Astrid Beermann: Systemaufstellungen – ein Quantensprung in der Weiterbildung?
Rezensiert von Prof. Dr. Heiko Kleve, 26.01.2021
Astrid Beermann: Systemaufstellungen – ein Quantensprung in der Weiterbildung?
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2020.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8497-9037-0.
D: 22,95 EUR,
A: 23,60 EUR.
Reihe: Verlag für systemische Forschung.
Thema
Seit Bert Hellinger in den 1980er Jahren das systemische Aufstellen populär gemacht hat, ist hinsichtlich dieses Konzeptes sehr viel passiert. Abgesehen von den mir notwendig erscheinenden Abgrenzungen zu einigen äußerst problematischen Aspekten des Aufstellens nach Hellinger hat diese körperorientierte Methodik enorme Potenziale, um Veränderungsprozesse ganzheitlich, d.h. in kognitiv-rationaler, emotionaler und aktionaler Hinsicht anzuregen. Inzwischen werden Aufstellungen nicht nur in familientherapeutischer Intention genutzt, sondern in zahlreichen weiteren Praxiskontexten. So lassen sich Teams und Organisationen mit dem Konzept hinsichtlich ihrer sozialen Dynamiken reflektieren und konstruktiv anregen. Auch wissenschaftliche Fragestellungen können aufgestellt werden, um neue Zusammenhänge zu sehen und die eigenen Forschungsperspektiven zu konkretisieren. Und naheliegend ist freilich, dass in allen Kontexten, in denen Menschen zum Lernen zusammenkommen, Aufstellungen genutzt werden können, um das gemeinsame Kreieren von Erkenntnissen zu unterstützen und diese praxiswirksam sowohl individuell als auch sozial zu implementieren. Genau an dieser Stelle setzt Astrid Beermann mit ihrem Forschungsprojekt an, das sie mit der hier zu rezensierenden Publikation präsentiert: Systemaufstellungen können in Weiterbildungsprozessen eine enorme Wirksamkeit entfalten, die in beeindruckend zügiger Weise, Menschen so vertrauensvoll zusammenbringt, dass diese intensiv miteinander lernen können, um sich selbst und die für sie relevanten sozialen Systeme zu verändern.
Autorin
Astrid Beermann, Dr. und Dipl.-Soz., ist gelernte Industriekauffrau und hat ein Studium der Soziologie abgeschlossen. Zudem erwarb sie zertifizierte Abschlüsse als Systemische Beraterin und Therapeutin (SG/DGSF), Supervisorin/Coach (DGSF/DGSv), Mediatorin (DGSF), Lehrende für Systemische Beratung, Therapie, Supervision und Mediation (DGSF) sowie als Psychotherapeutin (ECP, HeilprG). Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg; dort arbeitet sie in den Bereichen Lehre, Praxis und Forschung bezüglich von Beratung, Therapie und Weiterbildung. Zudem bietet sie in eigener Praxis systemische Unterstützung in all den genannten Bereichen ihrer Qualifikationen an.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch umfasst knapp 250 Seiten und gliedert sich in drei Teile:
Im ersten Teil wird der theoretische Bezugsrahmen für die Untersuchung entwickelt. Dazu wird zunächst der besondere Kontext von Weiterbildung dargestellt. Anhand unterschiedlicher lerntheoretischer Konzepte veranschaulicht die Autorin Ziele, Möglichkeiten und Methoden von Weiterbildungsprozessen. Weiterhin stellt sie ihren eigenen qualitativen Forschungsprozess knapp dar und formuliert, dass ihre Ausführungen an eine Pilotstudie anknüpfen, mit der sie „das subjektive Erleben von Veränderungen in Professionalisierungsprozessen am Beispiel von Supervisoren, Coaches und Organisationsentwicklern untersucht hat“ (S. 51). Über drei Jahre hinweg wurden Wirkfaktoren und Wirkungsweisen von entsprechenden Weiterbildungsprozessen erforscht. Dabei wurde insbesondere das persönliche Erleben der Weiterbildungsteilnehmer:innen fokussiert. Damit ist die vorliegende Studie verbunden mit der Dissertation der Autorin, die sie ebenfalls in 2020, und zwar bei Vandenhoeck und Ruprecht publiziert hat.[1]
Im zweiten Teil wird die Arbeit mit Systemaufstellungen als Ermöglichungsdidaktik bewertet. Hier stellt die Autorin die besonderen Potenziale des Aufstellens dar und zeigt, warum sich diese insbesondere in Weiterbildungsprozessen entfalten können. So wird beispielsweise die Emotionsfokussierung herausgestellt, die dazu beitragen kann, das vertrauensvolle Beziehungen entstehen und intensive gemeinsame Lernerfahrungen erlebt werden können. Frau Beermann rahmt diese Betrachtung nicht nur mit der Systemtheorie, sondern bezieht ebenso die theoretischen Perspektiven der Psychodynamik, der Bindungs- und Psychotherapieforschung mit ein. Überdies arbeitet sie theoretisch bereits breit diskutierte Wirkfaktoren der genannten wissenschaftlichen Perspektiven heraus, bezieht diese auf Weiterbildungsprozesse und Systemaufstellungen.
Im dritten Teil stellt sie ihre gewonnenen empirischen Erkenntnisse vor. Hier differenziert sie sehr genau und präsentiert ein entsprechendes Untersuchungsdesign. Mit diesem ist es ihr möglich, nach einer qualitativen Inhaltsanalyse das subjektive Erleben der befragten Personen aus unterschiedlichen Beobachterpositionen heraus darzustellen. Denn eine Ressource von Aufstellungen ist es, dass diese eine Perspektivenvielfalt erzeugen: Die Sichtweisen, Erkenntnisse und Erfahrungen von Personen, die (1.) eigene Anliegen bearbeiten, die (2.) in den Aufstellungen als Repräsentanten agieren und die (3.) diesen Prozess beobachten, lassen sich unterscheiden und getrennt voneinander untersuchen. Auf der Basis einer entsprechenden Auswertung der benannten Positionen fasst Astrid Beermann drei zentrale Wirkfaktoren von Systemaufstellungen in Weiterbildungen zusammen: (1.) Qualität der Beziehung und motivationale Klärung, (2.) Ressourcenaktivierung und (3.) Problemaktualisierung und Entwicklungsperspektive.
Diskussion
Beobachtbar ist diese Lerneffektivität von Systemaufstellungen insbesondere dadurch, dass das Lernen nicht nur kognitiv-rational angeregt wird, sondern vor allem auf der emotionalen und schließlich auf der aktionalen Ebene des Handelns selbst erlebt werden und sich entfalten kann. Denn durch das Aufstellen können wir neue intellektuelle Klarheit gewinnen, für die jedoch emotionale Erfahrungen und das praktische Tun im Kontext dieser Methode Voraussetzung sind. Damit wird Lernen ganzheitlicher und dringt „tiefer“ in die Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung von Menschen vor.
Ich hätte mir gewünscht, dass das Buch noch leserfreundlicher geschrieben wäre. Da die Ausführungen zwar aus einer wissenschaftlichen Studie resultieren, aber vor allem für praktisch agierende Dozierende in der Weiterbildung interessant sind, wäre eine anschaulichere Aufbereitung der Ergebnisse mit praktischen Handlungshinweisen zur Planung und Durchführung von Weiterbildungen angemessen gewesen. Damit hätte sicherlich die Reichweite des Buches erhöht werden können. Auf jeden Fall könnte die Autorin aus ihren Ergebnissen einen Praxisleitfaden zur Nutzung von Systemaufstellungen in Weiterbildungskursen entwickeln, in dem knapp und pointiert zusammengetragen wird, wie Aufstellungen das lebenslange Lernen nachhaltig stützen können. Die Grundlage für die Implementierung solcher Trainings liefert das vorliegende Buch.
Fazit
Es handelt sich um ein Buch, das insbesondere Trainer:innen von Weiterbildungsveranstaltungen zu empfehlen ist, die überlegen, wie sie ihre Seminare wirksamer gestalten könnten. Denn die Nutzung der köper- und emotionsorientierten Aufstellungsmethode ist bestenfalls genau das: eine Steigerung der Wirksamkeit von Lernprozessen. Dieser Wirksamkeitszuwachs wird von Astrid Beermann sehr nachvollziehbar herausgearbeitet.
[1] Vgl. Astrid Beermann: Veränderungsprozesse professioneller und persönlicher Entwicklung. Wirkfaktoren und Wirkungsweisen in Professionalisierungsprozessen am Beispiel von Supervisoren, Coaches und Organisationsentwicklern. V & R Unipress (Göttingen).
Rezension von
Prof. Dr. Heiko Kleve
Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft, Department für Management und Unternehmertum, Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)
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Zitiervorschlag
Heiko Kleve. Rezension vom 26.01.2021 zu:
Astrid Beermann: Systemaufstellungen – ein Quantensprung in der Weiterbildung? Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2020.
ISBN 978-3-8497-9037-0.
Reihe: Verlag für systemische Forschung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27048.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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