Tobias Schmohl, Dennis Schäffer et al. (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen an Hochschulen
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 12.08.2020
Tobias Schmohl, Dennis Schäffer, Kieu-Anh To, Bettina Eller-Studzinsky (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen an Hochschulen. Strategien, Formate und Methoden.
wbv Media GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2019.
194 Seiten.
ISBN 978-3-7639-5996-9.
D: 39,90 EUR,
A: 41,10 EUR.
Reihe: TeachingXchange - 3.
Entstehungshintergrund und Thema
Der vorliegende Band erscheint als Nummer drei der Buchreihe TeachingXchange des wbv Verlags, die von Prof. Dr. Tobias Schmohl konzipiert und seit 2019 von ihm herausgegeben wird. Sie dient dem Austausch von Ideen und bewährten Konzepten der akademischen Lehre. Die meisten Beiträge des Bandes entstanden im Kontext der BMBF geförderten Projekte „PraxiS OWL“ und „Praxis OWL plus“ (Praxisorientiertes und innovatives Studieren in Ostwestfalen-Lippe) sowie „optes – Optimierung der Selbststudiumsphase an der TH OWL“ und beziehen sich auf Lehrinnovationen der Hochschule.
Herausgeber und Herausgeberin
Tobias Schmohl ist seit 2018 Professor für Hochschul-, Medien- und Wirtschaftsdidaktik der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) und Wissenschaftliche Leitung des Lernzentrums Lemgo. Er bezeichnet sich selbst als Hochschulbildungsforscher mit dem Schwerpunkt, „Hochschullehrende bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer jeweiligen fachlichen Didaktik zu beraten“ (https://www.tobias-schmohl.de). Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Hochschuldidaktik, wozu er einige Forschungsprojekte am Laufen hat. Dr. Bettina Eller-Studzinsky, Dennis Schäffer und Kieu-Anh To sind am Institut für Wissenschaftsdialog beschäftigt. Die beiden zuletzt Genannten sind Mitarbeiter im Projekt PraxiS OWL und Praxis OWL plus.
Aufbau und Inhalt
Der Band enthält die nachfolgenden Einzelbeiträge, die über Strategien, Formate und Methoden selbstorganisierten Lernens berichten. Inhaltlich umschlossen werden sie von den Aufsätzen von Tobias Schmohl zum selbstgesteuerten Lernen und zur qualitativ orientierten Hochschulbegleitforschung. Die Autor/innen sind, soweit nicht anders erwähnt, an der TH OWL tätig.
Im „Vorwort“ (S. 7–11) skizziert Tobias Schmohl die Vorgeschichte von TeachingXchange, die nachträgliche Aufnahme der im Selbstverlag der OWL entstandenen ersten zwei Bände und die Verbesserungen der Beiträge auf Produkt- (Open-Access-Publikation, Rückbindung an wissenschaftliche Diskurse, Schärfung des Anforderungsprofils) und Prozessebene (Feedbackgespräche mit den Autor/innen, Neugestaltung des Peer-Review-Prozesses und Ergänzung durch diskursive Austauschformate).
Unter dem Titel „Strategien, Formate und Methoden selbstorganisierten Lernens“ geben Tobias Schmohl und Dennis Schäffer „Eine Einführung in die Beiträge des Bandes“ (S. 13–17). Sie erklären die Affinität zum selbstorganisierten Lernen in unterschiedlicher Intensität als einigendes Band und bildungswissenschaftliche Grundlage.
Tobias Schmohl erläutert in seinem Beitrag „Selbstgesteuertes Lernen. Explorative hochschuldidaktische Formate mit Modellcharakter für vier akademische Statusgruppen“ (S. 19–40) die vier didaktischen Prinzipien problembasiertes, exploratives, multimodales und diskursives Lernen an jeweils einem hochschuldidaktischen Szenario für die Studierenden in einem Bachelor- und einem Masterstudiengang, für die Promovierenden und die Professor/innen. Das selbstgesteuerte wird im Vergleich zum selbstorganisierten Lernen als Weiterführung derart gesehen, dass noch stärker die Lernprozesse gegenüber den Lerngegenständen fokussiert werden. Die o.g. Prinzipien sind als Stationen in einem Kontinuum der Abnahme mit Blick auf direktives Lehrhandeln zu sehen. Problembasiertes Lernen demonstriert der Autor anhand eines im fünften Semester stattfindenden verpflichtenden Projektseminars im BA-Studiengang Medienproduktion, in dem ein von außen beauftragtes Medienprodukt entwickelt wird. Die mediendidaktische Begleitung besteht aus einer Vorlesung zum Projektmanagement, begleitenden Übungen, einer fachlichen Betreuung, rhetorischen Gruppen- und Einzelcoachings. Trotz der vermittelnden Rolle der Lehrpersonen, ist der Grad der Selbststeuerung in diesem Projektseminar höher als üblich. Exploratives Lernen wird anhand eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts im Masterstudiengang Audiovisual Arts Computing (AAC) beschrieben. In semiautonomen Arbeitsgruppen bewerkstelligen die Studierenden in diesem Pflichtfach, flankiert von einer Veranstaltung „Projektorganisation“, die Arbeitspakete eines Forschungsprojekts (Forschungsdesign und Forschungsprojektentwicklung) entlang von Meilensteinen. Sie werden von Betreuertandems (fachlich und überfachlich) begleitet. Die Selbststeuerung findet in einem vorgegebenen Rahmen statt, zukünftig ergänzt um Lernbegleiter auf Peer-Ebene. Im Graduiertenzentrum.OWL entwickelte Schmohl ein, multimodalem Lernen folgendem, Promotionstraining, das nach einem sechsstufigen Phasenmodell abläuft. Trotz der modellhaften formalen Steuerung liegt die inhaltliche Ausfüllung bei den Studierenden und entspricht dem forschenden Lernen. Das hochschuldidaktische Professorenprogramm exemplifiziert der Autor als diskursives Lernen, theoretisch den Annahmen des Scholarship of Teaching and Learning (SoTL) folgend. Fächerübergreifender Austausch über das eigene Lehrhandeln könnte „fachwissenschaftlich ansetzende, angewandte Forschung zur eigenen Lehre [kursiv im Original]“ (S. 36) anregen, so der Verfasser optimistisch.
Prof. Dr. Josef Löffl, Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog, und Prof. Dr. Christian Zagel, Leiter des Studiengangs ZukunftsDesign an der Hochschule Coburg, geben in ihrem Beitrag „Projektlehre im Verbund mit mittelständischen Unternehmen im ländlichen Raum“ (S. 41–50) „Erfahrungen aus dem Masterstudiengang ZukunftsDesign“ wieder. Neben der Beschreibung des innovativen Potenzials des Studiengangs fokussieren sie vor allem den Faktor Authentizität durch reale Projekte und -entwicklung, durch persönlichen Kontakt und Impression Management im Kontakt mit den Partnern, durch Flexibilität, dynamische Lehrformen und fachliche Diversität. Von der Existenz des Studiengangs gehen maßgebliche Impulse für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Selbststudium und lehrendem Input und eine mögliche Transformation von Hochschulbildung der Zukunft aus.
Prof. Dr. Johannes Üpping, Lehrgebiet elektrische Energietechnik, und Dennis Schäffer erklären in ihrem Aufsatz „Presseshow – ein Ansatz für tagesaktuelle Inhalte in Vorlesungen“ (S. 51–58), wie unter Mithilfe der Auswahl und Präferenz der Studierenden Pressemeldungen dafür genutzt werden können, die höheren Lernzielstufen „analysieren“ und „evaluieren“ zu erreichen. Aufbauend auf einem Modell zur „Entwicklung von epistemologischen Überzeugungen“ (S. 54) demonstrieren die Autoren, wie nach einer gemeinsamen Lesephase die in dem ausgewählten Artikel enthaltenen Informationen auf die Herkunft, die Qualität und die Schlussfolgerungen inklusive der Praxistauglichkeit unter Einbezug des vorhandenen Wissens und unter Anleitung des Dozenten überprüft werden. Die bisher auf eine Kleingruppe von unter 10 Teilnehmenden erprobte Methode hat im Feedback großes Potenzial für den Ausbau und eine Fortsetzung erwiesen.
Prof. Dr. Korbinian von Blanckenburg, Fachgebietsleiter Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsmathematik und Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften stellt in „Wege gelingender Lehre“ (S. 59–66) seine Absicht, Studierende darauf vorzubereiten, was von ihnen als Berufseinsteiger verlangt wird, an erste Stelle. Seiner Erfahrung nach lassen sich Authentizität, Empathie und Interaktion als Erfolgsaspekte von Lehre identifizieren. Dies beinhaltet, die Studierenden individuell auf ihrem Lernweg zu begleiten und ihnen über verschiedene Tools inner- und außerhalb von Lernmanagementsystemen Übungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, die anregend genug sind, um sich aktiv mit den Inhalten auseinander zu setzen.
Wie „Kooperatives Lernen in digitalen Umgebungen“ (S. 67–82) ablaufen kann, stellen Prof. Hans Sachs, Lehrgebiet CAAD, Markus Graf und Kieu-Anh To am Beispiel der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur vor. Das Lehrkonzept integriert vierzehntägige Vorlesungen, verschiedene Monitorings, bei denen der technische Einsatz von Softwareprogrammen aufgabenbezogen demonstriert wird, wöchentliche simultane Übungen am Beispiel eines Studienprojekts und freiwillige Angebote (Virtual Reality Studio, Videotutorials, Webinare). Die Autoren beschreiben an zwei Aufgaben a) „Architekturdiagramm“, wie sich Studierende Kenntnisse in Bildbearbeitungsprogrammen erwerben, und b) „Resilient City“, wie computerbasierte Methoden und Techniken anhand von Planungssoftware zum vernetzten Planen und Entwerfen erweitert werden. Innerhalb von Kleingruppen bearbeiten die Studierenden die Aufgabe und kombinieren Einzelelemente in Echtzeit. Physischer Modellbau und Formen der Integration von physischen und virtuellen Modellen komplettieren die Lehrformate. Die ersten zwei Evaluationen ergaben einen hohen Anstieg der Lernkurven und einige Hinweise zur Optimierung von Veranstaltungen bzw. technischer Ausstattung.
Malte Wattenberg und Prof. Dr. Elke Kottmann, Lehrgebiete Betriebswirtschaftslehre, Industriebetriebslehre, geben einen „Erfahrungsbericht zum Einsatz der Business Model Canvas und Persona-Methode im Rahmen der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle“ (S. 83–93). Beide Vorgehensweisen dienen dazu, im Modul „Unternehmertum und Existenzgründung“ des Masterstudiengangs „Management mittelständischer Unternehmen“ Schlüsselelemente der thematischen Landkarte (z.B. Unternehmensumfeld, unternehmerische Gelegenheiten, Unternehmen als Organisation und Unternehmer als Person) in wissenschaftlicher und berufspraktischer Hinsicht am Szenario Digitalisierung möglichst selbstständig zu erarbeiten und innovativ vorzugehen. Letzteres nahmen die Studierenden gern an, wenngleich es eine Umstellung in der Arbeitsweise bedeutete.
Prof. Dr. Jessica Rubart, Professur Betriebliche Informationssysteme und Prof. Dr. Elmar Hartweg, Professur Angewandte Informatik und ERP-Systeme, greifen in ihrem Beitrag „Planspiele in der Hochschullehre – am Beispiel von Fort Fantastic und ERPsim“ (S. 95–103) die Möglichkeiten auf, mithilfe von Planspielen eine simulierte Situation zur Interessensweckung zu nehmen, „learning adventures“ anzuregen und das „learning by doing“ zu fördern. Beide zeigen verschiedene Szenarien auf, wie Planspiele die klassische Lehre ergänzen und studiengangübergreifend eingesetzt werden können.
Tanja Osterhagen, Lilian Kogut-von Hornhardt und Oliver Samoila berichten in „Start smart – digitale Elemente in der Lehre von Anfang an“ (S. 105–115) vom seit 2012 existierenden Verbundprojekt „optes“, getragen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, der Universität Hamburg und dem Verein ILIAS open source e-Learning e.V. in Kooperation mit der Universität Würzburg und der PH Heidelberg. An der TH OWL werden die Angebote von optes exemplarisch am Online-Vorkurs Mathematik demonstriert. Der Kurs richtet sich an Studienanfänger/innen und knüpft an das Schulausgangsniveau an. Das Kerncurriculum an mathematischen Inhalten wird zukünftig (Stand 2018) um überfachliche Themen (Selbstorganisation, Lernen, Umgang mit ILIAS, Kommunikation, Feedback) angereichert. Der Kurs ist als lernzielorientierter Kurs angelegt und beginnt mit einem diagnostischen Test. Darauf aufbauend schließen sich interaktive Lernmodule mit eigenen Lernzielüberprüfungen inklusive eines Feedbacks, von Foren und einem Glossar an, um den Interessent/innen den individuellen Lernstand und die Lernzielerreichung sichtbar zu machen. Um letzteres zu erreichen, ist ein e-Portfolio als „Ort der Reflexion von Lernprozessen“ und „Reflexionsgegenstand“ (S. 109) integriert. Für die Ausbildung von Mentor/innen wurde ein e-Mentoring-Programm entwickelt, das in den Varianten 1) ECTS-vergütete oder 2) monetär vergütete Ausbildung angeboten wird. Passend zum online Kurs wurden sukzessive eKlausuren kreiert und die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen.
Henny Höfer und Prof. Dr. Elke Kottmann berichten in ihrem Beitrag „Der Businessplan als betriebswirtschaftliches Repetitorium“ (S. 117–127) über ein Praxisseminar als Pflichtmodul am Ende des Studiums. Eine Gruppe von 5 Studierenden wird von einem Betreuerteam fachlich und prozessbezogen begleitet und erarbeitet in einem Projekt eine Geschäftsidee inklusive aller Unterlagen für die Umsetzung. Die Leistungsnachweise sind parallel zur Entwicklung angesetzt und münden in einen Projektordner am Ende des Projekts. Die Autorinnen verdeutlichen das Potenzial dieses Praxisseminars, weil den Studierenden die innere Struktur der Inhalte des Studiums bewusst wird und sich deren Praxisrelevanz offenbart. Angesichts der vielfachen Optionen der Stärkung der Handlungskompetenz durch dieses didaktische Konzept verwundert es, dass dieses Seminar aus dem Bachelorstudiengang entfernt wird.
Prof. Dr. Thomas Bartsch, Lehrgebiet Automatisierungstechnik (Fabrikautomatisierung und Fertigungstechnik) und Anatoli Bloch geben Einblick in den „Aufbau von Engineering-Arbeitsplätzen eines prozessleittechnischen Labors“ (S. 129–141). Den Autoren ist es ein Anliegen, ihre Studierenden auf die Anforderungen in der „Projektierung und Betriebsführung von steuernden Systemen“ (S. 130) für einen „Produktionstechniker neuen Typs“ (S. 129) vorzubereiten und ihnen deshalb in o.g. Labor die system- und informationstechnischen Fertigkeiten angedeihen zu lassen. Sie setzen auf eine hohe Transparenz der Studieninhalte (Programmiersprache), das Eingehen auf das Vorwissen (z.B. Selbststudienmaterialien), gemeinsames Arbeiten an einem Engineering-Arbeitsplatz im Praktikum und eine individuelle Förderung derjenigen, die sich für die Studienrichtung entschieden haben (Tutorien, Raum für Fragen, Aufzeigen der Lücken und Lernfortschritte). Belohnt sehen sie sich, wenn durch die intensive Beziehungsgestaltung die Leistungsbereitschaft der Studierenden dazu führt, eigenständig Programme entwickeln und nicht nur „Anwendungsprogramme auf Rechnern und Apps auf dem Smartphone bedienen“ zu können (S. 140).
Prof. Dr. Ulrich Riedl, Professur für Landschaftsökologie und Naturschutz, liefert mit seinem Beitrag „Unmittelbarkeit als Lehrqualität im digitalen Zeitalter – Die Südfrankreich-Exkursionen der Fachgruppe Landschaftsplanung/Naturschutz“ (S. 143–154) einen Einblick in den Wert von Beobachtungen erster Ordnung in einem verpflichtenden 14-tägigen Exkursions-Modul. Das Learning Outcome wird maßgeblich induziert von der umfassenden Reisevorbereitung und -planung, den Arbeitsaufträgen bei der Anreise, den verschiedenen heterogenen Arbeitsgruppen während des Aufenthalts, den Erfahrungsaustausch infolge des Wechsels der Arbeitsgruppe, den integrierten Tagesausflügen und den summierenden Abschlussbericht. Ein standardisierter Ablaufplan durchzieht die Exkursion, verknüpft forschendes Lernen und Feldstudium. Der Mehrwert der Eigentätigkeit in Form von Beobachtung, Kartierung, Sinneseindrücken, sozialen Austauschs und ergänzt um die Erfahrung aus dem Einsatz digitaler Hilfsmittel resultiert in bleibenden Lernerfahrungen weit über das Studium hinaus.
Ricarda Jacobi, Tim J. Fechner und Kirsten Meyer stellen in ihrem Beitrag „Virtuelle Unternehmen – Stärkung des Berufsbezugs in der Hochschullehre“ (S. 155–168) „Die Beispiele Lebensmittelwerkstatt und Detmolder Campus Agentur“ vor. In sechs von neun Fachbereichen wurde das Lehrformat „Virtuelle Unternehmen“ im Rahmen eines vom Qualitätspakt Lehre geförderten Projekts eingeführt. Virtuelle Unternehmen bieten vielfältige Formen an, Stufen (learning by doing, angeleitete Praxis, problembasiertes, erfahrungs-, projektorientiertes und forschendes Lernen) hochschulischer Lehr-Lern-Arrangements umzusetzen. Bei der Lebensmittelwerkstatt handelt es sich um ein freiwilliges Angebot für Studierende des Fachbereichs Life Science Technologies gleich zu Beginn ihres sehr grundlagenorientierten Studiums Einblicke in die Lebensmitteltechnologie zu erhalten, indem sie Produktentwicklung betreiben, ihre Ideen bei Wettbewerben präsentieren und eventuell in eine Gründung führen. Die Detmolder Campus Agentur ist Teil der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur. Sie nimmt Aufträge wirklicher Kund/innen entgegen, interagiert disziplinübergreifend und richtet sich an Studierende im höheren Semester. Die beiden virtuellen Unternehmen unterscheiden sich darin, dass es sich beim ersten Beispiel um eine freiwillige und nicht auf das Studium anrechenbare Leistung handelt, während bei der „Campus Agentur“ Anrechnungen der erbrachten Leistung auf Teilmodule möglich sind. Das Lehrformat „virtuelle Unternehmen“ bietet viele Aspekte der Stärkung des Berufs- und Praxisbezugs, benötigt aber auch geeignete Rahmenbedingungen für Studierende und Lehrende, um die Optionen ausschöpfen zu können.
Mechthild Schwarze und Stefanie Go, beide im Career-Service und Alumni-Management angesiedelt, berichten über die „Weiterentwicklung der Tutorenschulung zu einer diversitätssensiblen interkulturellen Tutor*innen-Qualifizierung der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe“ (S. 169–178), um der wachsenden Bedeutung der Qualifizierung von Tutor/innen, der Heterogenität und Diversität der Studierendenschaft und so auch dem Leitbild der Hochschule gerecht zu werden. Sie stellen die Zielsetzung, die Methodik und den Aufbau nach dem Diversitätskompetenzmodell nach Abdul-Hussein und Hofmann (2013) vor und gehen auf die Nutzung von elektronischen Lehrformen ein. Das 2008 begonnene Programm wurde 2017 rundum erneuert und 2018 als eines von zehn Tutorienprogrammen vom bundesweiten „Netzwerk Tutorienarbeit an Hochschulen“ akkreditiert. Bisher haben ca. 100 Teilnehmende das Programm durchlaufen. Ein weiteres Ziel könnte darin bestehen, für den Gesamtworkload von 60 Stunden ETCS-Credits zu vergeben.
Im Beitrag „Hochschuldidaktische Begleitforschung. Perspektiven auf die wissenschaftliche Analyse dynamischer Lehr- und Lernsettings“ (S. 179–189) entwirft Tobias Schmohl ein Konzept für die zusätzlich zur internen und externen Evaluation im Projekt PraxiS OWL plus vorgesehene hochschuldidaktische Begleitforschung. Als eine dritte Säule dient sie dazu, den komplexen Gegenstand der hochschulischen Lehr-Lernsettings forschend zu erfassen. Schmohl klärt zunächst den Gegenstand, die Ebenen und Formate der hochschuldidaktischen Forschung und skizziert in Anlehnung an die Einteilung des Wissenschaftsrats Forschungsformen und ihre theoretische Verortung mit dem Ergebnis eines Mappings, wobei er sich auf die qualitativen Methodiken fokussiert. Ausgehend von „Kriterien qualitativer hochschuldidaktischer Forschung“ (S. 184) leitet er Begleitforschungsaktivitäten für das Projekt ab.
Den Abschluss bildet ein Interview von Kieu-Anh To mit Prof. Dr. Ute Austermann-Haun, Professur Siedlungswasserwirtschaft, zum „Humor in der Lehre“ (S. 191–194). Humorvolle Menschen, so die Interviewte, können Humor und humoristische Stilmittel dazu einsetzen, eine positive Lernatmosphäre zu schaffen und den Lernerfolg zu erhöhen.
Diskussion
Der Band vereint Berichte über Lehrformate und -experimente bis zum Jahr 2018, die z.T. auf bewährte Arrangements zurückgehen, andere wurden fort- oder neuentwickelt und verweisen auf weiteres Optimierungspotenzial. Positiv zu verzeichnen ist, dass die Verfasser/innen von der Idee getrieben sind, Lehre nicht nur punktuell, sondern nachhaltig in Richtung Selbstorganisation und Selbststeuerung zu verbessern, was phasenweise auch Veränderungen in Studienprogrammen, in fachbereichsübergreifender Kooperation, dem Modulzuschnitt u.a.m. nach sich ziehen wird. Alle Aufsätze vereint ein hoher Konsens darin, den Studierenden einen klaren Rahmen zu geben, innerhalb dessen sie bei vorhandenem Potpourri an Begleitangeboten ihr Lernen selbstorganisieren, sich Begleitung holen können und sich nicht selbst überlassen sind. An den Beiträgen verdeutlicht sich ebenso, dass die Organisation von praxisrelevanter Lehre davon lebt und profitiert, dass die TH OWL intensive Kontakte zu externen Anspruchsgruppen pflegt und „Aufträge“ entgegennimmt. Aber auch die Grenzen dieser Kooperationen werden sichtbar. Studierende arbeiten Projekte ab, um den Prozess zu erlernen und dürfen dabei iterativ aus Fehlern lernen, sodass die Projektergebnisse nicht mit denselben Maßstäben zu messen sind wie übliche Aufträge, ohne Organisation und Studierende zu überfordern. Für die berufspraktische Relevanz der Studieninhalte sind die Ideen von außen dennoch sehr gewinnbringend. Digitalen Tools, Simulationen, Online- oder Blended Formaten von Lehre wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Durchwegs sind sie Bestandteile innovativer Formen mit erhöhten Anforderungen an die Selbstorganisation der Studierenden. Digitale Angebote genießen hohe Akzeptanz, wenn die technische Funktionalität selbstverständlich ist. Gerade von den präsentierten Werkzeugen, Formaten und Ideen kann aktuell eine hochschulübergreifende Ausstrahlung ausgehen.
Die vom Reihenherausgeber beschriebenen Anregungen zum Begleit- und Reviewprozess der Beiträge im Hinblick auf die Produkt- und Prozessebene machen sich positiv bemerkbar. Bei den meisten Aufsätzen ist die Einbindung der Lehrexperimente in den hochschuldidaktischen Diskussionskontext gelungen. Manche Aufsätze referieren auch Evaluationsergebnisse und reflektieren die getroffenen didaktischen Formate. Andere bleiben eher auf der Erfahrungsberichtsebene. Bei denjenigen Beispielen, in denen der hochschuldidaktische Anschluss nicht intensiv gesucht wurde, ist die Überzeugung von der Wirksamkeit einer engagierten Lehrperson gegeben, die den individuellen Lernerfolg der Studierenden im Auge hat. Den Herausgeber/innen des Bandes und dem Institut für Wissenschaftsdialog der TH OWL ist mit den BMBF geförderten Projekten gelungen, Impulse für die Lehre zu setzen, die von motivierten Personen aufgegriffen wurden und zur allseits bekräftigten Verbesserung von Lehre und des selbstorganisierten Lernens der Studierenden geführt hat. Zugleich wurde der erste Schritt getan in Richtung der von Schmohl verstandenen Leistung von Begleitforschung, die zu Bildung durch Wissenschaft auch bei den Lehrenden führen kann.
Fazit
Der Band bietet für wirtschaftswissenschaftliche und naturwissenschaftlich-technische Studiengänge eine Fülle von innovativen Lehrformaten mit Anregungen zum Nachahmen und Adaptieren. Insofern ist dem Band der im Vorwort formulierte Ausblick zu wünschen: Der Austausch möge sich hochschulübergreifend etablieren und der Anschluss an fach- und hochschuldidaktische Communities gelingen.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 76 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.
Zitiervorschlag
Irmgard Schroll-Decker. Rezension vom 12.08.2020 zu:
Tobias Schmohl, Dennis Schäffer, Kieu-Anh To, Bettina Eller-Studzinsky (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen an Hochschulen. Strategien, Formate und Methoden. wbv Media GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2019.
ISBN 978-3-7639-5996-9.
Reihe: TeachingXchange - 3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26925.php, Datum des Zugriffs 15.11.2024.
Urheberrecht
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