Lisa Brenner, Timothy R. Elliott et al. (Hrsg.): Handbook of Rehabilitation Psychology
Rezensiert von Prof. Dr. Carl Heese, 26.11.2020
Lisa Brenner, Timothy R. Elliott, Stephanie Reid-Arndt, Robert G. Frank, Bruce Caplan (Hrsg.): Handbook of Rehabilitation Psychology. American Psychological Association (Washington DC) 2019. 3rd Revised edition Auflage. 544 Seiten. ISBN 978-1-4338-2985-7. 122,90 EUR.
Entstehungshintergrund
Das Buch wird von der American Psychological Association (APA) herausgegeben, es beansprucht, das zentrales Referenzwerk für die Teildisziplin der Rehabilitationspsychologie zu sein. Die erste Auflage erschien im Jahr 2000, nach jeweils zehn Jahren werden gründlich überarbeitete Neuauflagen des Werkes erstellt. Das Fach ‚Rehabilitationspsychologie‘ ist in der Organisation der APA seit 2015 als eigene Sektion verankert. Der BDP, die deutsche Parallelorganisation zur APA, verfügt über keine vergleichbare Abteilung.
Einen Ansatz zur Herausbildung der Rehabilitationspsychologie als Disziplin gab es in Deutschland zu Beginn der Neunzigerjahre. Damals war ein Handbuch von Koch und Lucius-Hoene [1] erschienen, es erlebte aber nur eine Auflage. Die Rehabilitationspsychologie hat sich in Deutschland zwischen der klinischen Psychologie und der klinischen Neuropsychologie bislang nicht eigenständig behaupten können. Das hier aktuell am meisten einschlägige Überblickswerk trägt bezeichnenderweise den Titel „Psychologie in der medizinischen Rehabilitation“ [2].
Aufbau
Vorwort, Einleitung und Nachwort zeichnen die fach- und editionshistorische, die wissenschaftliche und die sozialpolitische Situation der Rehabilitationspsychologie und des Handbuches nach. Den Hauptteil des Buches bilden drei große Abschnitte mit insgesamt 31 Kapiteln. Der erste Abschnitt ist allgemeinen Themen gewidmet wie der Diagnostik, der Intervention, den wissenschaftlichen Problemen des Faches, dem Verhältnis zur Sozial- und Entwicklungspsychologie oder der Struktur der Ausbildung; der zweite behandelt in zehn Kapiteln spezifische Arten der Behinderung. Der Schwerpunkt liegt hier bei neurologischen Schädigungen. Der dritte große Abschnitt untersucht das Verhältnis der Rehabilitationspsychologie zur Gesundheitspolitik, zu spezifischen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes und des Gesundheitswesens in den USA, zur gemeindeorientierten Versorgung und zu innovativen technologischen Entwicklungen.
Inhalt
Im Vorwort blicken die Herausgeber der ersten Auflage auf die Entwicklung des Werkes zur dritten Auflage zurück. Sie konstatieren einen inzwischen erreichten Reifungsgrad der Disziplin ‚Rehabilitationspsychologie‘. Diese habe sich von einem ‚naiven Empirismus‘ der Anfänge weiterentwickelt, sie habe u.a. durch die Anregung der ICF zu einer mehr theoriebasierten Entwicklung gefunden. Aktuell werden verstärkt auch die Zusammenhänge von individueller Beeinträchtigung und vielfältigen sozialen und weiteren Gesundheitsfaktoren in der Forschung thematisiert. Neben Public Health-Entwicklungen und epidemiologischen Ergebnissen seien nun auch technologische Innovationen in der Rehabilitation zu berücksichtigen.
Die Einleitung nutzen die beiden jüngsten Herausgeberinnen zu einer Reflexion über die Chancen des noch sehr jungen Faches im Umfeld einer volatilen amerikanischen Gesundheitspolitik sowie der Auswirkungen von zwei Kriegen. Im weiteren wird die Rehabilitationspsychologie definiert, ihre historische Wurzel wird in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg lokalisiert, als man zum erstenmal versuchte, die psychischen Auswirkungen von physischen Kriegs-Behinderungen systematisch zu bearbeiten. Als das zentrale Rahmenkonzept wird die ICF herausgestellt. Unter den psychologischen Disziplinen ist das Fach das jüngste, es befinde sich noch in seiner Formationsphase (p. 5), es ist aber durch die APA als Spezialisierung mit eigenem Ausbildungsprofil anerkannt.
Für die weitere Darstellung des Inhalts beschränke ich mich im folgenden auf eine eher willkürliche Auswahl einzelner Kapitel aus jedem der drei großen Abschnitte.
Den Auftakt zum ersten Abschnitt macht Kapitel 1 mit der Vorstellung eines spezifischen Ausbildungskonzeptes für die Rehabilitationspsychologie. Aktuell existieren dazu noch keine akkreditierten Programme, die in den USA in anderen psychologischen Teildisziplinen als strukturiertes Promotionsprogramm durchgeführt werden. Um dem vorzuarbeiten, werden ein Modell (p. 12) für ein kompetenzorientiertes Programm und ein umfassender Kompetenzkatalog (p. 14 ff.) vorgestellt. Besonderen Wert legt der Entwurf auf die Rolle der interdisziplinären Arbeit in der Rehabilitation. Für die Psychologie relevante Einzelheiten des US-amerikanischen Ausbildungssystems, beginnend mit dem Curriculum für Psychologie auf High-School-Niveau, werden im Kapitel 2 erläutert.
Kapitel 3 charakterisiert die wissenschaftliche Situation des Faches. Hier werden zunächst historische Wegmarken gekennzeichnet. Als charakteristische Eigentümlichkeit wird auch hier der interdisziplinäre Charakter der Rehabilitation betont, er stelle die Forscher vor eine besondere Herausforderung: Er nötige sie dazu, den Anschluss an die theoretischen und methodischen Entwicklungen gleich mehrerer Fächer zu halten. Im weiteren werden die konkreten Bedingungen einer erfolgreichen interdisziplinären Forschung entfaltet. Die zentrale These des Abschnittes ist dann der kritische Befund zum methodischen Stand in der Forschung zum Fach: Man sei hier zwanzig Jahre zurück (p. 39), der Wert von Mehrebenen- und Strukturgleichungsmodellen, die in Pädagogik und Psychologie stark Verbreitung gefunden haben, sei hier noch nicht erkannt worden.
Kapitel 9 skizziert eine Sozialpsychologie der Behinderung. Dana Dunn weist ihr die Aufgaben zu, die sozialen Erwartungen und Interaktionen von behinderten und nicht behinderten Menschen sowie die subjektiven Erfahrungen von Menschen mit Behinderung zu beschreiben. Zunächst wird die Bedeutung von grundlegenden Theorien der Sozialpsychologie für Fragen der Rehabilitation dargelegt. Danach führt das Kapitel über den Krankheitsverarbeitungsprozess zum Konzept der Akzeptanz und mündet schließlich in die aktuellen Forschungen zum Konzept der ‚Disability Identity‘, mit der ein empirischer Forschungszweig befasst ist, der zum Inklusionsprogramm etwas in Spannung steht.
Kapitel 12 behandelt ‚Familie und Behinderung‘. Das Thema wird zunächst unter den Gesichtspunkten ‚Kinder mit Behinderung‘, ‚Behinderung und Partnerschaft‘ und ‚Eltern mit Behinderung‘ beschrieben. Dabei wird auch auf die Problembereiche Missbrauch und Kindestötung eingegangen. Spannend sind aber auch die Befunde, die im Kontrast zu der sogenannten ‚burden literature‘ unproblematische Verhältnisse und sogar Gewinne der Caregiver, etwa durch eine sinnerfülltere Existenz, zeigen. In interventioneller Richtung wird im weiteren Kapitel das Modell der family-centered care als institutionelle Möglichkeit einer Unterstützung vorgestellt, zudem werden die spezifischen Fähigkeiten, die von der psychologischen Seite her in diesem Kontext erforderlich sind, im Überblick aufgeführt. Das Kapitel endet mit einem Plädoyer für eine entschiedene Anwaltschaft für die betroffenen Familien, der Blick auf individuelle psychologische Bedingungen reiche nicht aus. Die Autorinnen fordern ein entschiedenes Engagement der Fachvertreter auf der lokalen bis hin zur internationalen politischen Ebene. Erforderlich sei nicht weniger als ein Systemwandel.
Im zweiten Abschnitt befasst sich Kapitel 14 mit chronischen Schmerzen (CP). Vorgestellt werden das biopsychosoziale Modell und der Beitrag, den biologische, psychologische sowie soziale Perspektiven zu der Behandlung leisten können. Weiter wird relativ ausführlich auf die Schmerzdiagnostik eingegangen, ein besonders spannender Abschnitt behandelt spezielle Probleme dieser Diagnostik. Sie ergeben sich, wenn etwa gewohnte ‚normale‘ Schmerzen nicht mehr als Schmerzen eingeschätzt werden oder wenn kognitive Einschränkungen die Kommunikation der Schmerzen behindern.
Die gut untersuchten Therapieansätze von der kognitiven Verhaltenstherapie bis zum Selbsthypnosetraining werden kurz umrissen, auf einschlägige Manuale zur Durchführung wird verwiesen. Zu der Bandbreite einzelner Ansätze werden zehn übergreifende Leitlinien zur rehabilitationspsychologischen Behandlung von CP dargestellt. In der weiteren Forschungsperspektive sehen die Autoren Untersuchungen zur Komorbidität von CP und zu Problemen wie Schlafstörungen oder kognitive Einschränkungen. Eine besondere Herausforderung sei es auch, die psychologische Schmerztherapie vermehrt für gesellschaftlichen Randgruppen zugänglich zu machen.
Kapitel 16 ist der Behinderung durch Amputation gewidmet. Es werden eingangs Unterschiede der Amputationshöhe an verschiedenen Gliedmaßen erläutert. Verursacht werden Amputationen in der Ersten Welt überwiegend durch Verschlusskrankheiten infolge z.B. eines Diabetes, sekundär durch traumatische Verluste, die auch Verluste durch Bürger-/​Kriegsgeschehen einschließen. Rehaziel ist hier vor allem die Wiedergewinnung der Mobilität, der Schlüssel dazu ist meist die Anpassung einer Prothese.
Zum Prozess der psychologischen Anpassung wird ein Überblick über die psychologischen Probleme nach Amputation referiert. Allgemein scheinen traumatisch bedingte Amputationen einen stärkeren negativen Einfluss zu haben. Neben Ängsten, Depressionen und PTSD finden sich in einer beachtlichen Anzahl von Untersuchungen aber auch positive Erfahrungen infolge der Amputation, die unter dem Stichwort ‚posttraumnatisches Wachstum‘ behandelt werden. Neuere Untersuchungen zum Coping konzentrieren sich weniger auf das Ergebnis als auf den Prozess der Verarbeitung. Sie analysieren die Änderungen in der individuellen Zielsetzung und -erreichung in verschiedenen Lebensbereichen. Eine wichtige Unterscheidung ist dabei die kompensatorische Anstrengung zur Zielerreichung nach alten Zielsetzungen im Unterschied zur Änderung der Zielsetzungen und der Bearbeitung der damit verbundenen negativen Emotionen.
In den weiteren Abschnitten geht es beispielsweise um die Aufgabe der kognitiven Bewältigung der Amputation. So zeigen ältere Diabetiker häufig auch kognitive Einschränkungen, die ihre Fähigkeit, den Lernprozess einer Prothesenanpassung zu bewältigen, nicht selten begrenzt. Das veränderte Selbstbild nach Amputation kann Auswirkungen auf das Intimleben der Betroffenen wie deren Partner haben. Und schließlich sind Chronische Schmerzen eine häufige direkte (durch Nervenschädigung) oder indirekte (Fehlhaltungen) Folge von Amputationen. Ein spezielles Thema ist dabei der Phantomschmerz.
Bei den vorgestellten Interventionen sind besonders der Überblick zu den Selbstmanagement-Programmen, die Abschnitte zur Spiegeltherapie der Phantomschmerzen und die zu der Hilfeform der Peer-Besuche hervorzuheben.
Kapitel 17 behandelt Wirbelsäulenverletzungen. Die Autoren weisen darauf hin, dass sie sich sowohl auf Untersuchungen speziell zu dieser Klientel als auch auf Untersuchungen aus verwandten Bereichen stützen. Sie geben im weiteren durchwegs sehr genau an, welches Wissen spezifisch von Para- und Tetraplegikern gewonnen wurde und welches aus der Anwendung allgemeinerer rehapsychologischer Forschungen stammt.
Im Eingang beschreiben sie knapp die neurologischen Problematiken einer Wirbelsäulenverletzung, ihre vielfältigen Ursachen sowie ihre Demographie. An Schwierigkeiten, die häufige Folgen der Verletzung sind, werden Schmerzsyndrome, sexuelle Probleme, ein problematisches Gesundheitsverhalten, mangelnde körperliche Aktivierung, ungenügende Ernährung sowie psychosoziale Probleme angesprochen. Bei den letzteren halten Sie fest, dass das Bestehen einer Wirbelsäulenverletzung an sich noch kein psychologisches Problem bedeutet. Sie zitieren neben anderen eine Untersuchung, nach der die Lebenszufriedenheit von beruflich integrierten Rollstuhlfahrern sich nicht von der in der Normalbevölkerung unterscheidet.
Ein weiterer Abschnitt behandelt die Adaptation an die Beeinträchtigung und nennt die Faktoren, die eine erfolgreiche Anpassung begünstigen. Sehr wichtig für eine positive Entwicklung ist die berufliche Integration, die leider häufig misslingt. Entwicklungspsychologische Ergebnisse zeigen dann beispielsweise Unterschiede in der Belastung mit depressiven Begleiterkrankungen. Sie finden sich bei Jugendlichen häufiger. Schließlich wird eine Reihe von therapeutischen Begleitmöglichkeiten vorgestellt. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei der Peer-Support ein.
Im dritten Abschnitt behandeln die abschließenden Kapitel 30 und 31 die technologischen Innovationen in der Rehabilitation. Ein Überblick in 30 stellt tragbare Geräte (wearable devices), Avatare und virtuelle Agenten (intelligent virtual agents), virtuelle Realität sowie die physische und die soziale Robotik vor. Die Entwicklung wird exemplarisch u.a. an Untersuchungen zu Apps, die Stürze registrieren können, Untersuchungen zum virtual human rehabilitation psychologist sowie zum PARO und weiteren Beispielen der sozialen Robotik dargestellt. Von diesen Entwicklungen werden psychologische Wirkungen berichtet wie eine höhere Rehamotivation, intensivere und ermüdungsfreie Kontakte und ein stärkeres Vertrauen. In 31 wird der Ansatz mit VR-Anwendungen vertieft, die für die Rehabilitation eine dramatische Steigerung im ökologisch validen Testen und Trainieren versprechen. Als besondere Gewinne dieser Entwicklung werden wieder die Steigerung der Motivation durch den Spiel- oder den Alltagssimulationscharakter bei rehabilitativen Aufgaben aufgewiesen sowie die Möglichkeit, die Komplexität der Umgebung und der sozialen Interaktion kontrolliert in Test und Training zu variieren. Für all diese Ansätze wird das ‚Human Activity Assistive Technology Model‘ als Rahmenkonzept eingeführt.
Die Diskussion geht dann auf Qualitätsgewinne der Rehabilitation, aber auch auf Datenschutzprobleme der Technologie ein. Ein interessantes Forschungsproblem ist die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung – sie erlaubt dem langwierigen Prozess der klinischen Outcome-Forschung kaum Schritt zu halten. Aber auch daneben ist die Forschungssituation unbefriedigend. So mangelt es an randomisierten Kontrollgruppenstudien von ausreichender Größe und an einer Standardisierung der Outcome-Maße. Der Einschätzung aber, dass VR-Geräte in einigen Jahren verbreitet sein werden „like toasters“ (p. 525), stimmen die Autoren zu.
Diskussion
Für die Neuauflage haben die Herausgeber das Handbuch in seinem Aufbau noch einmal tiefgreifend umgestaltet. Aus den sechs Abschnitten der zweiten Auflage wurde nun die dreiteilige Anlage der aktuellen. Diese Neuordnung gibt dem Band insgesamt einen sehr klaren und übersichtlichen Aufbau. Sie ist aber nicht durchweg überzeugend, das Themenspektrum vor allem im ersten und dritten Abschnitt wird dadurch allzu breit.
Einzelne kleinere Kapitel wurden für die Überarbeitung geopfert. In der aktuellen Auflage fehlen nun die Kapitel zum Neuroimaging und zur Neuroplastizität; andere, wie die zum Alkoholmissbrauch nach SHT und zur Rolle der Spiritualität in der Rehabilitation, wurden teilweise in thematisch geeignete Kapitel integriert. Die Literaturnachweise wurden noch einmal stark ergänzt, sodass das Handbuch seinem Anspruch als zentrales Referenzwerk sehr gut gerecht werden kann.
Im Zentrum steht nun der große Abschnitt mit der Darstellung von einzelnen Behinderungsarten. Inhaltlich wurde hier gegenüber der früheren Auflage wenig verändert. Die Auswahl der Störungen ist etwas neurologielastig. Kongenitale Störungen sind nur mit einem Kapitel repräsentiert, hier dient der Autismus als Modell. Die Sinnesbehinderungen sind in dem Band gar nicht berücksichtigt. Dann zeigt die Auswahl auch ein kulturelles Bias. Die Kapitel zu Polytrauma und Amputation verweisen auf den institutionellen Rückhalt, den die Rehabilitationspsychologie in den USA durch die Veteranenorganisationen hat. Das Kapitel zu chronischen Schmerzen steht (auch) im Zusammenhang mit der Opioidkrise in den Vereinigten Staaten. Im Kapitel zum Polytrauma stellen die Autoren bereits im Titel explizit einen Bezug zu 9/11 her. Die Auswahl will sich ganz bewusst den aktuellen Herausforderungen der amerikanischen Gesellschaft stellen.
Eine kleine Überraschung bietet das Kapitel zu den neurodegenerativen Erkrankungen. Statt wie üblich auf die Demenz vom Alzheimertyp einzugehen, werden hier die Multiple Sklerose, der Morbus Parkinson, die ALS und die Chorea Huntington als rehabilitationspsychologische Aufgaben behandelt.
Berufspolitisch ist das Buch äußerst ambitioniert. Im Megatrend von der kurativen zur präventiven und rehabilitativen Behandlung sehen die Autoren vielfältige Gelegenheiten für die Vertreter der Psychologie, sich zu profilieren. Alle Autoren betonen eine besondere Kompetenz der Psychologen in dem interdisziplinären Kontext der Rehabilitation eine, wenn nicht die Schlüsselrolle zu übernehmen. Dabei geht es den Autoren aber nicht nur um eine Profilierung der eigenen Disziplin, sie zeigen durchweg einen hohen Grad an sozialer Reflektiertheit. Sie sehen auch die Rehabilitationsbedarfe am Rand der Gesellschaft und jenseits der Ersten Welt und sie reflektieren an vielen Stellen die schwierige Finanzierung der Rehabilitation im Kontext einer für deutsche Verhältnisse wenig entwickelten Sozialversicherung sowie im Kontext der Rücknahme der Anstrengungen, die in dieser Hinsicht mit Obamacare unternommen wurden. Und vor allem definieren sie den professionellen Auftrag der Fachvertreter über die Behandlung und die Begleitung der Rehabilitanden hinaus als Advocacy, als engagiertes gesellschaftliches Eintreten für deren Belange.
In praktischer Hinsicht werden eine große Zahl spezifischer Diagnostika und erfolgreicher Interventionsansätze nachgewiesen. Für viele Materialien finden sich auch Internetlinks, über die direkt auf sie zugegriffen werden kann. Neben diesen für die Praktiker wichtigen Hinweisen finden sich auch für die forschungsorientierten Leser eine Vielzahl von Anregungen, wo Untersuchungsbedarfe bestehen und wie Positionen weiterentwickelt werden können. Die grundlegende Charakteristik der Forschungssituation in Kapitel 3 ist außerordentlich erhellend.
Deutsche Rezipienten werden wohl einige Details zum amerikanischen Versorgungssystem und zu den Entwicklungen von Obamacare überschlagen, trotzdem bietet der Band in seinem Themenrahmen einen hervorragenden Überblick, den man in der deutschen Literatur so nicht finden kann. Leser aus der Sozialen Arbeit werden im Selbstverständnis der APA-Rehabilitationspsychologen eine große Nähe zu ihren eigenen Positionen erkennen. Eine solche Nähe findet man bei den psychologischen Fachvertretern in Deutschland nur bei einem kleineren Teil.
In der Einleitung sprechen die Herausgeberinnen von ihrer Hoffnung (p. 6), dass das Buch zu einer Quelle der Inspiration für die weitere Entwicklung des Faches werden möge. Ich glaube, das kann das Buch wirklich leisten.
Fazit
Ein Handbuch, das in einer klaren, gründlichen und engagierten Weise das Themenspektrum der Rehabilitationspsychologie erschließt, es aber nicht vollständig abdeckt. Es zeigt möglicherweise die Zukunft einer Disziplin, die in Deutschland noch wenig Kontur hat.
[1] Koch, Uwe; Lucius-Hoene, Gabriele et al. Handbuch der Rehabilitationspsychologie. Springer 1988.
[2] Bengel, Jürgen; Mittag, Oskar. Psychologie in der medizinischen Rehabilitation. Ein Lehr- und Praxishandbuch. Springer: Berlin 2016.
Rezension von
Prof. Dr. Carl Heese
Professur für Rehabilitation an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Zitiervorschlag
Carl Heese. Rezension vom 26.11.2020 zu:
Lisa Brenner, Timothy R. Elliott, Stephanie Reid-Arndt, Robert G. Frank, Bruce Caplan (Hrsg.): Handbook of Rehabilitation Psychology. American Psychological Association
(Washington DC) 2019. 3rd Revised edition Auflage.
ISBN 978-1-4338-2985-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27187.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.
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