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Martin Baumann, Christoph Gordalla: Gruppenarbeit

Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 26.05.2021

Cover Martin Baumann, Christoph Gordalla: Gruppenarbeit ISBN 978-3-8252-5274-8

Martin Baumann, Christoph Gordalla: Gruppenarbeit. Methoden - Techniken - Anwendungen. UTB (Stuttgart) 2020. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. 316 Seiten. ISBN 978-3-8252-5274-8. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 32,50 sFr.
Reihe: UTB - 4223. Schlüsselkompetenzen.

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Thema

Ganz sicher ist der Titel „Gruppenarbeit“ gut gewählt. Trotzdem soll er gleich hier noch etwas konkretisiert werden. Das im Folgenden rezensierte Buch richtet sich nicht an Leser*innen, die sich für gruppenpädagogische und/oder –therapeutische Settings interessieren, was gegebenenfalls auch erwartet werden könnte. Sollten Sie sich also diesbezüglich auf der Literatursuche befinden: Sie sind hier definitiv falsch. Wenn Sie sich aber für Gruppenarbeit im Rahmen von Workshops, Projekten, Seminaren oder Teams interessieren, dann werden Sie ein Buch kennenlernen, das sehr praxisnah verfasst ist und in der Tat großes Potenzial aufweist. Aber der Reihe nach.

Gruppenarbeit hat ohne Zweifel einen guten Leumund. Sie gilt als effektiv, oft überlegen und grundsätzlich dem „Rudeltier Mensch“ angemessen. Das darf sicher so stehen bleiben. Allerdings ist es nicht ganz so einfach und selbstverständlich. In einer Ausgabe aus dem Jahr 2012 provoziert Der Spiegel mit der steilen These vom „Unsinn der Gruppenarbeit“ (34/105). Und es gibt einiges an bestätigender Empirie dazu. Wie das? Zunächst ist erwartungsgemäß nicht jede Herausforderung per se von Gruppen effizienter zu lösen. Und dann spielen viele Variablen, auch solche unterschiedlicher Mentalität und Persönlichkeit, moderierend in den Kontext ein. Unbenommen. Aber: Bei genauerer Betrachtung gehen nicht wenige der augenscheinlich Gruppenarbeit abqualifizierenden Erkenntnisse doch von einer eher naiven Gruppenarbeitsvorstellung aus. Nur weil Menschen miteinander in einer Gruppe zusammenarbeiten, müssen sie das noch lange nicht gut machen. Ebenso wenig werden Menschen am Fuße eines Berges durch dessen alleinige Existenz zu versierten Alpinist*innen, die diesen im Sinne Sir Edmund Hillarys einfach einmal schnell besteigen können, allein weil er da ist. Nein, gute Gruppenarbeit ist von Bedingungen abhängig, die diese fördern. Synergien sind Grund und Potenzial von Gruppenarbeit, aber nicht selbstverständlich. Oder noch einmal anders: effektive Gruppenarbeit ist kein Selbstläufer!

Das hier vorgestellte Buch tritt an, kooperative Bedingungen herzustellen, die die einzelnen Gruppenmitglieder einladen, motivieren und befähigen, das Ihrige konstruktiv zum Ergebnis und Erfolg der Gruppen beizutragen. Es möchte dazu „… für möglichst viele verschiedene Problemstellungen praktikable und erprobte Methoden vorzustellen. (313).

Autoren

Die beiden Autoren, Prof. Dr. Martin Baumann von der RWTH Aachen und Christoph Gordalla, sind laut Umschlagtext Naturwissenschaftler, die aber über einige Erfahrungen in der Arbeit in und mit interdisziplinären Teams verfügen. Sie kennen den potentiellen Mehrwert, der sich aus verschiedenen Perspektiven und Wissensständen speist. Aber sie kennen sicher auch die Kehrseite dieser Medaille, die eine konkrete Herausforderung formuliert: Das konstruktive Zusammenführen verschiedener Denkstrukturen, Terminologien und Präferenzen.

Ganz sicher haben also die beiden Autoren mit ihrem Buch auch Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen und viele mehr im Blick.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist grob in zwei Teile gegliedert. Zunächst befassen sich die Kapitel eins mit fünf in angemessener Komprimierung mit Grundlagen und Rahmenbedingungen oben genannter Gruppenarbeitssettings, sowie mit Erklärungen zu Aufbau, Verständnis und zur Anwendung des Buches. Mit den Kapiteln sechs bis zwölf schließt sich dann das Kernstück an. Hier geht es um die sehr konkrete Vorstellung und Erklärung vieler Gruppenarbeitsmethoden, schön geordnet nach Phasen, Aufgaben und Intentionen. Der Einfachheit halber wird in dieser Rezension der Begriff „Methode“ nicht kritisch hinterfragt, sondern steht synonym neben Verfahren, Technik und Ähnlichem.

Etwas differenzierter formuliert Kapitel 1 zunächst sehr grundlegend gute Argumente für Gruppenarbeit, dies auch im Vergleich zur Einzelarbeit und, für die Bodenhaftung wichtig, im Abgleich mit Gegenargumenten.

Kapitel 2 beleuchtet Bedingungen für gelingende Gruppenarbeit. Es geht um die Bereitschaft von Teilnehmer*innen und Leitungen, um das Verhältnis von Fach- und Methodenkenntnis, um Interdisziplinarität und Diversität, Gruppenziel und Gruppengröße sowie um offene wie verborgene Dynamiken im Wirkungskreis von Gruppennormen und -rollen.

Kapitel 3 (er-)klärt sehr differenziert und pointiert die zentralen Aufgaben und Funktionen einer*s Moderator*in für einen zielorientierten und geordneten Austausch in Gruppenarbeitskontexten. Dies impliziert, hier nur spotartig wiedergegeben, etwa die Klärung spezifischer Gruppenregeln, die Verantwortlichkeit für die übergreifende Handlungsorientierung oder auch für eine konstruktive Kommunikationskultur. Und natürlich müssen gute Moderator*innen sehr kompetent sein, wenn es um das Herstellen eines Gruppenkonsenses geht. Nicht zuletzt dazu gibt das Kapitel gute Tipps zur Umsetzung, ebenso wie folgend auch für Feedback- und Kritikschleifen. Und dann gibt es da noch die besonderen Herausforderungen für Moderator*innen: lähmende, störende, provozierende Situationen und mögliche Reaktionen auf diese.

Kapitel 4 befasst sich mit der sogenannten Gruppendynamik, dies natürlich nicht umfassend, sondern im spezifischen Interesse des Buches. Es geht um die Bildung einer informellen, wenn man so will natürlichen Gruppe als wesentliche Bedingung für deren Funktionsfähigkeit und es geht um kontextuell hindernde Effekte, etwa Abhängigkeiten, ungewollte Kleingruppenbildung oder auch konkurrierende Motive. Und natürlich finden sich, wie im Grunde überall im Buch, auch hier zielführende Tipps für die (An-)Leitung.

Kapitel 5 bildet nun die Schnittstelle zwischen den grundlegenden Informationen und dem wirklich umfassenden, sehr konkreten Methodenteil, für den es als Einführung und Gebrauchsanweisung dient. 

Jede Methodenbeschreibung bietet gleich zu Beginn eine Übersichtstabelle, die auf einen Blick Auskunft über deren Dauer, Teilnehmerzahl, Interaktionsgrad, notwendiges Maß an Vorerfahrungen und Spaß- beziehungsweise Ernstfaktor gibt. Des Weiteren finden sich Materialhinweise, Informationen zur konkreten Zielintention, eine Kurzübersicht und eine ausführlichere, aber nicht ausufernde Beschreibung.

Vielerorts gibt es auch noch Netzdiagramme, die neben dem zentralen Einsatzfeld der jeweiligen Methode noch weitere Einsatzmöglichkeiten definieren.

Die insgesamt über 70 Methoden sind thematisch zu Kapiteln zusammengefasst, deren Anordnung sich „… am zeitlichen Verlauf von Workshops und Seminaren [orientiert]“ (12).

Dass es damit in Kapitel 6 zunächst um die Bildung der Gruppe, um das gegenseitige Kennenlernen, um die Aufteilung von Groß- in Kleingruppen, um das Festlegen von Reihenfolgen, um Feedback, aber auch um Motivierung, Auflockerung und mehr geht, ist konsequent. Im Fokus stehen die „Hardware-Bedingungen“, die lösungsorientiertes Arbeiten fördern oder auch erst ermöglichen.

Im Interesse des Kapitels 7 steht das kreative Suchen und Finden von Ideen. Es gibt vielfältige Anregungen zum Füllen des Ideenspeichers, ebenso wie zu dessen deduktiver und fokussierter Eingrenzung auf das letztendlich Relevante. Natürlich beinhaltet das auch das Suchen und Finden von Lösungen.

Und das leitet über zu Kapitel 8 und den dort vorgestellten Methoden, die bei der Erstellung umfassender und detaillierter Praxiskonzepte und Lösungsansätze unterstützen. Anregungen zur Überwindung gedanklicher Blockaden, zur Bewertung, Priorisierung und Auswahl von Ideen stehen hier neben Möglichkeiten der Weiterentwicklung schon vorhandener Entwürfe.

Kapitel 9 befasst sich mit dem gemeinsamen, synergetischen Lernen in Gruppen, vielleicht in Seminaren, in Fort- und Weiterbildungskontexten. Detaillierter geht es damit einerseits um das Zusammenfassen, Verinnerlichen und Vervollständigen von bereits Gelerntem und andererseits natürlich um dessen Neuerwerb.

Kapitel 10 richtet sich schwerpunktmäßig an Lehrende und Vortragende. Es bietet Techniken, Methoden, Verfahren, die bei der Vorbereitung und beim Halten von Vorträgen unterstützen. Selbstredend finden sich hier, dem Rahmenthema des Buches angemessen, auch Möglichkeiten, die Gruppe der Zuhörer*innen aktivierend in das Vortragsgeschehen einzubinden.

Kapitel 11 stellt drei sogenannte Meta-Methoden vor, Strategien einer kreativen Verkettung einzelner Verfahren zu einer größeren Struktur, zu Konzepten, Curricula und ähnlichem.

Das abschließende Kapitel 12 steht thematisch vielleicht etwas quer zu den bisherigen Methodenkapiteln. Aber es greift noch einmal einen für Gruppenarbeit gleichermaßen zentralen wie/weil motivationalen Aspekt auf: das Warum und Wie von Belohnung und Anerkennung für gezeigtes Engagement und erbrachte Leistung.

Diskussion

Wie schon oben beschrieben, liegt in der Gruppenarbeit großes Potenzial. Aber sie ist eben kein Selbstläufer. Konkret bedeutet das, dass Menschen rein anlagebedingt auf andere Menschen reagieren, zwangsläufig und unausweichlich. Aber leider steht nirgendwo verbrieft, dass sie das auf konstruktive, kooperative und wohlwollende Art und Weise tun. Viele Variablen, nicht zuletzt auch aus dem Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen, moderieren den sach- beziehungsweise themenbezogenen Gruppenarbeitsprozess. Damit Gruppenarbeit im guten Sinne funktioniert, kann man hoffen, nämlich darauf, dass trotz oder, hier vielleicht besser, wegen der grundsätzlich positiven Diversität der Teilnehmer*innen das schon irgendwie klappen wird. Oder man hilft etwas mit.

Das hier vorgestellte Buch tritt nicht an, um gruppendynamische Wirkungen und Effekte zu hinterfragen und die Leser*innen diesbezüglich theoretisch aufzustellen. Das will es nicht und das tut es auch nicht. Die in den Kapiteln eins bis vier beschriebenen Grundlagen und Wirkzusammenhänge stehen allesamt an der Schwelle des konkreten, praktischen Einsatzes der vielfältigen Methoden und Verfahren. Das hier vorgestellte Buch ist ein sehr praktisches für Praktiker*innen in der Arbeit mit Gruppen. Es bietet eine sehr große Auswahl an direkt einsetzbaren Methoden, die Gruppen bei der konkreten Erledigung ihrer jeweiligen Aufgaben unterstützen sollen.

Das Ganze ist dabei sehr übersichtlich und sachlogisch gegliedert. Das eröffnet einerseits die Möglichkeit, sich zur grundlegenden Orientierung und aus Interesse von vorne bis hinten durch das Buch durchzuarbeiten, als auch situations- und themenbezogen an jeder Stelle des Buches quereinzusteigen und sich das herauszupicken, was gerade brauchbar erscheint. Wie auch immer, es werden sich so oder so keine Verständnisprobleme ergeben, weder bezüglich der Methoden selbst, die sehr gut nachvollziehbar, klar und einfach erklärt werden, noch bezüglich der Formulierung. Das darf natürlich auch erwartet werden, weil genau dies erklärtes Ziel des Buches ist, aber es ist deshalb noch lange nicht selbstverständlich.

Die Autoren bitten am Rande, aber nicht marginal, die Leser*innen um weitere Methoden und Ideen für künftige Auflagen. Das ist zielführend wie sympathisch. Und es liefert Perspektiven für Gruppenarbeitssettings im virtuellen Raum, für den das bislang vorliegende Werk noch wenige Möglichkeiten eröffnet.

Abschließend soll vielleicht auch noch auf die Möglichkeit des Genderns für künftige Auflagen hingewiesen werden: Leiterinnen, Moderatorinnen und Teilnehmerinnen sind definitiv keine exotischen Wortstilblüten, sondern sprachlich höchstintegriert.

Fazit

Dieses Buch findet a) Gruppenarbeit gut. Es möchte daher b) Gruppenarbeit in Workshops, in Teams, in Seminaren und Projekten mit kreativen, motivierenden und strukturierenden Methoden unterstützen, bereichern und empowern. Dazu bietet es c) eine große Auswahl an vielfältigen und gut beschriebenen Methoden. Da die Intention des Buches somit ebenso eindeutig wie unkompliziert ist, soll d) auch dieses abschließende Fazit entsprechend ausfallen: Sehr brauchbar und empfehlenswert! [… gibt es eigentlich schon eine „a-b-c-d-Methode“ ;-) ?]

Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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Es gibt 13 Rezensionen von Martin Zauner.

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Zitiervorschlag
Martin Zauner. Rezension vom 26.05.2021 zu: Martin Baumann, Christoph Gordalla: Gruppenarbeit. Methoden - Techniken - Anwendungen. UTB (Stuttgart) 2020. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-8252-5274-8. Reihe: UTB - 4223. Schlüsselkompetenzen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27195.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.


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