Petra Stamer-Brandt (Hrsg.): Partizipation von Kindern in der Kindertagesstätte
Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Huppertz, 18.07.2022

Petra Stamer-Brandt (Hrsg.): Partizipation von Kindern in der Kindertagesstätte. Praktische Tipps zur Umsetzung im Alltag.
Carl Link
(Kronach) 2020.
3., überarbeitete und erweiterte Neu Auflage.
216 Seiten.
ISBN 978-3-556-06556-3.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 35,50 sFr.
Reihe: Kita-Management.
Thema
In der heutigen Pädagogikliteratur gibt man sich gerne modern, und das bedeutet vor allem Kindorientiertheit. Gerne wird auch mit Blick auf Kinder von Beteiligung, Partizipation o.ä. gesprochen und geschrieben. Das Kind scheint bereits kompetent zu sein, was manchmal den Eindruck erweckt, als bedürfte es gar nicht mehr „des Erziehers“. „Das kompetente Kind wird als Konstrukteur seiner Entwicklung und seines Wissens und Könnens betrachtet. Es selbst weiß am besten, was es braucht.“ (S. 34) Auch wenn eine solche apodiktische Aussage, logisch betrachtet, unter mehreren Aspekten falsch sein mag, so ist dennoch das Bemühen und die Rede (manchmal auch das Gerede) über Beteiligung als Partizipation gerade heute durchaus am Platze. Dass Demokratie gelernt werden muss und auch gelernt werden kann und soll, ist selbstverständlich. Und so wollen wir es, – gerade in unserer Zeit, wo die Demokratie eine der wichtigsten Bewährungsproben zu bestehen hat – mit Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ halten, wo es nach den sechs Präliminarien in dem ersten Definitivartikel heißt „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein.“ „Republikanisch“ (von lat. res publica) meint nach Kant „demokratisch“ – also partizipativ oder beteiligend. Insofern ist das Buch von Petra Stamer-Brandt thematisch mehr als berechtigt, aber: Partizipation in dem hier zugrunde liegenden Verständnis? Ich möchte vorab betonen: Selbstverständlich bin ich für Partizipation bzw. Beteiligung von Kindern, d.h. u.a. für einen absolut partnerschaftlichen und demokratischen Erziehungsstil und striktissime gegen jede autokratische Erziehung und Bildung. Besonders plädiere ich für eine allseitig zu Ende gedachte Pädagogik im umfassenden Sinne. Dabei ist ein Element dieser Pädagogik die Partizipation, aber eben auch nur eines neben zahlreichen anderen. Dies zu betonen ist mir sehr wichtig, um durch diese Rezension nicht in die falsche Ecke zu geraten. Ob dieser Hinweis mich davor schützt?
Aufbau
Der Inhalt des vorliegenden Buches gliedert sich nach einem Vorwort gemäß den Überschriften in sieben Hauptkapitel:
- Von anderen lernen – Partizipation von Korczak bis zu den Maoris
- Gesellschaftlicher Wandel braucht Zukunftskompetenzen
- Die Rechte der Kinder
- Partizipation ist mehr als Mitbestimmung
- Die Rolle der pädagogischen Fachkräfte
- Die Schritte auf dem Weg zur Partizipation
- Kinderbeteiligung konkret
Inhalt und Bewertung
Ich werde im Folgenden jeweils pro Kapitel zuerst den Inhalt benennen und jeweils den Ertrag bewerten.
Kapitel 1 ist teils historisch teils werbend für das Bundesland der Autorin, nämlich Schleswig-Holstein. Die Leserschaft soll informiert werden über Partizipation bei Janusz Korczak, Alexander S. Neill, Malaguzzi und Reggio sowie die Maori in Neuseeland. Diese Darstellungen und Bewertungen der jeweiligen Pädagogiken sind größtenteils zutreffend, wenngleich gerade der Fall Neuseeland, der vielseitig gepriesene, wissenschaftlich mehr Würdigung verdient gehabt hätte als hauptsächlich ein Referat aus „Kindergarten heute“. Die Referate im ersten Kapitel erscheinen den einzelnen Positionen gegenüber wohlwollend und unkritisch. Ob man z.B. heute noch so problemlos auf Summerhill – als Modell für Partizipation von Kindern in der Kindertagesstätte – schauen und hinweisen kann, möchte auch ich als „alter“ Verehrer von Summerhill bezweifeln.
Nachdem das erste Kapitel hauptsächlich historisch orientiert war, richtet das zweite Kapitel den Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, insbesondere Kindheit betreffend. Durchaus zutreffend heißt es auf Seite 61: „Dass Partizipation in Kindertageseinrichtungen heute einen solchen Stellenwert eingenommen hat, jedenfalls es soweit die konzeptionelle Planung angeht, hängt auch mit der Veränderung von Kindheit und Gesellschaft zusammen. Während das Kind vor den 70er Jahren noch nicht als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft betrachtet wurde und ihm auch deswegen keine Rechte eingeräumt wurden, sind Kinder heute als Rechtsobjekte weitgehend akzeptiert. Zumindest ist die politische Partizipation von Kindern seit 20 Jahren kein wirklich umstrittenes Thema mehr. Die negative Sichtweise Erwachsener auf Kinder mag an der eigenen Biografie der sich äußernden Erwachsenen liegen, aber auch an ihren normativ geprägten Vorstellungen von Kindheit, die sich als ideales Bild zeigt: Das Kind als unfertiges zu beschützendes Wesen, das erst durch Eltern geprägt wird und von ihnen und unterschiedlichen sozialen Instanzen seinen Weg gewiesen bekommt.“
Bemerken möchte ich, dass die Darstellung wohl im Allgemeinen den Kern der Wirklichkeit von Kindheit in der heutigen Gesellschaft trifft. Wie zwiespältig das Konzept der „Partizipation von Kindern in der Kindertagesstätte“ sein kann, wird der Autorin gerade in Kapitel zwei deutlich, wenn es z.B. (fordernd) heißt: „Sehen wir Kinder grundsätzlich als gleichberechtigt in einer gemeinsamen Lebenswelt?“ oder „…Partizipation als Querschnittsaufgabe der Pädagogik“. Vorher hatte es aber auch geheißen, Erwachsene sollten darauf achten, „dass … Kinder … nicht mit Selbstständigkeit überfrachtet werden!“
Es stellt sich die Frage, wer bei Partizipation im Verständnis der Autorin mehr überfordert ist: die Kinder oder die verantwortlichen Erwachsenen. So heißt es S. 72 „Kinder müssen … die Folgen ihrer Entscheidungen einschätzen können … Verantwortung für ihre Entscheidung übernehmen“. Hier wird deutlich, dass den Kindern abverlangt wird, was sie wirklich nicht können können: nämlich Verantwortung im wahren Sinne des Wortes tragen.
„Die Rechte der Kinder“ ist der Titel des dritten Kapitels. Es beginnt mit einem Hieb auf die CSU, weil diese die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz in der vergangenen Legislaturperiode verhindert habe. „Das zeigt wieder einmal, welche Haltung zum Kind die Bundesregierung hat.“ (S. 86) Verglichen damit könnte die Autorin bei dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition zufrieden sein; wird doch dieser eine „Vorfahrt für Kinderrechte“ von UNICEF Deutschland schriftlich bescheinigt.
Für den in der aktuellen Rechtslage für Kinder nicht so Kundigen bietet das Kapitel eine Hinführung und einen passablen Überblick, beginnend mit der UN-Konvention (S. 82ff) über das Grundgesetz, das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das BGB, das Jugendförderungsgesetz Schleswig-Holstein, das Kinderförderungsgesetz, das Kindertagesförderungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern sowie den 10. Jugendbericht.
Bei diesem Kapitel erfährt die Leserschaft interessante Informationen über die Rechtslage in der Frage der Partizipation von Kindern. Allerdings hätte die Materie von ihrer Bedeutung her eine etwas bessere formale Ordnung und Übersicht verdient gehabt. So ist das Kapitel ein wenig bunt geraten, um nicht zu sagen verwirrend. Wenn zitiert wird, – was hier reichlich geschieht – sollte man deutlich erkennen können, welche gesetzliche Grundlage gerade behandelt wird. Das ist aber nicht der Fall. Warum gerade die Landesgesetze von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern herausgegriffen wurden, mag an der lokalen Verortung der Autorin liegen.
Kapitel 4 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Frage, auf deren Beantwortung man von Anfang an wartet, was denn nun eigentlich und ihrem Wesen nach die Partizipation sei.
Nach einem längeren Zitat aus dem bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan und einem erneuten kurzen Hieb auf die damalige große Koalition gibt die Autorin Einblick in ihr Verständnis von Partizipation. Partizipation ist demnach: „Schlüssel zur Bildung“ (S. 105), „das Kernelement einer zukunftsweisenden Bildungs- und Erziehungspraxis“ (S. 108), wichtig für die Erweiterung der Sprachkompetenz (S. 110), sie verändert die Eltern-Kind-Beziehung (a.a.O.), dient dem Prinzip der Nachhaltigkeit in Schleswig-Holstein (Frage: nur dort?). Ein Gesprächsleitfaden, der in diesem Kapitel enthalten ist, soll den pädagogischen Fachkräften in der Kindertageseinrichtung den Spiegel vorhalten, damit geprüft werden kann, ob man wirklich partizipativ arbeitet. In diesem Katalog der 13 Prüffragen schimmert auch das (unzulängliche) Verständnis von Pädagogik der Autorin durch, wenn es z.B. heißt „Bei uns werden keine Vorgaben gemacht …“ (2. S. 119) oder (8. S. 120): „Erzieher*innen begreifen sich als Wegbegleiterinnen.“
Das mag gut gemeint sein, aber eine ausgewogenen Pädagogik (u.a. mit Führen und Wachsenlassen) ist das nicht.
Mit Hinweisen auf Inklusion und Partizipation schließt das Kapitel, nachdem noch wenige Hinweise auf Partizipation in der Projektarbeit gegeben worden sind.
Das fünfte Kapitel widmet sich der „Rolle der pädagogischen Fachkräfte“. Ohne zu klären, welches soziologische Verständnis von „Rolle“ die Autorin zu Grunde legt, wird nach dem im Buch zu Beginn mancher Kapitel üblichen (passenden?) Sprüchlein – hier aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) – soll die pädagogische Fachkraft zuerst einmal „Erinnerungsarbeit“ („Biografiearbeit“), (S. 131) leisten: „life – review“ als Lebensrückschau (S. 132). Dann wird sie über ihre Hauptaufgabe aufgeklärt: die pädagogische Fachkraft ist (nur! Rezensent) „Lernbegleiter*in“, und das hat(!) sie auch nach Auffassung der Autorin nur zu sein – denn: sie hat „Kinder … als gleichberechtigt wahrzunehmen“ (S. 133). Bei derlei unhaltbaren und fachlich widersinnigen Aussagen – und dieser Geist, der das Kind sogar rechtlich mit der verantwortlichen pädagogischen Fachkraft auf die gleich Stufe stellt, zieht sich durch das gesamte Buch – fällt es schwer, mit Kritik zurückhaltend zu sein; denn: wenn man das zu Ende denkt, wäre Pädagogik abgeschafft. „Gleichberechtigt“ heißt mit denselben Rechten ausgestattet. Hier ist zu fragen: Hat denn die Verfasserin tatsächlich noch nie etwas gehört über Autorität (Sachautorität, persönliche Autorität, Amtsautorität) und die damit einhergehende Verantwortung, also etwa in einem Grundkurs Pädagogik? (dazu ggf. Huppertz/​Schinzler, Grundfragen der Pädagogik, S. 100 ff)
Die putzigen (wohl partizipativen) Beispiele, die nach dieser absurden These angeführt werden, verleiten eher zum Schmunzeln: Lotte (wohl die Enkeltochter der Autorin) darf in der Kita am Morgen sagen, dass sie „das blöde Quarkbrot“ sowieso nicht mag: dann darf sie auch noch vorschlagen, einmal gemeinsam und ein anderes Mal getrennt zu essen; Max betätigt eine Glocke und darf mit der Glocke den ganzen Kindergarten zusammenläuten, um sein Feuerwehrerlebnis zu erzählen, was zur Behandlung des Themas „Feuerwehr“ in der ganzen Kita führt. Aber dann immer wieder die schlimmen Erwachsenen: Sie glauben „häufig immer noch genau zu wissen, was für Kinder gut ist.“ (S. 134) Nein: „Kinder … wissen … sehr gut, … was ihnen gut tut.“ (S. 140). Und: die „scheindemokratischen Beteiligungsformen (Kinderparlament, Morgenkreis)“ sind keineswegs ausreichend.
Im Abschnitt „Menschenbild“ muss, wie an manchen anderen Stellen im Buch, der Reggianer Malaguzzi und natürlich auch wieder seine „hundert Sprachen der Kinder“ (S. 139) herhalten. Väter und Mütter werden wieder ermahnt, dass das Kind nur „sich selbst“ (a.a.O.) gehört, und sie „dürfen nicht mehr das Recht haben, den Schatten auf das Kind zu legen …“ (a.a.O.) Eine Kommentierung dieses Bildes durch die Autorin hätte hier nicht geschadet.
Interessant sind auch die Ideen der Autorin dazu, wie Partizipation ihres eigenen Verständnisses „in die Köpfe der Eltern“ (S. 144) transportiert werden soll. Wie es scheint, sollen über das Ausmaß der Kinderbeteiligung – und damit verbunden selbstverständlich immer auch die Reduzierung der relativen Autonomie der pädagogischen Fachkraft – nicht die Eltern mit befinden, sondern das scheint ausschließlich – ziemlich unpartizipativ und autokratisch – in den Händen der „Fachleute“ zu liegen. Das soll sogar gelten für die Errichtung eines „Bedienungsrestaurants … für Kinder bis 3“ (S. 144) Und: Angeblich sei nahezu alles, was die „… Bedürfnisse eines Menschen betrifft, individuell sehr unterschiedlich …“ (S. 146f). Ein Blick in die wissenschaftliche Theorie der Universalität der menschlichen Bedürfnisse hätte vor dieser unhaltbaren These bewahrt.
Damit das aber alles im Geist der so verstandenen Partizipation mit den Eltern funktioniert, erhalten die Pädagog*innen relativ klare Anleitungen, wie auch „der Umgang mit schwierigen Eltern“ (S. 148) zu gestalten ist. „Klären Sie die Eltern gleich zu Beginn Ihrer Zusammenarbeit über Ihr Grundverständnis von Partizipation auf.“ (S. 149) Es wird gegen „Elternarbeit“ votiert. (S. 148; diese kann man sich anscheinen nur als „einseitigen Informationsfluss“, a.a.O. vorstellen.) Gleichzeitig aber wird plädiert für „Patenschaften“ (S. 149), und dafür zu überlegen „welche vertrauten Handlungsmuster der Familie Sie … in Frage stellen …“ (a.a.O.). Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als sollten Eltern be-arbeitet werden im partizipativen Geist der Autorin.
Wieder eine Spruchweisheit vorweg, und wir sind im sechsten Kapitel: „Die Schritte auf dem Weg zur Partizipation.“ Leserinnen und Leser lernen hier, was Ziele (überhaupt) sein sollen und etwas über ihren (angeblichen) Zusammenhang mit Werten. Eine einleuchtende Logik des Findens und Verwendens von Zielen und Werten wird nicht recht deutlich; heißt es doch einmal (S. 160): „Ziele werden auf dem Hintergrund von Werten festgelegt, …“ – aber ein anderes Mal (nach der Auflistung von 11 Wirklichkeitsanalyseimpulsen: „Aus der Bewertung dieser Analyse leiten … Sie Ihre Ziele her …“ (S. 161). Hier hätte der Rezensent der Autorin eher ein gründliches Bedenken und Kennen der Wertephänomenologie empfohlen. Die Autorin hingegen scheint der irrigen Auffassung, das Sein bestimme das Sollen, erlegen zu sein. Auch die Terminologie bei den „Leitzielen/​Richtzielen …“ (a.a.O.) bringt wenig Klarheit. Im Zusammenhang von Richt-, Grob- und Feinzielen ist die traditionelle Erziehungswissenschaft, besonders die Didaktik, erheblich klarer.
Im selben Kapitel wird, bevor eine Checkliste über die strukturelle Verankerung von Partizipation in der Kita vorgestellt wird, noch rasch SMART angehängt – allerdings ohne die Originalquelle anzugeben.
Wobei sollen die Kinder nun alles einbezogen werden? Antwort wörtlich: „Kinder werden bei Renovierungen, Umbauten, Raumgestaltung, Essensfragen, Tagesablauf etc. ebenso einbezogen wie bei inhaltlichen Fragen: Entwicklung von Angeboten und Projekten, Setzen von Themenschwerpunkten, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, Finanzierungsfragen“. (S. 168) Die Beteiligung der Kinder soll sogar vor den Personalangelegenheiten nicht haltmachen. Nun: Selbst da sieht unsere Autorin keine klare Grenze, sondern sie sagt lediglich: „Auch mir fällt der Gedanke der Mitentscheidung in Personalangelegenheiten schwer.“ (S. 168)
Ein wenig weit hergeholt scheint mir die von der Autorin nicht geklärte Verbindung von Partizipation und den üblichen Qualitätsdimensionen: Strukturqualität, Orientierungsqualität, Prozessqualität, Ergebnisqualität (S. 171ff). Kann doch die Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung keineswegs nur speziell auf die sog. partizipative Einrichtung bezogen verstanden werden. Die umgekehrte Logik, dass eine qualitätsvolle Arbeit auch eines gewissen Maßes an Kinderpartizipation bedarf, hätte eher eingeleuchtet. Und: Muss denn heute wirklich noch so sehr betont werden, dass es nicht zulässig ist, wenn pädagogische Fachkräfte mit Kindern „respektlos, demütigend, übergriffig, … unhöflich … herabsetzend … ausgrenzend …“ (S. 174f) umgehen? Das alles hatte doch längst die klassische Erziehungsstillehre (R. Tausch und A. Tausch) untersagt. Besonders Fachschulen für Sozialpädagogik sollten diese Lehre wieder viel deutlicher vermitteln, als dies wohl zu geschehen scheint.
Im siebten Kapitel möchte die Autorin mögliche Formen und Methoden der Partizipation konkret vorstellen. Geworben wird (S. 188ff) für das Kinderparlament, die Gruppenkonferenz, die formlose Kinderkonferenz, die Vollversammlung, den Kinderrat, Gesprächsordnung (Redekarte, Redestein, Wandtafel), Projektarbeit, die Verfassung (mit Beispiel des DRK) und die Partizipation bei Krippenkindern. Bei der „Sauberkeitsentwicklung“ sollen Kinder gefragt werden, „ob und von wem sie gewickelt werden möchten“ (S. 205). Besonders betont wird schließlich noch das „Beschwerdemanagement“ (S. 207).
Nachdem schließlich in einem Anhang ein sog. „Methodenpool“ (S. 215) zu finden ist, wird ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein sachliches Stichwortverzeichnis, vermischt mit einigen Namen von zitierten Autoren, präsentiert.
Diskussion
Positiv an diesem Buch ist, dass die Fachkräfte sich über die administrativen Grundlagen der Kinderbeteiligung informieren können. Allerdings müssen die Defizite der Publikation deutlich benannt werden, damit die Unsicherheit und Verwirrung in der alltäglichen Arbeit der Kitas nicht noch größer wird. Nochmals: Ich plädiere sehr für die Beteiligung von Kindern und einen demokratischen Erziehungsstil, allerdings mit einer Partizipation im Rahmen von vernünftigen Grenzen. Die Position des vorliegenden Buches weist demgemäß erhebliche Mängel auf, die im Folgenden deutlich zu benennen sind.
Kindheit heute: Wer über Kindheit heute spricht, darf es nicht damit bewenden lassen, „Medialisierung“, „Verinselung“ etc. zu beklagen, sondern man muss auch fragen, was Kinder wirklich brauchen – also nach ihren wahren Bedürfnissen; Bedürfnisse allerdings verstanden im wissenschaftlich zutreffenden, und nicht im alltagslaxen Verständnis. Dabei geht es eben nicht um Interessen (S. 139) und Begehrungen, sondern um Notwendiges für ein gelingendes Leben eines Kindes.
Moralische Entwicklung des Kindes: Das Buch hätte ein Kapitel enthalten müssen über die psychologische, vor allem die moralische Entwicklung von Kindern. Dann kann man sich nicht mehr so problemlos und pauschal für eine grenzenlose Partizipation in jedem Alter aussprechen, wie es hier geschieht. Dann erkennt man auch eher die Grenzen von Partizipation. Gründliche Beschreibung muss möglichst bei allem dem normativen Plädoyer vorausgehen.
Dialektik und Verantwortung: Dem Werk von Petra Stamer-Brandt fehlt die philosophische Grundlage bezüglich z.B. der Frage, um was es denn nun eigentlich und dem Wesen der Sache nach bei Partizipation geht. Dass gerade in aller Pädagogik Partizipation eine Ambivalenz, mit anderen Worten Dialektik aufweist (etwa von Führen und Wachsenlassen), zeigt bereits ein flüchtiger phänomenologischer Blick auf „die Sache selbst“. Es geht doch immer um die Frage: Was und wie entscheidet das Kind einerseits – und was und wie entscheidet die pädagogische Fachkraft? – Damit verbunden ist evidenterweise die Klärung der Verantwortung. Dem Buch fehlt bereits die schlichte Klärung, was pädagogische Verantwortung heißt, ganz zu schweigen von einer gründlichen philosophisch-ethischen Klärung des Verantwortungsphänomens.
Wissenschaftliche Belege: Verlässliche Belege aus der Wissenschaft kann Pädagogik nicht für alles und jedes erbringen, vieles fußt in Erziehung und Bildung auf Einzelerfahrung und Plausibilität. Allerdings reicht es nicht einfachhin zu formulieren „Forschungsergebnisse belegen, dass …“ (S. 145), ohne nähere Angabe über die sog. Ergebnisse.
Klassische Pädagogik: Dem Buch hätte eine stärkere Verbindung des Themas „Partizipation“ mit der traditionellen Pädagogik gut getan, z.B. mit den Themen Erziehungsziele und Werte, Erzieherverhalten bzw. Erziehungsstil, anthropogene und soziokulturelle Voraussetzungen, Erziehung und Gesellschaft etc. Vor diesem Hintergrund, vor allem der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, kann man wohl auch eher zu einer realistischen Denkweise über Kinderpartizipation gelangen. Es kann sonst leicht der Eindruck entstehen, als sei Pädagogik vor lauter Enthusiasmus für Partizipation abgeschafft.
Pädagogische Berufe: Bei aller Liebe zur Partizipation und zur demokratischen Bildung bereits in der frühen Kindheit stellt sich natürlich auch die Frage der Attraktivität für die pädagogische Fachkraft: Hat die Erzieherin bzw. der Erzieher Interesse an „so viel Partizipation“? Haben sie nicht mit Recht (und ggf. aus Pflicht) auch und vor allem Interesse, beruflich „ihre Sache“ Kindern zu vermitteln, z.B. über Liedgut, Geschichten, Bilder etc.? Sollen sie nicht auch den Bildungsplan ihres Landes und selbstverständlich das Profil ihres Trägers umsetzen? – Und ggf. auch durchaus im Sinne der eigenen Selbstverwirklichung; denn auch im Elementarbereich müssen die pädagogischen Fachkräfte „lehren“, und das heißt immer auch: vorgesehene und verbindliche Bildungsinhalte vermitteln. Das alles darf ihnen bei einem Zu-viel an Partizipationen nicht verbaut werden. Dafür sind sie als professionals gesellschaftlich bestellt und ausgebildet. Dafür tragen sie Verantwortung.
Föderalismuskritik: Im Unterkapitel „Partizipation – Schlüssel zur Bildung“ beklagt die Autorin, „dass es keinen länderübergreifenden Bundesrahmenplan gibt, wie wir ihn von Neuseeland kennen.“ (S. 105) Wer einigermaßen die „Landschaft“ der Bundesländer in Deutschland und die entsprechenden gravierenden Unterschiede kennt, wird nicht für eine einheitliche Bildung im gesamten Elementarbereich in Deutschland plädieren können. Soll der eingruppige konfessionelle Kindergarten in Niederbayern zu den gleichen Bildungsinhalten verpflichtet werden wie die elfgruppige Einrichtung in Mecklenburg-Vorpommern. Das kann im Ernst niemand wollen.
Formale Unzulänglichkeiten: Neben diesen inhaltlich-sachlichen Defiziten der Publikation können die formalen nicht unerwähnt bleiben: Wiederholungen ganzer Textpassagen, z.B. S. 59 und S. 62; Interpunktionsmängel; „gestotterte“ Sätze, z.B. S. 70 („ … das, das Internet“) und S. 77 („… künftige zukünftige Situationen …“); seitenweise Zitate, wobei dann Kaum noch zu unterscheiden ist, ob es sich um Aussagen der Autorin handelt oder nicht.
Die Spruchweisheiten zu Beginn mancher Kapitel (5. und 6.; warum nur da?) klingen gut, sollten allerdings genauer passen.
Dem Buch hätte ein gründlicheres Lektorat und eine bessere Korrekturlektüre gut getan.
Fazit
Ich empfehle das Buch von Petra Stamer-Brandt der Lektüre derjenigen, die sich kundig machen möchten, um in Sachen Partizipation ihre Position zu finden. Wer sich anstrengen und selbst den Überblick bei der Fülle an Informationen erarbeiten möchte, sollte das tun. Allerdings rate ich von Partizipation in dem in der Publikation vertretenen Geiste ab. Eher rate ich zu einer realistischen, pädagogisch allseitig zu Ende gedachten demokratischen Erziehung und Bildung – auch bereits im Elementarbereich. Dazu bietet das Buch wohl einiges auch an praktischen Anregungen. Diese kann man exzerpieren ohne dem falschen Geist zu erliegen.
Rezension von
Prof. Dr. Norbert Huppertz
Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozial- und Elementarpädagogik, mehrere Jahre auch Tätigkeit in der DDR
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