Uta Krebs: Mein Freund Balu
Rezensiert von apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting, 23.07.2020
Uta Krebs: Mein Freund Balu. Was der Begleithund mit Kindern erlebt. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2020. 39 Seiten. ISBN 978-3-497-02949-5. D: 14,90 EUR, A: 15,40 EUR.
Thema
Im Abschnitt „Umwelt“ (eingeordnet in das Kapitel „Verantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinder“), in einer Klammer und damit mehr als kursorisch finden die „Beobachtung und der Umgang mit Tieren“ im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan Erwähnung. Paradigmatisch für die Pläne der anderen Länder heißt es, dass das Kind lerne, „Umwelt mit allen Sinnen zu erfahren und sie als unersetzlich, aber auch verletzbar wahrzunehmen“. Ergo: Obwohl sehr viele Kinder bereits im frühesten Alter Erfahrungen mit Tieren machen, kommen diese in Bildungsplänen kaum vor. Glücklicherweise ist die Praxis ein großes Stück weiter als die Theorie, wie beispielsweise die Publikationen von Ingeborg Strunz, insbesondere „Tiergestützte Pädagogik in Theorie und Praxis“ (2016) oder auch die relevanten Bemerkungen in „Tiere in der sozialen Arbeit“ von Sandra Wesenberg (www.socialnet.de/rezensionen/​26613.php) beweisen. Kinder fühlen sich wohl in der Anwesenheit von Tieren, insbesondere in der Gesellschaft von Hunden und Katzen. Sie lernen leichter, wie z.B. Projekte zur hundegestützten Förderung der Lesekompetenz zeigen (Vgl. „Tiere in der Sozialen Arbeit“, S. 138), sie werden selbstbewusster und eignen sich quasi nebenbei Wissen über den Umgang mit Tieren und deren artgerechter Haltung an. Ein Höchstmaß an Effektivität manifestiert sich oftmals im Einsatz von Tieren in der pädagogischen und/oder therapeutischen Arbeit mit Kindern, die herausforderndes Verhalten zeigen und/oder besondere Bedürfnisse haben. Davon berichtet Uta Krebs in ihrem Bilderbuch.
Autorin
„26 Jahre hat Uta Krebs für den Caritasverband der Dekanate Ahaus und Vreden zusammen mit emotional-geistig und/oder motorisch auffälligen Kindern gearbeitet, bevor sie 2018 in den Ruhestand ging. Die meiste Zeit hat sie dies mit einem besonderen Begleiter getan. Der Berner Sennenhund Balu und sein Vorgänger Merlin halfen der gelernten Erzieherin und Motopädin, in der Gruppen- und Einzel-Therapie entscheidende Fortschritte zu erlangen.“ (https://www.muensterschezeitung.de/Lokales/​Staedte/​Steinfurt/​4199369-Berner-Sennenhund-Balu-ist-der-Star-des-Bilderbuches-von-Uta-Krebs-Ueberaus-sensibler-Tueroeffner, 10.07.2020)
Entstehungshintergrund
In einem Nachwort sagt Uta Krebs, dass das Bilderbuch aus ihrer „tiergestützten motopädischen Arbeit entstanden“ sei. Sie habe es „in Einzelsettings sowie in Gruppen einer Erziehungsberatungsstelle und einer Kindertagesstätte eingesetzt“ (S. 37).
„Mein Freund Balu“ gehört zu einer Bilderbuchreihe des Reinhardt Verlags, in der sozialpädagogische Themen so aufbereitet werden, dass Kinder sie verstehen. Außer „Mein Freund Balu“ ist vor kurzem „Mila spricht“ (www.socialnet.de/rezensionen/​26993.php) erschienen.
Inhalt
Balu, der selbst über sein Leben berichtet, gehört zu einem Wurf von insgesamt sechs Berner Sennenhund-Welpen. Nachdem er in die Familie seiner neuen Menschen eingezogen ist, darf er sehr schnell mit seinem „Frauchen“ in den Kindergarten fahren, weil er dort später einmal arbeiten soll. Balu erzählt außerdem von der Welpenschule und vom Büro der Beratungsstelle, wo er warten muss, bis seine Besitzerin ihre Arbeit beendet hat. Dort zupft er gerne einmal Fransen aus dem Teppich und zerbeißt das Telefonkabel. Nach einigen Stunden Einzelunterricht bei einer Hundetrainerin lernt Balu viele Kinder kennen, die zu ihm und seinem „Frauchen“ kommen, damit sie Mut entwickeln und ihre Ängste verschwinden. Sehr schön ist eine „Leckerli-Fangmaschine“, die der kleine Michel für ihn baut oder das Versteckspiel mit Annika, die sich in der Anwesenheit von Balu seit Langem wieder traut, etwas zu sagen. „Wer hat die beste Nase?“ ist ein weiteres Spiel, das er liebt. Und immer dann, wenn ein Kind nicht mehr in die Beratungsstelle zu kommen braucht, erhält es einen „Zauberball“ aus ausgebürstetem Fell. Am Abend ist Balu „hundemüde“. Er liegt auf seiner Decke und träumt von den vielen Kindern, die er tagsüber trifft.
Diskussion
Wenn Tiere das Wort ergreifen, ist das für Kinder immer attraktiv. Das Buch beginnt mit einer kurzen Selbstdarstellung Balus und einer direkten Ansprache: „Magst Du sie sehen?“ – die fünf Geschwister nämlich, die genauso aussehen wie Balu selbst. So wird Neugierde geweckt. Nach dieser Frage erfahren die ZuhörerInnen als Erstes, wie Berner Sennenhunde aussehen, bevor ihnen erklärt wird, dass auch kleine Hunde in die Schule gehen und einiges lernen müssen. Auf jeder Doppelseite kommen sodann neue Aktivitäten und neue Namen ins Spiel. Schnell wird klar, dass Balus Geschichte keine ist, die auf einem ausgeklügelten Plot basiert, sondern dass es eher darum geht, die Einsatzfelder des Begleithundes und vor allem Symptomatiken, mit denen er zu tun hat, kurz Revue passieren zu lassen. Dieser Verzicht auf das eigentliche Storytelling hält die Chance bereit, auf der Grundlage der vielen kleinen Begebenheiten, die hier eine Rolle spielen, eine Myriade von Geschichten aus dem Stegreif zu erzählen, anhand der dargebotenen Details zu improvisieren und auf diese Weise ein Band zu den jungen AdressatInnen zu knüpfen. So versteht Uta Krebs ihr Buch auch als Motivationshilfe, „um im Einzelsetting mit dem Kind einen ersten Kontakt zu entwickeln, bevor der Begleithund eingesetzt wird“ (S. 37). Sie habe oft mit „sozial unsicheren“ oder ängstlichen Kindern zu tun, die mit dem Buch auf die erste Begegnung mit dem Hund vorbereitet werden könnten. Darüber hinaus sei es möglich, beim Vorlesen „frühere Erfahrungen der Kinder mit Hunden direkt“ zu thematisieren (ebd.) und im Zuge dessen Wissen über Hunde zu vermitteln. Während auf den letzten Seiten des Buches eine Rezeptidee („Balus Käsetraum“) und drei Spielideen („Leckerlis suchen“, „Herstellen eines Riechspiels“ und „Geräuschmemory“) explizit vorgestellt werden, bleibt die Vermittlung kynologischer Kenntnisse implizit. Das hat den Vorteil, dass direktes Didaktisieren vermieden wird und man mit der Hauptzielgruppe des Bilderbuches, den Drei- bis Sechsjährigen, über Hunde und den Umgang mit ihnen in ein lockeres Gespräch gehen kann. Mit anderen Worten: „Mein Freund Balu“ stellt eine vorzügliche Basis für dialogisches Vorlesen bereit.
Optisch kommt das Bilderbuch mit einer klaren Anordnung von Text und Bildern daher. Allerdings – und das ist ein schönes Gimmick, das diese Trennung etwas aufweicht – ist der Text immer auf die Aquarell-Abbildung einer gelb-braunen Riesenpfote vor blauem Hintergrund gedruckt. Er steht mit wenigen Ausnahmen auf der linken Seite, auf der rechten Seite ist Balu mit seinen jeweiligen Aktivitäten zu sehen. Balus Schilderungen seines Alltags werden von Aquarellen begleitet, drei Doppelseiten mit Rezept- und Spielideen werden mit Fotos des „echten Therapiehundes“ angereichert. Eigentlich wäre es schön gewesen, bei der Bebilderung eine einheitliche Vorgehensweise zu wählen, sich eventuell sogar durchweg für Fotos zu entscheiden. Dass ein Bilderbuch mit Tierfotos allein zum Bestseller aufsteigen kann, beweist der große Erfolg des Klassikers „Mein Esel Benjamin“ (Erstveröffentlichung 1968).
Obschon man „Mein Freund Balu“ ein bisschen anmerkt, dass seine Autorin weder eine professionelle Texterin noch eine ebensolche Illustratorin ist, hält man mit diesem Bilderbuch ein Kleinod in den Händen, fast ein „Mini-Gesamtkunstwerk“, dessen Inhalt und dessen taktile (analoge Seinsweise des Buches), optische (die Illustrationen) und akustische (Vorlesen) Komponenten auf die alle Hauptsinne umfassende Arbeit mit dem Begleithund einstimmen. Von der „Leckerli-Suchmaschine“, vom Riechspiel und den Plätzchen für Hunde und Menschen dürften alle Beteiligten begeistert sein. Allein für jene, die nicht mit Hunden leben, mag es etwas heftig sein, dass Therapeutin und Kind aus dem ausgebürsteten Hundefell einen „Zauberball“ herstellen.
Des Weiteren ist es ein Pluspunkt, dass das gemeinsame Lernen von Hund und Mensch ein Thema ist. Balu lernt von den Kindern, die zu ihm kommen und sie lernen von ihm. Das ist Ko-Konstruktion vom Feinsten.
Fazit
„Mein Freund Balu“ ist ein rundum herzerwärmendes Buch, aus der Praxis hundegestützter Arbeit für die Praxis verfasst. Text und Illustrationen sind so gestaltet, dass mit ihnen eine Vielzahl von Gesprächen in die Wege geleitet werden können, die nicht nur als Vorbereitung auf hundegestützte Interventionen gewinnbringend sind.
Rezension von
apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting
Literaturwissenschaftlerin (Venia legendi für Romanische Literaturwissenschaft, Französisch und Italienisch) sowie Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik.
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Zitiervorschlag
Anne Amend-Söchting. Rezension vom 23.07.2020 zu:
Uta Krebs: Mein Freund Balu. Was der Begleithund mit Kindern erlebt. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2020.
ISBN 978-3-497-02949-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27097.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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