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Waltraud Cornelißen: Abenteuer Kinderwunsch

Rezensiert von Dr. med. Judith Zimmermann, 19.08.2020

Cover Waltraud Cornelißen: Abenteuer Kinderwunsch ISBN 978-3-8379-2893-8

Waltraud Cornelißen: Abenteuer Kinderwunsch. Wege und Umwege in die Elternschaft. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2019. 184 Seiten. ISBN 978-3-8379-2893-8. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: Verstehen lernen.

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Thema

Das Buch behandelt verschiede Wege in die leibliche Elternschaft. Intention des Textes ist es aufzuzeigen, dass gesellschaftlich zwar erwartet wird, dass Kinder geplant gezeugt werden, dass dies tatsächlich aber häufig nicht der Fall ist. Auch in der Forschung gehe man laut Autorin fälschlicherweise häufig von geplanten Schwangerschaften aus, bei denen vorher rational das Für und Wider abgewogen werde. An Hand von Fallbeispielen werden verschiedene Wege der Familiengründung aufgezeigt.

Autorin

Waltraud Cornelißen ist habilitierte Soziologin mit den Schwerpunkten Frauenforschung, Geschlechterverhältnisse und Wege in die leibliche Elternschaft.

Inhalt

Grundlage des Buches sind über 50 teilstrukturierte Interviews mit 42 Personen, die innerhalb des Vorjahres ein Kind bekommen hatten. Das Team um die Autorin befragte die Teilnehmer, welche Vorstellung sie in ihrer Jugend zum Thema Kind und Familie hatten und wie es dann tatsächlich zur Familiengründung kam.

In der Einführung erläutert die Autorin zunächst ausführlich die derzeitigen sozialen und politischen Rahmenbedingungen für die Familienplanung und -gründung. Sie beschreibt ein gesellschaftlich anerkanntes Lebensprogramm, das darin besteht, dass junge Menschen zunächst in verschiedenen erotischen Situationen und Beziehungen Erfahrungen sammeln und während dieser Zeit gut verhüten. Erst wenn sie in einer festen Beziehung leben, sich gemeinsam auf Kinder verständigt haben und auch finanziell für diese sorgen können, soll die geplante Zeugung eines Kindes erfolgen. Die Erziehung der Kinder soll gemeinsam durch das zumindest bis zum Auszug der Kinder zusammen lebende Paar erfolgen. Die Autorin beschreibt, dass auch wissenschaftliche Arbeiten häufig von diesem Ideal, in dem der Zeitpunkt der Familiengründung rational ausgehandelt werde, ausgehen, die Realität des Kinderzeugens jedoch häufig von diesem abwichen. Weiterhin beleuchtet sie den Einfluss verschiedener familienpolitischer Maßnahmen und sozialer Gegebenheiten auf die Familiengründung.

Im zweiten Kapitel stellt die Autorin drei Paare vor, die sich weitestgehend am gesellschaftlich anerkannten Lebensprogramm orientieren und geplant, sowie nach gemeinsamer Entscheidung ein Kind zeugen. Die Interviews der ersten beiden Paare drehen sich vor allem um die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, sowie die jeweilige Motivation zur Elternschaft. Bei dem letzten Paar handelt es sich um eine Teenagerschwangerschaft, die zwar geplant entsteht, bei der die werdenden Eltern jedoch nach der Zeugung feststellen, dass eine Schwangerschaft zu einem späteren Zeitpunkt einfacher zu bewältigen gewesen wäre.

Im dritten Abschnitt werden zwei Frauen vorgestellt, die ungeplant im Rahmen einer eher unverbindlichen Bekanntschaft bzw. einer außerehelichen Affäre schwanger werden. Trotz ungünstiger Ausgangssituation entscheiden sich beide Frauen jeweils dafür das Kind zu bekommen und integrieren die ungeplante Familiengründung in ihr Leben.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit zwei kinderreichen Familien. Eine Familie verzichtet religiös motiviert auf Verhütung und nimmt die entstehenden Kinder als Gottesgabe an. Die andere kinderreiche Familie gründet eine Frau, die mit drei verschiedenen Vätern fünf Kinder hat, die größtenteils nicht geplant gezeugt wurden. Beide Familien zeichnen sich durch eine hohe Bereitschaft aus die entstehenden Kinder so wie sie kommen anzunehmen.

Mit der Tatsache, dass sich Paare in der Frage nach Kindern nicht immer einig sind beschäftigt sich das fünfte Kapitel. Hier werden verschiedene Paare vorgestellt, die nicht im Konsens ein Kind zeugen, bzw. sich trennen, weil in der Frage der Familiengründung keine Einigkeit erzielt werden konnte. Die unterschiedlichen Motive für und gegen Kinder sowie der Umgang mit den Differenzen innerhalb der Paarbeziehung werden herausgearbeitet.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit Familiengründung unter Zuhilfenahme medizinischer Assistenz. Nach einer kurzen Einführung in das Thema Reproduktionsmedizin werden drei Paare vorgestellt, die aus unterschiedlichen Gründen medizinische Hilfe zur Zeugung eines Kindes benötigen. Schwerpunkte sind der Umgang der Paare mit dem Thema Unfruchtbarkeit (alle Paare verheimlichen ihrem Umfeld die Behandlung), das Erleben der medizinischen Maßnahmen und die jeweiligen Bewältigungsstrategien.

Das Schlusskapitel zieht ein Fazit aus den berichteten Fallbeispielen. Beleuchtet wird beispielsweise, dass die Familiengründung idealtypischerweise zwar in geteilter Verantwortung erfolgen sollte, sich in der Realität aber vermehrt die Frauen um das Thema Verhütung bzw. Herbeiführen einer Schwangerschaft kümmern. Weiterhin stellt die Autorin die These auf, dass das Kinderkriegen häufig nicht vorhersehbar oder steuerbar sei, da es vielfältige Einflussfaktoren (körperlich, psychisch, sozial etc.) gebe. Wissenschaftlich sollten Praxistheorien in die Forschung rund um das Thema Familiengründung einbezogen werden, die sich gegen rationalistische Modelle menschlichen Handels wenden und statt absichtsvollen Handelns die hohe Bedeutung von Routinen und praktischem Können betonen. Weiterhin fordert die Autorin Empathie und Beistand für Menschen ein, deren Kinderwunsch sich nicht so erfüllt, wie sie es ursprünglich einmal geplant hatten.

Diskussion

Das Buch fügt der Literatur rund um das Thema Kinderwunsch eine interessante neue Facette hinzu, indem es an vielen Fallbeispielen aufzeigt, dass die Ambivalenz bei vielen Paaren bezüglich des Kinderwunsches groß ist, viele Schwangerschaften zufällig entstehen und Planbarkeit – in beide Richtungen – häufig nicht gegeben ist.

Auch der einleitende Teil, der die derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Kinderkriegen aufzeigt, ist so gut gelungen, dass er gerne noch etwas ausführlicher hätte ausfallen dürfen. Weiterhin hätte ich persönlich mir den Schlussteil noch ausführlicher gewünscht, da sehr viele hochinteressante Aspekte nur angerissen werden. Insbesondere die von der Autorin vorgeschlagenen alternativen wissenschaftlichen Methoden hätten noch etwas mehr Raum verdient gehabt.

Das Buch enthält relativ viele medizinische Ungenauigkeiten bzw. Fehler, die allerdings die eigentliche Aussage des Buches nicht wirklich beeinträchtigen. Die Schlüsse, die die Autorin im Kapitel zur assistierten Reproduktion aus ihrem Sample an Interviewpartnern zieht (beispielsweise dass Paare die medizinische Behandlung alle verheimlichen), hätte gerne in den hierzu reichlich vorhandenen Stand der Forschung eingeordnet werden dürfen.

Zielgruppe für das Buch sind vermutlich vor allem Menschen, die sich wissenschaftlich oder beraterisch mit dem Thema Kinderwunsch beschäftigen. Der Klappentext und auch der Titel sind insofern etwas irreführend, da das Buch keineswegs ein Ratgeber sondern allenfalls ein Lesebuch für Betroffene ist. Wissenschaftler und andere professionell mit dem Thema Kinderwunsch Arbeitende werden in dem Buch jedoch viele interessante Anregungen finden.

Sprachlich ist das Buch angenehm zu lesen, gut strukturiert, sehr anschaulich formuliert und nie langweilig. Man spürt in jeder Zeile, dass die Autorin ihre Forschung mit viel Leidenschaft betreibt.

Fazit

Waltraud Cornelißen hat anhand eines Samples von 42 befragten Personen, die innerhalb des Vorjahres ein Kind bekommen hatten verschiedene Wege in die leibliche Elternschaft beschrieben. Sie zeigt auf, dass die Familiengründung häufig nicht so geplant erfolgt wie es in vielen wissenschaftlichen Ansätzen vorausgesetzt wird und Praxistheorien hier möglicherweise einen besseren Zugang bieten.

Das Buch bietet viele interessante Ansätze rund um das Thema Familiengründung und ist insbesondere für Menschen, die sich wissenschaftlich oder beraterisch mit dem Thema Kinderwunsch befassen, aber auch als Lesebuch für Betroffene interessant.

Rezension von
Dr. med. Judith Zimmermann
Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin, Systemische Therapeutin, Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch (BKiD)
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Es gibt 9 Rezensionen von Judith Zimmermann.

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Zitiervorschlag
Judith Zimmermann. Rezension vom 19.08.2020 zu: Waltraud Cornelißen: Abenteuer Kinderwunsch. Wege und Umwege in die Elternschaft. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2019. ISBN 978-3-8379-2893-8. Reihe: Verstehen lernen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27119.php, Datum des Zugriffs 20.01.2025.


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