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Manuel Theile: Soziale Netzwerke von Jugendlichen und jungen Volljährigen im Übergang aus der Heimerziehung

Rezensiert von Alexander Parchow, 28.01.2022

Cover Manuel Theile: Soziale Netzwerke von Jugendlichen und jungen Volljährigen im Übergang aus der Heimerziehung ISBN 978-3-7799-6256-4

Manuel Theile: Soziale Netzwerke von Jugendlichen und jungen Volljährigen im Übergang aus der Heimerziehung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020. 376 Seiten. ISBN 978-3-7799-6256-4. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR, CH: 65,36 sFr.

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Thema

Das Thema Leaving Care – also der Übergang von einer Maßnahme der Heimerziehung oder aus einer Pflegefamilie in ein eigenständiges Leben ohne Unterstützung von Seiten der Jugendhilfe – steht seit einiger Zeit im Fokus verschiedener Studien, die sich mit der stationären Erziehungshilfe beschäftigen. Manuel Theile legt mit seinem hier veröffentlichten Werk empirische Erkenntnisse über die sozialen Netzwerke von jungen Menschen in eben diesem Übergangsprozess vor und leistet dadurch einen wesentlichen Beitrag für den Fachdiskurs.

Autor und Entstehungshintergrund

Bei dem hier rezensierten Werk handelt es sich um die Dissertationsschrift von Manuel Theile, die er im Januar 2019 an der Universität Siegen am Department Erziehungswissenschaft und Psychologie eingereicht hat. Manuel Theile ist gegenwärtig und bereits seit mehreren Jahren an der Universität Siegen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.

Aufbau und Inhalt

Das Buch von Manuel Theile umfasst insgesamt 376 Seiten inklusive Vorwort, Danksagung, Inhalts-, Abbildungs-, Tabellen- und Literaturverzeichnis sowie Anhang. Das Inhaltsverzeichnis sowie eine Leseprobe in Form der Einleitung können auf der Internetseite des Beltz Juventa Verlags eingesehen werden.

Beginnend mit der Einleitung führt der Autor in den Kontext seiner Arbeit ein und benennt das leitendende Forschungsinteresse: Es sollen die sozialen Netzwerke (soziale Beziehungen) von Careleaver*innen vor und nach dem Auszug aus einer Maßnahme der Heimerziehung erkundet werden. Außerdem möchte der Autor die potenziellen Veränderungen dieser Netzwerke, herbeigeführt durch den Übergang in ein selbstständiges Leben, analysieren

Hierzu wird in zweiten Kapitel eine umfangreiche Einführung in die Netzwerkforschung gegeben. Am Anfang des Kapitels stellt der Autor verschiedene Definition von sozialen Netzwerken verschiedener Wissenschaftler*innen vor, entlang derer er seine eigene Definition von sozialen Netzwerken entfaltet. Nachdem die für die Arbeit grundlegende Definition festgelegt wurde, erläutert der Autor die Bedeutung von sozialen Netzwerken für Menschen im Lebensverlauf und weist in diesem Kontext einerseits auf den prozesshaft-dynamischen Charakter hin; zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Leben werden neue Menschen Teil des Netzwerkes, andere verlassen das Netzwerk, die Relevanzen von bestimmten Personen verändert sich. Andererseits wird auf die zentrale Unterstützungsfunktion sozialer Netzwerke z.B. bei der Sozialisation oder in Krisensituation hingewiesen. Weiterhin werden ein historischer Abriss über die Entstehung der Netzwerkforschung, das ausstehende Desiderat einer Theorie sozialer Netzwerke sowie der Forschungsstand in diesem Forschungsfeld skizziert.

Mit dem dritten Kapitel führt der Autor in den institutionellen Kontext seiner Studie – die Heimerziehung – ein. Es werden u.a. die wichtigsten damit zusammenhängenden Paragrafen des SGB VIII als rechtliche Grundlage erläutert, statistische Daten aufgezeigt und die verschiedenen Wohnformen im Handlungsfeld benannt. Ferner will der Autor die Heterogenität der Heimerziehungsforschung verdeutlichen, indem er einerseits auf bereits vorhandene Metaanalysen im Themenfeld verweist und andererseits aktuellere Forschungsarbeiten tabellarisch aufführt.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Übergangsprozess aus dem stationären Jugendhilfesystem in ein eigenständiges Leben, dem sogenannten Leaving Care. Bevor der Autor hierauf genauer eingeht, definiert er anfangs allgemein Übergänge als Zeitpunkte im Lebenslauf, die von erheblichen Veränderungen geprägt sind und somit Individuen vor (neue) Anforderungen stellen, die bewältigt werden müssen. Diese Bewältigungsanforderungen können für den einzelnen Menschen subjektiv als herausfordernd, belastend und kritisch, aber auch als unproblematisch und Chance wahrgenommen werden. Der Autor führt in dem Kapitel weiter aus, dass das Leaving Care eine solche erhebliche Veränderung im Lebenslauf von jungen Menschen darstellt und geht auf die spezifischen Gegebenheiten detailliert ein. Hierbei verweist er auf vergangene Studien und die bereits gewonnenen Erkenntnisse.

Nachdem der Autor in den bisherigen Kapiteln den Rahmen für die Arbeit abgesteckt hat, gewährt er im fünften Kapitel einen Einblick in das qualitative Design seiner biographisch orientierten Untersuchung: Befragt wurden sieben junge Menschen (von denen eine Person jedoch nur einmal befragt werden konnte) an zwei Zeitpunkten – vor und nach dem Übergang von der stationären Maßnahme in eine eigene Wohnung. Als Erhebungsinstrumente setzte der Autor das Narrative Interview, einen Zeitstrahl und eine Netzwerkkarte ein. Die Auswertung des Datenmaterials geschah entlang einer modifizierten Version des themenzentriert-komparativen Auswertungsverfahren nach Karl Lenz. Sowohl die Instrumente zur Datenerhebung als auch die Auswertung werden vom Autor in diesem Kapitel theoretisch dargestellt und auch in der eigenen praktischen Anwendung beschrieben.

In Kapitel sechs stellt der Autor seine Ergebnisse anhand von drei exemplarisch ausgearbeiteten Fallstudien vor. Im Kern werden diese Fälle äußerst detailreich beschrieben und jeweils unterteilt in die Lebensgeschichte unter Einbezug der subjektiven Wahrnehmung des Übergangs, sowie eine Analyse des Sozialen Netzwerkes vor und nach dem Auszug aus der Heimerziehung. Die sozialen Netzwerke analysiert der Autor insbesondere hinsichtlich der Struktur, der Qualität, der Funktionen und der Normen.

Die detaillierten Ergebnisse verdichtet der Autor im siebten Kapitel, indem er die gewonnenen Erkenntnisse aus den Fallanalysen zusammenfasst. Zentral ist dabei, dass sich die Angehörigen der sozialen Netzwerke der jungen Menschen im Übergang aus der Heimerziehung in die Selbstständigkeit reduzieren und dynamisch verändern: U.a. gewinnen Beziehungen zu Familienmitglieder an Nähe, der Kontakt zu professionellen Fachkräften verringert sich und langjährige Freundschaften zeichnen sich durch eine verlässliche Konstante aus. Ferner entwickelt der Autor ein Veränderungsmodell von sozialen Netzwerken im Übergang von der Heimerziehung in die Selbstständigkeit, aus dem er wiederum zwei unterschiedliche Übergangstypen ableitet.

  • Typ 1 kennzeichnet eine geringe Anzahl an Mitgliedern des sozialen Netzwerks, die sich während des Übergangs deutlich reduzieren. Der Fokus der Netzwerkpersonen liegt auf den Fachkräften.
  • Typ 2 unterscheidet sich vom ersten Typ dadurch, dass eine mittlere Anzahl an Mitgliedern des sozialen Netzwerkes vorhanden ist. Während des Übergangs reduzieren sich die Angehörigen des Netzwerkes, wobei zentrale Beziehungen nicht ausschließlich zu den Fachkräften bestehen, sondern auch außerhalb der Heimerziehung vorhanden sind.

Das Buch endet mit dem abschließenden achten Kapitel, in dem ein Ausblick für Anschlussmöglichkeiten weiterer Forschungen sowie Impulse für die sozialpädagogische Praxis der Heimerziehung gegeben werden.

Diskussion

Mit mehr als 300 Seiten liegt ein durchaus umfangreiches Werk vor, was aufgrund der Länge auf den ersten Blick abschreckend wirken kann. Warum man jedoch hier trotzdem zugreifen kann und wodurch sich dieses Buch von anderen veröffentlichten Dissertationen meiner Meinung nach besonders abhebt, ist die hervorragende Leserlichkeit. Dem Autor gelingt es in verständlicher Sprache den Lesenden seine Untersuchung zugänglich zu machen. Zudem gibt er durch drei eingehend ausgearbeitete Fallstudien einerseits sehr interessante und eindrückliche Lebensgeschichten wieder, andererseits zeigt der Autor einen tiefen Einblick in die sozialen Netzwerke im Übergang von der stationären Erziehungshilfe in die Selbstständigkeit.

Fazit

Durch das Buch von Manuel Theile liegt für das Feld der stationären Erziehungshilfe ein empirischer Beitrag vor, der sich auf die Veränderungen der sozialen Netzwerke im Leaving-Care-Prozess fokussiert. Für Fachkräfte, Forschende im Bereich der Erziehungshilfe (nicht nur der Netzwerkforschung) sowie Interessierte ein sehr zu empfehlendes Buch.

Rezension von
Alexander Parchow
M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen
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Es gibt 5 Rezensionen von Alexander Parchow.

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Zitiervorschlag
Alexander Parchow. Rezension vom 28.01.2022 zu: Manuel Theile: Soziale Netzwerke von Jugendlichen und jungen Volljährigen im Übergang aus der Heimerziehung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2020. ISBN 978-3-7799-6256-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26954.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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