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Renate Bieritz-Harder, Wolfgang Conradis et al.: Sozialgesetzbuch XII

Rezensiert von Dr. iur. Marcus Kreutz, 18.01.2022

Cover Renate Bieritz-Harder, Wolfgang Conradis et al.: Sozialgesetzbuch XII ISBN 978-3-8487-6359-7

Renate Bieritz-Harder, Wolfgang Conradis, Stephan Thie: Sozialgesetzbuch XII. Sozialhilfe. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2020. 12. Auflage. 1594 Seiten. ISBN 978-3-8487-6359-7. 75,00 EUR.

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Sozialhilfe als Einräumung von Chancen und Teilhabe

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag den Willen kundgetan, dass die Sozialhilfe einer grundlegenden Reform unterzogen wird. Hubertus Heil als neuer Bundesminister für Arbeit und Soziales, der bereits in der letzten Legislaturperiode dieses Amt innehatte, hat direkt nach seiner Vereidigung verlautbart, dass eine „große Sozialreform“ zu erwarten sei, welches ein neues Bürgergeld sowie einen grundlegenden Kurswechsel beim sog. Hartz IV bringen soll. Die Vorstellung des hier anzuzeigenden Buches dürfte daher bereits bald überholt sein, da im Falle eine Realisierung dieser Vorhaben ohnehin eine Neuauflage des Werkes anstehen dürfte. Gleichwohl soll das Werk von Bieritz-Harder, Conradis und Thie, den Herausgebern und Mitautoren des SGB-XII-Kommentars, hier vorgestellt werden, da es wegen seiner inhaltlichen Tiefe, argumentativen Ausgewogenheit und sprachlicher Prägnanz – so viel sei bereits jetzt vorweggenommen – ein herausragendes Beispiel für einen praxisnahen und dennoch wissenschaftlich fundierten Werkes darstellt.

Die Autoren

Ein nahezu 1600 Seiten umfassender Kommentar kann naturgemäß nicht von einem Autor alleine bearbeitet werden. Daher nimmt es kein Wunder, dass das vorliegende Werk eine Gemeinschaftsarbeit ist. Die Verfasser sind allesamt ausgewiesene Kenner der Materie. Im Einzelnen haben an dem Werk folgende Personen mitgearbeitet:

  • Christian Armborst, Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie i.R., Hildesheim,
  • Professor Dr. Uwe-Dietmar Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig,
  • Professor Dr. Renate Bieritz-Harder, Hochschule Emden/Leer,
  • Professor Dr. Ulrich-Arthur Birk, em. Hochschullehrer, Universität Bamberg, Rechtsanwalt,
  • Professor Dr. Arne von Boetticher, Fachhochschule Potsdam,
  • Dr. Wolfgang Conradis, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Duisburg,
  • Udo Geiger, Richter am Sozialgericht Berlin,
  • Professor Dr. Carsten Homann, Hochschule RheinMain, Wiesbaden,
  • Professor Dr. Anne Lenze, Hochschule Darmstadt,
  • Professor Dr. Ingo Palsherm, Technische Hochschule Nürnberg,
  • Professor Dr. Johannes Münder, em. Universitätsprofessor, Technische Universität Berlin,
  • Professor Dr. Falk Roscher, Hochschule Esslingen,
  • Dietrich Schoch, Regierungsdirektor a.D., Duisburg,
  • Stephan Thie, Richter am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg und
  • Professor Dr. Stefan Treichel, Hochschule Emden/Leer.

Struktur des Werks

Bei dem Werk handelt es sich um einen klassischen juristischen Kommentar. Dem zunächst vorangestellten Gesetzestext eines jeden einzelnen Paragraphen des kommentierten Gesetzes folgt dessen Kommentierung. Das Auffinden der Fundstellen erfolgt über ein Randnummernsystem, welches der hergebrachten Kommentierungstechnik im Bereich der Jurisprudenz folgt. Den Text selbst durchziehen in fetter Schrift gesetzte wichtige einzelne Stichworte, sodass auch insofern eine Orientierung und ein Auffinden bestimmter Textstellen möglich sind. Ein Stichwortverzeichnis schließt das Werk ab.

Bewertungen einzelner Kommentierung

Wegen des Umfangs des Kommentars können hier nur einzelnen Kommentierungen einer kurzen Bewertung unterzogen werden.

Münder kommentiert u.a. § 5 SGB XII; der Bestimmungen zum Verhältnis der Freien Wohlfahrtspflege auf dem Feld der Sozialhilfe enthalten. Dabei beschäftigt er sich mit der äußert relevanten Frage, weshalb es zulässig ist, die Freie Wohlfahrtspflege rechtlich zu privilegieren (§ 5 Rn. 11 f.). Kirchen und die Religionsgemeinschaften leiten danach ihre Privilegierung aus ihrer verfassungsrechtlichen Stellung ab. Die Privilegierung der Freien Wohlfahrtspflege erklärt Münder zu recht mit historischen Gründen. Ausführlich beschäftigt sich der Autor aber vor allem mit der Frage, wie diese Privilegierung mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist (§ 5 Rn. 45 ff.). So sehr den dortigen Ausführungen die Zustimmung nicht versagt werden kann, so auffällig ist jedoch, dass Münder das historische Argument hier nicht auch in Bezug auf den Ausnahmetatbestand des Art. 107 Abs. 3 lit. d) AEUV fruchtbar macht und argumentiert, dass aufgrund der historischen Existenz der Freien Wohlfahrtspflege in dieser Tatsache eine Erscheinung der Kultur zu erblicken ist.

Bieritz-Harder beschäftigt sich bei ihrer Kommentierung des § 34 SGB XII (Bedarf für Bildung und Teilhabe) mit der Frage, ob die in § 34 Abs. 7 SGB XII genannte Höchstgrenze von 15,00 EUR monatlich für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft ausreichend ist. Im Rahmen ihrer Erläuterung kommt sie dabei zu dem richtigen Ergebnis, dass diese monatliche Höchstgrenze für Mitgliedsbeiträge, Unterricht auf kulturellem Gebiet und die Teilnahme an Freizeiten der in der Gesetzesbegründung formulierten Ziel „deutliche Grenzen setzt“ (Rn. 14). In dieser doch sehr zurückhaltenden Formulierung kommt gleichwohl Kritik an dieser geringen monatlich zur Verfügung stehenden Summe zum Ausdruck. Der Ort, sich mit solchen konkret im Gesetz niedergelegten Summen zu beschäftigen und kritisch auseinanderzusetzen – auch und gerade mit Blick auf soziokulturelle Unterschiede verschiedener Milieus und ihre Aktivitäten in verschiedenen Vereinstypen (z.B. Ruderclub vs. Fußballverein) sowie den damit verbundenen Chancen der Beziehungspflege und des Schließens von Freundschaften, die ebenfalls entscheidend für einen gesellschaftlichen Aufstieg sein können –, dürfte jedoch letztlich nicht ein Kommentar sein, sondern vielmehr besser in einem eigenen Fachaufsatz erörtert werden. Zuzustimmen ist Bieritz-Harder darin, dass es sich bei der Formulierung in § 34 Abs. 7 Satz 2 (können) nicht um eine Ermessensleistung, sondern um eine Anspruchsgrundlage handelt. Dazu verweist sie in der Fußnote 48 auf die Parallelnorm des § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB XII.

Fazit

Der große und beeindruckende Kommentar besticht durch eine klare Sprache, eine sehr ausführliche, abgewogene sowie die Rechtsprechung berücksichtigende Erläuterung des SGB XII und hat den Vorteil, diese Leistung in nur einem Band anzubieten, wobei besonders positiv hervorzuheben ist, dass im Zusammenhang mit der Kommentierung des § 28 SGB XII auch das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) von Lenze erläutert wird. Allen Entscheidungsträgern in den zuständigen Behörden, Rechts- und Fachanwälten für Sozialrecht, Sozialrichtern und Verantwortlichen in der Freien Wohlfahrtspflege ist die Anschaffung der aktuellen Auflage des Kommentars ans Herz zu legen.

Rezension von
Dr. iur. Marcus Kreutz
LL.M., Rechtsanwalt. Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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Es gibt 266 Rezensionen von Marcus Kreutz.

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ISSN 2190-9245