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Katrin Velten: HandlungsSpielRäume

Rezensiert von Prof. Dr. Anja Seifert, 23.09.2020

Cover Katrin Velten: HandlungsSpielRäume ISBN 978-3-7815-2368-5

Katrin Velten: HandlungsSpielRäume. Selbstwirksamkeit von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2020. 408 Seiten. ISBN 978-3-7815-2368-5. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR.
Reihe: klinkhardt forschung.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Thema

Das Buch beschäftigt sich auf einer theoretischen und empirischen Ebene mit dem Thema der positiven Bewältigung des ersten formalen Bildungsüberganges vom Elementar- zum Primarbereich unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der Kinder und ihrer Selbstwirksamkeit und Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Autorin

Die VerfasserinDr. Katrin Velten ist ausgebildete Lehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Arbeit, die als Dissertation an der Universität Bielefeld angenommen wurde, handelt es sich um das Promotionsprojekt der Verfasserin mit dem gleichnamigen Titel HandlungsSpielRäume – Selbstwirksamkeitserfahrungen von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule.

Aufbau

Ausgangspunkt der Untersuchung, die sowohl dem Feld der Übergangsforschung als auch dem der Kindheitsforschung zugeordnet werden kann, ist die übergeordnete Fragestellung nach der Selbstwirksamkeit von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule, zu der u.a. die Teilfrage gehört, „wie die befragten Kinder ihre Selbstwirksamkeit orientiert an den Bedürfnissen nach Kompetenzerleben, Selbstbestimmung, sozialer Eingebundenheit und Mitbestimmung vor und nach dem Übergang einschätzen“ (Velten 2020, S. 362).

Im ersten Teil der Arbeit, die 408 Seiten umfasst, werden dabei mit Bezug auf einschlägige Theorie und Forschung zum ersten Bildungsübergang die theoretischen Prämissen der Studie zugrunde gelegt. Dazu gehört zunächst der Bezug auf die Resilienzforschung, die zu den wichtigen Resilienzfaktoren die Selbstwirksamkeitserwartung und Selbststeuerung zählt. Nach der Darstellung der methodischen und methodologischen Rahmung der Studie erfolgt anschließend eine ausführliche Darstellung und Analyse der Ergebnisse und fallanalytische Betrachtung, um dann mit einer Diskussion und Reflexion der Ergebnisse abzuschließen.

Inhalt

Katrin Velten bettet die Thematik ihrer Studie in den Theorie- und Forschungskontext der Übergangs- und Resilienzforschung ein, indem sie zunächst den Übergang von der Kindertageseinrichtung zur Grundschule aus theoretischer Sicht mit Verweis auf geeignete Zugänge der Transitionstheorie, hier in interdisziplinärer Weise mit Bezug auf die Soziologie, die Psychologie und die Erziehungswissenschaft, verortet sowie auf empirische Studien im Feld verweist. Die Verfasserin legt der Arbeit hierbei übergangstheoretisch den Transitionsansatz, der in Deutschland vor Jahrzehnten am Staatsinstitut für Frühpädagogik unter Wassilios Fthenakis, Wilfried Griebel und Renate Niesel als Modell entwickelt wurde, zugrunde, um den Übergang theoretisch zu beschreiben. Die Stärke des IFP-Transitionsansatzes liegt hierbei darin, die unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben auf der individuellen, interaktionalen und kontextuellen Ebenen im Hinblick auf die Kinder und deren Eltern im Übergang zu thematisieren und den ko-konstruktiven Prozess der Akteur/​innen zu betonen. Katrin Velten schließt hier mit dem Fokus auf die Kinder bzw. auf die Frage nach der Veränderung der kindlichen Identität und der Bewältigung von Emotionen und der Stärkung kindlicher Ressourcen und Kompetenzen insbesondere an die Individualebene an. Zu den weiteren theoretischen Grundlagen ihrer Studie gehört hier ebenfalls der Bezug auf die Resilienzforschung und damit einhergehend die Bedeutung der Stärkung der kindlichen selbstbezogenen Kognitionen sowie personalen Kompetenzen (vgl. Velten 2020, S. 29).

Während deutsch-sprachige Studien häufig nur Veröffentlichungen aus dem deutsch-sprachigen Raum referieren, bezieht sich Katrin Velten in ihrer Darstellung der empirischen Befunde zum Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule ebenfalls auf einschlägige Studien aus der anglo-amerikanischen sowie der skandinavischen Übergangsforschung (z.B. Broström 2002, Dunlop 2002, Dunlop/​Fabian 2007). Die Verfasserin führt hier in ihrem Theorieteil zudem alle wichtigen Übergangsmodelle und -Projekte der letzten Jahre auf, die in Deutschland initiiert wurden, um die Kooperation zwischen Kindergarten, Schule und Elternhaus zu verbessern (vgl. S. 35).

Im Mittelpunkt der theoretischen Auseinandersetzung steht hierbei der Begriff der Selbstwirksamkeit. Befunde zum Selbstkonzept zeigen, dass die Entwicklung des kindlichen Selbstkonzepts nach dem Schuleintritt nicht zwangsläufig negativ verlaufen muss. Katrin Velten orientiert sich hier zentral am Selbstwirksamkeitskonzept v.a. an der sozial-kognitiven Handlungstheorie des Psychologen Albert Bandura (z.B. Bandura 1977, 1997) und stellt hier in einer analytischen Genauigkeit das theoretische Konstrukt Selbstwirksamkeit im Anschluss an Bandura dar. Mit Bandura wird drauf verweisen, „dass insbesondere soziale und kulturelle Unweltbedingungen wesentliche Einflussfaktoren für die Entwicklung von Selbstwirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen sind“ (Velten 2020, S. 73).

Ebenfalls hat sich Bandura mit dem Agency-Begriff beschäftigt, der im weiteren Teil der Arbeit (vgl. Kapitel 6) eine Rolle spielt, in dem die neuere Kindheitsforschung thematisiert wird. Nun wird die theoretische respektive forschungsmethodologische Perspektive sukzessive erweitert. Katrin Velten bezieht sich hierbei auf theoretische Paradigmen der neueren Kindheitsforschung, zu der zentral das Konzept der generationalen Ordnung sowie das, das Kind als Akteur*in zu verstehen, gehören, die zudem miteinander in Verbindung stehen.

„Sowohl die Handlungsfähigkeit als auch die Handlungsmöglichkeiten und Spielräume der Kinder sind durch akteur*in- und strukturbezogene Aspekte bestimmt und lassen sich nur durch die Kombination beider Perspektiven erschließen.“ (Velten 2020, S. 102)

Mit den nächsten Kapiteln beginnt nach der Vorstellung der forschungsmethodischen Ausrichtung der Untersuchung die Darstellung der Analyse der Ergebnisse und damit der empirische Teil der Arbeit. In diesem wird ausführlich die Anlage, der Aufbau sowie die Durchführung der Untersuchung vorgestellt: In vier Grundschulbezirken in Bielefeld wurden Kindertageseinrichtungen angefragt, an der Studie teilzunehmen. Durchgeführt wurden quantitative Befragungen sowie qualitative (Video)Interviews mit Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule. Insgesamt wurden 32 Interviews mit 16 Kindern an zwei Zeitpunkten durchgeführt und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet.

Im Abschluss und Ausblick im letzten Kapitel der Untersuchung wird der Appell formuliert sensibler zu werden „für Forschung und Formen von Forschung, die die Kinder selbst wählen“ (Velten 2020, S. 393). Katrin Velten verweist hier insbesondere auf das Spannungsfeld und die Herausforderung einer Forschung nicht nur für, sondern mit Kindern.

Diskussion

Das Buch ist im ersten Teil stark psychologisch geprägt, um sich dann im zweiten Teil stärker erziehungswissenschaftlich und soziologisch zu orientieren, insbesondere der Soziologie der Kindheit und der neueren Kindheitsforschung zuwendend. Katrin Velten bezieht sich zudem kenntnisreich auf nationale und internationale Forschungsbefunde der Übergangsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Resilienzforschung. Dieser erste theoretische Teil umfasst dabei fast hundert Seiten. Der zweite Theorieteil, der der Darlegung der eigenen Methoden und Methodologie dient und sich hier auf die Tradition der Kindheitsforschung bezieht, ist sehr ansprechend und fundiert in der Darstellung und hätte hier mit Blick auf das Forschungssujet ebenso breit ausfallen können, da die Stärke der Studie auf den Handlungsspielräumen der Kinder im Hinblick auf Selbstwirksamkeit von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule liegt.

Ausführlich wird im Hinblick kindlicher Entwicklung auf die kognitive Entwicklung und die Identitätsentwicklung sowie die Entwicklung selbstbezogener Kompetenzen eingegangen. Katrin Velten weiß hier um die differenzierten aus der Psychologie stammenden Fachdiskurse zu den verschiedenen, gleichwohl ähnlichen Begriffen wie Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit, Selbstwirksamkeitserfahrung, die nicht nur in der deutsch-sprachigen, sondern vor allem in der anglo-amerikanischen Forschung in Anlehnung an Bandura stattfinden und im Englischen dort um die Begriffe self-enhancement, self-development, self-efficacy kreisen. Im Buch werden ausführlich die Zusammenhänge zwischen sozial-kognitiver Theorie und der Idee der Selbstwirksamkeit erklärt. Es gelingt hier, die bisweilen sehr abstrakte und ausdifferenzierte Abhandlung der Begriffe anzubinden an das empirische Vorhaben und einen Theorie-Praxis-Transfer herzustellen. Die ausführliche Beschäftigung mit Selbstwirksamkeit respektive mit dem Bezug des Konzeptes der Selbstwirksamkeit haben eine hohe Relevanz im Hinblick auf Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern und die Bewertung und Interpretation von Erfolgs- und Misserfolgserlebnissen. „Wenn Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sich also auf das Vertrauen in die eigene Kompetenz und die zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten beziehen, auch schwierige Situationen und Herausforderungen zu bewältigen, wird darin auch der Glaube und die Überzeugung deutlich, Hindernisse und Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu überwinden.“ (Velten 2020, S. 72) Befunde, die hier die Referenz darstellen z.B. von Mittag/​Kleine/​Jerusalem (2002), verweisen darauf, dass sich eine hohe Selbstwirksamkeit positiv auf die Schulleistung auswirkt, was aber umgekehrt nicht der Fall sein muss. Die ausgearbeiteten theoretischen Grundlagen – die Transitionstheorie, die Theorie zur Selbstwirksamkeit sowie daneben der symbolische Interaktionismus – werden ergänzt durch die theoretische und methodische Verortung der Studie innerhalb der neueren Kindheitsforschung. Der Anspruch der Studie, sich der Selbstwirksamkeit der Kinder zu widmen und die Selbstwirksamkeiteserfahrung von Kindern im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule zu rekonstruieren, wird eingelöst. Die inhaltsanalytische Auswertung sowie die Transkriptauszüge aus den Interviews sind dabei sowohl für Wissenschaftler/​innen und Dozent/​innen, die sich mit der Thematik auskennen, als auch für Studierende im Master Kindheitspädagogik oder Grundschule bzw. im ersten Staatsexamen gleichermaßen interessant.

Fazit

Der gewählte Titel „HandlungsSpielRäume“ ist als Wortspiel passend, da es sich semantisch auf verschiedene Theoriezugänge bezieht und insbesondere den Bezug zum Agency-Konzept herstellt. Katrin Velten verweist in ihrer Arbeit hierbei auf wichtige Forschungsfelder und Themen der Kindheitsforschung und der Grundschulpädagogik.

Es geht der Verfasserin zentral um „die Perspektive der Kinder“ (S. 74), um deren „Erfolgs- und Bewältigungserfahrungen“ (Velten 2020, S. 74) und letztlich um die Möglichkeiten der Stärkung der Kinder. Für die schulischen Herausforderungen sind eine hohe Selbstwirksamkeit und Selbstwirksamkeitserfahrung des einzelnen Kindes wünschenswert und im Rahmen des Möglichen anzustreben. Sie schließt hier an Studien zur Resilienz und zum Belastungserleben im Grundschulalter an (z.B. KILIA-Studie). (Angehende) Erzieher/​innen und Lehrer/​innen interessieren sich im Kontext einer resilienzförderlichen Pädagogik insbesondere auch für die physische und emotionalen Aspekte der Selbstwirksamkeit, für die Erregungszustände (emotional arrousals) im Kontext einer Bewältigungssituation (vgl. Velten 2020, S. 78).

Die Studie von Katrin Velten schließt mit der Wahl, sich auf die Kinder und deren Perspektive im Übergang zu beschäftigten, thematisch in der Übergangsforschung an die Arbeit von Agnes Kordulla (2017) an, die sich mit dem „Peer-Learning im Übergang von der Kita in die Grundschule unter besonderer Berücksichtigung der Kinderperspektiven“ beschäftigte sowie an die von Ulrike Müller (2014), die zu „Kinder(n) im verzahnten Übergang vom Elementar- zum Primarbereich“ arbeitete.

Die Stärke des Buches liegt hier sicherlich in der fundierten Theorieperspektive, die jedoch bezogen auf die Selbstwirksamkeitstheorie und Rezeption von Bandura mit seinen Werken von den 1970er Jahren bis 2012 sehr ausführlich ausfällt. Die eigentliche Stärke des Buches liegt indes in der Darstellung und Analyse der interessanten Fallbeispiele.

Rezension von
Prof. Dr. Anja Seifert
Professorin für Grundschulpädagogik an der JLU Gießen
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Es gibt 6 Rezensionen von Anja Seifert.

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ISSN 2190-9245