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Rebecca Niederhauser: Gemeinsam wohnen

Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 14.12.2020

Cover Rebecca Niederhauser: Gemeinsam wohnen ISBN 978-3-0340-1577-6

Rebecca Niederhauser: Gemeinsam wohnen. Kulturwissenschaftliche Blicke auf ein Alter im Umbruch. Chronos Verlag (Zürich) 2020. 336 Seiten. ISBN 978-3-0340-1577-6. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR, CH: 48,00 sFr.
Reihe: Zürcher Beiträge zur Alltagskultur - 26.

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Thema

Mit der immer stärker alternden Gesellschaft und mit der Veränderung des Alterungsprozesses in modernen Gesellschaften verändern sich auch die Wohnbedürfnisse. Der Prozess des Alterns, des Altwerdens und den Altseins verändert einerseits auch die Vorstellung, wie man zukünftig wohnen will. Andererseits führt dieser Prozess auch zu Notwendigkeiten, wie man künftig nur wohnen kann. Es geht nicht nur um Barrierefreiheit und altersgerechte Wohnungen; es geht neben ökonomischen Fragen auch um die soziale Einbettung und Verortung, die man braucht, um sozialräumliche Kontexte und um Vergewisserungen, noch dazu zu gehören, für andere von Bedeutung zu sein, um Anerkennung und Wertschätzung in solchen Kontexten. Wie sehen solche Kontexte aus, sind es Nachbarschaften oder Versorgungs- und Unterstützungssysteme auf Gegenseitigkeit und was verstehen Menschen unter einem gemeinsamen Wohnen mit anderen?

Städtebauer, Architekten und Stadtplaner machen sich längst um Wohnformen im Alter Gedanken, die nicht nur die altersgerechte Wohnung schaffen wollen, sondern die dazu notwendigen sozialräumlichen Kontexte im Blick haben.

Die Autorin 

Dr. Rebecca Niederhauser ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität Zürich.

Aufbau

Nach einem Prolog gliedert sich das Buch in drei größere Abschnitte:

  • Anfangen: (Ver-)Ortungen im Gegenstand
  • Alter und Altern: Verhandelte Deutungen
  • Intermezzo: Wohnen im Alter – Altern im Wohnen
  • Wohnen: Gemeinschaftliche Manifestationen
  • Aufhören: Im Dazwischen der Vielheiten
  • Das Buch schließt mit einem Epilog und einer Bibliographie.

Inhalt

Prolog: in der neunten Etage

Die Schilderungen des Besuchs ihrer Großmutter im Altersheim einer kleinen schweizerischen Stadt, die Beobachtungen, die dabei die Autorin macht, wie sie die räumlichen Verhältnisse einschätzt und die Kommunikationen zwischen ihr und ihrer Großmutter beurteilt – das alles soll verdeutlichen, wie sich eine angehende ethnographisch arbeitende Kulturwissenschaftlerin einem Thema annähert, das sie die nächsten Jahre beschäftigen wird und das in ihr Dissertation einen vorläufigen Abschluss und Höhepunkt erreicht. Von der Betrachtung (und Analyse) des Altersheims, das sie einst gründen wollte, bis zur Auseinandersetzung mit Haus- und Wohngemeinschaften als Wohnformen des Alterns und Alterns ist ein Prozess entstanden, den die Autorin vor hat, zu erzählen – und sie tut dies auf eine außergewöhnliche Art und Weise.

Anfangen: (Ver-)Ortungen im Gegenstand

In diesem Abschnitt begründet die Autorin ihr Interesse an dem Forschungsgegenstand, entfaltet ihre Forschungsfragen und setzt sich mit dem Gegenstand Alter und Wohnen als Zusammenhang auseinander. Denn „in den gemeinschaftlichen Wohnweisen manifestieren sich die neu verhandelten Deutungen von Alter und Altern“ (13). Es geht um einen Umbruchsprozess, um ein Alter im Umbruch. Einmal versteht die Autorin Alter als ein kulturelles Konstrukt, als eine kulturelle Variable, deren Deutung und Interpretation von den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen und Bedingungen z.B. von der Arbeit und dem Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen abhängt.

Zum andern versteht die Autorin unter Wohnformen die Manifestationen gesellschaftlicher Strukturen wie dem Spannungsverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, dem Grad der Individualisierung und der sozialen Differenzierung und Stratifizierung, den Machtstrukturen und deren Wandel und deren ideologische Verankerung.

Weiter stellt die Autorin ihre Forschungsmethode dar, deren Kern die Forschungsgespräche sind, die sich methodologisch von Interwies und Befragungen unterscheiden. Mit Forschungsgesprächen wird auf die je eigene Perspektive der Forschungssubjekte, auf ihre innere Befindlichkeit abgehoben, wird auch die Selbstdeutung und die Verhandlung des Alters der Subjekte erfasst. In diesen Gesprächen fragt die Autorin nach Alltagskulturen und nach selbstverständlichem Handeln, Erleben und Deuten des Alters im Kontext der Haus- und Wohngemeinschaften als Deutungs- und Verhandlungsorte des Alters. Und die Autorin versteht sich selbst als eine Gesprächspartnerin, die quasi in den Prozess des Erforschens involviert ist. Ihre Analyse beruht auf einer zirkulär-dekonstruierenden Methode, ist also nicht linear-chronologisch. Das meint, dass Vergangenes und Kommendes gleichwertig diskutiert werden.

In ihrem kulturwissenschaftlichen Zugang zum Verhältnis von Alter und Wohnen betrachtet die Autorin eigentlich das Verhältnis der Menschen zu ihrer Wohnung, zu ihrem Wohnen. Sie begegnet alten Menschen im öffentlichen Raum und stellt sich vor, wie die wohl wohnen mögen. Wohnen sie in jetzt entstehenden Haus- und Wohngemeinschaften? Sind sie Akteure oder vielleicht auch Getriebene in diesem Umbruchsprozess? Wie haben sie früher gewohnt?

Es folgen kritische Überlegungen zu einer Zeitdiagnose; es folgen ausführliche Überlegungen zum demographischen Übergang seit der bürgerlichen Moderne des 19. Jahrhunderts, zur Entwicklung und Eigenlogik des Wohnungsmarktes und vor allem zum Alter als defizitäre letzte Lebensphase einerseits und als aktive und gesunde, wirtschaftlich und sozial aktive Lebensphase anderseits. Die Gerontologie und die Geriatrie kommen zu Wort, denen gegenüber die Kulturwissenschaft steht, die das Alter als gesellschaftliche Konstruktion betrachtet und nach den Konstrukteuren fragt.

Die Autorin beruft sich auf eine rhizomatische Konzipierung des Textes. Es geht um den Versuch, Verschiedenes zusammenzudenken. In der Auseinandersetzung mit dem Dispositivbegriff bei Foucault, der auf das Zusammenwirken einer heterogenen Gesamtheit abhebt, der die unterschiedlichen Phänomene, Prozesse, Institutionen in ihrem Zusammenspiel diskutiert, entscheidet sich die Autorin für das Rhizom, das nicht nach Ursache und Wirkung fragt, und nach Wurzeln und dem, was daraus folgt, sondern eine Sembiose bildet zwischen den verschiedensten gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen. Alter ist so ein Konstruktionsprozess, der auf symbolischer, interaktiver, materiell-somatischer und leiblich-affektiver Ebene stattfindet und so zu verstehen ist (18).

Interessant sind dann die Beiträge einer historischen Volkskunde, wie das Alter im Laufe der Geschichte sich verändert hat, jeweils anders gedeutet wurde, gesellschaftlich organisiert war und in die jeweiligen Biographien „passte“. Hat die Volkskunde eher auf die bäuerliche und dann auf die bürgerliche Haus- und Sachkultur abgehoben, entwickelte sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich die Wohnkulturforschung, die in den Wohnformen die zentrale Daseinsformen sieht, in denen sich der gesellschaftliche Zustand widerspiegelt, seine Machtverhältnisse und seine sozialen Differenzierungen, letztlich auch seine sozialräumliche Differenzierung. Die Wohnung wird zu einem kulturellen Ort, zu einer Repräsentation gesellschaftlichen Status und gesellschaftlicher Macht. Sie ist nicht mehr nur Schutz vor den Unbillen der Natur oder Rückzugsort, der vor dem Zugriff des Öffentlichen schützt. Sie ist auch mehr als das Zusammenspiel der unterschiedlichen Räume mit ihren Funktionen und Aufgaben, sie ist dialektisch mit denen verknüpft, die in ihr wohnen. Die bürgerliche Wohnung mit ihrer klaren Struktur der Aufenthalts-, Präsentations-, Versorgungs- und Intimräume wird zum klassischen Modell der Wohnarchitektur. Mit der industriellen Verstädterung um die Jahrhundertwende gerät die Entwicklung allerdings in die Kritik. Die Industriestädte sind oft weit weg von dem, was ein urbanes Leben, was Urbanität ausmacht; die desaströsen Wohnverhältnisse der Arbeiter in den Industriestädten lassen Zweifel aufkommen, ob dieses Wohnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Eine der Antworten darauf sind die Gartenstädte und der Rückzug in ländliche Regionen.

In den 70er Jahren verändern sich die Wohnformen – es entstehen Wohngemeinschaften als Reaktion auf diese bürgerliche Vorstellung von Wohnen und Wohnkultur. Die Wohngemeinschaften werden nicht nur zum Modell einer Wohnalternative, sondern zum Repräsentationsort einer politischen Alternative, von Wohnutopien und Ausdruck einer „anderen, besseren Gesellschaft“.

Sind die neuen Formen des Wohnen – die Wohn- und Hausgemeinschaften – Ausdruck eines Umbruchs des Alters und spiegeln sich in den Umbruchprozessen des Alters diese neuen Wohnformen wider?

Die Autorin erläutert in diesem Zusammenhang den Herstellungsmodus der Forschungsgespräche. Dieser Herstellungsmodus passiert lange vor der Analyse und diese Gespräche können Selbstverhandlungen und -deutungen abbilden. Es sind eben Gespräche, reflektierte, auf den Gesprächspartner abgestimmte Erzählungen, auf die der Gesprächspartner entsprechend reagieren kann – eben keine Interviews. Gemeinsam allen Gesprächspartner und -partnerinnen ist, dass sie in Gemeinschaften wohnen. Dabei bewirtschaftet in einer Hausgemeinschaft eine Gemeinschaft von nicht miteinander verwandten Personen ein Haus, in der jede/r seine/ihre eigene Wohnung hat. In einer Wohngemeinschaft bewohnen unterdessen mehrere nicht miteinander verwandte Personen eine Wohnung bzw. eine Haus, wo jede/r ein- bis zwei Zimmer bewohnt. Die Autorin stellt ihre Gesprächspartnerinnen und -partner vor; insgesamt besuchte sie drei Wohngemeinschaften und Hausgemeinschaften und traf sich mit 14 Gesprächspartnerinnen und -partnern in der Schweiz. Diese Gesprächsparterinnen und -partner hat sie über die Medien und nach dem Schneeballsystem zufällig ausgesucht.

Alter und Altern: Verhandelte Deutungen

Dieser Abschnitt gibt jene reflektierten auf die Gesprächspartnerin Rebecca Niederhausen zugeschnittene Erzählungen wieder, die zugleich Deutungen und Selbstbezeugungen sind. Die verschriftlichen Gespräche werden wiedergegeben und analysiert bzw. reflektiert. Dabei kommen unterschiedliche Gesprächspartnerinnen und -partner zu Wort, die ihr Altern und Alter in der Haus- bzw. Wohngemeinschaft unterschiedlich deuten.

Die in diesem Abschnitt vorgestellten Verdichtungen beleuchten also die Innenperspektive der Gesprächspartnerinnen und-partner. Sie fragt sie, wie sie das je individuelles Alter erfahren und wie sie die alltägliche Alterswirklichkeit sehen.

Die Autorin ordnet diese Verdichtungen folgendermaßen: Vom Alter wissen; Altern als Aufgabe; Sich dem Alter entziehen; Alter als Selbstentwurf; Alter als Erzählung.

Vom Alter wissen: Die Gesprächspartner/innen deuten ihr Alter entlang biologischen Wissens, dass im Alter alles eher schlechter wird. Sie beschreiben das Alter als gelebte Zeit, als Teil des Lebenslaufes. Das Alter ist sichtbar, an Äußerlichkeiten wie Falten, weißen Haaren. Alter ist eine Phase der Ignoranz und der Narrenfreiheit. Alter ist insgesamt gesehen eine Verlusterfahrung, Verluste geistiger und körperlicher Kompetenzen, der Kondition und der Mobilität; auch der Verlust der Arbeit und des sozialen Status werden thematisiert.

Altern als Aufgabe: Es geht bei dieser Deutung des Alters nicht um Defizite und Ängste; es geht um Freiheit und Lebensqualität, um ein gesundes und fittes Altern. In dieser Phase kann man sich sozial und politisch engagieren, man macht Sport und kümmert sich um neue Hobbys. Die Befreiung von der Arbeit macht auch frei in vielen anderen Bereichen, die einem wichtig waren, um die man sich eben wegen der Arbeit nicht kümmern konnte. Die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten kommen in den Gesprächen zum Ausdruck: alt genug, um nicht mehr arbeiten zu müssen, aber fit genug, um Sport zu treiben, um jung zu bleiben bei gleichzeitigem Altern. Verluste, die mit der Veränderung des sozioökonomischen Status verbunden sind, werden verkraftet, sogar positiv gesehen: man lernt, sich selbst zu beschränken, Selbstbeschränkung wird zur Tugend, Selbstverantwortung wird zum tragfähigen Programm, um jung zu bleiben, obwohl man altert.

Sich dem Alter entziehen: Eigentlich dient das im diesem Abschnitt abgesteckte Programm dem Ziel, sich dem Alter zu entziehen. Das wird dort schwierig, wo das selbstverantwortete und selbst organisierte und mit Tugenden behaftete Jungsein-wollen mit dem biologischen Altersprozess kollidiert. Dieser biologische Prozess des Alterns wird eigentlich ausgeblendet, taucht in den Gesprächen auch nicht auf. Schließlich sind damit auch Ängste verbunden: die Angst vor dem Sterben und der Multimorbidität, Angst vor der Langeweile und dem langsam fortschreitenden Verfallsprozess. Solche Ängste werden nicht gern thematisiert und erzeugen auch Widerständigkeit bei gleichzeitigem Festhalten an dem Narrativ, dass man eigentlich gerne Dinge macht, die sinnstiftend sind und auch Spaß machen.

Eine andere Form des Entziehens und der Widerständigkeit beschreibt die Autorin, wenn Gesprächspartnerinnen und -partner blasphemisch erzählen, was sie vom Alter und seiner Diskussion in den Medien und in der Öffentlichkeit halten. Sie demonstrieren Ignoranz und ein Eigentlich-nicht-Informiert-sein. Oder sie erzählen, wie man sich dem Alter entzieht, indem sie Widerstand leisten, nicht Erlaubtes oder gar Verbotenes tun. Sie denken noch nicht ans Alter, obwohl die Anzeichen dafür deutlich sind. Das Alter kommt noch – jetzt aber noch nicht. Und: alt sind die anderen! Es gibt noch Gebrechlichere, Menschen die noch schlimmer dran sind – aber sie nicht.

Alter im Selbstentwurf: Man kann sich dem Alter entziehen, indem man es scheitern lässt, obwohl es anders ausgemacht war; das morbide Altern kennen nur die Anderen, die negativen Seiten des Alterns werden anderen zugeschrieben. Und die positiven Seiten des Altern und Alters werden verhöhnt. Man weiß, dass man alt ist, aber man ist nicht alt, weil man sich alt fühlt. Schließlich ist der Alte gesellschaftlich definiert. Indem man das Renteneintrittsalter überschritten hat, ist man auch alt. Das Alter wird einem definitorisch angetragen – und das weiß man. Und man weiß es nicht nur, sondern spürt es und versteht es, weil man schließlich ein langes Leben hinter sich hat. Da kommt die Identitätsfrage auf: Wer bin ich im Verhältnis zu den anderen und wie will ich eigentlich, dass mich die anderen sehen? Die Frage kommt auch von außen und man muss sich mit ihr auseinandersetzen. Ich bin ich nur im Verhältnis zu den anderen.

Man weiß, dass man alt ist, weil man viele Jahre hinter sich hat. Man merkt es an körperlichen Gebrechen und Leiden, aber man fühlt sich nicht alt, man glaubt, man denke noch so, wie man in jungen Jahren gedacht hat, man fühlt sich flexibel, fähig, noch Neues aufzunehmen – aber man ist auch reifer als früher.

Man ist also alt und man weiß es; gleichzeitig unterscheiden die Gesprächspartnerinnen und -partner das Sich-alt-fühlen von diesem Wissen. Sie nehmen dieses Wissen an, um es dann auch abzulehnen, weil sie sich doch nicht alt fühlen. Die Autorin spricht davon, dass die Gesprächspartnerinnen und -partner in den Gesprächen zu Akteurinnen und Akteuren werden, zu Konstrukteurinnen und Konstrukteuren, die zwischen diesen im Grunde widersprüchlichen Polen hin und her jonglieren.

Alter als Erzählung: Der Altersprozess ist ein differenzierter Prozess. Im Alter muss man vieles schon als ein „schon jetzt“ akzeptieren und hoffen, dass das „noch nicht“ nicht so schnell eintrifft. Man merkt schon, dass Einiges schwieriger vorangeht, Anderes wiederum noch relativ unkompliziert von der Hand geht. Die Gesprächspartnerinnen und -partner unterscheiden ein junges Alter, in dem noch alles funktioniert und ein altes Alter, das von multimorbiden Einschränkungen gekennzeichnet ist. Ist das dann der Prozess des Alterns? Und es kommt zu einer Differenz von individuellem und gesellschaftlichem Alter, von einem Alter, das man selbst individuell steuern und verantworten kann, und einem Alter, dass den Sozialstaat, also die Gesellschaft, die Anderen herausfordert, weil man selbst nicht mehr zu einer autonomen Lebensführung fähig ist.

Wie kann man vom Alter erzählen? Sucht man nach Definitionen und gelingt diese Suche überhaupt? Einige der Gesprächspartnerinnen und -partner scheitern auch daran. Es kommt zur Unterscheidung verschiedener Alter(sphasen) als Lebensphasen, die einerseits gesellschaftlich (sozialpolitisch) definiert sind und andererseits Phasen einer individuellen Biographie darstellen. Selbstentwürfe werden entlang gesellschaftlich determinierter Lebensabschnitte (Kindergarten, Schule, Beruf, Abschied vom Berufsleben,) erzählt, die kombiniert werden mit lebensgeschichtlichen Veränderungen (Jugend, Familiengründung und -konsolidierung sowie das Ende der Familienphase).

Alter ist nicht gleich Alter – so das Resümee der Autorin; die Erzählungen machen deutlich, dass sich die Gesprächspartnerinnen und -partner keinem Alter zuschreiben lassen. Es gibt offensichtlich so etwas wie „die Alter“.

Wir haben es hier nicht mit irgendwelchen Typisierungen oder gar Kategorisierungen zu tun. Die von der Autorin als Verdichtungen genannten Erzählstränge haben sich in den jeweiligen Forschungsgesprächen herausgebildet und lassen sich eher als spezifische Kommunikations-, Deutungs- und Repräsentationsmuster der Gesprächspartnerinnen und -partner verstehen. Die Gesprächspartnerinnen und -partner sind nicht auf eine einzelne Verdichtung festzulegen. Eher überlagern sich diese Verdichtungen in den Gesprächen und bilden ein Ensemble der Denk-Deutungs- und Kommunikationsmuster.

Intermezzo: Wohnen im Alter – Altern im Wohnen

Wohnbiographien

Wohnen im Alter bedeutet auch, dass man vorher schon mal wo anders und überhaupt anders gewohnt hat. Die wenigsten alten Menschen verbleiben ein Leben lang in einer Wohnung oder einem Haus. Und wer in einer Wohn- oder Hausgemeinschaft im Alter lebt, hat es mit großer Sicherheit vorher nicht getan. So auch die von der Autorin aufgesuchten alten Menschen.

Warum man also ausgerechnet im Alter in eine Haus- oder Wohngemeinschaft zieht, hat spezifische Gründe, die mit der Deutung des Alters und den Bedingungen einhergehen, unter denen man vorher gewohnt hat und mit den Erwartungen, aber auch den Erfahrungen, mit denen das Wohnen vorher verbunden war.

Die Autorin schildert auch einige dieser Wohnbiographien oder gar -karrieren, die Rückschlüsse auf die Erwartungen, Wünsche und Rahmenbedingungen zulassen, die die Gesprächspartnerinnen und -partner mit dem Wohnen in einer Haus- oder Wohngemeinschaft verbinden.

Gemeinsam mit anderen alt werden und nicht alleine, Gesprächspartnerinnen und -partner finden, die sogar ähnlich denken und das Leben ähnlich deuten, dann aber auch die Lasten der alltäglichen Lebensführung oder gar Alltagsbewältigung teilen. Aber auch: wo kann man sich mit seinen Stärken und Fähigkeit einbringen, helfen, da sein, wenn es andere brauchen, für andere von Bedeutung sein und Hilfe erwarten dürfen, wenn man sie selbst braucht.

Man geht also nicht ohne konzeptionelle Vorstellungen an die Frage heran, warum man in eine Wohngemeinschaft ziehen will, und das Konzept, das sich dann idealerweise herausbildet, ist das Ergebnis von Aushandlungsdiskursen, zu denen man dann auch bereit ist.

Die Wohngemeinschaft ist exemplarisch das Modell, in der ein Wohnraum gemeinsam geteilt wird und der Haushalt zusammen geführt wird. Der Rückzugsort zum Alleinsein ist dann nur das eigene Zimmer, alles andere gehört allen zusammen.

Wer vorher ein defizitäres Bild vom Altern und Alter hat, kann hier aufgefangen werden, kommt zu einer anderen Altersdeutung. Und wer noch vom Prozess des Alterns und vom Alter noch etwas Positives erwartet, (inter-)aktiv ist und sich einbringen will, kann hier seine Identität sichern und gewinnt dem Leben in der Wohngemeinschaft auch etwas ab.

Die Autorin schildet Wohnbiographien und ordnet sie nach bestimmten Erzählmustern, die Rückschlüsse auf die Erwartungen an eine Wohngemeinschaft zulassen.

Wohnen: Festigkeiten: Nach einer stabilen Wohnkarriere im bürgerlich geprägten Elternhaus folgen Jahre der Instabilität. Wechselnde Partnerschaften, Umzüge. Dann Stabilität in der Phase der Familiengründung mit Kindern, der wiederum folgen instabile Jahre der Trennung vom Partner und der Wohnungswechsel. Danach wünscht man sich endlich Festigkeit und Stabilität der Wohnverhältnisse, die man jetzt in der Wohngemeinschaft und der Gemeinschaft der anderen Bewohnerinnen und Bewohner erhofft.

Umziehen: Übergänge: Wer die soziale Stabilität der Normalfamilie nicht erlebt hat oder sich frühzeitig von ihr gelöst hat, lebt ständig in einem instabilen Schwellenzustand, lebt liminal, hat noch nicht entschieden, wie man wohnen und leben will, was sich u.a. in andauernden Umzügen ausdrückt. Die Suche nach einer Wohnung ist gleichzeitig die Suche nach einer geeigneten Daseins- und Lebensform. Der Einzug in die Wohngemeinschaft schafft Bedingungen für eine gewisse Stabilität in der Suche nach einer geeigneten Wohnform und diese Suche findet hier ihren vorläufigen Abschluss.

Nicht wie die Mutter: Ins Alter einziehen: Man will nicht wie die Mutter ins Altersheim! Das Alternsheim macht einen alt, macht ein Alter zu einem defizitären Alter. Eher sucht man etwas anderes, orientiert sich und findet in der Wohngemeinschaft die geeignete Wohnform. Denn man ist noch aktiv, will nichts verpassen und will sein Leben noch selbst gestalten, man will sein Leben nicht anderen übergeben.

Altern in Gemeinschaft

Sind Wohngemeinschaft eine Alternative zur Gemeinschaft der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer spezifisch bürgerlichen Wohnraumgestaltung, in der die meisten gewohnt haben, bevor sie in eine Wohngemeinschaft gezogen sind? Und sind Wohngemeinschaften eine tragfähige und zukunftsfähige Wohnform im Alter? Was macht vor allem dabei die Gemeinschaft, das gemeinschaftliche Wohnen aus?

Die Wohngemeinschaft im Alter ist schließlich die letzte Wohnetappe – wie auch immer die Wohnbiographie vorher aussah. Hier treffen sich die Alten und damit das Alter. Es treffen sich nicht wie in Familien mehrere Generationen, sondern lediglich Menschen einer Generation mit ähnlichen Biographien, Sozialisationsschicksalen, Vorstellungen, was diese Gesellschaft mit ihnen gemacht hat oder auch nicht. Unter diesen Bedingungen verhandeln und deuten die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Alter, bringen ihr Wissen über das Leben und das Alter ein, interpretieren auch ihre Gegenwart im Lichte ihrer je spezifischen vergangenen Biographie eines Familien- und Berufslebens, einer Bildungsbiographie und ihrer Sozialisation. Deswegen ist das, was Gemeinschaft ausmacht, auch immer ein Aushandlungsprozess, der nunmehr in der Wohngemeinschaft stattfindet. Dabei soll auch der Alterungsprozess der Weg zum Alter auch gelingen. Sind besondere Bedingungen notwendig, stellen die Gesprächspartnerinnen und -partner besondere Anforderungen, die zu diesem Gelingen beitragen?

Altersgerecht? Von Stadtnähe und Fahrstühlen: Anforderungen an die Infrastruktur, an die Ausstattung des Hauses und an das Wohnumfeld, an die verkehrstechnische Anbindung an die Stadt, an eine ortsnahe (fußläufige) Versorgung mit den notwendigsten Gütern und Diensten (Ärzten, Apotheken, Lebensmittel u. ä.)sind die Themen, die in den Gesprächen zum Ausdruck kommen. Die einen Sachen braucht man, um einem defizitären Alter vorzubeugen, die anderen wie Stadtnähe, Zugang zum öffentlichen Raum mit seiner Infrastruktur und zu kulturellen Angeboten beansprucht man, weil man noch ein sozial aktives Alter lebt oder leben will.

Gemeinsam nicht alleine sein: Reden und helfen: Die Angst, im Alter alleine zu sein, prägt auch die Forschungsgespräche auch, wenngleich es nicht expressis verbis thematisiert wird. Es ist weniger die notwendige Infrastruktur oder die Zugänge zum öffentlichen Raum der Stadt. Schließlich kommen sie auch alleine in die Wohngemeinschaft – und dieser Zustand soll beendet werden. Die Angst vor dem Alter ist möglichweise hauptsächlich eine Angst vor dem Alleinsein. Im Altersheim ist man ja schon allein.

Das unterscheidet übrigens die Wohngemeinschaften von Hausgemeinschaften. Wo Wohngemeinschaften ihren Alltag gemeinsam strukturieren und organisieren, sind Hausgemeinschaften immer weniger von einem gemeinsam gestalteten und organisierten Alltag entfernt. Immer mehr Wohnungstüren sind verschlossen, immer mehr leben die Hausgenossen zwar unter einem Dach, aber nicht gemeinsam. Und die Struktur gibt dies auch vor: die hinter sich abschließbare Wohnung signalisiert eine stärkere Abgrenzung des Privaten als das eigene Zimmer in der Wohngemeinschaft.

Alltagsaltern: Wandern und ins Kino gehen: Die Angst vor dem Alleinsein ist auch dialektisch mit einem anderen Aspekt verbunden. Das Alter ist eine Herausforderung an sich selbst und an andere. Man will dem Altern noch etwas abgewinnen, Handlungsspielräume öffnen, die jenseits der Hilfsangebote und Unterstützungssysteme liegen. Und man will sich noch eigenverantwortlich in soziale Netzwerke und Engagements einbringen können.

Wohnen: Gemeinschaftliche Manifestationen

Die hier vorgestellten Verdichtungen fragen nach den Mikrologien des gemeinschaftlichen Wohnens. Gemeinsames Wohnen bringt gemeinsame Wirklichkeiten und gemeinsame Wohnalltage hervor. Man wohnt nicht nur gemeinsam in einer Wohnung; vielmehr bringt die Wohnung selbst eine Gemeinschaft hervor und wird zum Verhandlungs- und Deutungsraum. In ihr und durch sie entstehen Selbstentwürfe und deren Bedeutungsinhalte gilt es zu entschlüsseln. Die Raumstruktur schafft Gemeinsames, der Gemeinschaftsraum lässt das Austarieren von Nähe und Distanz zu. Die Distanzierungsmöglichkeit ins eigene Zimmer bei gleichzeitiger Nähe lässt lockere Bindungen zu, die gerade dadurch auch stabiler sind, erlaubt aber auch festere Bindungen, aus denen man sich aber zeitweise zurückziehen kann.

Einzüge in die Gemeinschaft

Von der Idee zum Konzept: Im Vorfeld des Einzugs machen sich Bewohnerinnen und Bewohner Gedanken darüber, wie sie sich die Gemeinschaft in der Wohngemeinschaft vorstellen. Aber nicht nur das. Wer soll zu einer Wohngemeinschaft dazu stoßen, wenn jemand auszieht? Wie wird die Nachfolge geregelt? Was erwartet man von einer Gemeinschaft, wie soll sie zusammenwachsen und organisiert sein? Es geht also um ein Konzept und die Ideen dazu müssen zuvor entstehen.

Und da wird im Übrigen auch offensichtlich, dass sich der Wohnungsbau und eine kommunale Wohnraumversorgungspolitik um neue Konzepte der Raumstruktur und -architektur kümmern müssen, um diesen Anforderungen an ein Wohnen im Alter in Wohngemeinschaften gerecht zu werden. 

In der Verdichtung Ökonomisch-Ökologisches wird sichtbar, was gemeinsames Wohnen auch bedeutet: gemeinsame Haushaltsführung, Gemeinsames finanzieren müssen. Das gilt es, im Vorfeld des Einzugs klar zu stellen und sich darüber Gedanken zu machen, sich zu informieren und Vorstellungen der Organisation im Vorfeld zu haben. Finanzielles, Verwaltungstechnisches, Buchhalterisches, aber auch Haustechnisches muss vorher abgeklärt sein, wenn man sich entscheidet, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Die Suche danach dauert deshalb auch oft länger oder scheitert gar an den damit verbundenen Hindernissen und Hürden. Wer sie überwunden hat, ist deshalb auch oft motivierter, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen, kompromissfähiger und „gestählter“, wenn Probleme auftauchen sollten.

Im Vorfeld der Entscheidung geht es weiter um die Frage, mit wem man zusammen wohnen will. Dies verdeutlicht die Verdichtung Aushänge, Vorstellungsgespräche und Probewochen. Die Interessengemeinschaft formiert sich. Dazu gehört auch die Frage, was man tut, wenn die Interessengemeinschaft als Wohngemeinschaft zu bröckeln beginnt und der erste auszieht. Wie findet man neue Mitbewohner? Das ist nicht so einfach. Neue Mitbewohnerinnen und -bewohner müssen sich zunächst auch mit den bereits erstellten Konzepten einer Gründungsgemeinschaft auseinandersetzen – und sie sind keine Mitbegründer, sondern folgen denen nach. Vorstellungsgespräche sind unabdingbar, möglicherweise folgt Probewohnen.

Mehr als zusammenwohnen

Denn man wohnt nicht nur in einer Gemeinschaft, sondern man wohnt zusammen. Deshalb geht es auch um die Frage, wer wie dazugehört/gehören soll. Liegt der Gemeinschaft eine hierarchische Ordnung zugrunde? Und es geht um das Verhältnis der Geschlechter, um Rollen und um Rollenzuweisungen.

Wohngemeinschaften können sehr unterschiedlich sein und die Wohngemeinschaft im Alter ist weder Studentenbude noch Familienheim und die Verdichtung erzählt per definitorischem Ausschluss von dem, was es sein soll, eben weder eine studentische Wohngemeinschaft noch eine familial organisierte Gemeinschaft des Zusammenwohnens. Und es wird unterschieden zwischen Hausgemeinschaften, in denen jede/r seine Wohnung hat und das in einem gemeinsam verwalteten Haus, in dem es auch gemeinschaftlich genutzte Räume geben kann, und einer Wohngemeinschaft, in der jede/r sein eigenes Zimmer hat und wo es Gemeinschaftsräume geben muss.

In der Familie gibt es klare Rollenverteilungen und hierarchische Strukturen, wohingegen Haus- und Wohngemeinschaften basisdemokratisch verfasst sind – zumindest verfasst sein sollen. Die Machtverhältnisse unterscheiden die Wohngemeinschaft von der Familie. Dabei sind auch in der Wohngemeinschaft Machtverhältnisse präsent, zumindest unterschwellig vorhanden.

Was ist wenn die Männer fehlen? Ein Mann unter Frauen wünscht sich dann auch noch einen Mann und man fragt sich, warum reine Frauenwohngemeinschaften keine Männer finden. Bei den Erklärungen greifen die Gesprächspartnerinnen und -partner „tief in die Trickkiste der Geschlechterdiskurse“ (Niederhauser). Es geht um Sozialkompetenzen, Bindungsfähigkeiten, Beziehungsmustern, um Hähne in Körben, um Außenorientierung der Männer und Häuslichkeit der Frauen u. ä. m.

Gemeinsame Wohnalltage

Es geht um die Organisation des gemeinsamen Wohnens im Alltag. Wer übernimmt welche Aufgaben, Funktionen, Rollen? Zur guten Organisation gehört auch, nicht nur Rollen und Funktionen übernehmen zu können, die einem bei der Verteilung zufallen. Man muss auch Rollen und Funktionen übernehmen können, die ausfallen (in der Familie: die Mutter ist krank – wer kocht?). Da wird die Gemeinschaft zum fortwährenden Aushandlungsprozess bzw. -diskurs und ist auch Spannungen ausgesetzt. Und in diesem Prozess wird u.a. auch Nähe und Distanz austariert. Was in der Hausgemeinschaft eher gelingt, räumliche Distanz herzustellen bei gleichzeitigem Interesse an Nähe zum anderen, ist in der Wohngemeinschaft schwieriger. Hier ist Sozialkompetenz gefordert, Nachsicht, Toleranz und Kompromissbereitschaft.

Organisation des Gemeinsamen bedeutet Absprachen, miteinander reden, Begegnung, Kommunikation. Und die kann man nicht dem Zufall überlassen. Begegnung organisieren, gemeinsam essen und sitzen wäre eine solche Situation, in der Begegnung stattfindet und die Alltäglichkeit organisiert und besprochen werden kann. Ansonsten gibt es formellere Treffen, wenn es um grundsätzliche oder besonders wichtige Dinge geht. Auch werden Feste und Ausflüge organisiert. Das alles ist schwierig und gelingt nicht immer, wie die Gespräche zeigen. Wenn in Hausgemeinschaften Kommunikation nicht funktioniert, bleiben die Wohnungstüren immer häufiger verschlossen; in Wohngemeinschaften bleiben die Zimmer unbewohnt.

Wer hat die Haushaltskasse und wer macht den Putzplan? Ämter werden verteilt in der Wohngemeinschaft; Ämter reglementieren auch den gemeinsamen Alltag. Ämter schaffen auch eine gewisse Verbindlichkeit gegenüber der Gemeinschaft. Und die Zuständigkeiten für die Haushaltskasse und den Putzplan schaffen auch gewisse Mächtigkeiten; festgelegte Rollen sind mit Positionen verbunden und Positionen sind ungleich mächtig. Dem basisdemokratischen Erzählnarrativ stehen Hierarchien und Ungleichheiten gegenüber.

Architekturen des Gemeinsamen

Gemeinsames Wohnen ist auch immer ein Austarieren von Privatheit und „Öffentlichkeit“, von Nähe und Distanz unter den Bedingungen räumlicher Dichte. Gemeinsame Wohnformen kennen Gemeinschaftsräume, die allen zugänglich sind, und private Zimmer oder Wohnungen, die jeweils anderen verschlossen sind.

Erst durch die gemeinsamen Räume werden Haus- und Wohngemeinschaften zu gemeinsamen Wohnformen, können auch gemeinsame Wohnalltage formuliert und organisiert werden. Gemeinsame Räume sind Begegnungsorte und Orte der Kommunikation des gemeinsamen Erlebens; sie werden zu Orten der Verhandlung und Deutung des gemeinsamen Wohnens. Sind haben als Bibliothek oder Medienraum ihre spezifische Funktion und Aufenthaltsqualität; in der Wohngemeinschaft ist es in der Regel die Küche oder das Esszimmer. Ihre Ausstattung ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses.

Anders die persönlichen Zimmer und Wohnungen, die individuell eingerichtet sind; die Türen sind meist geschlossen und wenn sie offen sind, gebührt der Respekt, anzuklopfen oder zu klingeln. Auch der Autorin wird der Zutritt verwehrt.

Die Autorin findet auch leer stehende Gemeinschaftsräume. Deren Architektur lädt nicht zum Aufenthalt ein und dazu, das Verhältnis von Nähe und Distanz in gewünschter Form auszutarieren. Korrekturen sind erforderlich, die oft nur bedingt möglich sind.Sie beziehen sich auf die Raumanordnung, auf das Verhältnis von privaten und gemeinschaftlich genutzten Räumen.

Auszüge aus der Gemeinschaft

Was, wenn man daran denkt, auszuziehen oder wirklich auszieht, weil man den Überdruss an dieser alternativen Wohnform spürt oder wenn es notwendig wird, weil die Gemeinschaft z.B. keine Pflegedienste übernimmt? Die Gründe sind vielfältig; sie werden in den Gesprächen artikuliert. Dabei wird auch thematisiert, mit welchen Vorstellungen man eingezogen ist und was sich zwischenzeitlich verändert hat, nicht eingelöst wurde oder Konflikte zu unüberbrückbaren Spannungen führten. Was hat man der Wohngemeinschaft als alternative Wohnform zur bürgerlichen Wohnkultur alles zugeschrieben? Welche Kritik ist ihr entgegen geschlagen? Jetzt thematisieren die Gesprächspartnerinnen und -partner eine Kritik der üblichen Vorstellungen der Gesellschaft vom Altern und Alter – und von Wohngemeinschaften. War es doch nur ein Abenteuer, aus Neugier und der Lust am Neuen und Anderen, in die Wohngemeinschaft zu ziehen?

Zuvor findet sich oft der Prozess der Distanzierung von der Wohnform, von den Mitbewohnerinnen und -bewohnern, von der Gemeinschaft. Es wird mit Partnerschaften verglichen, wo die „Chemie nicht mehr stimmt“ – dann muss man sich halt trennen. Bei Hausgemeinschaft kann man sich ja in seine Wohnung zurückziehen, die Tür hinter sich zu machen. In Wohngemeinschaften ist das schwieriger, sich dem Gemeinsamen, dem gemeinsam Organisierten, Getragenen und Benutzten zu entziehen.

Was sagen die Gesprächsparterinnen und -partner, wenn man sie in die Zukunft blicken lässt? Es ist auch ein Wohnen auf Zeit. Es ist ein Wohnen zwischen dem Ende der Familienphase, dem Eintritt ins Pensionsalter und der zunehmenden Fragilität. Irgendwann stellt sich die Frage der Hilfsbedürftigkeit und der dazu erforderlichen Unterstützungssysteme, auch wenn sie in den Gesprächen nicht thematisiert wird. Sie wird mitbedacht, aber nicht vorgesehen und somit auch nicht ausdrücklich zur Kenntnis genommen. Die Wohngemeinschaft ist eine Wohnform, die darauf angelegt ist den Alterungsprozess und das zukünftige Alter „unter Gleichen“ gemeinsam zu gestalten, die alle in diesem Zustand sind. Die einen beurteilen die Zukunft der Wohngemeinschaft eher skeptisch, die anderen glauben an die Gemeinschaftsfähigkeit der Wohngemeinschaft.

Aufhören: Im Dazwischen der Vielheiten

In diesem Abschnitt stellt die Autorin noch einmal ihre Überlegungen zusammen, die sie zu diesem Thema bewogen hat, stellt auch noch einmal ihren Forschungsansatz vor und fasst die Ergebnisse ihrer Forschung zusammen. Dabei diskutiert sie die Ergebnisse entlang ihrer Argumentation, wie sie sich im Aufbau des Buches dann darstellt.

Wohnen als kultureller Ausdruck gesellschaftlicher Zustände, auf die die Menschen reagieren, ist dann immer im Umbruch, wenn sich gesellschaftliche Zustände gravierend verändern. Dementsprechend sind Wohn- und Hausgemeinschaften im Alter eine Reaktion auf die Veränderung des Verständnisses bürgerlichen Wohnens und auf die Veränderung der Deutung des Alterns und des Alters als von den Akteuren konstruierte gesellschaftliche Phänomene, allerdings im Kontext deren gesellschaftlichen Determination.

Gemeinschaftliches Wohnen im Alter wird einerseits einer Lebensphase gerecht, in der Menschen nach Familien- und Berufsleben eine Alternative suchen, in der sie die letzte Phase ihres Lebens gemeinsam organisieren, strukturieren und leben können. Andererseits bietet die Wohn- und Hausgemeinschaft die Möglichkeit, einem verändertem Altern und Alter gerecht zu werden, in dem der biologische Alterungsprozess über längere Zeit hinweg noch Aktivitäten, Selbststeuerung und Autonomie zulässt, bis dann die Fragilität des Alters eintritt. Und diese Phase lässt sich sicher in einer Wohn- und Hausgemeinschaft besser leben, als allein. Es brauchte also der Idee der Wohngemeinschaft, um überhaupt über familienzentriertes Wohnen hinaus einen Ansatz zu finden, gesellschaftlich akzeptierte Wohnformen gemeinschaftlichen Wohnens zu entwickeln und dann spezifische für das Alter.

Dies wird von der Autorin noch einmal ausführlich und facettenreich diskutiert.

In ihrem abschließenden Epilog sind wir nochmal im Altersheim, allerdings in einem anderen, als dem, das im Prolog vorgestellt wurde. Die Autorin lässt hier eine „leidenschaftliche Verfechterin“ des Altersheims zu Wort kommen. Es ist ein Altersheim, das man sich wünschen würde, voller Aktivitäten und Engagements, getragen von Selbstbestimmung und -verantwortung, von Eigeninitiative und Teilhabe an dem, was andere beschäftigt – wirklich eine andere Gesellschaft. Die Autorin kommentiert ihre Protagonistin ja nicht. Aber könnte sich in Altersheimen nicht eine andere Form des gemeinsamen Wohnens im Alter herausbilden? Eine, die Gemeinschaft strukturell ermöglicht und befördert, ohne dass der Rückzug ins Private gleichsam einer Isolation gleichkäme, wo die Bewohnerinnen und Bewohner einmal das Gefühl entwickeln können, das Gemeinsame finden zu können, wenn man es braucht und wo zum anderen das Gefühl entsteht, dazu zu gehören, relevant zu sein für andere und die zu finden, die einem selbst von Bedeutung sind. Ist das eine Utopie?

Diskussion

Wir sind in der Tat mitten in einem Umbruchsprozess. Wir können den Prozess des Altwerdens und den Zustand des Alterns nicht mehr diskutieren, ohne auf neue Formen der Alltagsgestaltung und -bewältigung einzugehen, neue Formen des alltäglichen Zusammenlebens und Zusammenhalts zu entwickeln und zu entwerfen. Schließlich bilden sich unseren Städten und Dörfern neue Formen des Zusammenlebens aus; lokale Lebenszusammenhänge entstehen neu, in denen die alltägliche Kommunikation, der alltägliche Umgang miteinander neu gedeutet werden muss, wenn der Zusammenhalt in der Gesellschaft funktionieren soll. Das gilt auch für Wohnformen. Was mit den Wohngemeinschaften der 68er Bewegung angefangen hat: die Überwindung der bürgerlichen Vorstellung von einem Familienleben und deren Ausdruck, die bürgerliche Wohnung, setzt sich allmählich fort. Wohngemeinschaften werden auch im Alter attraktiver, vor allem für die, die nach alternativen Wohnformen im Alter suchen.

Und von diesen handelt dieses Buch. Menschen mit unterschiedlichen Biographien, auch Wohnbiographien, mit lebensgeschichtlichen Erfahrungen und Sozialisationsverläufen, aber auch mit Problemen, Hoffnungen und Wünschen sind auf der Suche nach einer Wohnform, in der sie auf alle Fälle mal nicht alleine sind, am liebsten aber auch in einer Gemeinschaft leben wollen, in der man alles gemeinsam macht und auch teilt. Die Gründe hierfür sind sehr unterschiedlich, auch die Vorstellungen, die damit verbunden werden, wenn man gemeinsam wohnen will.

Die Städtebauer, Stadtplaner und Architekten begreifen ja ganz allmählich, was das für ihre jeweilige Zunft bedeutet. Wir brauchen neue Grundrisse von Wohnungen und Häusern – die bisherigen Grundrisse der familiengerechten Wohnung werden dem Gemeinschaftswohnen nicht gerecht. Wir brauchen weiterhin ein Wohnumfeld in Stadtteilen und Dörfern, wo Nachbarschaften als Integrations- und Unterstützungssysteme gelingen und wir brauchen auch eine ortsnahe Grundversorgung mit Gütern und Diensten des alltäglichen Bedarfs, die unkompliziert erreichbar ist. Wir brauchen andere städtebauliche Gestaltungskonzepte, die eine soziale und generationsspezifische Durchmischung ermöglichen oder gar befördern. Es geht also nicht nur um neue Architekturen des Wohnens.

Das wird in den Gesprächen auch deutlich, die die Autorin mit Bewohnerinnen und Bewohnern von Wohn- und Hausgemeinschaften geführt hat. Dann ist gemeinsam Wohnen nicht nur eine Frage der Organisation und Strukturierung des Gemeinsamen im Wohnen. Vielmehr ist es auch eine Frage der sozialräumlichen Verortung solcher Wohngemeinschaften im Kontext eines Wohngebietes, Stadtteils oder Dorfes.

Es ist ein außergewöhnliches Buch, das Rebecca Niederhauser hier vorlegt. Beteiligt in einem Forschungsprozess zu sein und gleichzeitig den Forschungsgegenstand von außen mit dem üblichen analytischen Blick und Instrumentarium zu betrachten, ist ohne schwierig. Sie stellt sich diesem Prozess, indem sie den Gesprächsparterinnen und Partnern signalisiert: ich lasse mich auf euch ein, bin in eure Gespräche involviert, auch mit der Option, dass sich bei mir etwas verändert.

Das Buch ist allemal ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Alterns und Alters in modernen Gesellschaften. Entscheidender ist aber die kritische und hochgradig differenzierte Betrachtung dessen, was die Gesprächspartnerinnen und -partner in dieser Lebensphase über sich, über ihr Verständnis des Alterns und des Alters denken, wie sie es für sich deuten und wie diese Deutung mit den Vorstellungen, Erwartungen, Hoffnungen und Ängste verbunden wird, wie man gemeinsam im räumlich verdichten Kontext einer Haus- und Wohngemeinschaft altert und alt ist.

Der Rezensent dieses Buch ist in einer solchen Altersphase. Das Buch hat mich sehr bereichert!

Fazit

Das Buch ist einmal ein kritischer Beitrag zum Verständnis des Alterungsprozesses in modernenn Gesellschaften. Es ist aber auch ein kritischer Beitrag zur Wohnkulturforschung. Es verändert den Blickwinkel auf das Alter einerseits und die dafür notwendigen Wohnformen andererseits. Es sollte nicht nur allen empfohlen werden, die sich professionell mit architektonischen, stadtplanerischen und städtebaulichen Aspekten des Wohnens beschäftigen oder die sich mit Wohnformen, dem Wohnen selbst auseinandersetzen. Es sei auch all denjenigen ans Herz gelegt, die sich in der Lebensphase des Alterns und Altseins befinden und sich ab und zu fragen, wie sie eigentlich noch wohnen wollen, wenn alles im Alter noch geht, und wenn alles irgendwann schwierig wird.

Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em. Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 14.12.2020 zu: Rebecca Niederhauser: Gemeinsam wohnen. Kulturwissenschaftliche Blicke auf ein Alter im Umbruch. Chronos Verlag (Zürich) 2020. ISBN 978-3-0340-1577-6. Reihe: Zürcher Beiträge zur Alltagskultur - 26. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27117.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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