Brigitta Blinkert, Kerstin Lange et al.: Natürlich draußen
Rezensiert von Monika Pietsch, 21.01.2021

Brigitta Blinkert, Kerstin Lange, Jana Seidel-Burger: Natürlich draußen. Mit den Jüngsten im Naturraum unterwegs. verlag das netz GmbH (Kiliansroda) 2020. 120 Seiten. ISBN 978-3-86892-158-8. D: 22,90 EUR, A: 23,60 EUR.
Thema
Dem Aufenthalt draußen mit den 1-3-jährigen Kindern, den Jüngsten im Kindergartenalter, stehen viele skeptisch gegenüber. Die Fähigkeiten der Jüngsten werden dabei häufig unterschätzt, die Gefahren überschätzt. Mit diesem Buch wollen die Autorinnen Antworten auf vielgestellte Fragen geben und Mut machen.
AutorInnen
- Brigitta Blinkert, Pädagogin, Autorin, Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen, bietet Seminare, Workshops Beratungen als Natur- und Draußenpädagogin an.
- Kerstin Lange, Dipl. Sozialpädagogin, ausgebildete Atelier- und Werkstattpädagogin, hat den Verein Waldkinder e.V. mit aufgebaut und arbeitet dort seit vielen Jahren als pädagogische Fachkraft.
- Jana Seidel- Burger, Dipl. Forstwirtin und ausgebildete Atelier- und Werkstattpädagogin, arbeitet seit vielen Jahren als Naturpädagogin für Waldkinder e.V.
Entstehungshintergrund
Anfang der 90er Jahre wurden Waldkindergärten immer beliebter: ein Kindergarten ohne feste Räume, vorrangig mit Spielmaterial aus der Natur, den Jahreszeiten „ausgeliefert“ und verbunden, mit einem schützendem Raum in erreichbarer Nähe. Die Werkstatt- und Naturpädagogik hat diese Aspekte aufgegriffen und für traditionelle Kindergärten nutzbar gemacht.
Aufbau und Inhalt
Jedes Kapitel beginnt mit einer Fotoreihe und einer kurzen Sequenz zum jeweiligen Thema. Inhaltliche Grundlagen und organisatorische Themen für die Natur- und Waldtage werden anschließend besprochen.
Dem Lernen der Jüngsten auf der Spur
Beim Aufenthalt in der Natur ergeben sich viele Vorteile:
- die ErzieherInnen sind nicht abgelenkt, sondern fokussiert auf das aktuelle Geschehen.
- Sie haben Zeit und Gelegenheit die Kinder zu beobachten, Spielschema zu entdecken.
- Die Kinder sind ohne weiteren Einfluss und können sich nach Interesse, Entwicklung, Lust und Laune mit Dingen beschäftigen.
- Alle Natur- Spielmaterialien sind bereit, nichts muss aufgeräumt werden.
Angelehnt an die Schemata- Theorie lernen Kinder durch eigenes Handeln und Experimentieren und leiten Prozesse davon ab. Dies gilt auch für die Jüngsten. In der Natur erlebt man die Kinder mit Ernsthaftigkeit und Ausdauer beim Spiel.
Das ist mein Raum
Fotoreihe: Auch im Wald spielen Kinder mit Seilen, Zweigen, Gras. Sie stecken damit Grenzen und Räume ab, schaffen ihren persönlichen Schutzraum. Kinder entdecken ausserdem eine magische Welt der Pflanzen und Insekten.
Thema „Ich sehe dich. Brauchst du mich?“: Die drei Autorinnen beschreiben ihren persönlichen Weg zu den Naturtagen.
Thema „Gefahr oder Wagnis?“: Die ErzieherInnen kennen sich in ihrem ausgewählten Naturumfeld gut aus. Das gibt ErzieherInnen und Kindern Sicherheit, sodass sie sich frei bewegen können. Der Aufenthalt draußen birgt aber auch Wagnisse, wie rutschige Hügel, Baumwurzeln etc. Diese Hindernisse ermöglichen balancieren, sich wahrzunehmen oder risikoreiche Situationen einzuschätzen. Dazu gehören im Ergebnis auch dreckige Kleidung, Schrammen und blaue Flecken.
Die Erde trägt mich
Fotoreihe: Vielfältige Bewegungen sind möglich z.B. Kullern, Schwingen, Balancieren, Klettern oder auch Stürze.
Thema „Kleidung“: Kleidung in verschiedenen Lagen wird bevorzugt, das sogenannte Zwiebelprinzip.
Thema „Rituale“: Sie schaffen Sicherheit und Struktur: ein Begrüßungskreis, das Essen herumreichen, eine Decke mit Büchern, das Abschlussgespräch…
Abschließend kommen ErzieherInnen aus der Praxis zu Wort. Sie berichten über ihre persönlichen Erlebnisse bei Wald- oder Naturtagen, aber auch welche Überzeugungsarbeit bei Eltern, KollegInnen und anderem Personal nötig war, um damit zu beginnen.
Seht ihr mich?
Fotoreihe: Die Kinder verstecken sich hinter Bäumen oder Blättern: Wenn ich weg gehe, bin ich dann noch dabei? Seht ihr mich, wenn ich euch nicht sehe?
Thema „Essen im Wald“: für die verschiedenen Mahlzeiten werden Vorschläge gemacht, auch das abschließende Händewaschen kommt nicht zu kurz.
Passt das?
Fotoreihe: Kinder experimentieren: „Passt das rein?“ Stöcke werden in verschiedene Behälter gesteckt; „Wie weit geht das?“ Arme und Stöcke werden in Hohlräume gesteckt; „Was geht ab?“ Rinde wird abgeschält; „Dazwischen sein“ zwischen Baumstämme rutschen oder zwischen Ästen stehen; „Was ist drin?“ Hohlräume erforschen; „Was bleibt Stecken?“ Äste in Matsch oder Schlitze stecken.
Thema „Wickeln im Wald“: praxiserprobte Tipps zeigen, wie es geht und was mit in den Wald muss: Einweghandschuhe, Desinfektionsmittel für die Hände, Mülltüten, Ersatzwindeln, Feuchttücher.
Drunter und drüber
Fotoreihe: Die Kinder klettern über Baumstämme oder Seile und durch Röhren, helfen sich gegenseitig hinauf, verstecken sich.
Thema „Bollerwagen oder Rucksack“: es wird eine Liste sinnvoller Materialien für den Wald aufgestellt. Ein Vormittag mit den Freiburger Waldkindern e.V. wird beschrieben. Auf dem Weg in die Natur entwickeln sich verschiedene Tätigkeiten: Äste werden vom Weg gezogen, weil sie den Weg blockieren, Schnecken und Regenwürmer gefunden und herumgegeben. So sieht der Alltag im Wald aus.
Alle da?
Fotoreihe: Kinder wickeln etwas ein und es wird unsichtbar. Sie wickeln es aus und es ist wieder da.
Aktionstipps: Lupensafari, Lupenglas, Regenwurm, Schnecken, Insekten. Nicht das große Erlebnis ist nötig, sondern altersgerechte, einfache Abenteuer, die auf dem Weg liegen.
Das ist meine Spur
Fotoreihe: Kinder ziehen mit Stöcken, Kreide oder Steinen Linien oder legen Stapel an.
Thema „Was wirklich zählt“: Die eigene Begeisterung ist eine wichtige Voraussetzung für gelungene Waldtage. ErzieherInnen werden zu „ErmöglicherInnen“, die sich zurückhalten, den Weg kennen und einen sicheren Platz finden, die die Kinder beobachten und unterstützen, wenn nötig. Die Kinder bekommen nach und nach einen genaueren Blick für ihr Umfeld und entdecken Neues.
Thema „Das Team ins Boot holen“: Für die Durchführung und den Erfolg braucht es die Unterstützung der Eltern und KollegInnen. Zur Vorbereitung der Natur- und Waldtage gehört auch die Kontaktaufnahme mit dem Förster, Begehung des Platzes, Abschluss von Versicherungen usw.
Ich bin stark!
Fotoreihe: Kinder schleppen Baumstämme herum, Zapfen werden gesammelt, Eimer mit Material gefüllt und getragen.
Aktionstipp: Aus gefärbtem Quarzsand und Erdpigmente kann „Feenstaub“ hergestellt werden und damit wird der Rastplatz verschönert. Kreativ werden kann man auch mit Matsch und Lehm. Nach den nächsten Regengüssen ist alles wieder verschwunden.
Ich blicke durch
Fotoreihe: Kinder gucken durch Äste, sehen von einem Baum herab, schauen durch Blätter hindurch oder durch ein Kameraobjektiv; sie nehmen verschiedene Blickwinkel ein.
Aktionstipps: Mit einem Stethoskop dem Puls des Baums lauschen oder Löwenzahn zum Pusten, Essen oder Färben entdecken; aus Holunderzweigen Ketten auffädeln, Fingerspiele mit Kehrreimen verbinden.
Anhang
Im Anhang werden noch einmal kurz folgende Aspekte beschrieben: Regeln, Gefahren, Zecken, Fuchsbandwurm, Pflanzen, Pilze, Wetter, Feuer, Müll und viele Literaturtipps.
Diskussion
Das Buch macht schon beim Durchblättern Spass und Freude. Es ist informativ in kurzen prägnanten Abschnitten. Die wichtigen Themen werden kurzweilig und praxisnah dargestellt. Den kritischen Stimmen, die Sicherheit, Hygiene, Gesundheit und Bildung in den Vordergrund stellen wollen, wird der Wind aus den Segeln genommen. Gerade diese Aspekte sind schlüssig und praxisnah beschrieben. Die vielfältigen Fotos sind sehr ausdrucksstark und weniger Illustration als vielmehr Ideenpool. Doch möglicherweise ist der Aspekt „Begeisterung zu wecken“ noch wichtiger als alle Information.
Fazit
Pädagogisch Verantwortlichen, ErzieherInnen und Eltern ist dieses Buch zu empfehlen, um sich inspirieren zu lassen und noch mehr Kindern die Gelegenheit zu geben, sich selbst in der Natur zu erproben und sie kennenzulernen. Für die Vision „wir können nur das schützen, was wir kennen“, sind Natur- und Waldtage und Waldkindergärten auf jeden Fall neben der Persönlichkeitsbildung ein wichtiger Start für Umweltbildung und Naturschutz.
Rezension von
Monika Pietsch
Training und Konstruktives Lernen
selbständige Trainerin und Beraterin, Schwerpunkt: Team- und Führungskompetenzen mit den Methoden des konstruktiven Lernens
Website
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