Manfred Seiler: Pflege und Strafrecht
Rezensiert von Prof. Dr. Eckart Riehle, 03.08.2020

Manfred Seiler: Pflege und Strafrecht. Kompendium für die Praxis. Tectum (Baden-Baden) 2019. 315 Seiten. ISBN 978-3-8288-4212-0. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR.
Thema
Über die Situation in Pflegeeinrichtungen gibt es seit vielen Jahren teilweise heftige Diskussionen, die Rede ist von einem „Pflegenotstand“ und Vernachlässigung. Dazu bedurfte es keiner Corona Pandemie. Es gibt vielfältige Gründe, welche zu einem strafrechtlich relevanten Ereignis. Im Pflegebereich führen können. Man denke an die an die Anforderungen und Überforderungen des Pflegepersonals, die teilweise Hilfslosigkeit der zu pflegenden Personen und dass auch Pflegeeinrichtungen ökonomisch rentabel sein sollten.
Diese Situation öffnet den Bereich zu dem Thema Pflege und Strafrecht, welches in dem Buch von Manfred Seiler ausführlich erörtert und dargestellt wird. Das Buch wendet sich an alle, welche sei es als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann in diesem Bereich arbeiten oder mittelbar damit zu tun haben, es will aber zugleich die Sensibilisierung und Aufmerksamkeit für dieses Thema fördern und unterstützen (1).
Autor
Der Autor war über 20 Jahre als Rechtsanwalt und Strafverteidigt tätig, daneben als Dozent an Fachhochschulen. Gegenwärtig ist er Prokurist bei der AWO des Saarlandes. Er steht sozusagen mitten im Leben der Thematik
Aufbau
Das Buch ist in 8 Kapitel gegliedert, welche kurz angeführt werden.
- Allgemeine Grundsätze (des Strafrechts) (46 Seiten)
- Materielles Strafrecht – Die Pflege und die Straftatbestände des StGB(33)
- Wirtschaftsstrafrecht (36)
- Sexualstrafrecht (45)
- Straftaten und Ordnungswidrigkeiten außerhalb des Strafgesetzbuches (34)
- Strafprozessrecht und Pflege (34)
- Aussage – und Datenschutzdelikte 10)
- Compliance (17)
Angeschlossen finden sich ein Literaturverzeichnis und ein Register.
Inhalt
Die einzelnen Kapitel sind vielfach in Unterthemen aufgeteilt.
Bereits an den Überschriften der Kapitel wird deutlich, dass die für die Pflege relevanten rechtlichen Regelungen des Strafrechts im Vordergrund stehen. Sie werden dabei, mal mehr oder weniger, mit Fallbeispielen aus der Praxis verbunden.
Teil I, behandelt allgemeine Grundsätze des Strafrechts, erläutert strafrechtliche Grundbegriffe. Was ist eine Straftat, wer ist Täter wer kann Mittäter sein, wer Anstifter Gehilfe.
Dazu gehört die Frage: welche strafrechtlichen Probleme können mit der Delegation von Aufgaben im Pflegebereich verbunden sein, wenn die Pflegefachkraft eine Aufgabe an die Pflegeschülerin delegiert, der Arzt an die Pflegefachkraft. Welche Grundsätze sind dabei zu beachten, welche Sorgfalt muss gewährleistet sein, etwa bei einer Delegation auf der vertikalen Eben vom Arzt an eine examinierte Pflegefachkraft. Welche Aufgaben sind nicht delegationsfähig. Angeführt wird das Beispiel einer Auszubildenden welche ein Atmungsgerät an eine Patientin anzuschließen hatte. Dabei unterlief ihr ein Fehler, an dessen Folgen die Patientin verstarb. Diskutiert wird, wie ein solcher Fall zu beurteilen ist (139 f.).
Eingegangen wird auch auf die Möglichkeit einer Straftat durch Unterlassen, ein gerade auch in der Kinder- und Jugendhilfe immer umstrittenes Thema (15 ff.).
Zu den allgemeinen Grundsätzen gehört weiterhin der objektive Tatbestand einer Straftat und der subjektive, das Thema der vorsätzlichen und der fahrlässigen Tatbegehung, die Rechtswidrigkeit und die Schuld. Der Autor geht auch auf die Rechtfertigungsgründe ein, etwa die Notwehr und die Frage, wann der Versuch einer Straftat vorliegt.
Man kann diesen allgemeinen Teil von 46 Seiten wie eine Einführung in das Strafrecht, wie ein kleines Proseminar mit Fokus auf den Bereich der Pflege lesen. Aber man muss zum Verhältnis Buch und Proseminar auch hinzufügen, so wie das Lesen maßlos überschätzt, so wird das Gespräch maßlos unterschätzt.
Teil II behandelt das materille Strafrecht, d.h. die Regelungen, welche in der Pflege zumeist eine Rolle spielen, geht es um Straftaten. Das sind in erster Linie die verschiedenen Körperverletzungsdelikte, Tötungsdelikte und weitere Gewaltdelikte, wie etwa die Nötigung.
Hervorgehoben werden weiterhin die Delikte der Freiheitsberaubung und freiheitsentziehender Maßnahmen, da darunter etwa auch fallen kann, dass eine zu pflegende Person auf der Toilette sitzen gelassen wird, oder wenn die Bremsen am Rollstuhl so festgestellt werden, dass dei Betroffene sich nicht mehr mit dem Rollstuhl bewegen kann (109 ff.).
Das immer wieder aktuelle Thema der Fixierung, der Voraussetzungen unter denen dies möglich ist, das „wie“ der zulässigen Fixierung wird ebenfalls ausgiebig und mit Bezug zur aktuellen Rspr. behandelt (116 ff.).
Rechtlich, das ist offensichtlich stellt Teil II einen Hauptteil des Themas Strafrecht und Pflege dar.
Unter dem Thema Wirtschaftsstrafrecht (Teil III) handelt der Autor Straftaten ab, welche sich gegen das Eigentum der zu pflegenden Personen oder als Abrechnungsbetrug zu Lasten der Kranken- und Pflegekassen richtet. Zentrale Straftaten ist in diesem Zusammenhang der Betrug (§ 263 StGB).
Eingegangen wird weiterhin auf den Straftatbestand de Untreue (§ 266 StGB). Angeführt wird dabei, dass eine Tochter, die das Vermögen ihres Vaters betreute, welcher sich in einem Pflegeheim befand, die Leistungen der Beihilfe für die monatliche Pflegekosten erhielt, diese aber nicht an die Einrichtung weitergeleitet hat. Untreue, welche sich auch mit Betrug überschneiden kann, liegt also z.B. vor, wenn eine Person, welche etwa in einer Senioreneinrichtung, für die Bewohnerkonten zuständig ist, Beträge für sich abzweigt (149).
Auch der Diebstahl, welchen es in verschiedenen Qualifikationen gibt (§ 242 StGB), wird ausgiebig behandelt.
Kapitel IV behandelt dann das Sexualstrafrecht, dabei kann es sich sowohl um das Fehlverhalten einer Pflegefachkraft handeln, wie um das einer Pflegeperson gegenüber einer Pflegefachkraft.
Hier ist, so der Autor, ein „professioneller Umgang mit Opfern und Täter“ zu fordern (212)
Kapitel VI führt in das Strafprozessrecht ein. Was ist zu tun, wenn die Polizei oder der Staatsanwalt kommt, wer muss als Zeug aussagen, wer nicht. Erörtert wird das Legalitätsprinzip, besteht der Verdacht einer Straftat muss die Polizei, bzw. die Staatsanwaltschaft ermitteln.
In diesem Zusammenhang wird auch die praktisch wichtige Frage behandelt, unter welchen Voraussetzungen etwa ein Zeugnisverweigerungsrecht auch gegenüber dem Gericht besteht. (266 f.).
Damit zusammen hängen eine Vielzahl von Vorschriften, zu Aussagen und Datenschutzdelikten die etwa in Kapitel VII behandelt werden. Bekannt ist hier insbesondere der Schutz des des Privatgeheimnisses nach § 203 StGB, also der Schutz der zu pflegenden Person.
Abschließend wird in Kapitel VIII das Thema Compliance in den Vordergrund gestellt, also welche rechtlichen du ethischen Regeln einzuhalten sind.
Diskussion
Das Buch bietet einen nicht nur vollständigen, sondern fast zu vollständigen Überblick über mögliche Straftaten im Pflegebereich. Aber je nach dem Standort ist das kein Nachteil.
Nach Ansicht des Rezensenten ist es eine unzulässige Kritik, einem Autor oder einer Autorin vorzuhalten, was sie nicht gemacht oder geschrieben hat. Seine oder ihre Aufgabe war es ja nicht, die Wünsche eines Rezensenten zu erfüllen. Eine solche Kritik wäre allenfalls zulässig, würde etwas weggelassen, was „notwendig“ war.
Das kann man dem Autor nicht vorwerfen. Aber was sich der Rezensent gewünscht hätte, das wäre etwas mehr kriminologischer Einblick, wenn schon nicht Überblick über Straftaten im Pflegebereich. Hat es hier im Laufe der Jahre eine Entwicklung gegeben und wie hängt diese etwa mit besonderen (gerade auch Arbeits-)Bedingungen im Pflegebereich zusammen oder mit Machtphantasien, welche an ohnmächtigen fast wehrlosen Pflegepersonen ausgelebt werden können, sind keine Angehörigen mehr da.
Fazit
Wer einen guten und wie gesagt vollständigen Überblick über mögliche Straftaten im Pflegebereich erhalten will, verbunden mit einer Einführung in das Strafrecht, der ist mit diesem gut und flüssig zu lesenden Buch gut bedient.
Rezension von
Prof. Dr. Eckart Riehle
em. Professor für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Fachhochschule Erfurt. Rechtsanwalt, Karlsruhe
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