Heinrich Detering: Was heißt hier "wir"?
Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 17.04.2020
Heinrich Detering: Was heißt hier "wir"? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten.
Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
(Stuttgart) 2019.
60 Seiten.
ISBN 978-3-15-019619-9.
D: 6,00 EUR,
A: 6,20 EUR.
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek - Nr. 19619. (Was bedeutet das alles?).
Anlass des Buches
Die Rhetorik der AfD sorgt für Empörung. Zwischen Ahnungslosigkeit der Parteivertreter bis hin zu bewusstem Kalkül der getätigten Aussagen reichen die Interpretationen. Der Autor seziert in diesem schmalen Buch viele Aussagen beispielhaft.
Der Autor
Heinrich Detering ist Professor für Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen.
Aufbau des Buches
Das Buch hat 7 Überschriften, die als Unterteilung schon deutlich machen, wie geschickt das sublime System dieser rechtsnationalen Rhetorik ist.
Das Buch beginnt mit „Reizwörtern und Leseweisen“, worin der Verfasser seine Vorgehensweise beschreibt, nämlich öffentlich zugängliche (und weithin bekannte) Aussagen aus Reden aufgreift und sie in ihrem Kontext zerlegt. „Es geht um Stilanalyse und Rhetorik“ (S. 8). Der Autor weist auch auf die Selektivität seiner Analyse hin und verweist auf Kolleginnen und Kollegen, die breitere Analysen zu diesem Thema unternehmen.
Unter der Überschrift „Wir oder die Barbarei“ zeigt der Autor auf, wie es den führenden Köpfen der AfD (Weidel, Gauland, Höcke und anderen) bewusst gelingt, ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu schaffen und gleichzeitig ein Gegenbild zum gegenwärtigen politischen System aufzubauen, indem manipulative Unterstellungen oder bestimmte Attribuierungen hinzugefügt und benutzt werden. Dabei haben die gewählten Zusätze für sich schon einen stark expressiven Ausdruck (z.B. „Horden“), was im Kontext der Darstellung damit noch eine besondere Betonung und Intensivierung erfährt.
Die AfD polarisiert gerne auch mit der Geschichte. Das zeigt der Autor in dem Kapitel „Unser Deutschland, unsere Vernichtung, unsere Kultur“ auf. Das geht einher mit Geschichtsleugnung, Verdrehung von Fakten oder schlicht mit Auslassungen/Verkürzungen, womit Aussagen einen anderen Zusammenhang abbilden. Das „Wir“ aus dem vorherigen Kapitel setzt sich hier fort und bekommt mit dieser Geschichtsumdeutung noch eine neue Wendung: die Propagierung einer angeblichen Niederlage mit Beendigung des 2.Weltkrieges.
Dass die AfD einer kruden Führerlogik folgt, zeigt der Autor in dem Kapitel „Ich und meine Gemeinschaft“ auf.
Diese Geschichtsumdeutung wird noch einmal besonders deutlich, wenn die AfD die NS-Zeit als nur einen kleinen Teil der Geschichte sieht, wie der Autor unter der Überschrift „Tausend Jahre, zwölf Jahre“ aufzeigt. Daran anknüpfend zeigt der Autor anhand von AfD-Äußerungen aus dem Landtag in Baden-Württemberg auf, wie eine Umkehrung der Verhältnisse von Opfern und Tätern erfolgt (S. 39).
Das letzte Kapitel widmet sich der Frage von Kultur, die die AfD in einem Bogen von Identität, Nationaltümelei und vermeintlichen Herleitungen aus deutschen Geistesgrößen als Beleg für ihre Argumentation heranzieht. Der Autor zeigt unter der Überschrift „Unsere Sprache, unsere Kultur“ auf, wie eklektizistisch daraus eine Argumentation gegen Zuwanderung und angeblichem Nationalbewusstsein abgeleitet wird.
Diskussion
Obwohl es längst bekannt ist, wird hier noch einmal prägnant deutlich, wie offensichtlich und offensiv die AfD fast unverhohlen nationalsozialistische Ideologie propagiert. Dabei ist nicht die Ideologie das entscheidende, sondern die Art und Weise, wie dieses Gedankengut subtil und sublim verbreitet wird. Die Aufregung über bestimmte Äußerungen, deren Nachwirken durch angebliche Erläuterung oder Richtigstellung durch AfD-Vertreter und die sich daran wieder anschließende Aufregung über die Aufregung sind der eigentliche Wirkmechanismus der Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Damit bekommt die AfD nicht nur (wohlkalkuliertes) Gehör, sondern die Aussagen werden durch die Wiederholung immer weiter verbreitet und so langsam zum Sprachgebrauch. Gerade die Zuschreibungen, Attribute und Adjektive sind es, die Aussagen auch gleich bedrohlich erscheinen lassen. „Wie könnte man diesem Schema entkommen? Vielleicht indem man der Verlockung widerstünde, die bösen Köder zu schlucken, an deren die hässlichen Wörter befestigt sind, und vielmehr Distanz wahrte und die Köder möglichst gründlich anschaute…“ (S. 8).
Fazit
Der Autor hat hier ein sehr lesbares und gleichzeitig nachdenkenswertes, kleines Büchlein vorgelegt. Es zeigt sehr gut auf, mit welch perfiden Methoden Botschaften lanciert werden, und wie diese dann im Kontext der öffentlichen Aufregung immer mehr zu einer Art akzeptierten Selbstverständlichkeit werden. Es zeigt auch auf, wie leicht man dieser Rhetorik auf den Leim gehen kann. Das Buch ist ja nicht nur eine Frage von der Rhetorik der parlamentarischen Rechten, also der AfD, sondern es zeigt auch gleichzeitig auf, wie bestimmtes Vokabular von ähnlichen Richtungen wie den Identitären oder Völkischen benutzt wird. Obwohl das Buch in seinem Umfang sehr schmal ist, gelingt es dem Autor gut, die Systematik aufzuzeigen und darauf hinzuweisen, worauf man in der rhetorischen Auseinandersetzung unbedingt achten muss. Das Buch gehört in den aktuellen politischen Diskurs und sowohl auf Bundes-, als auch auf Landes- und auf Kommunalebene sollte es mindestens von allen politischen demokratischen Mandatsträgern gelesen werden, aber hoffentlich auch von einer breiten Bevölkerung, um dieser kruden politischen Ideologie keinen weiteren Raum zu bieten.
Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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