Alexander F. Wormit et.al.: Musiktherapie in der geriatrischen Pflege
Rezensiert von Dr. sc. mus. Monika Nöcker-Ribaupierre, 08.06.2020

Alexander F. Wormit et.al.: Musiktherapie in der geriatrischen Pflege. Ein Praxisleitfaden. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2020. 150 Seiten. ISBN 978-3-497-02942-6. D: 27,90 EUR, A: 28,70 EUR.
Thema
Das Buch beschreibt die Ziele und Methoden musiktherapeutischer Ansätze in der Begleitung älterer Menschen. Es gibt zahlreichen Tipps zum Ablauf einer Intervention, dem Einsatz von Musikinstrumenten, der Auswahl von Musik und Stimme, und zum begleitenden Gespräch.
Autoren
Prof. Dr. Alexander F. Wormit, Prof. Dr. Thomas K. Hillecke, Prof. Dr. Dorothee von Moreau und Prof. Dr. Carsten Diener: alle sind in leitenden und lehrenden Funktionen an der SRH Hochschule Heidelberg sowie in internationalen Gremien tätig. In den einzelnen Kapiteln ist das Team zum u.g. Forschungsprojekt eingebunden, mit Biljana Coutinho, Linda Ibanez, Michael Keßler und Sebastian Woytinnek.
Entstehungshintergrund
Dieser Praxisleitfaden ist das Ergebnis des Forschungsprojekts Musiktherapie 360° – innovatives Konzept zur Etablierung modularisierter musiktherapeutischer Interventionen zur Steigerung der Lebensqualität von Patienten, Angehörigen und Pflegepersonal im Rahmen der Förderlinie Soziale Innovation für Lebensqualität im Alter (SILQUA-FH) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF Programm SILQUA FH 2015) – durchgeführt an der SRH Hochschule Heidelberg.
Ziel des Projekts war es, die internationalen Erkenntnisse zur Musiktherapie mit älteren Menschen systematisch zu erfassen und auf der Basis eigener Forschungsergebnisse musiktherapeutischer Arbeit für die Praxis weiter zu entwickeln. Damit wird eine musiktherapeutische Systematik und mögliche musiktherapeutische Interventionen zur Verfügung gestellt, von der ältere Menschen, deren Angehörige und das Pflegepersonal gleichermaßen profitieren können. Die praktischen Erfahrungen entstanden aus einer klinischen und einer pflegenden Einrichtung.
Aufbau und Inhalt
Neben Vorwort (1) und Einführung (2) in den Leitfaden umfasst das Buch 5 fachspezifische Kapitel (3-7) die jedes für sich abgeschlossen auch einzeln gelesen werden können.
Kapitel 3 beschreibt die Personengruppe, die dem geriatrischen Setting zugeordnet werden. Neben einem Überblick über diese Patientengruppe werden die häufigsten alterstypischen Erkrankungen mit ihren Auswirkungen auf die betroffenen Menschen jeweils in Verlaufsform und Schweregrad beschrieben: Demenzerkrankte am Beispiel Alzheimer, der depressiv Erkrankte, der Parkinson- und Schlaganfallpatient. Es folgen Angehörige, Pflegekräfte und weiteres Fachpersonal (Arzt, Sozialarbeiter, Psychologen, Therapeuten), die alle in ihren fachspezifischen Aufgaben und Problemen beleuchtet werden.
Kapitel 4 beschreibt den Stand der der Forschung zur Musiktherapie mit alten Menschen. Zunächst geht es um die Frage nach der Evidenz in der Musiktherapie in Forschung und Praxis, gefolgt von aktuellen internationalen Entwicklungen in der Musiktherapie mit älteren Menschen. Dabei liegt der Schwerpunkt wieder bei Demenz, Parkinson und Apoplex, wobei die Forschungslage zur Wirkung von Musik als Therapie diskutiert wird. Es folgt ein internationaler Überblick über die allgemeinen und heuristischen Wirkfaktoren der Musiktherapie unter Emotions-, Kognitions- und Kommunikationsaspekten.
Kapitel 5 hat unterschiedliche Aspekte des Berufes eines Musiktherapeuten zum Thema: Ausbildungsvoraussetzungen, musiktherapeutische Haltung, musikalische und therapiepraktische Fähigkeiten und Kenntnisse als Voraussetzung für erfolgreiches therapeutisches Arbeiten in der Geriatrie. Ein weiterer Abschnitt wird den musikalischen Besonderheiten in der Arbeit mit alten Menschen gewidmet, mit Instrumenten, dem Musikhören und besonders dem Singen.
Kapitel 6 präsentiert das Kernstück dieses Buches, den musiktherapeutischen Interventionskatalog aus dem Projekt Musiktherapie 360°. Dieser Katalog wurde aus der Literatur hergeleitet, systematisch zusammengefasst, modular konzipiert und größtenteils in den kooperierenden Einrichtungen praxisnah erprobt. Nach Setting untereilt geht es um Milieuorientierte Musiktherapie, Musiktherapie im Zimmer des Patienten, im Extraraum oder als Freizeitangebot mit jeweils spezifischen Schwerpunkten, sei es Einzel- oder Gruppenarbeit, Singen, mit Bewegung, im Pflegealltag. Für alle diese Bereiche stehen ausführliche auch tabellarische Informationen zur Verfügung zu Zielen, therapeutischen Techniken, dem Therapeutenverhalten und immer wieder versehen mit praktischen Empfehlungen.
Kapitel 7 beschreibt zusammenfassend die Evaluation des Interventionskatalogs: qualitative Perspektiven der Wirksamkeit über Einzelinterviews, die quantitative Perspektive auf die Wirksamkeit über standardisierte Fragebögen, immer mit Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern. In beiden Bereichen stellt sich übereinstimmend eine besonders positive Aussage bezüglich der emotionsmodulatorischen Wirkung musiktherapeutischer Maßnahmen heraus. Das musiktherapeutische Angebot wird von allen Betroffenen als äußerst hilfreich beschrieben, insbesondere berichtet das Pflegepersonal von einer enormen Entlastung ihres Arbeitsalltags durch die Arbeit des Musiktherapeuten.
Es folgen die Zusammenfassung aller Buchkapitel und ein Ausblick, sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Sachregister.
Fazit
Das Buch liefert neben Informationen zur aktuellen musiktherapeutischen Behandlungsexpertise und dem aktuellen Stand der internationalen Forschung ein umfangreich strukturiertes und praktisch erprobtes Wissen über diesen immer wichtigeren Bereich unserer Gesellschaft. Jedes einzelne Kapitel ist im Sinne von Fachartikel oder auch systematisch interessengelenkt zu lesen. Es ist eine wahre Fundgrube besonders für die systemrelevanten Berufe, die diese Menschen begleiten – für Ärzte, Pflegende, für einbezogene Therapeuten – und für Musiktherapeuten. Es ist reich an tabellarischen und inhaltlich übersichtlich strukturierten Schautafeln, vermittelt neben fundiertem Wissen Sicherheit im Handeln und Behandeln und lädt damit zur gegenseitig wertschätzenden Zusammenarbeit ein.
„Bei aller in diesem Buch dargestellten Systematisierungen und expliziter Verdeutlichung musiktherapeutischer Arbeitsweise bleibt Musiktherapie eine Behandlungskunst, in der Fachwissen, Methoden und Handlungskompetenz sowie Erfahrung und Kreativität, Intuition, Emotionalität, zwischenmenschliche Ästhetik und Spiritualität eine Allianz eingehen um als Alternative zur Technisierung und Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen, zu deren Humanisierung beizutragen. Denn die Möglichkeit, sich musisch und künstlerisch zu äußern oder Kunst und Musik zu rezipieren. bleibt eine Frage der Würde des Menschen, auch und insbesondere im Alter in Einrichtungen der Versorgung alter Menschen“ (S. 138).
Bedauerlich, dass von dem Gemeinschaftswerk nur der Erstautor auf dem Titel genannt ist. Erfreulich aber, dass dieses Buch auch gleichzeitig in englischer Sprache und als E-Book erschienen ist.
Rezension von
Dr. sc. mus. Monika Nöcker-Ribaupierre
Dipl. Musiktherapeutin DMtG, Vice President der International Society for Music in Medicine ISMM.
Mailformular
Es gibt 29 Rezensionen von Monika Nöcker-Ribaupierre.