Britt Wrede, Bernhard Zimmermann: Mini-Handbuch Coaching und Digitalisierung
Rezensiert von Peter Schröder, 30.09.2020

Britt Wrede, Bernhard Zimmermann: Mini-Handbuch Coaching und Digitalisierung. Potenziale erkennen, Chancen nutzen, Fehler vermeiden. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2020. 1. Auflage. 203 Seiten. ISBN 978-3-407-36724-2. 24,95 EUR.
Thema
Fast könnte man meinen, der Band sei eigens als Antwort auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie erschienen. Denn wenn Coaches während der Phase der Kontaktbeschränkungen überhaupt arbeiten wollten, mussten sie sich den digitalen Medien anvertrauen. Da ist manch ein Glaubenssatz gefallen – „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb“. Am Ende des Bandes findet sich ein Interview mit Harald Geißler, der das Feld des Online-Coachings schon sehr früh, nämlich bereits seit 2204, entdeckt und beforscht hat. Er sagt in dem Interview: „Viele Coaches lehnen Coaching mit modernen Medien ab, ohne dafür belastbare Gründe zu haben… Der stärkste Mythos, den ich hier sehe, ist die Vorstellung, dass eine intensive zwischenmenschliche Beziehung zwischen Coach und Coachee nur im Face-to-Face Coaching möglich sei.“ (S. 193) Allerdings erfordert Online-Coaching besondere Kompetenzen, und die Komplexität des Feldes ist bei weitem nicht allen Coaches bewusst. Das Buch von Wrede und Zimmermann leistet hier einen wichtigen Beitrag, um Sichtachsen im Dickicht anzulegen.
Autor-/in
Britt A. Wrede arbeitet seit 1990 als selbstständige Coach und seit 2003 auch Weiterbildnerin für Coaching (vgl. www.brittwrede.de). Zugleich ist sie Inhaberin der Coachguide GmbH (vgl. www.coachguide.de), die Coachingangebote für Unternehmen organisiert. Bernhard A. Zimmermann ist Diplomingenieur und Coach (PCC/ICF), ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind Angebote in virtueller Form über Onlineplattformen.
Aufbau und Inhalt
Die Gliederung des Buches folgt den Coachingschritten „Anerkennen, was ist – Verstehen, was wirkt – Tun, was hilft“. Die 22 Kapitel des Buches sind drei Hauptteilen und sechs Unterabschnitten zugeordnet. Nach einem Vorwort ist der erste Teil überschrieben mit: A. Anerkennen, was ist – Coaching wird vom Zeitgeist der Digitalisierung erfasst. Der erste Unterabschnitt heißt dann: I. Als Coach bereit sein, sich dem Zeitgeist zu stellen und enthält fünf Kapitel. Die Ausgangsthese (S. 14) lautet: „Der traditionelle Coachingmarkt ist als nahezu gesättigt anzusehen und die Digitalisierungstendenz ist, im Kontext einer sich international organisierten Wirtschaft nicht mehr aufzuhalten.“ (Fehler im Originaltext) Von Seiten der Coachingkunden wird von Coaches hohe Flexibilität und Innovationsbereitschaft erwartet, vor allem auch das Einstellen auf die zunehmende Digitalisierung, die die Kommunikationsprozesse in Unternehmen kennzeichnet. Das wollen viele Coaches nicht wahrhaben, was dazu führt, dass Angebote entstehen, die mit „Coaching“ etikettiert, von einem qualifizierten und mit überprüfbaren Standards versehenen Coaching weit entfernt sind, aber die Nachfrage nach digitalen Formaten bedienen. Für Coaches ist es deshalb wichtig, die Wertschöpfungskette im bisherigen Geschäftsmodell zu reflektieren und auf die gegenwärtigen Herausforderungen angemessen zu reagieren.
Der Teil B. Verstehen, was wirkt beginnt mit dem Unterabschnitt II. Weitere Digitalisierungspotenziale innerhalb der einzelnen Abschnitte der Wertschöpfungskette identifizieren. Die genannten einzelnen Abschnitte sind: die „interne Infrastruktur“ (Ausstattung des eigenen Arbeitsplatzes, Programme, Provider etc.), das eigene Produkt „Coaching“ (z.B. Standardabläufe wie Auftragsanbahnung, Vertragsgestaltung, Terminabstimmung, Möglichkeit virtueller Dialoge etc.), das eigene Marketing (die eigene Marke, der Internetauftritt, aktives digitalisiertes Marketing etc.), der Vertrieb (evtl. über Plattformen), die Leistungserbringung und schließlich die Datensicherheit. Für viele dieser Schritte bieten sich Plattformen als Unterstützung an. Der Unterabschnitt III. Der Trend geht weiter – Auf dem Weg zum nächsten Horizont bietet einen Blick auf Gewinne und Verluste der Digitalisierung im Coaching. Als Gewinn gilt die Aufwandserleichterung in den Arbeitsprozessen (Terminabstimmung, Vorbereitungsmöglichkeit durch das elektronische Versenden von Unterlagen, elektronische Bezahlsysteme und vieles andere), ein möglicher Verlust liegt beispielsweise in reduzierten Face-to-Face-Beziehungen und reduziertem kollegialem Austausch. Für beides bieten sich Kompensationen an.
Der Teil C. ist überschrieben mit Tun, was hilft – Coaching 4.0 in Aktion. Er beginnt damit, „das Spezifische am Coaching ins Bewusstsein (zu) holen“ (S. 118 ff): Wer Sorge hat, bei der Digitalisierung von Coaching könnte Wesentliches verlorengehen, müsste zuvor angeben können, was ein fachgerechtes Coaching ausmacht. Die Autor-/​innen beschreiben Coaching als „befähigenden Dialog“, der auch mit dem Einsatz digitaler Kommunikationsmöglichkeiten nichts an Wirksamkeit verliert. Allerdings erfordern solche Formate eine erweiterte Kompetenz auf Seiten der Coaches. Das betrifft neben dem technischen Knowhow vor allem die Bereiche Prozesssteuerung, Ethik- und Qualitätsstandards. Und dann geht es „hinter dem Horizont weiter“, wie es in der Überschrift zum VI. Unterabschnitt heißt. Hier geht es um Möglichkeiten, die die künstliche Intelligenz dem Coaching zur Verfügung stellen kann, sowohl für administrative Prozesse als auch zur Effizienzsteigerung. Und schließlich gibt es erste Bots, die in der Lage sind, Standardfragen von Coachees zu beantworten – und durch jedes Gespräch zu lernen.
Am Ende des Buches finden sich noch eine Reihe von „5-Fragen-Interviews mit wichtigen Anbietern“ wie Marketingspezialisten, Plattform-Betreibern und verschiedenen Coaches – unter anderem mit Prof. Harald Geissler, der das weltweit erste E-Coaching-Tools entwickelt hat und dessen Forschungsschwerpunkt das digital gestützte Coaching ist.
Ein Glossar und Literaturhinweise bilden den Abschluss des Buches.
Diskussion
Ich gebe zu, dass ich beim Lesen des Buches zuallererst etwas über meine Widerstände gelernt habe. Das Thema war für mich weit weg. Natürlich gibt es die Coachings, die nicht als Präsenztermine stattfinden, sondern online per Skype oder anderer Kommunikationsmedien, häufig auch einfach per Telefon. Dem Zeitgeist, dachte ich, geht es auch ohne mich recht gut. Da habe ich nun in Coronazeiten viel Neues gelernt – manchmal muss man halt gezwungen werden, Entwicklungen und ihre Chancen zu sehen. Im Laufe der Zeit habe ich manche Formate bedient, von denen ich ganz sicher zu wissen glaubte, dass sie „nicht gehen“: intensives Coaching zu sehr persönlichen Themen, Teamcoaching und -supervision – wie sollte das gehen, wenn man das, was an unausgesprochenen Informationen in einem realen Raum spür- und greifbar ist, nicht „auf den Schirm“ bekommt? Mittlerweile habe ich gelernt: „Geht nicht“ hat vor allem etwas mit der eigenen (Medien-)Kompetenz zu tun und weniger mit technischen (Un-)Möglichkeiten.
Obwohl längst nicht alle Widerstände aus dem Weg geräumt sind, konnte ich das Buch mit großem Interesse lesen – und dann eben auch mit großem Gewinn, denn es bietet wertvolle Orientierungshilfen im digitalen Dschungel. Das Thema „Coaching und Digitalisierung“ hat viel mehr Aspekte als nur onlinegestützte Coachingleistungen. Es geht auch um Fragen des Marketings, des eigenen Internetauftritts, um Plattformen, Vertrieb, um Datensicherheit und viele weitere. Wer sich also im Feld der Digitalisierung im Bereich Coaching orientieren will, trifft hier auf kenntnis- und erfahrungsreiche Autor-/​innen.
Um der Orientierung willen ist es schade, dass viele Formulierungen und Beschreibungen neblig bleiben und eine empirische Begründung von Behauptungen fehlen, z.B.: „Da ist zunächst die sich abzeichnende Marktsättigung im Standardgeschäft, wie es von Unternehmen und im freien Markt abgerufen wird… Dieser Sättigungspunkt ist für Coaching vielleicht noch nicht erreicht, aber es zeigen sich bereits eindeutige Indikatoren, die eine Marktsättigung ankündigen.“ (S. 15) Empirische Untersuchungen werden vom Tisch gewischt: „Für die eigene Einstellung zum zyklischen Marktgeschehen ist es nicht hilfreich, sich an von Coaches selbst beauftragten Coachingumfragen und -studien auszurichten, in denen der Coachingmarkt weiterhin als ein wachsender Markt beschrieben wird.“ (ebd.) Die Lösung wird auch angeboten: nämlich „sein Produkt, sowie seine Marketingstrategie, den sich ändernden Marktbedingungen anzupassen.“ S. 16) Dass genau das das Geschäftsfeld der Autorin ist, ist vermutlich kein Zufall.
Fazit
Das Buch ist eine wertvolle Orientierungshilfe für Coaches, die bisher wenig mit dem Thema Digitalisierung zu tun hatten oder gar im Stadium irrationaler Ablehnung stecken geblieben sind. Vermutlich werden nicht alle Coaches alle geschilderten Schritte der digitalen Entwicklung begrüßen (z.B. Selbstcoachingtools, Bots etc.), aber es ist wichtig, den vertrauten Face-to-face-Sessel zu verlassen und sich die kreativen Möglichkeiten digitaler Medien zu erschließen.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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