Lars-Eric Petersen, Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung
Rezensiert von Elisabeth Vanderheiden, 19.03.2021
Lars-Eric Petersen, Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2020. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. 428 Seiten. ISBN 978-3-621-28422-6. D: 36,95 EUR, A: 37,90 EUR, CH: 41,64 sFr.
Thema
Die vorliegende Publikation geht der Frage nach, wie Vorurteile Stereotype und soziale Diskriminierungen entstehen, funktionieren und wie sie sich messen lassen. Es wird beschrieben und diskutiert, welche Folgen Vorurteile und Stereotype auf Wahrnehmung, Denken und Handeln von Menschen haben. Aber es werden auch Strategien empfohlen, wie sie bearbeitet und vermieden werden können
Herausgeber
Dr. Lars-Eric Petersen und Dr. Bernd Six sind beide Professoren an der Universität Halle am Institut für Sozial- und Organisationspsychologie (Verlagsangaben).
Aufbau und Inhalt
Das Buch wurde für die zweite Ausgabe umfassend überarbeitet sowie erweitert und deckt mit 35 Kapiteln vier Schwerpunkten ab:
I Stereotype
- Soziale Kategorisierung und Stereotypisierung
- Stereotype und Informationsverarbeitung
- Substereotypisierung
- Illusorische Korrelationen
- Sprachverzerrungen im Intergruppenkontext
- Implizite Persönlichkeitstheorien
- Sich selbst erfüllende Prophezeiungen
- Stereotype als Bedrohung
- Messung von Stereotypen
II Vorurteile
- Entwicklungspsychologische Grundlagen für die Entstehung von Vorurteilen
- Rassismus
- Sexismus
- Altersvorurteile
- Vorurteile gegenüber Migranten
- Stigma und Stigmabewältigung
- Messung von Vorurteilen
III Soziale Diskriminierung
- Soziale Dominanz und Diskriminierung
- Selbstregulation und soziale Diskriminierung
- Vorurteile und Diskriminierung
- Die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts
- Die Theorie der sozialen Identität
- Die Theorie der Selbstkategorisierung
- Das Modell der Eigengruppenprojektion
- Die Theorie relativer Deprivation
- Reaktionen auf soziale Diskriminierung
- Messung und Analyse von sozialer Diskriminierung mit dem Paradigma der minimalen Gruppen
IV Prävention und Intervention
- Programme zur Prävention und Veränderung von Vorurteilen
- Die Kontakthypothese
- Dekategorisierung, Rekategorisierung und das Modell wechselseitiger Differenzierung
- Sozialisation
- Diversity Management
- Interventionen zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen mit körperlichen Behinderungen
- Zivilcourage: Theorie, Messung und Training mit Kindern und Jugendlichen
- Solidarität gegenüber Fremdgruppenmitgliedern
Beispielhaft sollen zwei Kapitel ausführlicher vorgestellt werden: Zum einen das Kapitel 4 zu illusorischen Korrelationen und zum anderen das Kapitel 13 zu Altersvorurteilen.
Der Autor des 4 Kapitels Dr. Thorsten Meiser ist Professor am Lehrstuhl für Psychologie in Mannheim. Meiser führt zunächst in die Funktionsweise von Stereotypen ein und macht deutlich, wie der Erwerb bzw. die individuelle Aneignung von Stereotypen erfolgt. Er definiert Stereotype als „wahrgenommene Korrelationen“ (55). Stereotype sind eine Form des Kontigentlernens und „wenn falsche oder verzerrte Korrelationen gelernt werden…, die anschließend stereotype Erwartungen indizieren und die sozialen Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse beeinflussen“, handelt es sich dabei um sog. illusorische Korrelationen. Meiser führt in die Forschungsgeschichte der illusorischen Korrelationen ein, um sich dann den Erklärungen für dieses Phänomen zu widmen. Den Abschluß des Kapitels bildet die Präsentation einer Studie.
Die Autorinnen des Kapitels 13 sind Dr. Franciska Krings, die Professorin für Organisational Behaviour in Lausanne ist und Dr. Annette Kluge, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Uni Bochum. Sie verweisen gleich zu Beginn ihres Kapitels darauf, dass Alter, Geschlecht und Ethnizität als grundlegende soziale – und auch „automatische“ Kategorien – gelten. Sie betonen, dass sich Alter von den beiden anderen Kategorien insofern unterscheidet, dass eine Person in die Kategorie Alter eines Tages zwangsläufig wechselt und zweitens im Gegensatz zu den beiden andern offene Vorteile in Bezug auf die Kategorie Alter „kaum sanktioniert werden und offensichtlich sozial toleriert werden“ (153).
Dabei ist auch in allen Alterskategorien – oft selbst bei den Betroffenen – das Bild des Alters eher negativ als positiv konnotiert. Die Autorinnen präsentieren einige einige Moderationsfaktoren, die darauf Einfluß haben, wie ein Altersbild bei Angehörigen in einer bestimmten Generation in spezifischen kulturellen Kontexten entsteht. Sie führen das Stereotype-Content-Modell ein, nachdem älteren Menschen vielfach zwar Wärme, aber keine Kompetenz zugewiesen wird. Dabei können stereotype Zuweisungen durchaus Subtypen ausweisen und daher variieren, wie am Beispiel der drei Stereotypen: Großmutter-Typ, älterer Staatsmann und Rentner-Typ erläutert wird.
Es wird dargestellt, wann jemand als alt angenommen und mit entsprechenden Stereotypen adressiert wird (nämlich ab 65) und dass es durch den double standard of aging hier Genderunterschiede festzuhalten gilt. Die Autorinnen führen in drei Theorien ein, die die Ursachen für Altersdiskriminierung erläutern. Der Funktionale Ansatz geht davon aus, dass Alterssterotypen psychodynamische und soziokulturelle Funktionen erfüllen. Wie alle Stereotype erfüllen auch diese zunächst die Aufgabe der Komplexitätsreduktion und darüber hinaus die Aufgabe, im Sinne des Selbstschutz bestimmte Zuweisungen in einem Prozess, dem kaum ein Mensch entkommen kann, auf eine Zielgruppe zu projizieren. Die soziokulturelle Funktion hingegen besteht darin, die alterssegregierende Trennung zwischen den gesellschaftlichen Generationsgruppen aufrecht zu erhalten. Ansatz zwei „Soziale Rollen“ bezieht sich darauf, dass Altersstereotype mit den Rollen verbunden werden, die ältere Menschen in einer Gesellschaft wahrnehmen und es mit der Zeit dazu kommen kann, dass Rollenverhalten und -eigenschaften mit den Eigenschaften einer Person vermischt werden. Bei Ansatz drei „Soziale Identität“ geht es darum, dass üblicherweise, die Eigenschaften, die mit der eigenen sozialen Gruppe assoziiert werden, positiver ausfallen als die einer sog Fremdgruppe. Es würde sich dann bei Altersvorurteilen um Annahmen jüngerer Menschen handeln. Dass aber auch ältere Menschen solche Annahmen teilen, lässt sich damit erklären, dass sie sich als „Ausnahmen von der Gruppe“ wahrnehmen und definieren.
Diskussion
Das Buch „Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen“ liefert in 35 Kapiteln umfassende Analysen der relevanten Sachverhalte und ihrer Hintergründe. Die Autor*innen sind sachkundig und liefern hilfreiche theoretische und empirische Informationen zu den jeweiligen inhaltlichen Themen. Wichtig ist auch, dass nicht nur kritischen Analysen und Herleitungen präsentiert werden, sondern auch Lösungsstrategien und Interventionsansätze.
Fazit
Die vorgelegte Publikation bildet den „state of the art“ in der wissenschaftlichen Debatte um das Thema Stereotype und Vorurteile ab. Alle relevanten Facetten werden kurz, aber dennoch fundiert beleuchtet und neben der theoretischen Einführung noch durch ein empirisches Beispiel der Autor*innen ergänzt. Ein Buch, das sicherlich für universitäre Kontexte hervorragend geeignet ist, bietet aber auch Praktiker*innen in der interkulturellen- und transkulturellen Arbeit viele Impulse und Anregungen.
Rezension von
Elisabeth Vanderheiden
Pädagogin, Germanistin, Mediatorin; Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, Leitung zahlreicher Projekte im Kontext von beruflicher Qualifizierung, allgemeiner und politischer Bildung; Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Gender-Fragen und Qualifizierung pädagogischen Personals, Medienpädagogik und aktuellen Themen der allgemeinen berufliche und politischen Bildung
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Zitiervorschlag
Elisabeth Vanderheiden. Rezension vom 19.03.2021 zu:
Lars-Eric Petersen, Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2020. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage.
ISBN 978-3-621-28422-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27276.php, Datum des Zugriffs 19.09.2024.
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