Ferdinand Buer, Gertrud Siller (Hrsg.): Die flexible Supervision
Rezensiert von Dr. Birgit Szczyrba, 03.05.2005

Ferdinand Buer, Gertrud Siller (Hrsg.): Die flexible Supervision. Herausforderungen - Konzepte - Perspektiven. Eine kritische Bestandsaufnahme. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2004. 247 Seiten. ISBN 978-3-531-14418-4. 29,90 EUR.
Vorbemerkung
In Anknüpfung an die bei socialnet bereits im März 2005 erschienene ausführliche Besprechung von Anton Hahne wird hier der Aspekt der Entstehung, Verortung und Abgrenzung von Supervision und Coaching diskutiert, der das gesamte Buch, herausgegeben von Buer und Siller durchstreift: Die Diffusion des Beratungs- und Trainingsmarktes sowie die damit notwendig werdende Klärung, aus welchen gesellschaftlichen Dynamiken Beratungsbedarfe entstehen und welcher Logik Beratungsangebote folgen (sollten) oder nicht, sollen hier Thema sein.
Die Rezension basiert in der Frage Handlungslogiken von Supervision und Coaching, allerdings in ihrer Bedeutung für Beratungsangebote in der Promotionsphase, auf folgender Quelle: Szczyrba, Birgit (2005): Forschungssupervision und Promotionscoaching – Beratungsformate für die Promotionsphase und ihre Aufgabengebiete. In: Koepernik, Claudia; Moes, Johannes; Tiefel, Sandra (Hrsg.): Handbuch Promovieren mit Perspektive. Ein Ratgeber von und für DoktorandInnen. Bertelsmann: Bielefeld 2005.
Supervision und Coaching in Gegenüberstellung, Verbindung und Verwechslung
Nachdem Supervision ursprünglich mit der Anleitung von BerufsanfängerInnen und freiwilligen HelferInnen der sozialen Arbeit oder auch mit der fachlichen Aufsicht und Kontrolle psychotherapeutischer Arbeit begann, hat sie sich mittlerweile auf verschiedene berufliche Sektoren (Justiz, Bildung, Gesundheit) ausgedehnt. Zunächst galt als Basis für supervisorische Fähigkeiten die Praxis- und Feldkompetenz der Beratenden. Diese Form der Supervision wird auch heute meist von Vorgesetzten oder erfahrenen BerufskollegInnen durchgeführt und unterliegt der Kritik der institutionellen Abhängigkeit mit damit verbundenen Loyalitätskonflikten unter den AkteurInnen (s. den Beitrag von Bauer, S. 122).
In Zeiten des aufblühenden Wohlfahrtsstaates in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt sich ein Verständnis von Supervision, das die Selbsterfahrung im Beruf thematisiert. Dieser Ansatz wird meist von einem eher therapeutischen Verständnis geleitet. Auf dem Markt der beratenden AkteurInnen sind es daher meist PsychotherapeutInnen, die diese Form der Supervision anbieten. Supervision erhält damit ein therapeutisch konnotiertes Image und wird besonders in Wirtschaft und Wissenschaft gemieden. Parallel entsteht das Verständnis von Supervision als Selbstreflexion im Kontext des Teams, des KlientInnenkontaktes und des Institutionenkontextes. Beide Ansätze unterscheiden sich durch eine eher psychologisch bzw. sozialwissenschaftlich fundierte Sicht: Während die erste sich auf die inneren Ressourcen des Menschen und damit verbundene Beziehungsgestaltungen konzentriert, bezieht letztere soziologische Faktoren wie Lebenslage, Milieu, Geschlechtsrolle u.a. mit ein, die das Handeln des Menschen entscheidend mitprägen.
Supervision entsteht also in Zeiten, in denen der Wohlfahrtsstaat und der damit expandierende Formenkreis der Beziehungsarbeit die Ideen von Gemeinwohl, Uneigennützigkeit und KlientInnenbezogenheit generieren. Sie orientiert sich damit an der Professionslogik (s. hierzu den Beitrag von Buer, S. 168) und kontrolliert sich selbst und die Qualität ihrer Arbeit durch institutionalisierte Selbstvergewisserungs- und Selbstreflexionsformate.
Der Beitrag von Gaertner zur "Supervision in der Krise" sieht eine "gierige Professionalisierung der Supervision in den 1990er Jahren" (S. 79 ff.) just als in direktem Zusammenhang mit dem korrodierenden Sozialstaat und weltweiten Reorganisationsprozessen die Supervision einer Konkurrenz durch OE, QM und anderen Kürzeln ausgesetzt wird. Im Zuge der sich ausbreitenden Unternehmenslogik, in der Buer, (S. 168) das am Profit orientierte Pendant zur Professionslogik sieht, entsteht Coaching als von Selbsterfahrung weit entferntes Einzelberatungsformat zunächst für Führungskräfte (s. hierzu den Beitrag von Schreyögg, S. 101ff.) Als Trainings- und Beratungsform entstammt Coaching eigentlich dem Sport und folgt der Logik instrumenteller Beratung.
Mit einer erstarkenden ökonomischen Systemlogik verlangt nun auch der Nonprofit-Bereich verstärkt nach individueller Leistungserfassung und Karriereplanung. Er wird hierbei mit einer Marktsituation konfrontiert, in der sich die Beschäftigten möglichst angepasst an jeweilige Leistungsanforderungen durchsetzen sollen. Sie werden zu "ArbeitskraftunternehmerInnen" (s. den Beitrag von Pongratz, S. 20), die sich selbst kontrollieren und überwachen, Produktion und Vermarktung der eigenen Fähigkeiten und Leistungen planen und betreiben und mit wachsender Durchorganisation ihren Alltag und Lebenslauf sowie ihre gesamte Lebensführung "verbetrieblichen". Schaurige Aussichten.
Hat die Supervision KlientInnen (= Schutzbefohlene), so ist der Coachee nach der Unternehmenslogik eher KundIn. Fördert die Supervision eher die Selbstkritik der SupervisandInnen und ist damit Reflexionsinstrument, so wird das Coaching eher als Anpassungsinstrument an Erfordernisse des Marktes in einer enger werden Konkurrenzsituation interpretiert.
Transponiert man diese Logik auf die konkrete Arbeit von Beschäftigten im sozialen Bereich, fragt man sich, ob die Konkurrenzsituation tatsächlich solche Zwänge hervorruft wie z.B. in der Wissenschaft - auch klassischer Non-Profit-Bereich mit ihrem Bildungsauftrag - mit ihrem dort vorherrschenden Originalitätszwang. Trotz verschärfter ökonomischer Prämissen wäre es fatal, die neoliberale Dynamik des Marktes unverändert auf den Non-Profit-Bereich zu übertragen, der nach wie vor nichtkommerzielle Aufträge für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Gesellschaft erfüllt. Eine unkritische Übernahme der Unternehmenslogik in den Non-Profit-Bereich wäre fatal. Das Coaching im Sinne neoliberaler Marktbedingungen kann also nicht uneingeschränkt an SozialarbeiterInnen, LehrerInnen etc. empfohlen werden.
Alle Beiträge setzen sich besorgt und kritisch mit diesen Entwicklungen und Veränderungen der ursprünglich als eigenständige, von Marktbedingungen unabhängige Profession gedachten und betriebenen Beratungsform Supervision auseinander. Wie Gaertner geht auch Schmidbauer (S. 239) mit diesem ehrgeizigen Projekt ins Gericht, wenn er anmerkt, dass die Supervisions-Ausbildungsinstitute geradezu wahllos Auszubildende aufnehmen, die dann wiederum auf dem diffusen Markt der Beratungs- und Trainingsformen nach Nischen suchen müssen, um existieren zu können. Eine dieser Nischen ist (es hört sich böse an), wiederum selbst AusbilderIn zu werden, weil die Zielgruppe, auf die hin man ausgebildet wurde, wohl gar nicht so groß ist, dass alle ausgebildeten SupervisorInnen ihr Brot damit verdienen können. Womit wir bei der Frage wären, ob SupervisorInnen einen Coach brauchen.
Fazit
Das von Buer und Siller herausgegebene Buch "Die flexible Supervision" thematisiert den allgegenwärtigen Wandel von Arbeits- und Organisationsstrukturen in seiner Bedeutung für die Supervision. Als ehemals ehrgeiziges Projekt als eigenständige, von Marktbedingungen unabhängige Profession muss sie sich jedoch angesichts des gesellschaftlichen Wandels anderen Herausforderungen stellen als bisher: Die Diffusion des Beratungs- und Trainingsmarktes sowie die damit notwendig werdende Klärung, aus welchen gesellschaftlichen Dynamiken Beratungsbedarfe entstehen und welcher Logik Beratungsangebote folgen (sollten) oder nicht, ist einer der brisanten Aspekte, die mit diesem Buch anspruchsvoll, anschaulich und ertragreich diskutiert werden.
Die sorgfältige, gut lesbare und engagierte Auseinandersetzung mit der Flexibilisierung des Beratungsmarktes macht das Buch zu einem uneingeschränkt empfehlenswerten Orientierungsbaustein für Fachleute der Supervision, für WissenschaftlerInnen aus den Referenzdisziplinen und für Studierende, die sich für den Beratungssektor rüsten und den gesellschafts- und professionspolitischen Hintergrund verständlich dargelegt sehen möchten.
Rezension von
Dr. Birgit Szczyrba
Sozial-und Erziehungswissenschaftlerin, Psychodrama-Leiterin (DFP/DAGG), Leiterin der Hochschuldidaktik in der Qualitätsoffensive Exzellente Lehre der Technische Hochschule Köln, Sprecherin des Netzwerks Wissenschaftscoaching
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