Ulrike Wössner: Sozialraumorientierung als Fachkonzept Sozialer Arbeit und Steuerungskonzept von Sozialunternehmen
Rezensiert von Prof. Dr. Paul Brandl, 01.07.2020

Ulrike Wössner: Sozialraumorientierung als Fachkonzept Sozialer Arbeit und Steuerungskonzept von Sozialunternehmen. Grundlagen – Umsetzungserfordernisse – Praxiserfahrungen.
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
(Wiesbaden) 2020.
294 Seiten.
ISBN 978-3-658-21037-3.
D: 39,99 EUR,
A: 41,11 EUR,
CH: 44,50 sFr.
Reihe: Sozialwirtschaft innovativ.
Thema
Umsetzungs- und Gestaltungswissen zur Umsetzung der Sozialraumorientierung in der Sozialwirtschaft ist das große Ziel dieser Publikation. Mit den Beiträgen wird die Bedeutung der Sozialraumorientierung angesichts sozialer und sozialstaatlicher Entwicklungen konzeptionell und an Hand praktischer Beispiele herausgearbeitet. Es wird gezeigt, wie soziale Unternehmen bzw. Organisationen durch sozialräumliche Steuerung und Organisation die Ressourcen besser mobilisieren, aber auch Anpassungsleistungen auf der Steuerungs- und Handlungsebene gestalten können.
Autorin
Ulrike Wössner ist Herausgeberin dieses Bandes sowie Projektleiterin und Referentin für Sozialraumorientierung und soziale Stadtentwicklung in der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg. Sie leitete ein bundesweites Projekt zur Implementierung der Sozialraumorientierung.
Zahlreiche weitere namhafte Autoren aus Wissenschaft und Praxis präsentieren ihre konzeptionellen Überlegungen, Standpunkte und Projektberichte.
Aufbau
An der Spitze steht als Thema die Sozialraumorientierung gefolgt von den konzeptionellen Grundlagen und den Umsetzungserfordernissen. Dazu zählen die Netzwerkorganisation, sozialraumorientierte Sozialpolitik, Sozialraum und Markt, Personal- und Organisationsentwicklung als Grundbedingung für Sozialraumorientierung, die Sozialraumanalyse, die Wirkungsmessung, Finanzierungsspielräume und die Zusammenarbeit von Caritasverbänden und Kirchengemeinden. Es folgen Praxisberichte von Quartiersprojekten, Sozialraumorientierung als Kooperation, KITAS als Schlüssel im Quartier, Flüchtlinge im ländlichen Raum, gemeinsame Trägerschaft als Zukunftsmodell, weg vom All-In zum selbstbestimmten Wohnen von Behinderten, der grundlegenden Bedeutung der Organisationsentwicklung bei der Sozialraumorientierung eines sozialen Dienstleisters bis zur Implementierung der Sozialraumorientierung.
Inhalte
In der Einführung geht Ulrike Wössner auf die Chancen der Sozialraumorientierung auf den drei Ebenen Mensch – Quartier – Sozialwirtschaft ein. Herbert Schubert beginnt das Kapitel zu den konzeptionellen Grundlagen mit einem Artikel zu den Anforderungen an die Sozialwirtschaft aus der Perspektive der Netzwerkorganisation. Andreas Langer setzt fort mit Überlegungen zur Ablösung des mittlerweile in die Jahre gekommenen „Neuen Steuerungsmodells“. Georg Cremer geht der Frage nach wie die Sozialraumorientierung mit dem Thema „Markt“ zusammenpasst. Anschließend geht Stefan Bestmann auf Personal- und Organisationsentwicklung als Grundlage der Sozialraumorientierung ein. Michael Noack diskutiert das Thema aus der Sicht des/r Klienten/in als Ausgangspunkt und der Quartiersebene als Bezugsrahmen: Sozialraumanalyse als Erweiterung der empirischen Sozialforschung. Georg Mildenberger/​Konstantin Kehl/Volker Then nehmen sich der Wirkungsmessung an. Thomas Domnick beleuchtet die Finanzierungsspielräume samt den Rahmenbedingungen der sozialräumlichen Arbeit. Der Abschluss der konzeptionellen Grundlagen wird von Kilian Stark mit der Zusammenarbeit von Caritasverbänden und Kirchengemeinden geleistet. Zusammenarbeit als unternehmensübergreifender Wert zu einem zentralen Thema.
Vertiefend sei stellvertretend für die anderen Kapitel auf die Personal- und Organisationsentwicklung von Stefan Bestmann eingegangen, der das sozialräumliche Fachkonzept auf 5 Fachprinzipien aufbaut: Orientierung an den Interessen/am Willen, der Eigeninitiative und Selbsthilfe, Konzentration auf die Ressourcen, die zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweise und die koordinierte Kooperation. Sozialraumorientierung hat für ihn vier Wirkebenen:
- Handlung: Darunter fällt die systematische Personalentwicklung (was wer wissen bzw. können muss), die in den Verantwortungsbereich der Leitung fällt und auf den konkreten Arbeitsbereich (MitarbeiterInnen, KlientInnen, Sozialraum) bezogen sein soll.
- Organisation: Welche Organisationsstrukturen und -abläufe sind auf Grund der Gegebenheiten notwendig? Multiperspektivische Teams sehen mehr und ermöglichen angepasste Lösungen.
- Steuerung: Damit steuern wir vom Fokus der Versorgungsqualität zu dem der Lebensqualität. Die Führungskraft nimmt dabei eine zentrale, lösungsfokussierte Stellung ein. Ein Umdenken der Führungskraft ist daher von der Personal- und Organisationsentwicklung zu unterstützen.
- Finanzierung: Auch der Finanzierungsrahmen muss für den jeweiligen Sozialraum definiert werden und die bestehenden funktionalen Regelungen überwinden. Dies scheint ein wesentlicher Knackpunkt zu sein.
Den konzeptionellen Grundlagen folgen Praxisberichte. Die Quartierbüros in Mannheim werden von Sigrid Kemptner und Benjamin Klingler mit dem Blick auf die Zusammenarbeit von Caritas, Pfarrgemeinde und Wohnungswirtschaft. Christina Fornefeld schildert den innovativen Aufbau des Quartiersprojekts Gelsenkirchen-Scholven. Die Sozialraumorientierung wird von Stefan Weber wiederum mit einem Kooperationsprojekt illustriert. Anschließend Magdalena Wilmanns skizziert den Weg vom Kindergarten zum Familienzentrum. Es geht um das Überwinden der funktionalen Grenzen von Organisationen hin zu einer Organisation aus Sicht der KlientInnen. Auch das Flüchtlingsthema kann ein Thema im Sozialraum sein/werden. Dies haben Johanna Hartl/​Gabriele Kimmel/​Antonia Siegler im Rückblick dargestellt. Dass auch eine gemeinsame Trägerschaft zu einem Zukunftsmodell werden kann, beschreiben Frank Merkel und Johanna Smith. In weiterer Folge stellen Doris Glock/​Stefanie Pfadenhauer/​Sabine Schubert das Projekt einer Behinderteneinrichtung von einer Komplexeinrichtung zum selbstbestimmten Wohnen vor. Für Christian Stockmann ist die Personal- und Organisationsentwicklung eine notwendige Voraussetzung für das erfolgreiche Realisieren von Sozialraumprojekten. Den Schlusspunkt setzt wiederum die Herausgeberin Ulrike Wössner mit dem Thema „Sozialraumorientierung in einem Wohlfahrtsverband implementieren“.
Auch hier gehen wird auf ein Kapitel genauer eingegangen. Besonders spannend aus organisatorischer Sicht ist das Kapitel von Doris Glock/​Stefanie Pfadenhauer/​Sabine Schubert in dem der Weg einer Behinderteneinrichtung von einem Komplexanbieter zum selbstbestimmten Wohnen der KlientInnen dargestellt wird – von einer „geschlossenen stationären Organisation“ zur Integration in den Sozialraum einer Gemeinde. Ziel war ein differenziertes Wohn-, Förder-, Beschäftigungs- und Arbeitsangebot für die individuellen Bedürfnisse der KlientInnen auch hinsichtlich von verlässlichen Beziehungen und einer chsitlichen Lebensgestaltung. Blitzlichter gibt es jeweils auf das Wohnangebot samt Umbau- und Betriebskosten, fachliche Unterstützung, Sozialraumorientierung der Behindertenhilfe, Sozialraumanalyse, Klientenwünsche und eine Ressourcenkarte.
Fazit
Eine spannende und lesenswerte Publikation insbesondere für LeserInnen, die an einer Weiterentwicklung ihrer Organisation interessiert sind, aber auch für StudentInnen und Nachwuchsführungskräfte. Das dabei notwendige Wissen aus Sicht der Sozialarbeit wird in Theorie und Praxis ansprechend ausgefaltet, eine stärker betriebswirtschaftliche Orientierung in Richtung von Service Design und Prozessgestaltung aus der Sicht der KlientInnen liegt nahe. Damit ließen sich beide oft gegensätzlich diskutierte Perspektiven verbinden und ein neues Verständnis von Effizienz zu Grunde legen: Das Erstellen von Dienstleistungen mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch.
Rezension von
Prof. Dr. Paul Brandl
war Professor für Organisationsentwicklung und Prozessmanagement an der FH Oberösterreich, Department für Sozial- und Verwaltungsmanagement und ist Berater insbesondere für die prozessbasierte Optimierung und Neugestaltung von sozialen Dienstleistern
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