Frank Weidner, Andreas Wittrahm (Hrsg.): Kompetenzerhalt und soziale Teilhabe im hohen Alter
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 18.08.2020

Frank Weidner, Andreas Wittrahm (Hrsg.): PAKT. Kompetenzerhalt und soziale Teilhabe im hohen Alter durch PAKT - Präventives Alltags-Kompetenz-Training. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2020. 162 Seiten. ISBN 978-3-7841-3206-8. 25,00 EUR.
Entstehungshintergrund und Thema
Der Band wird von Prof. Dr. Frank Weidner und Prof. Dr. Andreas Wittrahm im Auftrag des Caritasverbandes für das Bistum Aachen (DiCV) herausgegeben. Er enthält die Auswertung eines dreijährigen Modellprojekts zur präventiven Gesundheitsförderung von Senior/​innen in ihrer Häuslichkeit, um einen Beitrag zu einem guten Leben im Alter zu leisten und Inspirationen für Wohlfahrtspflege, Kommunen und soziale Dienste zu geben.
Herausgeber
Frank Weidner ist Lehrstuhlinhaber Pflegewissenschaft in der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) und deren Prorektor. Er ist Institutsdirektor und Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) (www.dip.de). Frank Weidner hat die Leitung der Abteilung Prävention, Beratung und neue Technologien am DIP, das seit der Gründung im Jahre 2000 mehr als 150 Projekte akquiriert und bearbeitet hat.
Andreas Wittrahm ist seit 2011 Honorarprofessor für Pädagogische Psychologie an der KatHo NRW, Abteilung Köln und seit 2008 Bereichsleiter „Facharbeit und Sozialpolitik“ im DiCV im Bistum Aachen.
Als Autorinnen haben ferner mitgewirkt: Christina Weber, wissenschaftliche Mitarbeiterin im DIP, und Miriam Aldenhoven, Fachreferentin beim DiCV im Bistum Aachen e.V.
Aufbau
Der Band beginnt mit einem „Geleitwort“ (S. 9–11) des Diözesancaritasdirektors Burkard Schröders an die Leser/​innen, in dem er das Anliegen des Modellprojekts darlegt und sich dafür verbürgt, mit seinem Verband die „Sicherung des guten Lebens im Alter“ (S. 11) gemäß den vorliegenden Ergebnissen weiter politisch einzufordern.
In der „Einführung der Herausgeber“ (S. 12–16) erläutern Frank Weidner und Andreas Wittrahm den aus langjähriger Erfahrung in stationärer und ambulanter Langzeitpflege entstandenen Wunsch und Bedarf nach einer frühen und wohnortnahen Unterstützung von Senior/​innen. Die aus anderen Projekten gewonnenen Erkenntnisse über präventive Hausbesuche sowie die Erkenntnis von Kommunen, die Bedürfnisse der in ihrem Gebiet alternden Zielgruppe zu berücksichtigen, haben die Idee zu PAKT reifen lassen und die Suche nach einer Finanzierung inklusive der zahlreichen Realisierungsschritte getragen. Weidner und Wittrahm bedanken sich bei den Projektbeteiligten, Finanziers und Beiratsmitgliedern.
Der PAKT-Ergebnisband gliedert sich in drei Abschnitte:
- Grundlage,
- das Projekt und
- Durchführung.
Von Seite 124 bis 130 ist die Literatur zu finden. Der Anhang (S. 132–158) umfasst den „Einschätzungsbogen der Lebenssituation und der BST bezogenen Bedarfe“, Übersichten zu Unterstützungsleistungen aus dem persönlichen Umfeld und von Dienstleistern in Teil 1 und spezifische Informationen zu „Gesundheit“ (körperliche Beweglichkeit, Essen und Trinken), „Mein Zuhause“ (Wohnraum, Wohnraumanpassung), „Meine Aktivitäten“ (persönliche, gesellschaftliche, Mobilität) in Teil 2. „Die Autorinnen und Autoren“ werden auf Seite 158 kurz vorgestellt.
Inhalt
Abschnitt I. Die Grundlage (S. 17–35) besteht aus zwei Beiträgen.
In Kapitel 1 „Für ein gutes Leben im hohen Alter“ beschreibt Wittrahm die gerontologischen Grundlagen und anthropologischen Ziele des PAKT-Projekts. Ausgehend von einer Gesellschaft des langen Lebens, sind Wege zu finden, wie das höhere und hohe Alter möglichst lange selbstbestimmt gestaltet werden kann. Um diesem Ziel näher zu kommen, braucht es eine Vorgehensweise, die in der Häuslichkeit der Menschen ansetzt und individuelle Verhaltens- wie verhältnispräventive Interventionen gleichermaßen adressiert. Auf der Basis eines existierenden Programms zur individuellen „Passung von persönlicher Lage und Gestaltung der Umwelt“ (S. 21), wurde ein neues Angebot zur Vorsorge kreiert, das die Interaktion zwischen Menschen im dritten und vierten Lebensalter und einer Fachkraft in den Mittelpunkt einer Verhaltensprävention stellt. Ausgangspunkt ist der Mensch in seiner Häuslichkeit, die ihm einerseits Privatheit, Schutz und Vertrautheit verleiht, andererseits aber auch Barrieren enthält, mit den man sich stillschweigend arrangiert, um einen Umzug, der oft mit dem Verlassen des Sozialraums verbunden ist, solange wie möglich zu vermeiden. Deshalb wertschätzt das PAKT-Programm die individuellen Wissens- und Überzeugungssysteme und nutzt sie als Entwicklungspotenziale für individuell abgestimmte Interventionen, weswegen es auch als „gerontologisch fundiertes Bildungskonzept“ (S. 24) verstanden werden kann. Das auf den Erfahrungsraum bezogene Lernen mit der Fachkraft erzeugt nur so viel Diskrepanz, wie von den Senior/​innen toleriert werden kann, bietet und lässt Zeit für Umsetzung und Training. Wenn es den Adressat/​innen gelingt, im Dialog eine Zielsetzung zu entwickeln, die den Erhalt des selbstständigen Lebens mit Hilfe von Information, Beratung, Schulung und Training (BST) sichern kann, so ist zu erwarten, dass die Teilnehmenden und auch die Gesellschaft einen Nutzen erlangen.
In Kapitel 2 „Vom präventiven Hausbesuch zu PAKT“ skizziert Weidner, bekannte Resultate fortführend, „pflegewissenschaftliche Ansätze für neue sozialräumliche Angebote“ (S. 27). Eine zentrale Erkenntnis liegt darin, die Pflege aus der Position des Endglieds in der „gesundheitsbezogenen Versorgungskette“ (S. 28) zu befreien und sie in alle Gesundheitsstrategien von der Prävention, Kuration, Rehabilitation, Kompensation bis zur Palliation zu integrieren. In der über 20-jährigen Forschungstätigkeit konnten mehr als 10.000 präventive Hausbesuche ausgewertet werden. Als Herausforderung ergibt sich eine am Einzelfall orientierte Abstimmung von Case- und Care-Management. Die Wirkungsforschung zu präventiven Hausbesuchen hat sich von medizinorientierten zu sozialraumorientierten Ansätzen gewandelt. Die zahlreichen Projekte lieferten ergänzend qualitativ erhobene Daten aus längeren Beobachtungszeiträumen. Die Studien entsprächen zwar noch nicht den von der Bundesvereinigung für Gesundheit 2005 entwickelten Vorgaben einer multizentrischen, randomisierten Vergleichsstudie, die Ergebnisse würden aber zusehends überzeugen, was der Einschätzung von Weidner zufolge u.a. auch in der Mitfinanzierung durch einen Krankenkassenverband zu erkennen sei. Die sozialräumliche Verankerung von Pflegeprävention sei auf das Zusammenwirken von fallbezogenem Assessment bei Einzelgesprächen und dem wohnortnahen Unterstützungsangebot angewiesen. Im Ausbau der Care-Struktur liege ein wichtiger Schritt, die im Siebten Altenbericht angesprochenen Disparitäten zwischen Ballungszentren und ländlichem Raum zu bereinigen. Im PAKT-Projekt wird im Anschluss an die Situationsbeurteilung und die Feststellung eines Bedarfs durch eine Fachkraft sofort mit der Intervention auf der persönlichen Ebene begonnen und, soweit vorhanden, auf Infrastruktur verwiesen. PAKT setzt im Unterschied zu Vorläuferprogrammen die Hilfen noch früher an.
Abschnitt II. Das Projekt (S. 37–107) umfasst vier, von Christina Weber und Miriam Aldenhoven verfasste Kapitel, in denen die Informationen von der Entstehung bis zum Nutzen für die Teilnehmenden enthalten sind. Unter der Trägerschaft und Koordination des DiCV im Bistum Aachen und wissenschaftlich begleitet vom DIP wurde das auf 36 Monate angelegte PAKT-Projekt von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW gefördert. Die Konzeptionsphase belief sich auf 11, die Durchführungsphase auf 18 und die Auswertungsphase auf 7 Monate. Angedacht war, bei einem Hausbesuch in einem Erstgespräch ein Assessment mit den Senior/​innen durchzuführen und daraufhin zu Themenfeldern Beratungs-, Schulungs- und Trainingsangebote (BST) zu machen.
Die Konzeption sah vor, ca. 120 Senior/​innen zu erreichen, die noch selbstständig in ihrer Häuslichkeit leben bzw. bei denen sich nur eine leichte Einschränkung der Alltagskompetenz abzeichnet, die aber den Wunsch nach dem Erhalt der Alltagsgestaltung zeigen. Der Zugang zur Zielgruppe fand über Multiplikatoren und Öffentlichkeitsarbeit statt, wobei sich die Senior/​innen aktiv melden mussten und erst danach besucht wurden. Die PAKT-Interventionen zur Stabilisierung bzw. Wiederherstellung von Alltagskompetenz zielten auf die Selbstwirksamkeit und die häusliche Umgebung gleichermaßen. Die mehrdimensionalen Wechselwirkungen wurden drei Modulen zugeordnet: „Meine Gesundheit“ (medizinisch-therapeutisch und pflegerische Versorgung, Beweglichkeit, Essen und Trinken), „Mein Zuhause“ (hauswirtschaftliche Versorgung, Einrichtung des Wohnraums und Wohnraumanpassung) und „Meine Aktivitäten“ (persönliche und gesellschaftliche Aktivitäten sowie Mobilität). Das Informationsgespräch mit den Senior/​innen beinhaltet ein Assessment zu den genannten Themen. Darauf aufbauend wurde gemeinsam ein individuelles BST-Programm als Basismodul erstellt, welches individuell und bedarfsorientiert erweitert werden konnte. Begleitend zu den Einzelterminen waren Gruppenangebote geplant, die alle Teilmodule adressierten und neben der Wissensaneignung auch den sozialen Austausch fördern sollten. Um das BST-Konzept umsetzen zu können, benötigten die Fachkräfte, die aus der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Familienpflege rekrutiert wurden, eine Qualifizierung (16 Schulungstage á 6 Zeitstunden), die sich mit Rückgriff auf ein bereits am DIP bekanntes Curriculum in vier Module gliederte. Ferner erhielten die Fachkräfte Zeit für kollegialen Austausch und Supervision.
Das PAKT-Programm wurde in den drei Praxisregionen Stadt Aachen, zusammen mit dem Partner FAUNA e.V., dem Kreis Heinsberg, in Kooperation mit dem dortigen Caritasverband, und der Stadt Mönchengladbach mit dem Caritasverband der Region durchgeführt. In Aachen konzentrieren sich die adressierten Menschen eher in der Innenstadt, in Mönchengladbach auf das gesamte Stadtgebiet und mit dem Kreis Heinsberg war ein klassisches ländliches Gebiet beteiligt.
Die Durchführung begann mit der Besetzung der insgesamt sechs Halbtagsstellen, deren Schulung zum Assessment, den BST-Materialien und zu den Gruppenangeboten. Dabei kam die von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO) entwickelte MitMachBox zum Einsatz. Ferner mussten die Arbeitsbedingungen geklärt werden. Nach der Anwerbephase der Senior/​innen begann im Januar 2018 die Erprobung der Informationsgespräche bei den Hausbesuchen. Etliche Wochen später starteten die Gruppenangebote.
Die Ergebnisse werden detailliert präsentiert. 121 Senior/​innen konnten in den drei Regionen angeworben werden, bei denen von den 6 Fachkräften insgesamt 654 Hausbesuche durchgeführt wurden. Ca. ein Drittel der Senioren wurde für mindestens eines von 17 Gruppenangeboten motiviert. Die Altersspanne variierte sehr stark, im Durchschnitt waren die Teilnehmenden 80,6 Jahre alt und ca. 55 % wiesen keinen Pflegegrad auf. Zeitungsartikel und die Bekanntheit der Projektpartner inklusive deren Dienste erwiesen sich als gute Kombination bei den Zugangswegen, während die Homepage fast keine Wirkung entfaltete. Von den 121 für ein Erstgespräch akquirierten Personen haben 107 Senior/​innen in 413 Einzelterminen BST in Anspruch genommen. Besonders nachgefragt waren Beratung zu Pflege und Vorsorge, Gedächtnistraining und Bewegung, wobei viele Treffen mehrere Module abdeckten. Ein Termin dauerte im Mittel 70 bis 90 Minuten. Die Gruppenangebote wurden wegen der geringen Gruppengröße und des bestehenden Vertrauens zu den Fachkräften geschätzt. Sie enthielten durchwegs eine Kombination aus mehreren Modulen. Als Gründe für die Inanspruchnahme von PAKT äußerten die Teilnehmenden solche, die in der Person der Fachkraft oder in allgemeiner Neugier liegen, konkrete Fragen oder Ziele, ihre Einschränkungen, Lebensumstände oder einen Impuls von anderen. Vereinzelt haben die Fachkräfte die Fortsetzung der Teilnahme aufgrund kognitiver Einschränkungen beendet. Ansonsten wurden das befriedigte Informationsbedürfnis bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. die Nicht-Erreichbarkeit des Gruppenangebots als Gründe für einen Ausstieg genannt. Als Nutzen für die Senior/​innen kann nach deren Äußerungen die gelungene Sensibilisierung für eine alltagsintegrierte Prävention und gedankliche Auseinandersetzung mit der Alltagsgestaltung sowie der Veränderung des häuslichen Umfelds und ferner die häusliche und außerhäusliche Aktivierung und soziale Teilhabe gesehen werden. Für die Fachkräfte bedeutete die Teilnahme eine intensive Vorbereitung auf die modularisierten Themen, das Erlernen des Umgangs mit dem Assessmentinstrument, die intensive Dokumentationsarbeit und die Vorbereitung auf die Gruppenangebote. Da die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte unterschiedlich waren, mussten im Laufe des Projekts iterativ Anpassungen vorgenommen werden, d.h. die Verteilung der Arbeitszeiten, Terminierungen, Absprachen mit der Trägereinrichtung und organisatorische Belange, wie Verfügbarkeit von Büro und Räumen, mussten geregelt werden. Insgesamt nahmen die Fachkräfte eine zentrale Bedeutung für die Akzeptanz der Veränderung von Verhalten und Lebensumständen bei der Zielgruppe ein, denn die Senior/​innen schenkten ihnen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz Vertrauen.
Das Evaluationskonzept für das Projekt erfasste die Makro-, Meso- und Mikroebene in Aspekten von Machbarkeit, Praktikabilität, Akzeptanz, Wirksamkeit, Nachhaltigkeit und Verstetigung. Die Daten wurden aus Befragungen von Fachkräften, Projektteams, Projektleitungen, Kooperationspartnern und Senior/​innen, der Programmdokumentation, der Auswertung von Protokollen über Workshops und Prozessbegleitung sowie aus Fallbeispielen gespeist. Die Dokumentationsgrundlagen (Einschätzungs- und Programmplanungs- sowie -verlaufsbogen) wurden mit den Fachkräften entwickelt und situationsadäquat angepasst.
Abschnitt III. Schlussfolgerungen und Empfehlungen (S. 108–123) enthält zwei Kapitel, darunter die Stellungnahme des Beirates im Projekt PAKT und von den Herausgebern verfasste Schlussfolgerungen für die Praxis und Wissenschaft.
Der Projektbeirat setzte sich aus elf Vertreter/​innen von Wohlfahrtsverbänden, dem Land NRW, Kostenträgern, Kommen und Personen aus Wissenschaft und Praxis zusammen. Er tagte unter Einbezug von Repräsentant/​innen der Projektpartner, des Trägers und der Wissenschaft während der Laufzeit drei Mal. Die Stellungnahme begrüßt, dass die adressierte Zielgruppe zielgenau angesprochen und in ihrem Sozialraum erreicht werden konnte. Mit Bezug zu den Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz entspreche PAKT dem Ansatz einer primär- und sekundärpräventiven Gesundheitsförderung unter Partizipation der Betroffenen zur Förderung eines gesunden Lebensstils, der Erhaltung von Selbstständigkeit und sozialer Teilhabe. Angesichts weiterer Resultate aus der Implementierung kommunaler Sorgepolitik aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg befürwortet der Beirat eine Weiterentwicklung von PAKT, um die sozialräumliche formale wie informelle Hilfestruktur passgenau auszugestalten.
Nach Ansicht der Verfasser der Schlussfolgerungen geben die Erkenntnisse des Projekts, nämlich die breite Akzeptanz und Wirksamkeit des BST-Angebots für die Zielgruppe derjenigen, die mit einer Basisinformation zurechtkommen und derjenigen, die mit intensiver Beratung zu einer aktiven Altersgestaltung reaktiviert wurden, die Kombination aus Beziehungsaufbau, Gewinnung für Gruppenangebote und Vernetzung sowie der gewonnene Grad an Informiertheit, Sensibilisierung und Mobilisierung der Senior/​innen, Anlass für drei Konsequenzen. Die erste Empfehlung lautet, die Teilhabe der Senior/​innen im Rahmen von ambulanter Unterstützung zu stärken, sie zu „'Ko-produzenten' des Wohlergehens“ (S. 116) zu machen und Pflegeberatung in Pflegestützpunkten nicht erst anzusetzen, wenn bereits ein Pflegegrad vorhanden ist. Die zweite Empfehlung richtet sich an die Wohlfahrtsverbände als Träger der Dienste und sozialpolitische Akteure, die ihre Angebote an die Anforderungen der Klientel adaptieren und ihr Bild vom Alter überdenken sollen. Um soziale Dienste zu innovieren, braucht es auch Refinanzierungsoptionen im SGB XI, hier insbesondere eine Ausdehnung der Förderung präventiver Maßnahmen im ambulanten Bereich, und im SGB V die Integration von Einzelberatung in die Förderung von Gesundheit und Prävention nach § 20a zum individuellen Beziehungsaufbau, um die Teilnahme an Gruppenangeboten überhaupt erst anzustoßen. Die Forderung an die Wissenschaft beinhaltet, sich dem von Unsicherheiten begleiteten Übergang in eine mit Vulnerabilität verbundene Altersphase verstärkt in Form einer entwicklungsorientierten Beratung zuzuwenden und die bisherigen pflegewissenschaftlichen Ergebnisse zur Wirksamkeit von präventiven Hausbesuchen um eine staatlich gewährleistete evidenzbasierte Interventionsforschung zu ergänzen.
Diskussion
Der Ergebnisband gibt Einblick in ein spannendes gesundheitspräventives und die Lebensqualität verbesserndes Projekt, das mit den Evaluationsergebnissen eine Lücke schließen kann zwischen dem eruierten Bedarf zur Versorgung in der Häuslichkeit und einer möglichen Realisierung mit Hilfe der BST-Module. Sehr positiv zu erwähnen sind der konzeptionelle Anschluss an bereits bekannte Fakten zu den präventiven Hausbesuchen, die im DIP angesiedelt sind, und die Verankerung bei einem Wohlfahrtsverband, von dem als sozialpolitischer Akteur zu erwarten ist, die Verankerung im Leistungskatalog der Kranken- und Pflegekassen zu verfolgen. Zu bedauern ist, dass bei vorhandenem Bewusstsein um die Notwendigkeit einer großangelegten Wirksamkeitsstudie, wie dies von der Bundesvereinigung für Gesundheit gefordert wird, die entsprechende Forschung jedoch – trotz vorhandenem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG) – nicht finanziert wird, d.h. die Evidenzbasierung weiterhin über punktuelle und kleine Projekte erbracht werden muss – aber das ist weder den Verfassern noch dem Projektträger anzulasten. Das PAKT-Programm verdeutlicht zudem, wie wichtig es ist, den betroffenen Menschen, sobald sie ihre Bereitschaft signalisieren, sich auf Information und Beratung einzulassen, Zeit zu geben, die Vorschläge zu sondieren, sie zu prüfen, schrittweise zu akzeptieren und in die Denkschemata und die Lebenspraxis zu realisieren. Die graduellen Interventionen sind leichter zu verkraften, wenn eine kompetente Person als vertrauenswürdig erlebt wird, weil sie nicht dazu da ist, umzusetzen, was wider Willen aufoktroyiert (oder hinter dem Rücken mit Familienangehörigen vereinbart) wurde. Insofern geben die Resultate auch Anlass, das Bild von vulnerablen Menschen zu überdenken und angesichts der hohen Zustimmung, die Information, Beratung und Training bei PAKT erfahren haben, schockiert zu sein, wie häufig in Sozialer Arbeit und Pflege der Wille von Betroffenen noch ignoriert wird. Die in der Umsetzung oft als schwierig erachtete Orientierung am Sozialraum hat sich, soweit dies im Projekt intendiert war, bewährt. Sie hat die Qualität der sozialen Dienste nicht geschmälert, was gerne als Kritik gegen diesen Zugang vorgebracht wird. Es wird Zeit, dass „Frühe Hilfen“ nicht nur bei der Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung selbstverständlich werden, sondern auch installiert werden, wenn es um die Unterstützung bei der Gestaltung des Wohlbefindens im Alter geht. Auch hier geht es um die Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots, bisher aber ohne gesetzliche Regelung.
Fazit
Von der Lektüre des Projektabschlussberichts können alle in den Gesundheitsstrategien involvierten Berufsgruppen, kommunalpolitisch engagierte Menschen, in Kommunalverwaltungen und sozialen Diensten Beschäftigte und Studierende in sozialarbeits- und pflegewissenschaftlichen Disziplinen profitieren. Für Letztere ist der Band ein Beispiel, wie auf Grundlage empirischer Erkenntnisse zum Wohl der Lebensqualität neue soziale Dienste entwickelt, implementiert und evaluiert werden. Außerdem kann mit ihm exemplifiziert werden, dass erst sozial- und pflegepolitisches Engagement auch zu Regelleistungen führt.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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