotherapie und Gesprächsführung.
Die Dipl.-Soz.Päd. und Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin Dorothea Hüsson ist Ausbilderin für personzentrierte Beratung und Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen am IGB und arbeitet in eigener Praxisgemeinschaft sowie an der PH Schwäbisch Gmünd im Studiengang Kindheitspädagogik. Arbeitsschwerpunkte sind Erziehungsberatung, Therapie mit traumatisierten Menschen und Beratung und Kinderpsychotherapie.
Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Luderer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und war bis 2014 u.a. als Chefarzt am Klinikum am Weißenhof in Weinsberg tätig. Er ist wissenschaftlicher Leiter und Koordinator des Weiterbildungsbereichs Personzentrierte Psychotherapie am IGB. Arbeitsschwerpunkte sind die Integration des Personzentrierten Ansatzes und Psychiatrie und personzentrierte Suchttherapie.
Die Dipl.-Psych. Susanne Vahrenkamp war ebenso als Ausbildnerin und als Supervisorin am IGB tätig. Sie verstarb im Jahr 2017.
Entstehungshintergrund
Das Buch „Gespräche hilfreich führen“ zeigt die praktische Umsetzung personenzentrierter Gesprächsführung auf schließt damit an den ersten Band an.
Aufbau
In der kurzen Einleitung wird bezugnehmend auf den ersten Band das Störungs- und problemlagenspezifische Vorgehen der personzentrierten Gesprächsführung beschrieben.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert:
- Im Teil A werden psychosoziale Problemlagen (Trennung und Scheidung, schwere Krankheiten, Mobbing, Vereinsamung etc.) thematisiert.
- Im umfangreichen Teil B werden psychische Störungen fokussiert. In einer Einführung erfolgen allgemeine Informationen von der Diagnosestellung über die Kontaktaufnahme bis zu einer Erörterung möglicher Grenzen des Verstehens. Im Anschluss wird die personzentrierte Beratung und Therapie von vielfältigen Störungen vorgestellt.
- Im Teil C stehen die Zielgruppen im Mittelpunkt, die LeserInnen erhalten Hinweise auf den Umgang mit Paaren, Selbsterfahrungsgruppen/​Gruppenpsychotherapien, Ehe und Familien und Jugendliche.
- Im kurzen vierten Teil D beschäftigen sich die AutorInnen mit der Wirksamkeit des personzentrierten Vorgehens.
Jedes Kapitel schließt mit Literaturhinweisen und häufig mit Buch-Tipps, Film-Tipps und Web-Tipps.
Inhalt
Teil A: Die AutorInnen beginnen mit einer kurzen Einleitung über das Störungs- und problemlagenspezifisches Vorgehen. Die theoretische Grundlage dafür sind der personzentrierte Ansatz von Carl Rogers (1902-1987) und seine Weiterentwicklungen bis heute. Hierfür steht der Begriff personzentriert-experienziell, dessen Zielrichtungen im Untertitel „personzentriert – erlebnisaktivierend – dialogisch“ anklingen. Aus der Perspektive der AutorInnen integriert eine personzentrierte Perspektive andere Verfahren, hier insbesondere Weiterentwicklungen der kognitiven Verhaltenstherapie, der Schematherapie, der tiefenpsychologischen Psychotherapie, der systemischen Psychotherapie sowie die der Behandlung mit Psychopharmaka. (zur Kritik s. unter Diskussion)
Auf jeweils ca. neun Seiten werden im ersten Teil verschiedene psychosoziale Problemlagen fokussiert. Hierbei handelt es sich um die Bereiche
- Trennung und Scheidung
- Schwere Krankheit
- Palliative Care und Hospiz
- Trauer
- Mobbing
- Burnout
- Armut
- Vereinsamung
- Schwere Vernachlässigung, körperliche und sexuelle Gewalt gegen Kinder
- Migration und Flucht
- Häusliche Gewalt
Teil B: In diesem umfangreichen Teil über die personzentrierte Gesprächsführung bei psychischen Störungen wird einführend im ersten Unterkapitel das Erstellen personenzentrierter Diagnosen thematisiert.
Im Anschluss werden verschiedenste psychische Störungen und mögliche Vorgehensweisen erörtert. Hierbei handelt es sich um die folgenden Phänomene:
- ADHS
- Schizophrenien
- Unipolare Depression und bipolarer Störung
- Angststörungen
- Zwangsstörungen
- Trauma- und belastungsbezogene Störungen
- Psychische Störungen mit körperlichen Beschwerden, Krankheitsangst, körperlichen Funktionsstörungen und dissoziativen Symptomen
- Essstörungen
- Störungen durch Alkohol und andere psychotrope Substanzen
- Demenzen und andere psychische Störungen als Folge einer Hirnschädigung
- Persönlichkeitsstörungen
Teil C: In diesem kürzeren Buchteil fokussieren die AutorInnen verschiedene Zielgruppen, die Auswahl dieser im Folgenden benannten Anwendungsbereiche wird nicht begründet:
- Paare
- Selbsterfahrungsgruppen und Gruppenpsychotherapie
- Eltern und Familien – Erziehungsberatung und Familientherapie
- Beratung von Jugendlichen
Teil D: In diesem kurzen letzten Buchteil wird die Wirksamkeit verschiedener Therapieverfahren (nicht der Beratung) diskutiert. Einführend werden kurz verschiedene Möglichkeiten der Beurteilung der Wirksamkeit und ihre Grenzen thematisiert. Insgesamt würde mit der Personenzentriert-Experimenteller-Psychotherapie mit Erwachsenen eine hohe Effektstärke erreicht. Abschließend wird auf sogenannte Limitierungen der Wirksamkeitsforschung eingegangen und ausgeführt, dass die diagnosebasierte Wirksamkeitsforschung nur begrenzt valide sei.
Diskussion
Den LeserInnen wird für 26,95 Euro ein sehr umfangreiches praxisorientiertes Werk geboten, in dem übersichtlich vielfältige Themen fundiert angesprochen werden. Gleichwohl gibt es einige Aspekte kritisch anzumerken:
Die Vielfältigkeit der vielen angesprochenen Themen ermöglicht keine differenzierte Vorstellung. Daher bleibt es häufig bei allgemeinen Aussagen, wenn zum Beispiel eine Seite über die Glücksspielsucht zur Verfügung steht oder wenn alle Persönlichkeitsstörungen über 30 Seiten abgehandelt werden sollen. Hier stellt sich nämlich dann die Frage, wer mit diesen Ausführungen angesprochen werden soll. Studierenden wird ein guter theoretischer Überblick geboten und Anregungen für die Praxis gegeben. Für einen differenzierten, vertiefenden Blick für PraktikerInnen sind die Ausführungen jedoch häufig zu „allgemein“. Zudem werden Risiken und Grenzen der einzelnen Verfahren nicht aufgezeigt.
Nach Verlagsangaben ist das Buch einerseits geschrieben für Beratung, hier zum Beispiel für die Vorbereitung für die Heilpraktikerprüfung und andererseits wird meist von Psychotherapie gesprochen. Leider wird im Buch nicht zwischen der Beratung und Therapie differenziert. Auch wenn von vielen Überschneidungen zwischen Beratung und Therapie auszugehen ist, wäre hier eine Differenzierung nützlich. Besonders wichtig wären dies z.B. in den Kapiteln über die Schizophrenie und über Trauma- und belastungsbezogene Störungen. Hier fehlt zudem ein Hinweis auf die Gefahr einer möglichen Retraumatisierung.
Aus der Perspektive der AutorInnen integriert ein personzentrierter Standpunkt andere Verfahren (Weiterentwicklungen der kognitiven Verhaltenstherapie, der Schematherapie, der tiefenpsychologischen Psychotherapie, der systemischen Psychotherapie sowie die der Behandlung mit Psychopharmaka.) Die AutorInnen führen nicht aus, wie sich solch ein Vorgehen und Anspruch bei solchen durchaus sehr widersprüchlichen Verfahren begründen lässt. Hierzu hätte es meines Erachtens einer Metatherapie bedurft. Damit wird zugleich auch nicht deutlich, was das spezifische Vorgehen einer personzentrierten Gesprächsführung ist.
Fazit
Theoretisch fundiert, praxisnah, undogmatisch geben die AutorInnen einen theoretischen Überblick über viele Bereiche und stellen praxisnah Anregungen für die Gesprächsführung vor. Insgesamt werden viele Themen angesprochen, vieles kann hier kurz und damit auch oberflächlich thematisiert werden. Dabei wird jedoch ein spezifischer personzentrierter Zugang nicht immer deutlich.
Das Buch ist Personen zu empfehlen, die sich in die praktische Arbeit der personzentrierter Beratung einarbeiten und diese vertiefen wollen.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen
studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaft und absolvierte Ausbildungen als Familientherapeut und Traumatherapeut und arbeitet ab 2021 als Studiendekan im Masterstudiengang „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“ an der DIPLOMA Hochschule
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